Beiträge

Photo: fleetingpix from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die größte gesellschaftliche Herausforderung ist derzeit der wachsende Protektionismus auf der Welt. Darin kommen Abschottungshaltung und Kleingeistigkeit zum Ausdruck. Die Anti-TTIP und Anti-Ceta-Bewegungen zeigen das ebenso wie die Botschaften der Parteien am linken und rechten Rand. Hier wird mit Umwelt-und Verbraucherschutz argumentiert und dort mit der Sicherung von Arbeitsplätzen. Auf beiden Seiten wird mit Angst Politik gemacht. Doch Angst ist meist ein schlechter Ratgeber.

Nicht nur die Freihandelsabkommen mit anderen Wirtschaftsräumen werden zunehmend bekämpft. Auch der Umgang mancher Europäer mit Großbritannien nach der Brexit-Entscheidung war ein Beleg für den wachsenden Protektionismus. Wenn der scheidende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz den Briten vor der Brexit-Entscheidung drohte, es gebe in der EU nur alles oder nichts, dann hat er seinen Teil zum Brexit-Votum aktiv beigetragen. Die EU und ihr Binnenmarkt ist für viele Länder aus Afrika und den Schwellenländern wie eine Wagenburg: Nur mit Zöllen und Eintrittsgeldern kommt man mit seinen Waren und Dienstleistungen hinein. Eigentlich müsste die EU ein Vorbild für Freihandel nicht nur im Inneren sein, sondern auch nach außen. Das wäre endlich mal eine positive Botschaft der EU, wo sie zudem einseitig und rasch Handlungsfähigkeit beweisen könnte. Sie müsste – und könnte! – ihre Grenzen einseitig öffnen und so als positives Beispiel wirken, damit andere auf dieser Welt eingeladen werden, gleiches zu tun.

Leider hat die große Idee des Freihandels in Deutschland und Europa keine Lobby. Das war schon einmal so: Vor 180 Jahren herrschte in ganz Europa Protektionismus und Nationalismus. Dem haben sich Leute wie Richard Cobden, Frederic Bastiat, John Prince-Smith und später auch Hermann Schulze-Delitsch und Eugen Richter entgegengestellt. Sie haben eine Graswurzelbewegung in Gang gesetzt, die angefangen in Großbritannien über Frankreich und Deutschland den Freihandel in die ganze Welt getragen haben. Sie waren für Freihandel, weil er gerade den Armen und Benachteiligten half und die Hungersnot der damaligen Zeit bekämpfte. Und sie waren für Freihandel, weil er ein Garant des Friedens ist. Richard Cobden sagte über den Freihandel: „der Freihandel wird unweigerlich, indem er die wechselseitige Abhängigkeit der Länder untereinander sichert, den Regierungen die Macht entreißen, ihre Völker in den Krieg zu stürzen.“ Freihandel ist Friedenspolitik.

Die heutigen Gegner des Freihandels sind bestens vernetzt und stellen bald sogar den US-Präsidenten. Diese Entwicklung muss Freunden der Freiheit Sorge bereiten. Trump hat bereits angekündigt, dass er am ersten Tag seiner Präsidentschaft das Transpazifische Handelsabkommen TTP kündigen wird. TTIP liegt damit ebenfalls erstmal auf Eis. Ob CETA von allen Parlamenten in Europa ratifiziert wird, muss sich erst noch zeigen. Das heißt konkret zum Beispiel: Von links wie von rechts wird bis zum Schluss gekämpft, um schlechtere Abgaswerte für Autos in Europa zu verteidigen.

Mit Trumps Präsidentschaft wird ein Trend gesetzt, dessen Wirkung wir erst in einigen Jahren spüren werden – weltweit gesellen sich immer mehr Politiker dem Abschottungslager bei. Es braucht eigentlich wieder eine Graswurzelbewegung im Cobdenschen Sinne, die gegen diesen Trend ankämpft. Der Freihandel braucht eine Lobby, eine Stimme, die klar und unverwechselbar für die Marktwirtschaft und den friedlichen Austausch von Waren und Dienstleistungen streitet. Wo ist diese Lobby? Außer einigen Anzeigen in den Gazetten ist Funkstille im Land des Exportweltmeisters.

Selbst die Kritiker dieser Freihandelsabkommen, die aus der marktwirtschaftlichen Ecke kommen, müssten doch erkennen, dass die Alternative nicht heißen wird: ein Freihandelsabkommen auf einer Seite Papier oder TTIP beziehungsweise CETA auf vielen tausend Seiten. Nein, die Alternative wird heißen: entweder TTIP oder CETA auf der einen Seite oder Zölle, Markteintrittsbarrieren und Abschottung auf der anderen Seite. Die Alternative heißt: ein Zugewinn an Freiheit oder neue Mauern, Zäune und Wirtschaftskriege.

Photo: Paxson Woelber from Flickr (CC BY 2.0)

Die Offene Gesellschaft lebt von Individuen, die für ihr Leben, Handeln, Reden und Denken Verantwortung übernehmen. Wenn ein Staat das seinen Bürgern abnimmt oder gar verbietet, gefährdet er die Grundlagen von Demokratie, Recht und Freiheit.

