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Von Kalle Kappner, ehemaliger Mitarbeiter von Frank Schäffler im Bundestag, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin und Research Fellow bei IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Die Schweiz als Vorbild für die Organisation der Bundesländer

Alle Jahre wieder regen Experten aus der Wissenschaft, den Verbänden und der Politik die Fusion deutscher Länder an: Thüringen und Sachsen-Anhalt sollen zusammengelegt werden, die Länder Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg zu einem „Nord-Staat“ fusionieren, die anderen Stadtstaaten mit den sie umgebenden Flächenstaaten verschmelzen. Die Fusionsbefürworter versprechen sich davon Einsparungen in der Verwaltung, schnellere Gesetzgebungsverfahren und einheitlichere Standards etwa in der Bildungspolitik. Als Positivbeispiel wird die 1952 erfolgte Fusion dreier Länder zum heute finanziell gut aufgestellten Baden-Württemberg bemüht. Augenscheinlichen Vorteilen stehen jedoch erhebliche Nachteile gegenüber. Der Wettbewerb um Einwohner und Unternehmen regt zu lokalen Experimenten an, fördert die regionale Vielfalt staatlicher Leistungen und erlaubt den Bürgern eine bessere Kontrolle des Staates.

In der Bevölkerung, die Länderfusionen per Volksentscheid abzusegnen hat, fällt das Urteil gemischt aus. So scheiterte 1996 der Versuch, Berlin und Brandenburg zusammen zu legen, da das notwendige Quorum von 25% der abstimmungsberechtigten Bevölkerung nicht erreicht wurde. Unter den Abstimmenden sprachen sich damals 63% gegen die Fusion aus. Andererseits setzen sich zivilgesellschaftliche Initiativen für verschiedene Fusionsmodelle ein. 2007 kam eine Bertelsmann-Studie zu dem Ergebnis, dass 40% der Bevölkerung Länderfusionen grundsätzlich befürworten – in der Hälfte der Länder waren die Fusionsbefürworter sogar in der Mehrheit. Eine aktuelle Umfrage findet dagegen, dass nur 28% der Bürger Fusionen befürworten, während 69% diese ablehnen.

Kaum Kostenersparnis durch Fusionen

Ein Argument der Fusionsbefürworter sind die Kosteneinsparungen, die sie sich aus dem Wegfall paralleler Verwaltungsstrukturen erhoffen. Landesparlamente, Ministerien und andere Verwaltungseinheiten auf Landesebene würden zusammengelegt und könnten ihr Personal verringern. Viel zitiert wird eine Berechnung des Bundes der Steuerzahler, die Einsparungen von bis zu 500 Millionen Euro pro Jahr verspricht.

Im Verhältnis zu den Staatsausgaben erscheint dieser Betrag jedoch verschwindend gering. 2014 gaben die Länder 341 Milliarden Euro aus. Die prognostizierten Einsparungen entsprechen damit etwas mehr als 1 Promille der Länderausgaben. Dem müssen die anfallenden Einmalkosten für die Verwaltungsumstrukturierung gegengerechnet werden.

Wenn zwei Länder fusionieren ohne dabei ihr Leistungsangebot einzuschränken, verringern sich dadurch die meisten Kosten nicht – das Polizeipersonal, die Anzahl der Kindergärtner und der Lehrer bleibt konstant. Einspareffekte durch Skaleneffekte bei der Bereitstellung von öffentlichen Gütern können auch ohne Fusionen durch Staatsverträge und eine Erleichterung der grenzüberschreitenden Kooperation erreicht werden. Bei den Ländern besteht zwar tatsächlich erhebliches Sparpotenzial: Einige traditionelle Tätigkeitsbereiche der Länder wie zum Beispiel der Betrieb von Lotterien und landeseigener Banken sind verzichtbar, Subventionen für die regionale Wirtschaft ebenfalls. Doch hier sind Einsparungen nicht durch Länderfusionen, sondern durch eine Neudefinition der Aufgaben der Länder zu erreichen.

