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Die Anschläge vom 11. September erschütterten die ganze Welt. Auch 14 Jahre später stellt sich die Frage, ob Bin Laden nicht mehr Erfolge erzielen konnte, als uns bewusst und lieb ist. Denn die größte Bedrohung der Offenen Gesellschaft ist die Angst.

Die Terroristen lachen sich in ihre blutige Faust

Wer London besucht, kann den Eindruck bekommen, in einem riesigen Filmstudio unterwegs zu sein – so viele Kameras hängen dort in der ganzen Stadt. In Paris patrouillieren Polizisten mit Maschinenpistolen. Die „Stadt der Liebe“ präsentiert sich inzwischen an manchen Ecken als „Stadt der Furcht“. Die Vereinigten Staaten überziehen die ganze Welt mit einem Netz von Beobachtung und Schnüffelei. Fluggastdaten, Telefondaten, Bankdaten – alles Mögliche wird gespeichert, gescreant und überwacht. Eine ganze Reihe von Kriegen wurde im Namen der Terrorismusbekämpfung begonnen – von westlichen Staaten wie auch von Russland oder China. Sicherheitsunternehmen machen aus der Angst ein großes Geschäft. Geheimdienste, Militär und Polizei nutzen sie, um beständig ihre Kompetenzen und ihr Budget auszuweiten. Und die Terroristen lachen sich währenddessen in ihre blutige Faust.

Die Angst vor dem Terror ist natürlich nicht völlig irreal. Von Madrid über London bis Paris ist er gegenwärtig. Wachsamkeit und ein effektiver Sicherheitsapparat sind unabdingbar, um Leben zu schützen. Dennoch darf man nie aus dem Auge verlieren, dass Terrorismus zwei Ziele verfolgt. Das eine Ziel ist sehr offensichtlich: Menschen umzubringen und dem Feind substantiell zu schaden. Das andere Ziel erklärt sich aus der Herkunft des Wortes: Terror bedeutet auf Lateinisch Angst und Schrecken. Gesellschaften und Staaten, die durch Terrorismus bedrängt werden, finden sich also in einem Dilemma wieder: Man möchte natürlich Menschenleben schützen. Sobald man dazu aber Sicherheitsapparat und Überwachungsstaat ausbaut, gibt man den Terroristen genau das, was sie wollen: Angst. Der Schrecken, den sie verbreiten, diktiert dann unser Handeln.

Angst bringt uns dazu, die Offene Gesellschaft zu verraten und aufzugeben

Terroristen haben keine Armeen außer der schleichenden Angst, die eine Gesellschaft durchsetzt. Sie wollen keine Gebiete erobern außer die Hirnregionen, die bei uns Beklemmung und Furcht, Unsicherheit und Misstrauen hervorrufen. Ihr Ziel ist es nicht, eines Tages auf dem Kanzleramt, dem Weißen Haus und der Downing Street ihre Fahne zu hissen. Ihr Ziel ist es, unsere Gesellschaft zu zerstören. Sie verachten den Individualismus, das Konzept der Selbstbestimmung und die Offene Gesellschaft, die diese Vorstellungen umsetzt. Und sie begreifen, dass es die Angst ist, die uns dazu bringt, die Offene Gesellschaft zu verraten und aufzugeben. Kürzlich erschien eine Untersuchung der R+V Versicherung, die zeigte, dass die Angst vor Terrorismus in Deutschland im letzten Jahr um 13 Prozentpunkte auf 52, und damit von Platz 8 auf Platz 2 hochgeschnellt ist.

Angst führt dazu, dass sich die Waage in dem beständig schwelenden Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit stark in Richtung Sicherheit neigt. Sicherheit kostet Freiheit. Je stärker der Terror unsere Sicherheit in Frage stellt, einen umso höheren Preis an Freiheit sind viele bereit zu zahlen. Und so zersetzt der Terrorismus Stück für Stück unsere Gesellschaft, erstickt unsere Sehnsucht nach Freiheit. Die stärkste Waffe der Terroristen liegt nicht in ihren Händen, sondern in unseren Herzen und Köpfen.