Der Dünkel der Meinungs-Hegemonie

In den letzten Tagen ist viel über die Gründe für die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten nachgedacht worden. Eine Erklärung, die häufig vorgebracht wird, lautet, sie sei ein Protest gegen Establishment und Elite gewesen. Auch wenn die Nachwahlerhebungen eher darauf hindeuten, dass ökonomische Überlegungen ausschlaggebend waren, hat dieses Element doch eine große Rolle gespielt. Nicht zuletzt, weil Trumps Anti-Eliten-Rhetorik sein vielleicht wichtigstes Markenzeichen war. Der Riss, der auch unabhängig von Trump durch die amerikanische Gesellschaft geht, hat viel mit der Meinungs-Hegemonie linksliberaler, progressiver Kreise zu tun. Die Dominanz und Aggressivität, mit der Safe Spaces und Veggie-Days eingefordert werden, ruft Gegenreaktionen hervor, die nicht minder aggressiv sind. Verbissenheit, Humorlosigkeit und Dünkel können selbst berechtigte Anliegen nachhaltig zerstören.

Einer der zentralen Punkte an der Eliten-Kritik – nicht nur in den USA – besteht darin, dass viele Menschen das Gefühl haben, ihnen werde vorgegeben oder gar vorgeschrieben, was sie zu denken, zu sagen und zu tun hätten. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um ein Gefühl. Auch vor hundert Jahren haben Knigge, Beichtvater oder Mutter sexistische Sprüche sanktioniert. Und ein homosexueller Vegetarier muss sich in der Kleinstadt im amerikanischen Mittwesten wohl ebenso häufig rechtfertigen wie ein konservativer Soldat an einer Westküsten-Universität. Aber dennoch hat dieses Gefühl durchaus auch einen sehr realen Kern. Denn wenn (egal von welcher Seite) argumentiert wird, die eigene Position sei nicht nur maßgeblich, sondern auch objektiv richtig und gut, dann führt das bei Andersdenkenden natürlich zu Empörung. Zu recht.

Wie die Linke ihre antiautoritären und emanzipatorischen Grundsätze verriet

Besonders problematisch wird es dann, wenn aus der Überzeugung, im Besitz der Wahrheit zu sein, entsprechende Maßnahmen folgen. Sozialer Druck, der sich in der argumentativen Auseinandersetzung und auch in Tabus äußert, wird von Konservativen, Linken und Liberalen als Mittel genutzt und ist trotz aller Übertreibungen grundsätzlich ein legitimes Mittel, die eigene Position voranzubringen. Illegitim ist es hingegen, das Argument durch die Vorschrift zu ersetzen. Das sollten gerade Linke deutlich sehen. Ein wesentlicher Bestandteil ihrer Ideengeschichte handelt von der Emanzipation. Frauen, Juden, Sklaven, Farbige, Homosexuelle – sie alle wurden unterdrückt durch einen Staat, der seine Zwangsmittel einsetzte, um damals vorherrschende Gesellschaftsvorstellungen durchzusetzen.

Wie so oft trifft hier wieder die scharfsinnige Beobachtung des englischen Historikers Lord Acton zu, dass Macht die Tendenz hat, zu korrumpieren. Denn die Vormachtstellung, die linke Kreise im intellektuellen Diskurs über die vergangenen Jahrzehnte gewonnen haben, hat auch ihren ursprünglichen antiautoritären und emanzipatorischen Ansatz korrumpiert. Anstatt ihre Diskurs-Hoheit weise, klug und bedächtig einzusetzen, um in der Gesellschaft gegen Vorurteile und Diskriminierung vorzugehen, säen sie selber Vorurteile und diskriminieren Menschen, die anderer Meinung sind als sie.

Freiraum und Vertrauen

Und nicht nur das: sie nutzen zunehmend dieselben Formen der Macht, die einst genutzt wurden, um reaktionäre Überzeugungen durchzusetzen. Waren früher persönliche Entscheidungen wie Ehescheidung verboten und Homosexualität strafbar, so sollen heute ebenso persönliche Entscheidungen auch mit Strafen belegt und mit Verboten gesteuert werden: mit den Mitteln des „sanften Paternalismus“; mit einer Besteuerung, die unser Konsumverhalten lenken soll; mit repressiven Maßnahmen gegen Andersdenkende in Schulen und Universitäten. Von missionarischem Eifer beseelt sehen sie sich als Wiedergänger der Philosophenkönige, von denen Platon schwärmte. An den Hebeln der Macht angekommen wollen sie endlich auch die anderen Menschen zu den Höhen der Erkenntnis und Moral führen, auf denen sie sich wähnen.

Die Gegenbewegung, die wir derzeit gegen diese Weltverbesserung mit Zwangsmitteln erleben, wird das Problem nicht beheben. Viel zu wirr und erratisch sind die Thesen der Kämpfer wider „Genderwahn“ und Political Correctness. Und oft genug richten sie sich auch gegen die Fundamente der Offenen Gesellschaft und des respektvollen Umgangs. Die Antwort, mit der vielleicht alle Seiten leben könnten, ist die Rückbesinnung auf die Selbstverantwortung. Das heißt: Jedem Menschen zuzutrauen, dass er sein eigenes Leben verantwortlich leben kann. Die Gründe zu respektieren, die Menschen für ihre Überzeugungen und Handlungen haben, auch wenn man sie persönlich ablehnt. Freiraum und Vertrauen sind nicht nur in der Kindererziehung fundamentale Prinzipien – sie sind grundsätzlich die angemessenen Mittel im Umgang miteinander.

