Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Das bedinungslose Grundeinkommen – kurz BGE – ist aktuell ein groß diskutiertes Projekt in der Arbeits- und Sozialpolitik. Das Konzept beinhaltet die regelmäßige Auszahlung eines festen Betrags an jeden Bürger. Bisher ist die empirische Datenlage zu den Folgen sehr dünn. Studien aus den USA aber zeigen aber auf, dass der Trend in Richtung Reduzierung des Arbeitsangebots geht.

Das bedingungslose Grundeinkommen sorgt in letzter Zeit für hitzige Diskussionen. Über ideologische Grenzen hinweg finden sich Befürworter und Gegner. Die Auswirkungen einer Einführung sind umstritten. Kritiker befürchten, dass die Menschen den Umfang ihrer Erwerbsarbeit einschränken und so die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens gefährden würden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wurde noch nie in einem größeren Maßstab in einem Land eingeführt. Experimentelle Ergebnisse, die Rückschlüsse darauf zulassen, wie Menschen auf ein bedingungsloses Grundeinkommen reagieren, sind deshalb leicht zu überschauen.

1.000 Euro für Alle

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine regelmäßige Zahlung an alle Bürger, unabhängig von ihrer finanziellen Situation. Es würde durch Steuereinnahmen finanziert werden. Im Gespräch sind beispielsweise um die 1.000 Euro pro Monat für jeden Bundesbürger. Bei rund 81 Millionen deutschen Staatsbürgern wird ersichtlich, dass die Finanzierung dieses Transfers eine Herausforderung wäre.

Für ein bedingungsloses Grundeinkommen, das alle Transferzahlungen ersetzt, spricht unter anderem ein geringer bürokratischer Aufwand, da die Bedürftigkeit der Empfänger nicht geprüft werden müsste. Wie wahrscheinlich es ist, dass es zu einer Umsetzung ohne Ausnahmen von dieser Regel käme, die diesen Vorteil konterkarieren würden, betrachten wir hier nicht.

Schlechte Anreize konventioneller Sozialtransfers

Heutige Sozialtransfers sind dagegen bürokratisch aufwendig und haben in ihrer jetzigen Ausgestaltung einen weiteren gravierenden Nachteil. Nehmen die Empfänger mehr als nur eine Tätigkeit im Rahmen eines Minijobs auf, reduzieren sich die Zahlungen maßgeblich oder gar vollständig. Für die Empfänger wirkt die Reduktion der Transfers wie eine Steuer auf zusätzliches Einkommen – netto erhöhen sich ihre Einkommen nicht eins zu eins mit dem Zuverdienst. Die durch die Reduzierung der Transfers ausgelösten impliziten Steuern sind – auch durch die Beiträge zu den Sozialversicherungen – relativ hoch. Wer als Alleinstehender eine Arbeit aufnimmt statt ALG II zu beziehen und 1.500 Euro brutto verdient, ist einem impliziten Steuersatz von etwa 80 Prozent ausgesetzt. Der monetäre Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen, ist in solch einer Situation recht gering.

Das bedingungslose Grundeinkommen würde diese hohen impliziten Steuersätze für Geringverdiener umgehen. Jeder Euro Einkommen würde nach einem Vorschlag des Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar mit 50 Prozent besteuert werden. Wer eine Arbeit aufnimmt, bezöge weiterhin das bedingungslose Grundeinkommen und könnte zusätzlich über 50 Prozent des erzielten Einkommens verfügen.

Die negative Einkommensteuer

Die von Milton Friedmann im Jahr 1962 vorgeschlagene negative Einkommensteuer weist Ähnlichkeiten mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auf. Auch sie mindert das Problem schwacher Anreize, bezahlter Beschäftigung nachzugehen. Fällt das Einkommen einer Person unter einen gewissen Betrag, zahlt sie keine Steuern mehr, sondern erhält Zahlungen. Bei einem konstanten Grenzsteuersatz, der unter einer gewissen Einkommenschwelle negativ ausfällt, erhöht sich das Einkommen nach Steuern um immer den gleichen Teil des zusätzlichen Einkommens.

Anders als bei einem bedingungslosen Grundeinkommen, hängen die Nettozahlungen oder -gutschriften im Rahmen einer negativen Einkommensteuer also vom erzielten Einkommen ab. Bezüglich der Wirkung auf das Einkommen von Erwerbspersonen gleichen sich bedingungsloses Grundeinkommen und negative Einkommensteuer jedoch.