Ein wachsames Auge auf diejenigen, die für die Sicherheit sorgen (sollen)

Angesichts des Islamischen Kalifats, das sich im Vorderen Orient ausbreitet, angesichts der Attentate in Paris und angesichts der steigenden Zahl an Salafisten auch in unserem Land mag dies eine gewagte Forderung sein. Aber es geht um unsere Freiheit: Wir müssen die Tätigkeit unserer Sicherheitsapparate im Westen beschränken und zurückschneiden. Insbesondere die Parlamentarier sind aufgerufen, ihre Aufgabe als Überwacher der Überwacher ernst zu nehmen. Aber auch jeder einzelne Bürger muss immer wieder prüfen, ob er den Sicherheitsversprechen glauben will. Denn bei weitem nicht alles, das als notwendig deklariert wird, ist es auch wirklich. Auch Politik, Polizei, Militär und Nachrichtendienste haben handfeste Eigeninteressen.

Der Krieg gegen den Terror wird natürlich auch durch den Sicherheitsapparat geführt. Er wird aber nicht vom Sicherheitsapparat gewonnen. Gewinnen können ihn nur die Menschen in den bedrohten Ländern: Indem sie sich nicht in Angst und Schrecken versetzen lassen. Indem sie die Werte ihrer Offenen Gesellschaft verteidigen. Und dazu gehört ganz wesentlich, ein wachsames Auge zu haben auf diejenigen, die für die Sicherheit sorgen (sollen). Allzu rasch verwischt die Grenze zwischen dem, was der Sicherheit dient, und dem, was der Machtsicherung staatlicher Einrichtungen dient. Wenn wir in der Konsequenz des 11. September und ähnlicher Ereignisse einen Überwachungs- und Kriegs-Staat ausbauen, dann hat Bin Laden am Ende doch noch gewonnen. Wenn wir jedoch unsere Politik, überhaupt unser Zusammenleben nicht von Angst und Schrecken bestimmen lassen, sondern von Mut und Vertrauen auf die Offene Gesellschaft, dann haben wir am Ende den Sieg davon getragen.

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Heute jährt sich die deutsche Kapitulation im Zweiten Weltkrieg zum 70. Mal. Es war das Ende der Kampfhandlungen, nicht aber des Krieges. Den Krieg haben nicht die Generäle und Staatsmänner beendet, sondern die Bürger, die sich für ein Miteinander anstatt für das Gegeneinander entschieden.

Ein Sieg ist nicht dasselbe wie Frieden

Vor zwei Wochen haben wir hier Betrachtungen darüber angestellt, dass uns Geschichtsschreibung oft ein falsches Bild vermittelt. Dass nicht Feldherren und Führer die entscheidenden Persönlichkeiten waren, sondern dass „der wirkliche Fortschritt für die Menschheit von Erfindern, Unternehmern, Denkern und deren Unterstützern ausging.“ Der heutige Jahrestag ist ein gutes Beispiel dafür, wie Geschichtsschreibung uns in die Irre führen kann. Klar, der 8. Mai war der Tag des Sieges der Alliierten über Deutschland. Er war auch, wie Richard von Weizsäcker in seiner bedeutenden Rede vor dreißig Jahren sagte, der „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Aber er war eben nicht der Tag, an dem der Krieg aufhörte.

Denn ein Sieg ist nicht dasselbe wie Frieden. Das liegt zum Teil daran, dass die Sieger auch alles andere als weiße Westen hatten: die pauschale Internierung von Japanern durch die US-Regierung, der Bombenterror über Dresden und vor allem Hiroshima und Nagasaki, ganz zu schweigen von dem verbrecherischen Regime Stalins, das dem Hitlers in Vielem verblüffend ähnelte. Das liegt aber auch daran, dass Krieg mehr ist als nur Kampfhandlungen – der auf den Zweiten Weltkrieg folgende Kalte Krieg hat das deutlich gezeigt. Krieg ist dort, wo Menschengruppen einander fürchten oder hassen, wo Gegeneinander herrscht und nicht Miteinander.