Friedliche Koexistenz statt einer uniformen Gesellschaft

Der wesentliche Unterschied zwischen Konservativen und Linken einerseits und Liberalen andererseits besteht darin, dass erstere eine konkrete Vorstellung davon haben, was richtig und falsch ist und ihre eigenen Werte für andere verbindlich machen wollen. Dagegen will der Liberale die Gesellschaft nicht gestalten. Sein Ziel ist einzig der Ordnungsrahmen, innerhalb dessen jeder seine eigenen Überzeugungen leben kann. Er will ein System, das die friedliche Koexistenz verschiedenster Überzeugungen und Lebensentwürfe möglich ist. Er will kein „einig Volk von Brüdern“, sondern eine Ordnung gegenseitiger Toleranz. Er vertraut weder auf die Macht des Establishments, noch auf die Macht der Straße – er vertraut auf die Macht der besseren Idee, deren natürlicher Nährboden der Respekt vor dem anderen ist. Das brachte schon vor über 70 Jahren Ludwig von Mises in seinem Buch „Bürokratie“ auf den Punkt mit den Worten:

„Wer seine Landsleute bessern möchte, muss dabei auf Überzeugung zurückgreifen. Dies allein ist der demokratische Weg, Veränderungen zu erreichen. Wenn jemand bei dem Versuch scheitert, andere von der Richtigkeit seiner Ideen zu überzeugen, sollte er die Schuld dafür seiner eigenen Unfähigkeit geben. Er sollte kein Gesetz – mit anderen Worten: Zwang und Nötigung durch die Polizei – fordern.“

Photo: Lane Pearman from Flickr (CC BY 2.0)

Bei der Wahl in den USA wurde nicht nur eine schillernde und offenbar für viele auch faszinierende Person gewählt. Es war auch eine Abstimmung gegen die Globalisierung, die die Zeit seit dem Ende des Sowjet-Imperiums wesentlich geprägt hat. Sie ist in akuter Gefahr.

„It’s the economy, stupid“

Die Nachwahlbefragungen der New York Times sind sehr aufschlussreich. Der in progressiveren Kreisen oft geäußerte Vorwurf des Rassismus scheint bei den Betroffenen nicht zu verfangen: Bei allen nicht-weißen Wählergruppen hat Trump gegenüber dem republikanischen Kandidaten von 2012, Mitt Romney, hinzugewonnen, gerade auch unter Hispanics. Ein anderer Faktor scheint wesentlich stärker gewirkt zu haben. Er konnte offenbar weit in die traditionelle Unterstützergruppe der eher sozialdemokratischen Demokraten hinein Stimmen gewinnen. Unter den Wählern mit geringeren Bildungsabschlüssen schnitt er im Vergleich zur letzten Wahl deutlich besser ab. Massive Zugewinne gab es bei denen, die weniger als 30.000 $ im Jahr verdienen und immer noch erhebliche bei denen, die weniger als 50.000 $ verdienen.

Dass für viele Wähler das Thema Immigration eine große Rolle gespielt hat, muss nicht unbedingt ein Hinweis auf Rassismus sein, sondern hängt gewiss auch wesentlich mit dem hart umkämpften Arbeitsmarkt, gerade im Niedriglohnsektor zusammen. 78 % der Wähler, die ihre finanzielle Situation als verschlechtert empfinden, haben für Trump gestimmt. Die Wähler, die glauben, dass der Handel mit anderen Ländern amerikanische jobs vernichten, haben zu 65 % für Trump gestimmt. Der amerikanische Ökonom Donald Boudreaux hat auf seinem Blog darauf hingewiesen, dass ein ausschlaggebender Faktor für die Wahl Trumps die, gerade auch von Linken oft bediente, Erzählung ist, dass es für den Mittelstand seit den 70er Jahren kein Wachstum mehr gegeben habe. (Vielleicht ist der Dauer-Vorwurf des Rassismus auch dem unbewussten Schuldgefühl mancher Progressiver und Linker entsprungen, durch ihren Alarmismus dieses Ergebnis mitverursacht zu haben.)

„Wir glauben an das Gute, das Regierungen tun können.“

Ein ähnliches Phänomen konnten wir bereits bei der Abstimmung zum Brexit gewärtigen. In den dortigen Nachwahlbefragungen wurde unter anderem nachgefragt, wie die Wähler zu bestimmten Themen stehen. Obwohl das Leave-Lager von den traditionell marktwirtschaftlicher ausgerichteten Tories dominiert wurde, haben 69 % derjenigen, die die Globalisierung für eine gefährliche Entwicklung halten, für den Brexit gestimmt. Einen deutlichen Widerhall fand diese Tendenz in der Rede der neuen britischen Premierministerin Theresa May beim Parteitag der Konservativen. Diese Rede war ein fast schon flammender Appell für das Primat der Politik und das, was Angelsachsen als „big government“ bezeichnen. Ihre Botschaft gleicht der von Trump bis in die Formulierungen:

„Wenn wir Ungerechtigkeit korrigieren und die Regierung in den Dienst der einfachen Arbeiter stellen, können wir ein neues gemeinschaftliches Großbritannien aufbauen. … Unser Programm sieht die Regierung in der Pflicht, eine Wirtschaft aufzubauen, die für jeden arbeitet. Eine Wirtschaft, die einen öffentlichen Dienst unterstützt, auf den wir uns alle verlassen können, und die in Dinge investiert, die uns allen lieb und teuer sind. Wie etwa den NHS: eines der besten Gesundheitssysteme weltweit. … Lasst uns die Gelegenheit ergreifen, um zu beweisen, dass wir – die Konservative Partei – wahrhaft die Partei der Arbeiter, der Beamten und des NHS sind. Denn wir glauben an den öffentlichen Dienst. Wir glauben daran, in Institutionen zu investieren, die unser Land großmachen. Wir glauben an das Gute, das Regierungen tun können.“