Fusionen schwächen Länderwettbewerb

Den geringen Kosteneinsparungen durch Länderfusionen steht eine Reduzierung der aus einem föderalen Staatsaufbau entspringenden Vorteile gegenüber. Die institutionelle Vielfalt der verschiedenen Gebietskörperschaften auf denselben Verwaltungsebenen hat für die Bürger viele Vorteile: Sie können zwischen unterschiedlichen Kombinationen aus Steuersätzen, Regulierungen und staatlichen Leistungen wählen. Zugleich sorgt der Wettbewerb zwischen den Gebietskörperschaften für eine höhere Qualität des Leistungsangebots bei niedrigeren Steuern, als dies in einem vollständig zentralisierten Staat der Fall wäre. Darüber hinaus schafft der Föderalismus Raum für lokale Experimente, die im Erfolgsfall von anderen Gebietskörperschaften nachgeahmt werden können, deren Auswirkungen beim Scheitern des Experiments jedoch regional begrenzt bleiben.

Durch Länderfusionen würde der in Deutschland ohnehin schon schwach ausgeprägte innerstaatliche Wettbewerb weiter abgeschwächt. Den verbliebenen Ländern fiele es noch leichter, stabile Kartelle zur Durchsetzung hoher Steuersätze bei mäßiger Qualität des Leistungsangebots zu bilden. Werden diese Effekte mit einkalkuliert, so erscheint es unwahrscheinlich, dass Länderzusammenlegungen langfristig zu Einsparungen führen – das Gegenteil ist zu erwarten. Statt den innerstaatlichen Föderalismus weiter abzuschwächen, sollte Deutschland über eine Aufwertung der Rolle der Gemeinden und Länder nachdenken. Statt mit dem französischen Modell zu liebäugeln, lohnt sich ein Blick auf die Schweiz.

Vorbild Schweiz: Mehr Subsidiarität

In der Schweiz bilden die Kantone die zwischen Zentralstaat und Gemeinden angesiedelte Verwaltungsebene. Auf jeden der 26 Kantone kommen durchschnittlich 300.000 Einwohner, während auf ein deutsches Land durchschnittlich etwa 5 Millionen Einwohner entfallen. In Bezug auf den Umfang der Verwaltungseinheit entsprechen die Schweizer Kantone damit eher den 402 deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten.

Einwohner pro Kanton - BL

 

Zugleich sind die schweizerischen Kantone finanziell weitaus autonomer als die deutschen Länder. Zwar fällt in beiden Staaten jeweils etwa die Hälfte des Steueraufkommens den mittleren und unteren Verwaltungsebenen zu. Doch in Deutschland wurden 2014 nur 11,7% des Steueraufkommens mittels Landes- und Gemeindesteuern erhoben, also über Steuerarten, deren Setzungskompetenz nicht in den Händen des Bundes liegt. Ein Großteil der Steuereinnahmen der Länder speist sich aus vom Bund administrierten Gemeinschaftsteuern, deren Höhe und Steuerbasis die Länder nicht beeinflussen können. Die Schweizer Kantone und Gemeinden dagegen beziehen über 90% ihrer Steuereinahmen aus Steuerarten, über deren Setzungskompetenz sie selbst verfügen.

Die Schweizer Kantone können die Präferenzen der Bevölkerung durch ihre geringere Größe besser abbilden als ihre deutschen Pendants. Zugleich reagieren sie aufgrund ihrer steuerpolitischen und gesetzgeberischen Kompetenzen schneller auf sich wandelnde Ansprüche der Bürger. Geschadet hat dies den Schweizern nicht: Das Schweizer Pro-Kopf-Einkommen betrug 2014 etwa das 1,3fache des deutschen. Im Better Life Index der OECD, der die Zufriedenheit der Bürger misst, schneidet die Schweiz in allen Kategorien besser ab als Deutschland. Das Beispiel Schweiz liefert empirische Unterstützung für die theoretischen Argumente für mehr Länderautonomie. Anstatt Bundesländer zusammenzulegen und den Trend zu einem Einheitsstaat zu verstärken, sollte die Autonomie der Länder gestärkt und die Aufgliederung von Bundesländern in Betracht gezogen werden.

Erstmals erschienen bei IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Photo: Ann Larie Valentine from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Frederic Schneider, Politikwissensschaftler und Praktikant bei Prometheus.