Krieg wird nicht von Geschützen beendet, sondern von ausgestreckten Händen

Darum bedurfte es noch etlicher Jahre bis der Zweite Weltkrieg tatsächlich vorbei war. Etlicher Jahre – und vor allem vieler mutiger Menschen, die es geschafft haben, Leid, Angst und Hass hinter sich zu lassen und aufeinander zuzugehen. Anstatt am 8. Mai Militärparaden zu veranstalten, sollten wir besser dieser Menschen gedenken und ihnen danken. Zumal es nicht überall gelang, den Krieg zu beenden. Denn die Panzer der Roten Armee standen bis Anfang der 90er Jahre noch auf deutschem Boden, um die kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa zu schützen. Abermillionen lebten noch Jahrzehnte lang in Unfreiheit und Unterdrückung.

Der Zweite Weltkrieg wurde nicht von Feldherren und Geschützen beendet, sondern von ausgestreckten Händen. Das waren gleich zu Beginn die Trümmerfrauen, die dem jahrelangen zerstörerischen Wüten ihren tapferen Willen zum Neubeginn entgegensetzten. Das waren die amerikanischen Bürger, die nur wenige Monate nachdem ihre Söhne und Ehemänner im Kampf gegen Deutschland gefallen waren, Millionen von CARE-Paketen hierher schickten. Das waren die Polen, Tschechen, Slowaken, Balten, die den vertriebenen Deutschen ein Stück Brot, ein Glas Milch oder einen Schlafplatz boten.

Frieden kommt durch das Bemühen jedes Einzelnen

Die unzähligen Verbrechen, die im Laufe des Krieges begangen wurden, haben dennoch lange zu einer Stimmung des Misstrauens, wenn nicht gar des Hasses beigetragen. Es waren noch weitere Schritte nötig, um dem Frieden zum Durchbruch zu verhelfen. Wie etwa die die Luftbrücke nach West-Berlin, das Treffen Adenauers und Ben Gurions in New York, Adenauers und de Gaulles in Reims, der Brief der polnischen Bischöfe vor fünfzig Jahren, der Kniefall Willy Brandts in Warschau. Noch viel wichtiger als all diese politischen Aktionen waren die kleinen Schritte, die Menschen Tag für Tag aufeinander zugegangen sind. Exemplarisch dafür steht die gemeinsame Aktion deutscher und französischer Jugendlicher beim Grenzübergang St. Germanshof in der Südpfalz, bei der im Sommer 1950 die Schlagbäume niedergerissen wurden. Schüler- und Studentenaustausch, gemeinsam durchgeführte sportliche und kulturelle Ereignisse, kleine alltägliche Versöhnungsgesten der Opfer auf allen Seiten und die Bereitschaft, nationale Ressentiments hinter sich zu lassen – all das hat den Zweiten Weltkrieg wirklich beendet und Frieden geschaffen.

Der 8. Mai ist eine gute Gelegenheit, um sich der Menschen zu erinnern, die unser heutiges Zusammenleben in Europa ermöglicht haben. Das waren ein paar Politiker. Es waren aber vor allem einfache Menschen, die durch ihren Mut und ihre Versöhnungsbereitschaft das Antlitz dieser Erde zum Besseren verändert haben. Frieden kommt nicht durch große Worte oder wohlklingende Verträge. Frieden kommt durch das Bemühen jedes Einzelnen. Der große englische Pazifist Richard Cobden stellte schon 1850 fest:

„Der Fortschritt der Freiheit hängt mehr an der Bewahrung des Friedens, der Verbreitung des Handels und der allgemeinen Bildung als an den Bemühungen von Regierungen und Außenministerien.“

Politisches Denken wird maßgeblich bestimmt von Erzählungen. Eine wichtige Rolle spielen dabei historische Erzählungen, die die Gegenwart mithilfe der Vergangenheit deuten. Dabei wird Geschichte jedoch oft einseitig dargestellt. Den Nutzen haben die Mächtigen.