Alte Modelle aus der Mottenkiste

Innerhalb kürzester Zeit sind in Großbritannien und den USA, also zwei Leuchttürmen liberaler Gesellschaften und freier Märkte, die liberalen Kräfte in sich zusammengefallen. Politiker wie David Cameron und George Osborne, wie Paul Ryan, Marco Rubio und leider auch Rand Paul, wurden entweder abserviert oder sind massiv in der Defensive. Stattdessen werden alte Modelle wieder aus der Mottenkiste geholt: Theresa May inszeniert sich als Wiedergängerin ihres Vorgängers Clement Attlee, der nach dem 2. Weltkrieg den NHS einführte und Teile der Industrie verstaatlichte – nicht wie Margaret Thatcher, die das alles wieder aufräumen musste. Und das allererste Versprechen, das Donald Trump nach seiner Wahl machte, lautete: „Wir werden unsere Innenstädte, Highways, Brücken, Tunnel, Flughäfen, Schulen und Krankenhäuser wiederaufbauen. Wir werden die Infrastruktur erneuern … Und wir werden dadurch für Millionen Menschen Arbeitsplätze schaffen.“ – Das ist Franklin D. Roosevelts „New Deal“ neuaufgelegt. Dafür spricht auch sein Zugeständnis, Obamacare nun doch nicht abzuschaffen.

Natürlich war Immigration beim Brexit und den US-Wahlen ein Thema. Natürlich sind viele von Trumps Sprüchen rassistisch und einige der von der neuen britischen Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen offen fremdenfeindlich wie etwa, dass Unternehmen angeben müssen sollen, wie viele ausländische Angestellte sie beschäftigen. Doch bloße Empörung über Rechtspopulismus führt höchstens zu einer noch stärkeren Verhärtung der Fronten. Die Offene Gesellschaft ist in Gefahr, weil sie das Ergebnis der Globalisierung ist. Rassismus ist oft nur eine Ausdrucksform der zugrundeliegenden Ängste vor den Herausforderungen einer freien Marktwirtschaft. Wer etwas gegen diese Formen des Rechtspopulismus tun will, sollte nicht die Interventionsspirale gegenseitiger Vorwürfe (political correctness vs. Rassismus, Homophobie etc.) bedienen, sondern – wie einst der große britische Freihandels-Kämpfer Richard Cobden – die Vorzüge der Globalisierung verdeutlichen.

Steht die Republikanische Partei vor einem fundamentalen Wandel?

Die 180-Grad-Wende der Tories werden wahrscheinlich auch die Republikaner erfahren. Denn die Wahl Trumps war – wie der Brexit – auch ein deutliches Signal gegen Globalisierung. Republikanische Politiker haben erfahren müssen, dass sich mit Protektionismus und ökonomischem Interventionismus, wie sie Trump offen ins Schaufenster gestellt hat, Wahlen gewinnen lassen. Von einigen wenigen Überzeugungstätern abgesehen, wird das die meisten entscheidend in ihren Politikentscheidungen beeinflussen. Trumps Wahl könnte sich als letzter Todesstoß für den marktfreundlichen Teil der Tea Party Bewegung herausstellen. Stephen Davies, einer der führenden Köpfe beim Institute of Economic Affairs in London liefert einen interessanten Ausblick:

„Die langfristigen und strukturellen Veränderungen, die mit Trumps Sieg einhergehen werden, sind schlimm. …Er wird die Republikanische Partei in eine Partei des Nationalismus, des wirtschaftlichen Dirigismus, der Anti-Globalisierung und der Identitäts-Politik verwandeln. Es wird bizarr sein, zu beobachten, wie viele republikanische Politiker plötzlich entdecken, dass die Prinzipien, die sie viele Jahre lang unterstützt haben, jetzt Schnee von gestern sind … Viele Republikaner werden plötzlich einen Gesinnungswandel durchleben. Andere werden ersetzt werden und manche werden gehen oder ausscheiden.“ Schließlich zitiert er die Reaktion von Pat Buchanan, seit Jahrzehnten die prominenteste Stimme des reaktionären Flügels der Republikaner, auf die Wahl Trumps: „Die Globalisierung ist am Ende. Die Zukunft gehört dem Ethno-Nationalismus und dem wirtschaftlichen Nationalismus.“

Linke Vorarbeit für rechte Politiker

Attac, Campact, Occupy, Thomas Piketty, Bernie Sanders, Jeremy Corbyn und Sarah Wagenknecht haben mit ihren dauernden Tiraden gegen die Globalisierung und der Panikmache beim Thema Ungleichheit einen (hier passt das Modewort ausnahmsweise einmal sehr gut:) postfaktischen Diskursstil gesät und wir ernten nun Politiker wie Trump. Die heutige Situation erinnert an die große Krise des Liberalismus und der Globalisierung ab dem Ersten Weltkrieg. Überall gerät er in die Defensive: mal von ganz offen rechten Kräften wie Kaczynski, Orban oder Le Pen, mal von solchen, die in staatsmännischem Gewande daherkommen wie Theresa May oder Donald Trump. Flankiert wird diese Bewegung von autoritären Kräften wie Erdogan, Duterte oder Putin. Die Handelskriege, die aus dem wachsenden Protektionismus zu erwachsen drohen, können die Weltwirtschaft in eine noch viel dramatischere Lage bringen als der Lehman Crash. Die Folge wird der weitere Aufstieg von Anti-Globalisierungs-Bewegungen sein, weil die Folgen dieses Protektionismus der Globalisierung zugeschrieben werden – dank der intensiven Pflege dieses Narrativs durch Linke in den letzten Jahrzehnten.