Bedingungslose Transferszahlungen und Arbeitsverhalten: USA

Wir widmen uns hier nicht der Frage, ob der Empfang von Nettotransfers in Abwesenheit einer Bedürftigkeit gerechtfertigt ist, oder ob die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens tatsächlich mit der Abschaffung aller Transfers einhergehen würde, die auf Bedürftigkeitsprüfungen basieren. Wir wenden uns hier Studien zu, die Rückschlüsse darauf zulassen, wie sich bedingungslose Transferzahlungen auf das Arbeitsverhalten der Empfänger auswirken.

Das „New Jersey Graduated Work Incentive Experiment“ war eine randomisierte Kontrollstudie, die in den Jahren 1968 bis 1972 durchgeführt wurde. Zufällig ausgewählte Familien in städtischen Gebieten mit einem Einkommen unter 150 Prozent der Armutsgrenze erhielten Geldtransfers, deren Höhe vom von ihnen zusätzlich erzielten Einkommen abhing – wie im Rahmen einer negativen Einkommensteuer vorgesehen. Bei den Teilnehmern konnte nur ein geringer negativer Effekt auf das Arbeitsangebot festgestellt werden, der in der Regel unwesentlich von der Kontrollgruppe abwich, die keine Zahlung erhielt. Eine ergänzende Studie mit Fokus auf ländliche Regionen ergab, dass männliche Arbeitskräfte ihre Arbeitszeit im Vergleich zur Kontrollgruppe im Durchschnitt um 1 Prozent senkten und weibliche Teilnehmer ihre Arbeitszeit um 27 Prozent reduzierten. Allerdings konnte auch hier nicht ausgeschlossen werden, dass die Unterschiede nicht dem Zufall geschuldet sind. Hingegen ging die Beschäftigungsquote der teilnehmenden Frauen signifikant um 28 Prozent zurück.

Das „Seattle/Denver Income-Maintenance-Experiment“ war das bisher größte negative Einkommensteuerexperiment. Die Teilnehmer wurden in dreijährige und fünfjährige Auszahlungsperioden aufgeteilt. Menschen, die die Zahlung für drei Jahre erhielten reduzierten ihre Arbeitsstunden um bis zu 7,3 Prozent, während in der Fünf-Jahres-Gruppe Arbeitszeitreduzierungen von bis zu 13,5 Prozent festgestellt wurden. Die statistisch signifikanten Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Verkürzung der Arbeitszeit umso höher ausfällt, je länger der Zeitraum ist, in dem eine negative Einkommensteuer zur Anwendung kommt.

Weitere Experimente bisher ohne Erkenntnisgewinn

Im Jahr 2017 startete Finnland ein Grundeinkommensexperiment mit 2.000 Arbeitslosen. Für zwei Jahre erhalten die Teilnehmer eine bedingungslose monatliche Zahlung von 560 Euro. Diese Summe ist nicht ausreichend um alle anderen Transferzahlungen einzustellen. Da das Experiment noch nicht abgeschlossen ist, liegen noch keine Ergebnisse vor.

In Deutschland gibt es eine private Initiative, die monatliche Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro für ein Jahr verlost. Leider können von diesem Experiment auf Grund des sehr kurzen Zeitraums keine neuen belastbaren Erkenntnisse über die Veränderung des Arbeitsangebots erwartet werden.

Experimente in Schwellen- und Entwicklungsländern

Im Gegensatz zu den Experimenten in industrialisierten Ländern findet eine Studie über ein indisches Grundeinkommensexperiment aus dem Jahr 2014 einen positiven Beschäftigungseffekt. Die Zahlung lag unter dem Einkommensniveau, dass für eine Befriedigung der Grundbedürfnisse ausreichend wäre.

Vor dem Hintergrund, dass das Experiment und damit die Auszahlung nur zwei Jahre dauerten, nutzten die Empfänger des bedingungslosen Grundeinkommens die zusätzlichen Einnahmen vornehmlich, um ihre Lebensbedingungen langfristig zu verbessern und investierten in ihren Kapitalstock. So wurden vor allem neue Nutztiere angeschafft und die effizientere Bewirtschaftung des Haushalts vorangetrieben. Einige Haushalte bauten eine eigene Wasserversorgung oder zusammen mit Nachbarn einen gemeinsamen Wasseranschluss. Dies entlastete vor allem Frauen, die zuvor an öffentlichen Brunnen das Wasser für die Familie holen mussten. So stellten die Forscher fest, dass vor allem Frauen mehr Zeit darauf aufwenden konnten, um zusätzliches Einkommen zu erzielen.