Das ZDF besitzt die Rechte an der US-Kultserie „Mad Men“. Die hat in den letzten Jahren vier Golden Globes und fünf Emmys abgeräumt. Eigentlich, sollte man meinen, die perfekte Gelegenheit für den Sender, seinem gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsauftrag nachzukommen und der Altersstruktur seiner Zuschauer (60 Jahre im Schnitt) entgegenzuwirken. Sülz-Formate wie „Markus Lanz“ oder Kochshows, die maximal als Schlafmittelersatz taugen, raus – die Erfolgsserie „Mad Men“ rein ins Programm.

Irgendwas ist dann schief gelaufen … Die Programmdirektoren haben sich dagegen entschieden, die Erfolgsserie im Vorabendprogramm laufen zu lassen: Don Draper und seine Werbe-Kollegen versauern stattdessen um 00:35 Uhr auf ZDFneo. Obwohl zuerst mit knackigen Slogans wie „Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein Mann, der ihr auf den Arsch glotzt!“ beworben, bekommt die Serie am Ende ein Sender, der nicht einmal analog zu empfangen ist. Auf einem Sendeplatz mitten in der Nacht. Das Traurige für den Zuschauer: der über eine Zwangsabgabe finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk schnappt so den anderen Sendern spannende Formate weg und verbannt sie ins Nirgendwo.

Bei den Fußball-Rechten ist das ähnlich. Die gebührenfinanzierten Anstalten benehmen sich dabei als schrieben wir das Jahr 1982. Denn ARD und ZDF müssen damals wie heute nicht darauf achten, ob sie die Rechte zu Marktpreisen erwerben. Heute lassen sie sich im Namen des Informationsauftrages von der Deutschen Fußball Liga ausquetschen und zahlen dabei Mondpreise. Nicht-gebührenfinanzierte Sender können sich die Bundesliga-Lizenzen schon lange nicht mehr leisten. Das Geld ist nie und nimmer über Werbung wieder hereinzuholen.

Über eine Milliarde Euro pro Jahr geben die Öffentlichen für sportliche Großereignisse aus. Neben der Bundesliga zeigen sie auch die Fußball Europa- und Weltmeisterschaften, die Olympischen Winter- und Sommerspiele, Leichtathletik und vieles mehr. Die meisten dieser Großereignisse sind dabei so beliebt, dass sie auch für Sender wie SAT1, RTL und PRO7 interessant sein dürften, wäre da nicht das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das eigentlich so gut wie jeden Preis zahlen kann und auch zahlt.

Der Umgang mit den Übertragungsrechten für sportliche Großereignisse ist nur das krasseste Beispiel eines durch staatliche Institutionen total verzerrten Marktes. Das Prinzip gilt auch in anderen Bereichen. Oftmals wird von Befürwortern von ARD und ZDF ins Feld geführt, nur mit dem Öffentlich-Rechtlichen lasse sich überhaupt Qualität gewährleisten. Das ist ein Irrglaube. Welcher private Sender würde denn eine politische Talkshow am Sonntagabend zeigen, während in der ARD Günther Jauch seinen Talk veranstaltet? Auf der anderen Seite: gäbe es die ARD nicht, dann gäbe es wahrscheinlich Günther Jauchs Talkshow trotzdem, zum Beispiel auf PRO7 oder n-tv. Ob sie dort auch mit fast 300.000 Euro pro Ausgabe zu Buche schlagen würde, ist mindestens fragwürdig.

Die privaten Fernsehsender sind durchaus in der Lage, hochwertige Nachrichten und Filme, Serien, Talkshows und Sportübertragungen zu produzieren. Solange sie gegen den mit einem Goldesel ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk antreten müssen, lohnt es sich aber oft nicht für sie. ARD und ZDF sollten aufhören, bei Produktionen und Übertragungsrechten mitzubieten, die auch auf den Privaten laufen würden. Für uns Zuschauer besteht dadurch nicht die Gefahr eines Qualitätsverlusts. Im Gegenteil.

Photo: SpaceShoe from Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Von Dr. Dagmar Schulze Heuling, Politikwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin, Mitarbeiterin im Forschungsverbund SED-Staat.