Es wird gewaltiger Kraftanstrengungen und vieler Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bedürfen, um die gerade einsetzende Trendwende wieder umzukehren und die Globalisierung mit all ihren positiven Auswirkungen wieder aufs Gleis zu stellen. Aber so mühsam diese Perspektive erscheint, so gibt es doch Hoffnung. Den libertären Präsidentschaftskandidaten Gary Johnson, der seinen Stimmenanteil im Vergleich zur letzten Wahl auf mehr als 4 Millionen Stimmen vervierfacht hat, haben 6 % der Wähler zwischen 18 und 24, 4 % der Wähler zwischen 25 und 29 sowie 5 % der Wähler zwischen 30 und 39 gewählt. Das korrespondiert mit der Zustimmung, die das libertäre Urgestein Ron Paul bei der Wahl 2012 im Vorwahlkampf vor allem unter jungen Wählern genoss.

Hoffnungsschimmer am Horizont

Es gibt inzwischen auf der ganzen Welt eine breite, wenn auch noch kleine, so doch schon sehr schlagkräftige Bewegung, die sich der Globalisierung und der damit einhergehenden Offenen Gesellschaft verschrieben hat. Der Frontalangriff auf die Globalisierung trifft ihre Verteidiger mithin nicht völlig unvorbereitet, auch wenn es die nächste Zeit noch sehr ungemütlich werden kann. Es mögen sich noch ganz neue ungewöhnliche Allianzen auftun. Wenn etwa die Tories in Großbritannien und die Republikaner in den USA sich tatsächlich auf den Weg zur interventionistischen und protektionistischen Knechtschaft machen, mag manch ein schmerzhafter Abschied bevorstehen.

Doch für den, der bereit ist umzudenken, tun sich auch ganz neue Möglichkeiten auf. Gerade in der jungen Generation sind viele sehr kosmopolitisch aufgewachsen – und in Zeiten weltweiter Kommunikation ist dieser Kosmopolitismus auch nicht mehr nur ein „Privileg“ der besser gebildeten und Reichen. Vielleicht gelingt, was Stephen Davies hoffnungsvoll als mögliche Perspektive beschreibt, wenn er sich eine Partei vorstellt, die „im breiten Sinne liberal ist, sich vehement für Freihandel einsetzt, internationalistisch und kosmopolitisch ist, um Gleichheit besorgt und doch wesentlich weniger begeistert von staatlicher Gewalt und dem Versuch, Ungleichheit durch Interventionen zu beseitigen.“

Eine Mahnung aus dem Jahr 1949

Es gibt Organisationen wie die Students for Liberty, es gibt Politiker-Nachwuchs wie Daniel Hannan in Großbritannien oder Justin Amash und Thomas Massie in den USA und es gibt weltweit, quer durch die Lager und Parteien hindurch, Menschen, denen an Freihandel, Marktwirtschaft und einer Offenen Gesellschaft gelegen ist. All diese Leute müssen jetzt ihren Mut und ihre Geduld zusammennehmen und dem Rat Friedrich August von Hayeks folgen, der 1949, in einer ähnlich düsteren Zeit, schrieb:

„Wir müssen ein neues liberales Programm anbieten, das sich an die Vorstellungskraft wendet. Wir müssen den Aufbau einer freien Gesellschaft wieder zu einem intellektuellen Abenteuer machen, zu einem Akt des Mutes. Was uns fehlt, ist eine liberale Utopie, ein Programm, das weder eine bloße Verteidigung bestehender Verhältnisse ist noch ein verwässerter Sozialismus, sondern ein wirklich liberaler Radikalismus, der die Mächtigen nicht schont, der nicht allzu pragmatisch ist, und der sich nicht auf das beschränkt, was heute politisch durchsetzbar erscheint. Wir brauchen intellektuelle Führungspersönlichkeiten, die bereit sind, sich für ein Ideal einzusetzen, mögen die Aussichten auf ihre baldige Umsetzung auch noch so gering sein. Es müssen Menschen sein, die bereit sind, an ihren Prinzipien festzuhalten und für deren volle Verwirklichung zu kämpfen, mag der Weg auch noch so lang erscheinen.

Die Aussichten für die Freiheit sind in der Tat dunkel, wenn es uns nicht gelingt, die philosophischen Begründungen einer freien Gesellschaft wieder in den intellektuellen Diskurs einzubringen; wenn es uns nicht gelingt, die Einrichtung einer freien Gesellschaft zu einer Aufgabe zu machen, die die Genialität und Vorstellungskraft unserer fähigsten Köpfe herausfordert. Wenn es uns aber gelingt, jenen Glauben an die Kraft der Ideen wiederzuerlangen, der das Kennzeichen des Liberalismus zu seinen Glanzzeiten war, dann ist der Kampf nicht verloren.“

Erstmals erschienen bei „Peace Love Liberty – Das Studentenmagazin“.

