Photo: Daniel Friedlos from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Eine Vollzeitbeschäftigung könnte für ALG II-Empfänger durch eine niedrigere Anrechnungsquote maßgeblich attraktiver gemacht werden. Ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro pro Monat würden die Staatseinnahmen durch Sozialabgaben und Einkommensteuer den ALG II-Anspruch des aufstockenden Erwerbstätigen übersteigen.

Ein Ziel des 2005 eingeführten Arbeitslosengeldes II war es Beschäftigung attraktiver zu machen. Allerdings machen die Hinzuverdienstregelungen zum Arbeitslosengeld II eine niedrig entlohnte Beschäftigung in Vollzeit noch heute relativ unattraktiv. So hat ein alleinlebender Erwerbstätiger in Vollzeit, der 160 Stunden im Monat zum Mindestlohn von 8,84 Euro arbeitet, nur etwa 300 Euro mehr zur Verfügung als ein erwerbsloser ALG II-Empfänger. Daraus ergibt sich eine Zunahme des verfügbaren Einkommens von 1,88 Euro pro Arbeitsstunde. Das ist nicht sonderlich viel. Der Hinzuverdienst zum Arbeitslosengeld sollte attraktiver werden. So könnte zum Beispiel ein deutlich kleinerer Anteil des Erwerbseinkommens auf das ALG II angerechnet werden. Dadurch hätten ALG II-Empfänger einen stärkeren Anreiz, auch zu relativ niedrigen Löhnen wieder ins Erwerbsleben zurückzukehren.

Hohe Anrechnung von Einkommen auf ALG II

Das Arbeitslosengeld II sollte laut Bundeskanzler Gerhard Schröder „fordern und fördern“ . War auf der einen Seite das Ziel, ein soziokulturelles Existenzminimum zu garantieren, sollte auf der anderen Seite ein starker Anreiz zur Aufnahme einer Beschäftigung bestehen. Die recht hohe Anrechnung von Einkommen auf das Arbeitslosengeld konterkariert dieses Ziel jedoch.

Nach einem Freibetrag von 100 Euro pro Monat werden Einkommen bis 1.000 Euro zu 80 % angerechnet. Zwischen 1.000 und 1.200 Euro werden 90 % und ab 1.200 Euro wird das volle Einkommen auf das Arbeitslosengeld angerechnet. Für Hilfsbedürftige mit Kind beträgt die Obergrenze 1.500 Euro. Die relativ starke Kürzung der staatlichen Unterstützung bei Erwerbstätigkeit schwächt den Anreiz, einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen, wie das Beispiel eines kinderlosen Singles zeigt.

Minijob, Midijob und normaler Job

Zur Kalkulation des ALG II-Anspruchs ist eine Schätzung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung nötig. Für einen alleinlebenden ALG II-Bezieher gelten etwa 45 Quadratmeter als „angemessener Wohnraum“. Wir gehen von einer Nettokaltmiete von 7 Euro pro Quadratmeter aus. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Kaltmiete für eine 65 m² Wohnung betrug in Deutschland 2016 6,50 Euro pro Quadratmeter. Laut Deutschem Mieterbund betrugen im Jahr 2014 die Betriebskosten durchschnittlich 2,17 Euro/Quadratmeter. Die angenommene Warmmiete inklusive aller Kosten beträgt so 413 Euro pro Monat.

 

 

Der Bedarf eines Erwerbslosen von etwa 822 Euro ergibt sich aus dem ALG II-Regelsatz in Höhe von 409 Euro und den Kosten für Wohnen und Heizen. Bei einem Bruttoeinkommen von bis zu 450 Euro nehmen wir einen Minijob und bei einem Bruttoeinkommen von bis zu 850 Euro einen Midijob an. Während Minijobs nach Wahl von den Sozialversicherungsbeiträgen gänzlich befreit sind, kommt bei Midijobs eine Gleitzonenregelung zur Anwendung, die die Last durch Sozialbeiträge reduziert. Ab einem Bruttoverdienst von 850 Euro pro Monat liegt eine normale Beschäftigung vor, bei der die Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe anfallen.

Arbeitslosigkeit zu Vollzeit: Impliziter Stundenlohn 1,88 Euro

Relativ lohnenswert ist die Aufnahme einer Beschäftigung im Minijobbereich. Arbeitet beispielsweise ein ALG II-Empfänger 12 Stunden im Monat zum Mindestlohn von 8,84 Euro und verdient somit 106 Euro im Monat, verfügt er am Ende des Monats nach der Miete über etwa 101 Euro mehr als ohne Arbeit. Er arbeitet für etwa 8,42 Euro pro Stunde.