Schlachten und Herrscher bestimmen unsere Geschichtsbücher

Anfang April jährte sich Bismarcks Geburtstag zum 200. Mal. Manch einer versuchte, aus diesem Jubiläum politisches Kapital zu ziehen. Auch der Finanzminister erhob zaghafte Ansprüche auf das Erbe des Eisernen Kanzlers. Sein dazugehöriger FAZ-Artikel musste freilich etliche Pirouetten drehen und mehrere Hindernisse umschiffen, um das ohne Bauchplatscher ins Fettnäpfchen hinzubekommen. Drei Kriege, die Katholiken- und Sozialistenverfolgung sind selbst für einen gewieften Politiker wie Schäuble nicht einfach weg zu diskutieren. Es bleibt verwunderlich: dieselben Leute, die Politiker wie Orban, Erdogan oder Putin mit Sorge beobachten, tragen ihr Wohlwollen gegenüber Bismarck unverhohlen zur Schau.

Wir Menschen lieben Erzählungen. Am meisten solche mit Helden und Schurken. Schon die alten Sagen von Homer handelten mehr von Kriegern und Anführern als von Erfindern und Unternehmern. Dieses Phänomen zieht sich durch. Am Ende des 19. Jahrhunderts war Deutschland übersät mit Kaiser-Wilhelm-Denkmälern und –Straßen und es gab weit mehr Heldendenkmäler für die Gefallenen als Krankenhäuser für die Lebenden. Und noch heute hangeln sich die meisten Geschichtsbücher entlang einflussreicher Herrscher und gewaltiger Schlachten. Die Schlüsseldaten der Geschichte, die fast jeder kennt, lauten eben immer noch 1618, 1789, 1815, 1871, 1918, 1933, 1945 … Das Jahr 1989 ist tatsächlich eine rühmliche Ausnahme.

Legitimation der Macht

Es ist kein Wunder, dass wir eine solche Tradition haben, denn die meisten Geschichtsschreiber waren direkt oder indirekt abhängig von den Mächtigen ihrer Zeit. Und so hatte Geschichtsschreibung oft zumindest auch das Anliegen, deren Handeln zu rechtfertigen. Es war selbstverständlich, Herrscher und Schlachten für die eigenen Erzählungen zu nutzen. Und natürlich fanden sich auch immer dankbare Zuhörer. Die Kämpfe in Gallien waren eben spannender als die Erzählung von der Erfindung des Aquädukts. Das ist heute noch so: Der Erfolg von „Game of Thrones“ oder „House of Cards“ zeigt die zeitlose Gültigkeit dieses Phänomens – auch in unserer scheinbar aufgeklärten Gesellschaft.

Wegen dieses Erzählmusters werden die technischen und zivilisatorischen Fortschritte der Menschheit meist mit Herrschern und Politikern in Verbindung gebracht. Das hilft auch den aktuellen Akteuren. Weil wir durch diese Art Geschichtsschreibung geprägt sind, erwarten viele, dass die Mächtigen entscheidende Veränderungen einleiten. Diese Art Geschichtsschreibung legitimiert den Anspruch, mit dem Politiker auftreten, und nährt die Hoffnungen, die in sie gesetzt werden. Vor dem Hintergrund der verklärenden Geschichtsschreibung übersehen viele, dass die Bilanz in der Regel gemischt, oft auch negativ war. Ein Friedrich II. von Preußen mag Voltaire gefördert haben, aber er hat eben auch einen schrecklichen Krieg angezettelt, der mehr als eine Million Menschen das Leben kostete und weltweit wirtschaftliche Entwicklung hemmte. Kaiser Karl der Große hat einen Genozid unter Friesen und Sachsen durchgeführt – was gerne unterschlagen wird, wenn er heute als der „erste Europäer“ gefeiert wird.