Photo: Marcus Holland-Moritz from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Prof. Dr. Justus Haucap, Gründungsdirektor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Mitglied im Kuratorium von Prometheus.

Mit knapper Mehrheit haben die Briten am 23. Juni 2016 dafür gestimmt, die Europäische Union zu verlassen. Viele Beobachter waren sehr überrascht. Bisher war es noch immer gut gegangen. Selbst als die Franzosen und Niederländer 2005 gegen die Europäische Verfassung stimmten, tat das der Integration keinen Abbruch. „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“, so das bisher gültige Motto der EU. Nun aber will zum ersten Mal ein Land die EU wieder verlassen. Es scheint doch nicht alles alternativlos zu sein.

Besonders die wirtschaftlichen Konsequenzen werden für die Briten furchtbar sein, meinen durchaus nicht wenige meiner Kollegen (etwa hier). Die EU hingegen werde den Austritt schon verkraften, aber für die Briten sei ein Brexit desaströs, so die wohl mehrheitliche Meinung. In einer teils doch hysterisch anmutenden Berichterstattung und Kommentierung in den Tagen direkt nach dem Referendum wurden immer wieder zwei Vermutungen geäußert: Zum einen, dass viele Leute (besonders die Engländer und Waliser) wohl einfach zu dumm und zu wenig aufgeklärt seien, um die Vorteile der EU zu verstehen, und zum anderen, dass die alten Bürger zu störrisch sind und den jungen Briten in einem Akt der Misanthropie die Zukunft verbauen wollten. Dabei haben sich sehr viele junge Wähler der Stimme enthalten, weil es ihnen wohl doch nicht so wichtig zu sein schien, ob Großbritannien nun zur EU gehört oder nicht. Von den 18- bis 24-jährigen haben anscheinend nur 36 Prozent ihre Stimme abgegeben. Und auch die These, dass es primär Dummheit, Nationalismus oder gar Rassismus sei, die zu einer Skepsis gegenüber Brüssel führe, zeugt von Hochmut und mangelnder Fähigkeit zu differenzieren. Die Brexiteers sind keine homogene Masse, sondern ein recht heterogener Haufen. Ja, zum einen sind dies britische Nationalisten, aber es sind auch libertäre Ökonomen dabei und Bürger, denen die EU zu zentralistisch, zu bevormundend und zu wenig subsidiär ist.

Ob nun die wirtschaftlichen Konsequenzen für Großbritannien wirklich so dramatisch sein werden, wie manchmal skizziert, ist gar nicht klar. Interessanterweise gab der FTSE100, der Aktienindex der 100 wichtigsten britischen Unternehmen am Tag nach dem Referendum bis zum Börsenende nur um 3,15 Prozent nach. Der DAX hingegen verlor 6,8 Prozent, der französische Index CAC40 8 Prozent und die EuroStoxx 50, die 50 wichtigsten europäischen Aktien, sogar 8,6 Prozent. Mit der Interpretation sollte man vorsichtig sein, aber sicher suggerieren die Zahlen nicht, dass Großbritannien schwer getroffen wird, während es für den Rest der EU kaum etwas ausmacht. Natürlich herrscht nun große Unsicherheit, wie es genau weitergehen wird. Kurzfristig wird es negative Folgen für die britische und europäische Wirtschaft geben. Aber mittelfristig kann der Brexit auch eine Chance sein, sowohl für Großbritannien als auch für die EU.

Vieles wird, sowohl für Großbritannien als auch die EU, letztlich davon abhängen, wie sich die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien ausgestalten werden. Dass es etwa zu einem Handelsembargo kommen wird, ist schwer vorstellbar. Der Freihandel und der Binnenmarkt werden sehr wahrscheinlich bestehen bleiben und damit auch ein Großteil der wirtschaftlichen Vorteile. Dass Großbritannien sich nun möglicherweise nicht an das Verbot von Glühbirnen, Plastiktüten und leistungsstarken Staubsaugern wird halten müssen, dürfte hingegen kaum wirtschaftlich spürbar sein. Auch die Schweiz und Norwegen darben trotz fehlender EU-Mitgliedschaft nicht im Elend, obgleich auch die Freizügigkeit etwa zwischen der Schweiz und den EU-Staaten im Vergleich zur Freizügigkeit innerhalb der EU drastisch eingeschränkt ist (zum Beispiel weil tendenziell nur EU-Bürger mit einem festen Arbeitsplatz oder einem anderweitig ausreichendem Einkommen ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegen können). Der Thinktank Open Europe hat dementsprechend im März letzten Jahres prognostiziert, dass die Auswirkungen des Brexits positiv oder negativ sein können – je nachdem, welche Politik ergriffen wird. Denkbar wäre etwa auch, dass die Briten beim transatlantischen Freihandel voranpreschen, während große Teile der verbleibenden EU hier wesentlich zögerlicher sind. Der Austritt der Briten wird in der EU die protektionistischen und fortschrittsfeindlichen Kräfte weiter stärken.

Es mag provokant sein, aber: Die jungen Briten mögen mit ihrer impliziten Einschätzung durchaus recht gehabt haben, dass es letztlich zumindest ökonomisch nicht so einen großen Unterschied macht, ob Großbritannien nun in der EU ist oder nicht. Der Verweis, dass Großbritannien in den vergangenen 40 Jahren seit dem Zutritt zur EU einen starken wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hat, stimmt natürlich. Allerdings gilt das auch für die Schweiz und Norwegen und sogar für Australien und Südkorea. Wie viel von diesem Aufschwung etwa auf eine EU-Mitgliedschaft im Vergleich zu einer hypothetischen Beschränkung auf die Mitgliedschaft in der europäischen Freihandelszone (EFTA) zurückzuführen ist, ist völlig unklar.