Deutlich anders hingegen sieht es bei einer Vollzeitbeschäftigung zum Mindestlohn aus: Bei 160 Stunden Arbeit im Monat ergibt sich ein Bruttoeinkommen von 1.414 Euro, wovon 1.052 Euro netto verbleiben. Der ALG II-Anspruch beträgt nun allerdings nur noch 70 Euro. Insgesamt hat ein zum Mindestlohn Vollzeitbeschäftigter nach der Mietzahlung nur etwa 300 Euro mehr im Monat zur Verfügung als ein Erwerbsloser: Bei 160 Stunden Arbeit im Monat ergibt dies einen impliziten Stundenlohn von 1,88 Euro.

Ehepaare: Nicht mehr Mittel zwischen 1.200 und 2.000 Euro brutto

Ein ähnliches Bild ergibt sich für ein verheiratetes und kinderloses Paar, wenn beide ALG II beziehen. Wir nehmen an, das Paar lebe auf 60 Quadratmetern. Zudem gehen wir weiterhin von den oben erwähnten durchschnittlichen Mietkosten pro Quadratmeter aus. Die nachstehende Grafik verdeutlicht, wie sich das verfügbare Einkommen des Paares nach der Miete verändert, wenn ein Ehepartner eine Erwerbstätigkeit aufnimmt.

 

 

Bei Ehepartnern ergibt sich ein ALG II-Bedarf von 1.286 Euro pro Monat aus den Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 550 Euro und 90 % des Regelsatzes pro Person – zusammen 736 Euro. Auch in diesem Fall ist vor allem die Aufnahme eines Minijobs finanziell attraktiv. Aufgrund der vollständigen Anrechnung des Einkommens ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro verändert sich das verfügbare Einkommen nach Miete zwischen einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro bis 2.000 Euro für das Paar gar nicht, obwohl das Nettoeinkommen weiter steigt. Eine Vollzeitbeschäftigung eines Ehepartners zu Löhnen von bis zu 12,50 Euro pro Stunde ist somit recht unattraktiv.

Alternative: Anrechnung von nur 50%

Um eine Vollzeitbeschäftigung zu niedrigen Löhnen attraktiver zu machen, könnte ein geringerer Teil des Einkommens auf das ALG II angerechnet werden, zum Beispiel nur 50%.

Wir gehen hier zudem weiterhin von einem Grundbedarf von 822 Euro aus.

 

Steuern und Sozialabgaben bleiben unberührt: Ein Beschäftigter in Vollzeit, der zum Mindestlohn arbeitet, verdient 1.414 Euro brutto und 1.052 Euro pro Monat netto. Bei 50-prozentiger Anrechnung ohne Freibetrag werden jedoch statt 752 Euro nur 345 Euro angerechnet, woraus sich ein ALG II-Anspruch von 477 Euro ergibt, von dem die Miete gedeckt ist. Im Vergleich zur Erwerbslosigkeit verfügt ein Beschäftigter in Vollzeit über 757 Euro mehr und verdient somit implizit 4,42 Euro pro Stunde. Das mag zwar nicht nach sonderlich viel klingen, ist aber eine Steigerung des impliziten Lohnsatzes im Vergleich zur jetzigen Gesetzeslage von mehr als 100 %. Die Aufnahme eine Vollzeitbeschäftigung würde dadurch deutlich attraktiver werden.

Vollzeitjobs lohnenswerter machen

Die Möglichkeit zum sogenannten „Aufstocken“ von relativ niedrigen Einkommen besteht schon heute. Die hohe Anrechnung des Erwerbseinkommens auf das ALG II gibt jedoch vor allem einen Anreiz zu einer Beschäftigung in nur teilweise sozialversicherungspflichtiger Teilzeit. Eine Vollzeitbeschäftigung könnte für ALG II-Empfänger durch eine niedrigere Anrechnungsquote maßgeblich attraktiver gemacht werden. Die Kosten einer Anrechnung von nur 50 % des Einkommens wären dabei überschaubar. Ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro pro Monat würden die Staatseinnahmen durch Sozialabgaben und Einkommensteuer den ALG II-Anspruch des aufstockenden Erwerbstätigen übersteigen, während durch seine Tätigkeit zusätzliche Güter und Dienstleistungen entstünden.

Erstmals erschienen bei IREF.

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