Wenn wir unsere Perspektive ändern, dann ändert das auch unser Verhalten

Es ist nicht nur eine Frage der Fairness, dass wir uns ein anderes Geschichtsverständnis zulegen, sondern auch eine Frage der Klugheit. Fairness, weil der wirkliche Fortschritt für die Menschheit eben von Erfindern, Unternehmern, Denkern und deren Unterstützern ausging. Und Klugheit, weil wir dann vielleicht denen nicht mehr bedenkenlos Verantwortung übertragen würden, die sie so oft missbrauchen. Von dem englischen Historiker Lord Acton stammt der Satz: „Macht hat die Tendenz zu korrumpieren und absolute Macht korrumpiert absolut.“ Unsere Helden sollten nicht Karl der Große oder Friedrich II. von Preußen, Bismarck oder Adenauer heißen, sondern Johannes Gutenberg oder Moses Mendelssohn, Robert Koch oder Karl Albrecht.

Kriege werden durch Töten gewonnen. Fürstenthrone auf den Rücken der Untertanen gebaut. Mit anderen Worten: Politik lebt von den Opfern, die andere bringen. Wenn wir Geschichte schreiben und erzählen, sollten wir lieber von denen berichten, die durch ihre Findigkeit, ihren Unternehmergeist und überhaupt ihre positive Energie die Leben von Tausenden, Millionen, oft sogar der ganzen Menschheit massiv verbessert haben. Von diesen Menschen sollten wir lernen, ihnen vertrauen, ihnen nacheifern. Wenn wir unsere Perspektive ändern, dann ändert das auch unser Verhalten: Reden wir mehr über Forscher und Unternehmer – dann wird es auch wieder mehr davon geben!

Photo: Ian Rutherford from Flickr

Der Konsum von Cannabis kann die Gesundheit schädigen. Ebenso wie der Konsum von Alkohol, Zucker, Salz und Fett. Gibt es wirklich keine sinnvolleren Einsatzgebiete für Polizisten als die Bekämpfung des Konsums illegaler Genussmittel?

„Drogenpolitik“ ist ein Ergebnis historischer Zufälle

Es gibt die unterschiedlichsten Theorien zu der Gesundheitsgefährdung, die von Cannabis-Konsum ausgeht. Während die Studien und Untersuchungen des Schildower Kreises und des Deutschen Hanfverbandes von eher geringeren Gefahren ausgehen, gibt es natürlich auch Wissenschaftler, die stärkere Bedenken haben. Eine überwiegende Mehrheit geht freilich davon aus, dass Cannabis im Grunde genommen in eine Kategorie mit Alkohol gehört. Während aber tagein, tagaus, landauf, landab Alkohol in rauen Mengen konsumiert wird. werden Cannabis-Konsumenten wie Kriminelle behandelt.

Wie kommt es eigentlich dazu? Im Grunde genommen hat das sehr wenig mit Cannabis selbst zu tun und sehr viel mit historischen Zufällen. Die unterschiedlichen Produkte der Hanfpflanze waren die längste Zeit gängige Mittel in der Medizin und wurden in vielen Teilen der Welt als entspannende Genussmittel gebraucht. Erst im späten 19. Jahrhundert wurden Stimmen laut, die den Verbot von Anbau, Handel und womöglich auch Konsum dieser Produkte verbieten wollten. Aus der gleichen Ecke kam übrigens auch die Idee der Alkoholprohibtion, die die Vereinigten Staaten in den 20er Jahren in die Fänge der Mafia treiben sollte.