Was treibt die griechische Regierung? Beide Lesarten dieser Frage beschäftigen derzeit viele Menschen. Die Antwortversuche zeigen vor allem, dass sich niemand auf ihre Motive und Ziele einen rechten Reim zu machen vermag. Sind Tsipras und Co. einfach nur verrückt, wie Elmar Brok meint? Oder ist das nur der ganz normale Wahnsinn, den wir am griechischen Beispiel so viel leichter erkennen als vor unserer eigenen Haustür?

Seit dem 27. Januar 2015 amtiert die aktuelle griechische Regierung. Noch in der Nacht nach den Wahlen vom 25. Januar hatte sich eine Koalition aus der linken Syriza, dem 2012 zu einer Partei umgewandelten ehemaligen Wahlbündnis, und Anel, einer ebenfalls noch jungen rechtspopulistischen Abspaltung von der Nea Dimokratia, geformt. Mit 36,3% der Stimmen und 149 von 300 Parlamentssitzen hatte Syriza die absolute Mehrheit denkbar knapp verpasst. Doch die nur 13 Sitze, die Anel liefert, reichen für die Mehrheitsbeschaffung aus. Im Gegenzug gab es für Anel den Posten des Verteidigungsministers im ansonsten von Syriza-Mitgliedern oder parteilosen, aber Syriza-nahen Ministern gebildeten Kabinett unter dem Ministerpräsidenten und Syriza-Vorsitzenden Tsipras. Minister ist hier übrigens eine akkurate und keine generische Bezeichnung, denn diese Regierung ist so progressiv, dass sie auf eine Alibifrau im Kabinett verzichten kann.

Im restlichen Europa hat vor allem der Erfolg von Syriza, die sich als Verkörperung des Reformunwillens darstellt, große Bedenken hervorgerufen. Darunter mischt sich etwas Verwunderung über das ungewöhnliche Bündnis zwischen Linken und Rechtspopulisten. Diese Koalition, die gewohnte politische Kategorien sprengt, erschwert eine Einordnung der aktuellen griechischen Regierung. Deren Charakterisierungen gehen dementsprechend weit auseinander.

Mal ist von einem Links-Rechts-Bündnis die Rede, bisweilen fällt die Beteiligung von Anel ganz unter den Tisch und es heißt nur „unter der Führung des linken Ministerpräsidenten Alexis Tsipras“. Der gilt manchen als Revolutionär, anderen als Populist, dritten als Steinzeitkommunist. Das Regierungshandeln ist entweder dilettantisch oder genial, je nachdem, ob man es als von Wunschdenken oder Sachzwängen getriebenes planloses Durchwursteln oder als einen nach allen Regeln der spieltheoretischen Kunst durchkomponierten kalkulierten Regelbruch betrachtet. Dazwischen changiert die Stilisierung der griechischen Regierung als aufrechter Vertreterin ihres Volkes, die Opfer europäischer Hardliner wird.

Darüber hinaus tragen die verwirrenden, einander widersprechenden Verlautbarungen einzelner Regierungsmitglieder ebenfalls nicht zu einem klareren Bild bei. Das Funktionieren, oder besser: das (noch) Nichtauseinanderbrechen der Regierung ist dementsprechend schwierig zu erklären. Realistische Ansätze verweisen dazu auf den individuellen Machtwillen, romantischere Menschen auf die guten Intentionen der Protagonisten. Die überwiegend herangezogene Erklärung lässt sich auf den Nenner bringen „gemeinsamer Feind eint“. Und der Feind, jedenfalls der wichtigste, daran lassen weder Syriza noch Anel Zweifel aufkommen, ist die EU mit „ihrem“ Sparkurs.

Diese Interpretation übersieht jedoch eine zentrale Gemeinsamkeit der beiden Koalitionspartner:

Beide Parteien sind in besonderem Maße Pro-Privilegien-Parteien. Die politische Weltsicht beider Parteien postuliert Privilegien für bestimmte Gruppen. Beide wurden dafür gewählt, um die ihren Anhängerinnen und Anhängern versprochenen Privilegien zu realisieren. Kurzfristig ist das nur auf Kosten der restlichen Eurozone zu realisieren. Damit liegt aber auch auf der Hand, warum die restliche Eurozone nur bis zu einem gewissen Punkt Entgegenkommen zeigen kann. Denn die jeweilige heimische Wählerschaft goutiert zwar durchaus Privilegien für sich selbst, aber nicht so sehr für andere.