Europäische und auch deutsche Politiker, die jetzt fordern, die Briten ob ihres demokratischen Ungehorsams besonders deutlich zu bestrafen, werden vor allem auch der deutschen und europäischen Wirtschaft selbst schaden. Vergeltung ist eine ziemlich schlechte Antwort auf eine demokratische Entscheidung. Die EU ist keine Sekte, aus welcher man nicht wieder ohne Androhung von Vergeltungsmaßnahmen austreten darf.

Überhaupt reflektieren die Granden der EU erstaunlich wenig, welcher Reformbedarf denn wohl in Brüssel bestehen könnte. Es ist sicher eine menschlich verständliche Reaktion, die Schuld für das empfundene Desaster bei anderen zu suchen. Daher überrascht es auch nicht wirklich, dass besonders europäische Politiker vor allem über die Briten schimpfen, bei der Europäischen Union und ihren Institutionen jedoch offenbar kein Versagen erkennen können. Dabei ist das Vertrauen vieler Bürger in die Brüsseler Entscheidungsprozesse schon lange erschüttert. Das wiederholte Brechen von Recht (etwa der sogenannten Maastricht-Kriterien oder der Dublin-Verordnung zur Aufnahme von Flüchtlingen) und Versprechen („Kein weiteres Hilfe-Paket/Bail-out für Griechenland“) trägt nicht zur Vertrauensbildung bei. Die Haltung der Brüsseler Eliten, den (etwa dummen) Bürgern einmal zu erklären, was gut für sie ist, stößt auf Skepsis bei vielen. Viele Bürger empfinden etwa die Flüchtlinge nicht als „ein Geschenk wertvoller als Gold“, wie Martin Schulz es im Juni in seiner Heidelberger Hochschulrede ausgedrückt hat. Vielmehr sehen viele die mit der Flüchtlingskrise verbundenen Kosten und Risiken. Die mangelnde Handlungsfähigkeit und -willigkeit der EU führt hier sicher nicht zu einem positiven Bild von der EU. Und es nimmt den Menschen auch nicht die Ängste, sie im Gegenzug als unverbesserliche Rassisten zu beschimpfen. Auch Behauptungen wie die, dass es nie einen Bail-out Griechenlands geben werde oder dass die Energiewende die Bürger nicht mehr als eine Tasse Cappuccino kosten werden, führen zu einer fundamentalen Erosion des Vertrauens in die Politik. Mit Hochmut und Beschimpfungen der Wählerschaft wird man das verloren gegangene Vertrauen nicht zurückgewinnen.

Wie weit die Brüsseler Führung inzwischen von den Bürgern entfernt ist, zeigt die Reaktion Jean-Claude Junckers, der nun nicht innehalten und reflektieren möchte, sondern mit noch mehr Tempo mehr Staaten zur Übernahme des Euro drängen will. Das erinnert an Erich Honeckers Realitätsverlust im August 1989 als er glaubte, den Sozialismus in seinem Lauf hielten weder Ochs noch Esel auf.

Nicht nur die Briten sind nun gefordert. Auch die Europäische Union muss sich grundlegende Gedanken machen, wie es weitergehen soll. Weniger Harmonisierung und weniger Zentralismus sind nicht das Ende der Europäischen Union, vielmehr läge in einer Rückkehr zu einem echten Subsidiaritätsprinzip eine echte Chance, einen europäischen Staatenverbund doch zu einem Erfolg werden zu lassen. Der Brexit kann ein Weckruf zur richtigen Zeit sein, wir benötigen nun eine sachliche und gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der EU. Panikmache, Hysterie und Durchhalteparolen sind dagegen fehl am Platz.

Erstmals veröffentlicht auf Merton Magazin.

Photo: Wikimedia Comons

Sechs Millionen Deutsche machten im vergangenen Jahr Urlaub in Polen. Zwei Millionen Polen und Polnisch-Stämmige leben dauerhaft in Deutschlands. Polen ist unser siebtwichtigster Handelspartner. Aber nur wenige wissen um die leuchtende Vergangenheit des Landes.

Eine Ausnahmeerscheinung in finsteren Zeiten

Entgegen der üblichen Wahrnehmung war das Mittelalter gar nicht eine so finstere Zeit. Dagegen war die darauffolgende frühe Neuzeit in einer Weise düster, die sich oft durchaus mit den finsteren Zeiten des 20. Jahrhunderts messen kann. Die Epoche zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert war in Europa geprägt von blutigen Glaubenskämpfen, von der zunehmenden Konzentration von Macht im Absolutismus und vom rasanten Wachstum des starken Staates. Inmitten dieser erstickenden Atmosphäre war die „Adelsrepublik Polen“ ein einzigartiges Phänomen, in dem jene Werte gedeihen konnten, die erst heute, etliche hundert Jahre später, in ganz Europa unser Selbstverständnis prägen.