Stammtischparolen statt Fakten

Seitdem ist Cannabis in der Wahrnehmung vieler Menschen geradezu dämonisiert. Wer sich heute einen Joint dreht – so das Bild, das in den Köpfen herumgeht –, findet sich spätestens ein halbes Jahr später mit der Nadel im Arm auf der Bahnhofstoilette wieder. Eine solche Vorstellung haben die wenigsten Menschen, wenn sie jemand vor einem Maßkrug im Biergarten sitzen sehen. Ignoranz in Sachfragen kann man immer noch in den höchsten Etagen der Drogenpolitik finden. Die derzeitige Drogenbeauftragte Marlene Mortler begibt sich mit schlafwandlerischer Sicherheit immer wieder auf glattes Eis mit populistischen Aussagen, die durch keinerlei wissenschaftliche Beobachtung zu erhärten sind.

Ignoranz und Stammtischparolen sind die eine Seite des Kriegs gegen das Kiffen. Die andere ist weniger unterhaltsam und viel gefährlicher. Man kann darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, den Handel von tatsächlich hochgefährlichen Rauschmitteln wie Chrystal Meth oder Heroin zu verfolgen. In diesem Bereich gibt es gute Gründe, die dafür, aber auch ebenso gute, die dagegen sprechen. Im Fall von Cannabis ist eine Verfolgung von Besitz und Handel durch die Polizei hingegen nicht nur widersinnig, sondern auch gefährlich.

Aberwitzige Ressourcenverschwendung

Polizei und Justiz werden durch die Verfolgung von Cannabis-Delikten in hohem Maße gebunden. Viele Millionen Steuergelder werden jährlich dafür aufgewandt. Gerichte und Behörden werden über Gebühr beansprucht. Vor allem aber werden Polizeiressourcen gebunden, die anderswo wesentlich besser gebraucht werden könnten. Der Berliner Innensenator Frank Henkel hat kürzlich den Kiffern in Berlin den Kampf angesagt. Das bedeutet, dass in den nächsten Monaten die Polizei verstärkt auf die Jagd gehen wird. Zur Erinnerung: es handelt sich um ein Rauschmittel, das mit Alkohol vergleichbar ist. Im vergangenen Jahr hat es 12.000 Einbrüche in Berlin gegeben. Während also Polizisten damit beschäftigt sind, Menschen aufzuspüren, die sich eben mal einen Joint gönnen, werden sie dort fehlen, wo anderen Menschen Hab und Gut geraubt werden.

Dabei gäbe es durchaus Alternativen: Es ist ja kein Geheimnis, dass die Legalisierung bzw. der Verzicht auf Strafverfolgung von Besitz und Handel von Cannabis in einigen US-Bundesstaaten, in Uruguay, ja selbst in Portugal oder Tschechien nicht zu einem Totalausfall dieser Länder geführt hat. Im Gegenteil: genaugenommen ist eigentlich gar nichts passiert. In Berlin etwa wurde tatsächlich das Kiffen über Jahre hinweg kaum bis gar nicht verfolgt und geahndet. Der Aktionismus des Senators ist ja auch nicht begründet durch die vielen Cannabis-Toten auf den Berliner Straßen, sondern durch das Problem der illegalen Händler, die sich zum Teil kriminell verhalten.

Drogenpolitik: ein großes Konjunkturprogramm für Kriminelle

Dass es überhaupt zu dieser Form von Kriminalität kommt, liegt aber vor allem an der restriktiven Drogenpolitik. Wie in den 20er Jahren, als in den USA die Alkoholprohibition in Kraft war, werden auch heute in Deutschland durch die Drogenkriminalisierung ganz neue Tätigkeitsbereiche für Verbrecher geschaffen, die dann natürlich verfolgt werden müssen. Die restriktive Drogenpolitik wirkt mithin wie ein großes Konjunkturprogramm für Kriminelle. Das Problem der aggressiven Drogenhändler im Görlitzer Park könnte Frank Henkel viel eleganter lösen, indem er auf eine Legalisierung von Cannabis hinwirkt. Vielleicht sollte er sich mal eine Reise nach Colorado gönnen, um dort festzustellen, wie eine Aufhebung des Verbots zivilisierend wirken kann.