Dass Politik nach dem Prinzip der Privilegierung der einen zulasten der anderen funktioniert, ist zugleich der entscheidende Grund, warum die restliche Eurozone sich so schwer tut, eine konsequente, vermutlich unbequeme Lösung der griechischen Wirtschafts- und Finanzprobleme zu entwickeln und zu forcieren. Sicher, auch andere Motive spielen eine Rolle. Bekanntlich ist es die Hoffnung, die zuletzt stirbt und einen Schritt ins Ungewisse, wie der Grexit ihn darstellt, leichtfertig zu unternehmen, wäre sogar verantwortungslos. Solchen und ähnlichen Begründungen für das Nachtanzen einer vorgegebenen Politchoreographie lassen sich immerhin rationale Argumente entgegensetzen. Nur ist das in diesem Fall nicht der springende Punkt. Denn das Hauptproblem besteht darin, dass eine konsequente vernünftige Lösung im Weltbild der Berufspolitik keinen Platz hat. Und dem ist mit Argumenten deshalb nicht beizukommen, weil sich diese in einem Bezugssystem bewegen, das mit der Logik eines berufspolitischen Lebens nicht kompatibel ist.

In der Politik wird man in der Regel nicht für das Respektieren, sondern für das Überschreiten von Grenzen belohnt. Und die Belohnungen, oft eine Grenzüberschreitung für sich, sind nicht ohne. Beispielsweise öffnen sich für Politikerinnen und Politiker Türen, die Normalsterblichen verschlossen bleiben. Allenfalls mit Geld kann man manchmal dorthin kommen, wo sonst die vermeintlich vom Volk Auserwählten unter sich sind. Doch viele der Ausnahmen, die für Politikerinnen und Politiker gemacht werden, sind selbst mit viel Geld nicht zu kaufen. Und dieser Mechanismus gilt keinesfalls nur für das national oder sogar international bekannte Spitzenpersonal, sondern fängt bereits auf der Ebene der Kommunalpolitik an.

Wer also die griechische Regierung verstehen will, sollte das Zusammenspiel der Interessen der sie tragenden Individuen betrachten. Natürlich spielt der Faktor Ideologie dabei eine Rolle, denn gegen langgehegte Überzeugungen zu verstoßen, ist mindestens mit psychischen Kosten verbunden. Es gilt aber auch, dass wer es in ideologischer Hinsicht mit der Konsequenz übertreibt, sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bald durch ein anders Individuum ersetzt finden wird, dessen individuell-rationale Kalkulation den zu erlangenden Privilegien ein größeres Gewicht beimisst als den entstehenden Kosten.

Selbstredend befähigt auch diese Betrachtungsweise nicht zur Hellseherei und erlaubt daher keine Vorhersage der griechischen Politik. Sie lehrt aber etwas viel Wichtigeres:

Die Beschränkung politischer Macht ist nicht nur ein probates Mittel, das Ausmaß politisch induzierter Katastrophen zu begrenzen, sondern ist zugleich auch die einzige Möglichkeit, ihren Nutzen im Spiel des Gebens und Nehmens von Privilegien zu verringern. Das ist zugleich der Grund, warum der Kampf für Machtbeschränkung eine Sisyphusarbeit ist und von keiner Regierung besonders geschätzt wird. Diese Eigenschaft ist wiederum die große Gemeinsamkeit, welche die griechische Regierung und (nicht nur) die restlichen Eurozonenregierungen haben. Die einzige Hoffnung für die arbeitende und steuerzahlende Bevölkerung ist, dass die Differenzen in Sachen Griechenlandrettung so groß werden, dass sie diese Gemeinsamkeit überlagern. Dann bestünde tatsächlich die Chance auf eine gute Lösung des Griechenland-Problems – auch wenn diese der Logik der Politik widerspricht.