Das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen bildeten bereits ab 1385 eine Personalunion. 1569 wurden die bisher gemeinsam regierten beiden Reiche in einer Realunion zusammengeführt. Gleichzeitig gab es eine massive Verfassungs-Revision, die aus dem neu entstandenen Reich ein Staatswesen mit beispielloser Freiheit machte. Das erbliche Königtum wurde abgeschafft zugunsten eines Wahlkönigtums. Damit einher ging eine deutliche Schwächung der Stellung des Königs, der mehr ein oberster Beamter war als ein klassischer Herrscher. Diese Entwicklung war dem absolutistischen Trend im Rest Europas diametral entgegengesetzt. (Ausnahmen bildeten nur noch die Vereinigten Niederlande und, mit Abstrichen, ab der „Glorious Revolution“ von 1688 auch Großbritannien.)

Demokratie und Toleranz

Gewählt wurde der König vom Adel sowie von Vertretern der freien Städte. Der Adel war freilich in Polen nicht eine kleine Elitenkaste. Ihm gehörten etwa 15 % der Bevölkerung an. Zum Vergleich: In Großbritannien, dem selbsterklärten „Mutterland der Demokratie“ durften erst nach der großen Reform von 1832 vergleichbar viele Bürger wählen. Die Adligen fanden sich alle zwei Jahre für sechs Wochen zusammen im Sejm, einem der ältesten Parlamente der Welt. Ausgestattet mit umfangreichen Veto-Möglichkeiten bestimmten sie über Gesetzgebung und Fiskalfragen sowie über außenpolitische Angelegenheiten. In der Zeit zwischen den Sejm-Sitzungen wachten 16 gewählte Senatoren darüber, dass der König sich an die Beschlüsse des Parlaments hielt. Außerdem gab es ein verbrieftes Recht zum Widerstand, sollte der König gegen „Recht, Freiheit, Privilegien und Gebräuche“ verstoßen.

Seit dem „Warschauer Religionsfrieden“ von 1573 gab es in der Republik auch garantierte Religionsfreiheit. In einer Zeit höchster Intoleranz zwischen den großen Konfessionen, gegenüber freikirchlichen „Sekten“ und „Ketzern“ und natürlich gegenüber Juden lebten in Polen Angehörige unterschiedlichster Konfessionen und Religionen friedlich zusammen: Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, Juden und Muslime. Für viele verfolgte Anhänger protestantischer Freikirchen war Polen der einzige Zufluchtsort in Europa. Neben den religiösen Traditionen konnten sich auch kulturelle Eigenheiten in dem Vielvölkerstaat halten: Polen, Litauer, Ukrainer, Weißrussen, Esten, Letten, Slowaken, Ungarn, Moldauer, Juden, Deutsche, Armenier und Tataren fanden sich in einem föderalistisch organisierten Gemeinwesen zusammen.

Friedliche Koexistenz, wenn Macht begrenzt ist

Inmitten der zentralstaatlich organisierten, absolutistischen und kriegslüsternen europäischen Monarchien hatte es die Freiheitsinsel Polen-Litauen zunehmend schwer. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde es aufgerieben zwischen den Großmächten in der Umgebung: Russland, Preußen, Österreich und Schweden bedrohten es von außen und durch Intrigen auch von innen. Auch der Versuch einer Verfassungsreform im Jahr 1791, die das Land modernisieren und noch weiter demokratisieren sollte, konnte den Untergang nicht abwenden. Nachdem bereits bei der ersten Polnischen Teilung 1772 bedeutende Teile des Landes von Russland, Preußen und Österreich annektiert worden waren, verschwand der Staat 1793 bis 1795 vollständig von der Landkarte. Die als „Goldene Freiheit“ bezeichnete Epoche war unwiderruflich vorbei.

Die beispiellose Freiheit, die über 200 Jahre hinweg in Polen-Litauen herrschte, sollte uns heute viel stärker wieder ins Bewusstsein kommen. Gerade in einer Zeit, in der sich nach dem Brexit-Votum die Gewichte innerhalb der EU verschieben könnten. Und gerade in einer Zeit, in der in vielen Staaten des östlichen Europas die Traditionen der Toleranz und Offenheit einen schweren Stand haben. Die Geschichte der „Goldenen Freiheit“ kann uns Warnung und Inspiration zugleich sein: Die Warnung lautet, dass die Freiheit immer bedroht ist durch die Macht. Die Entwicklungen in Russland in den letzten Jahren und in der Türkei in der jüngsten Zeit darf Europa nicht ignorieren. Zugleich zeigt die Geschichte aber auch vorbildhaft, dass eine friedliche Koexistenz vieler unterschiedlicher Lebensentwürfe möglich ist – gerade dann, wenn Macht nicht zentralisiert und absolutistisch ist. Das sei insbesondere den Verantwortlichen in Brüssel ans Herz gelegt …

Der Philosoph Karl Popper, dessen Geburtstag sich gestern jährte, stellte schon 1958 in einem Vortrag zum Thema „Woran glaubt der Westen“ (und die Geschichte Polen-Litauens beweist: auch der Osten glaubt daran!) fest:

„Unser Stolz sollte es sein, dass wir nicht eine Idee haben, sondern viele Ideen; dass wir nicht einen Glauben haben, nicht eine Religion, sondern viele, gute und schlechte. Es ist ein Zeichen der überragenden Kraft des Westens, dass wir uns das leisten können. Die Einigung des Westens auf eine Idee, auf einen Glauben, auf eine Religion, wäre das Ende des Westens, unsere Kapitulation, unsere bedingungslose Unterwerfung unter die totalitäre Idee.“