Es ist allerhöchste Zeit, die Drogenpolitik fundamental zu überdenken. Das fordern nicht nur irgendwelche langhaarigen Ruhestörer. Das fordern inzwischen lautstark so honorige Personen wie der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan oder der ehemalige EU-Außenbeauftragte Javier Solana. In einem Bericht der UN-Kommission für Drogenpolitik aus dem Jahr 2011 forderten sie ein umfassendes Ende des „Kriegs gegen die Drogen“. Ebenso haben sich über hundert deutsche Strafrechtsprofessoren dahingehend in einer Erklärung geäußert. Und kürzlich haben die Grünen einen Antrag zur Cannabis-Legalisierung im Bundestag eingebracht.

Der Umgang mit Drogen ist zu ernst, um ihn auf Stammtischniveau abzuhandeln. Wir müssen uns den Fakten zuwenden. Wir müssen anerkennen, dass die derzeitige Politik gescheitert ist. Eines dürfte jedem klar sein, der etwas gesunden Menschenverstand hat: Der Kiffer will kein Verbrechen begehen und erst recht nicht jemand anderem schaden. Er will entspannen und genießen. Der Kiffer ist kein Staatsfeind. Hören wir endlich auf, ihn so zu behandeln.

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Im Rahmen des von FAS-Redakteur Dr. Rainer Hank betreuten Blogprojekts „What’s left? Muss links sein, wer für eine gerechte und soziale Welt eintritt?“ hat Clemens Schneider einen Beitrag veröffentlicht unter dem Titel „Was Attac mit dem Manchesterliberalismus verbindet„. Ausgehend von der Lebensgeschichte des bedeutenden Manchesterliberalen Richard Cobden verdeutlicht Schneider, dass Linke keinen Alleinvertretungsanspruch auf Weltverbesserung haben. Lange Zeit war der Idealismus eine liberale Domäne. Ob nun mit Cobden, dem Armenbefreier und Pazifisten, oder mit William Wilberforce, der die Abschaffung der Sklaverei in Großbritannien durchsetzte.

Auch aufgrund seiner enormen Erfolgsgeschichte im Laufe des 19. Jahrhunderts hat der Liberalismus sich in gewisser Weise zu Tode gesiegt. Schneider beobachtet eine „Verspießbürgerlichung des Liberalismus“, das Einziehen eines „langweiligen Pragmatismus“. Damit hat die Sache der Freiheit ihre Anziehungskraft auf Idealisten und Weltverbesserer verloren, die scharenweise ins linke Lager abgewandert sind. Dieses Phänomen hat schon Friedrich August von Hayek in seinem Aufsatz „Die Intellektuellen und der Sozialismus“ anschaulich dargestellt.

Indem sich Liberale nur noch auf das „Machbare“ und „Durchsetzbare“ beschränkt haben, haben sie ihr Wesensmerkmal verraten, das Schneider beschreibt mit den Worten: „Freiheit fordert die Bereitschaft, die Kontrolle aufzugeben.“ Die Pragmatiker wollen aber genau diese Kontrolle nicht aufgeben. Sie fürchten sich vor der Offenen Gesellschaft. Er fordert die Liberalen auf, die Welt endlich wieder verbessern zu wollen: „Liberale dürfen keine Angst haben vor dem Träumen.“

Lesen Sie den ganzen Beitrag auf FAZ.net …

Lesen Sie zum gleichen Thema auch den Artikel „Prometheus: Eine Sprache für die Freiheit finden“ …

Photo: Live Zakynthos from Flickr