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Von Karolin Herrmann, Referentin für Haushaltspolitik und Haushaltsrecht beim Deutschen Steuerzahlerinstitut

Ob Deutsche Bundespost, Deutsche Telekom, die zahlreichen Staatsbanken oder die volkseigenen Betriebe in der DDR – öffentliche Unternehmen blicken in Deutschland auf eine lange Tradition zurück. Zwar setzte in den 1980er und 1990er Jahren eine Privatisierungswelle ein, die in einigen Bereichen zu einem Rückzug des Staates aus der Wirtschaft führte. Allerdings ist die Breite und Tiefe öffentlicher Wirtschaftstätigkeit noch immer erstaunlich. Der Staat beschränkt sich längst nicht auf eine „Schiedsrichter-Funktion“, er nimmt aktiv am Wirtschaftsleben teil. In der Tagespresse finden sich regelmäßig Lehrstücke darüber, was schiefgehen kann, wenn der Staat Unternehmer spielt. Monopoly mit Steuergeld im Rücken – eine für Privatwirtschaft und Steuerzahler kaum hinnehmbare Fehlinterpretation staatlicher Legitimität:

Allein der Bund ist an mehr als 300 öffentlichen Einrichtungen mittel- oder unmittelbarer Mehrheitseigner. Hinzu kommen die mehr als 1.400 Unternehmen der Länder. Die Beteiligungsberichte erscheinen wie eine Liste „ordnungspolitischer Grausamkeiten“: Staatliche Spielbanken, Regionalflughäfen, Staatsbrauereien, Staatsweingüter, Staatsbäder, Landesmedienanstalten oder Landesbanken – der Staat nimmt in vielfältiger Gestalt am Wirtschaftsleben teil; ob als Eigentümer, Gesellschafter oder Betreiber. Der Freistaat Sachsen ist zum Beispiel zu 100 Prozent an der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meißen beteiligt. Zu DDR-Zeiten war die Manufaktur ein Volkseigener Betrieb. Zu den Wirtschaftsbetrieben des Freistaates Sachsen gehört der Staatsbetrieb Sächsische Gestütsverwaltung, das Land Baden-Württemberg hält über die Badische Staatsbrauerei Rothaus GmbH gar eine Mehrheitsbeteiligung an einem Brauereigasthof inklusive Zimmervermietung.

Mehr als 13.000 öffentliche Einrichtungen und Unternehmen finden sich auf Ebene der Städte und Gemeinden. Der Vielfalt kommunalen Ideenreichtums scheint dabei keine Grenze gesetzt. Im saarländischen Völklingen gibt es – mehr als 600 km von der Nordsee entfernt – eine kommunale Meeresfischzuchtanlage. Diese hat die jahreszeitenunabhängige Produktion von Meeresfisch zum Geschäftszweck, steht mittlerweile aber kurz vor der Liquidation. Im brandenburgischen Potsdam gibt es eine kommunale Tropenhalle. Hier können Besucher mehr als 20.000 Tropenpflanzen bestaunen. Zu den aktuellen Workshops der (hochdefizitären!) Halle gehören „Schokoträume für Groß und Klein“ sowie „Tropicando – Tanz in den Tropen“. Ein ganz obskures Beispiel kommunaler Wirtschaftstätigkeit führt uns in die niedersächsische Stadt Braunlage. Dort gibt es sogar eine kommunale Pommes-Bude.

Mit der unternehmerischen Tätigkeit tritt der Staat nicht nur in Konkurrenz zur Privatwirtschaft, er übernimmt auch wirtschaftliche Risiken. So endete der landwirtschaftliche Ausflug der Stadtwerke Uelzen und Schwäbisch Hall in der Westukraine in einem finanziellen Desaster. Über eine Tochtergesellschaft wurden dort große Flächen Ackerland gepachtet – trotz der bekanntermaßen schwierigen landwirtschaftlichen und vor allem politischen Rahmenbedingungen. Letztlich überschätzten sich die kommunalen Stadtwerke-Manager maßlos. Sie waren weder Landwirtschaftsexperten noch hatten sie ausreichend Kenntnisse über die osteuropäische Wirtschaftsmentalität. Schlussendlich musste das von Beginn an defizitäre Ukraine-Geschäft im Frühjahr vergangenen Jahres verkauft werden.

Dabei gibt es gute Gründe, die für eine „verantwortungsvolle“ Zurückhaltung des Staates sprechen. Zu Recht argumentiert Alexander Rüstow, dass sich die privaten Wirtschaftssubjekte vornehmlich dann entfalten und eigeninitiativ tätig werden, wenn sich der Staat auf eine „ordnende Rolle“ beschränkt. Es braucht eine „Demut des Staates“ – vor den Freiheitsrechten der Unternehmen – und ein Bekenntnis zur von Friedrich August von Hayek attestierten Entdeckungsfunktion des Wettbewerbs. Letzteres setzt eine dezentrale Wirtschaftsorganisation und eine Achtung des Subsidiaritätsprinzips voraus. Der Staat soll seine Handlungsfähigkeit prioritär durch die „maßvolle“ Erhebung von Steuern und Abgaben finanzieren. Die staatliche Teilnahme am Wirtschaftsprozess und insbesondere ein damit verbundenes Gewinnstreben erschüttert hingegen die Glaubwürdigkeit des „marktwirtschaftlichen Systems“.

Zu den Grundprämissen der Marktwirtschaft gehört, dass jene Wirtschaftssubjekte, die einen Großteil ihrer Erträge über Steuern abführen müssen, darauf vertrauen können, dass der Staat nicht gleichzeitig als Wettbewerber gegen sie auftritt; zumal die öffentliche Hand mit zahlreichen Wettbewerbsvorteilen in puncto Bonität, Konkursfähigkeit, Körperschafts-, Umsatz- und Grunderwerbsteuer etc. ausgestattet ist. Der zunehmenden „Entgrenzung von Väterchen Staat“ ist Einhalt zu gebieten. Zurückhaltung lautet die Devise. Die Empfehlung hat Walter Eucken in „Unser Zeitalter der Mißerfolge“ bereits gegeben: „Der Staat hat die Formen, in denen gewirtschaftet wird, zu beeinflussen, aber er hat nicht den Wirtschaftsprozess selbst zu führen.“

Photo: marvel.com

Von Dr. Kristian Niemietz, Senior Research Fellow am Institute of Economic Affairs (IEA), London.

Als der Actionfilm „Thor“ und dessen Fortsetzung im Kino aufgeführt wurden, wurde der Protagonist in den britischen Medien mehrfach als ein „Wikingergott“ oder ein „skandinvischer Gott“ bezeichnet. Wer will, kann mich gerne einen Erbsenzähler nennen, aber diese Einordnung ist falsch. Die Skandinavier haben keinen Alleinanspruch auf den Thor-Mythos. Thor war eine gesamtgermanische Gottheit, und ist somit das gemeinsame Erbe aller germanischen Länder. Dazu gehört selbstverständlich auch England, denn auch den Angeln und den Sachsen war Thor bestens bekannt – sie haben ihm sogar den vierten Tag der Woche gewidmet („Thursday“, von „Thor’s Day“). Es ist nicht direkt falsch, Thor als einen „skandinavischen Gott“ zu bezeichnen, aber es gibt auch keinen besonderen Grund für diese Einengung. Man könnte ihn mit der gleichen Berechtigung auch einen „englischen Gott“, einen „holländischen Gott“ oder einen „bayerischen Gott“ nennen.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Konzept des „nordischen Wohlfahrtsstaates“: Auch hier wird den skandinavischen Ländern ein Alleinstellungsmerkmal zugeschrieben, welches keines ist, da sie es in Wahrheit mit vielen anderen Ländern teilen.

Es gibt zunächst einmal keine allgemeingültige Definition dieses Begriffs. Einige Autoren definieren den „nordischen Wohlfahrtsstaat“ nicht geografisch, sondern über die Merkmale seiner Ausgestaltung: Schwerpunkt auf universale (anstelle bedürftigkeitsorientierter) Leistungen, Steuerfinanzierung statt Beitragsfinanzierung usw. Diese Einteilung ist durchaus einigermaßen sinnvoll. In den Medien und in politischen Diskussionen aber wird der Begriff fast immer verwendet im Sinne von: „ein außergewöhnlich umfassender, großzügiger und progressiver Wohlfahrtsstaat“, und das ist irreführend.

Die folgende Grafik zeigt die Nettosozialausgaben in entwickelten Ländern in Prozent des Bruttosozialproduktes. Nettosozialausgaben sind für internationale Vergleiche besonders geeignet, da Unterschiede in der Besteuerung von Sozialtransfers automatisch korrigiert werden. Nehmen wir an, die ärmsten X % der Bevölkerung eines Landes erhalten monatlich steuerfreie Sozialleistungen in Höhe von 800 Euro. In einem ansonsten identischen Land erhalten die ärmsten X % Sozialleistungen in Höhe von 1000 Euro, die allerdings mit einem Durchschnittssteuersatz von 20 % besteuert werden, so, dass 200 Euro sofort wieder an den Staat zurück fließen. Vergleicht man die Bruttosozialausgaben, so scheint der Sozialstaat des zweiten Landes wesentlich großzügiger. Bei einem Vergleich der Nettosozialausgaben sind die beiden Länder dagegen identisch.

(Quelle: OECD)

In den meisten Ländern ist der Unterschied zwischen Brutto- und Nettosozialausgaben nicht sehr groß, weil Sozialleistungen in der Regel nicht hoch besteuert werden. Aber es gibt Ausnahmen, und zu diesen gehören die nordischen Länder. Sobald die Transfereinkommen um direkte Steuern auf diese bereinigt werden, erscheinen die skandinavischen Länder, was die Höhe der Sozialausgaben anbelangt, nicht mehr außergewöhnlich. Es ist nach wie vor nicht falsch, die nordischen Wohlfahrtsstaaten als sehr umfassend und ausgebaut zu bezeichnen, falsch aber ist die Vorstellung, der riesenhafte Wohlfahrtsstaat sei ein skandinavisches Alleinstellungsmerkmal. Es ist vielmehr ein Merkmal, das die Skandinavier mit vielen anderen Ländern gemeinsam haben. So betrachtet ist es nicht sonderlich sinnvoll, überhaupt von einem spezifisch „nordischen Wohlfahrtsstaat“ zu sprechen.

Wie die Grafik zeigt, sind der französische und der belgische Wohlfahrtsstaat die überdimensioniertesten. Die angelsächsischen Länder sind am anderen Ende des Spektrums überrepräsentiert, und die nordischen Länder bilden kein erkennbares Cluster. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn Sozialstaaten in Bezug auf ihre Umverteilungswirkung (also die Verringerung des Gini-Koeffizienten durch Steuern und Sozialtransfers) verglichen werden. Auch in dieser Hinsicht sind die nordischen Wohlfahrtsstaaten nicht herausragend. Die Eigenschaften, die gerne einem imaginären „nordischen Wohlfahrtsmodell“ zugeschrieben werden, werden in Wahrheit von sehr vielen Ländern geteilt.

Warum hören wir aber an allen Ecken und Enden Lobreden auf den nordischen Wohlfahrtsstaat, wenn es diesen doch als solchen gar nicht gibt, zumindest nicht im Sinne eines irgendwie einzigartigen Modells? Vermutlich liegt es ganz einfach daran, dass diese Argumentation zum politisch gewünschten Ergebnis führt. Die nordischen Länder gelten als wirtschaftlich und sozial erfolgreich; es zahlt sich für die politische Linke daher aus, diese Länder mit den eigenen Ideen in Verbindung zu bringen: Neoliberale wollen amerikanische Verhältnisse, Linke wollen schwedische Verhältnisse. Auch dient es als rhetorische Allzweckwaffe. Wer mit den wachstumshemmenden Nebenwirkungen einer hohen Steuerlast, oder mit den sozialen Nebenwirkungen eines überbordenden Umverteilungsstaates konfrontiert wird, der muss nur „Schweden!“ rufen, und schon ist alles in den Wind geschlagen.

Gibt es aber tatsächlich nichts, was die nordischen Länder irgendwie außergewöhnlich macht? Doch: Diese Länder kombinieren eine Reihe von Faktoren, die sie außergewöhnlich resistent machen gegen die eben erwähnten Nebenwirkungen eines ausufernden Staatsapparates. Deswegen können sie sich eine Politik erlauben, an der viele andere Länder scheitern würden. Das aber ist ein Thema für einen anderen Blogbeitrag.

Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Thor and the Nordic welfare state: Not so Nordic, after all“ auf dem IEA-Blog. Übersetzung des Autors.