Insgesamt erhöhten gut 21 Prozent der Haushalte, die in dem Untersuchungszeitraum ein bedingungsloses Grundeinkommen erhielten, ihr Einkommen durch eine Ausweitung des Umfangs ihrer Erwerbsarbeit, während dies nur für 9 Prozent der Haushalte in der Kontrollgruppe zutraf.

Ein Experiment, das in Namibia ohne Kontrollgruppe durchgeführt wurde, weist ähnlich wie das indische Projekt darauf hin, dass die Menschen die zusätzlichen Mittel nutzten, um sich wirtschaftlich produktiver betätigen zu können. Die Autoren schreiben: „Dieser Befund widerspricht den Behauptungen der Kritiker, dass das bedingungslose Grundeinkommen zu Faulheit und Abhängigkeit führen würde.“

Die Studienteilnehmer in Namibia und Indien hatten gemein, dass sie in Gesellschaften leben, in denen die Arbeitsteilung weniger ausgeprägt ist als in industrialisierten Ländern. Sie waren zu einem Gutteil auf Subsistenzwirtschaft angewiesen. Die empirischen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die zu einem Gutteil auf Subsistenzwirtschaft angewiesenen Haushalte die Transferzahlungen vor allem nutzten, um ihre Arbeit durch Investitionen in ihren Kapitalstock produktiver zu machen. Das mag helfen, die beobachteten Effekte zu erklären. Werden die Früchte der Arbeit reichhaltiger, wird es attraktiver, mehr zu arbeiten.

Finanzierung auf wackligen Füßen?

Individuen in hochgradig arbeitsteilig organisierten Gesellschaften haben leichten Zugang zu Krediten und würden Transferzahlungen vermutlich nicht zum Ausbau ihres Kapitalstocks nutzen, um sich produktiver in Erwerbsarbeit üben zu können. Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens in relativ reichen Gesellschaften schwebt derartiges zumeist auch nicht vor. Ganz im Gegenteil, Menschen sollen ja gerade frei davon werden, auf dem Markt Erwerbseinkommen erzielen zu müssen. Die Erfahrungen mit bedingungslosen Grundeinkommen in Entwicklungsländern sind auch aus diesen Gründen für entwickelte Länder nicht allzu aussagekräftig.

Die Erkenntnisse aus Nordamerika scheinen besser geeignet zu sein, um die potentiellen Arbeitsangebotseffekte eines bedingungslosen Grundeinkommens abzuschätzen. Diese Studien kommen zu dem Schluss, dass das Arbeitsangebot mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eher abnimmt. Je länger die erwartete Auszahlungsperiode ist, desto stärker ist dieser Effekt.

Dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen ab einer gewissen Höhe das Arbeitsangebot reduziert, steht außer Frage. Wie viele Menschen würden noch arbeiten, wenn es monatlich 5.000 Euro betrüge? Angesichts der bisher noch spärlichen empirischen Literatur zu Effekten bedingungsloser Transferzahlungen sollten alle Aussagen bezüglich der Wirkung eines moderaten bedingungslosen Grundeinkommens auf das Arbeitsangebotsverhalten allerdings mit Vorsicht genossen werden.

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo by Daniel Tausis on Unsplash

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Inflationsbereinigt hat der Staat im Jahr 2016 so viele Steuern pro Kopf eingenommen wie noch nie. Trotzdem klagen viele Menschen über schlechte öffentliche Sicherheit, Altersarmut und eine marode Infrastruktur. Doch an der Einnahmenseite kann es kaum liegen. Das Problem sind öffentliche Verschwendung von Steuergeldern. Während private Unternehmen Insolvenz anmelden müssen, können staatliche Institutionen prinzipiell unbegrenzt Geld verbrennen.

Der deutsche Staat nahm 2016 pro Kopf über 8.500 Euro Steuern ein. Damit liegen die Steuereinnahmen nach Berücksichtigung der Inflation höher als je zuvor. Während die realen Steuereinnahmen pro Person von 1989 bis 2010 leicht um den Wert von 7.000 Euro schwankten, stiegen sie über einen Zeitraum von nur sechs Jahren um über 20 % an. Passend dazu berichtet die FAZ via Spiegel jüngst von 14 Milliarden Euro „zu hoher“ Einnahmen des Bundes für 2017. Angesichts dieser Entwicklung liegt es nahe, den Grund für als unzureichend wahrgenommene staatliche Leistungen nicht bei zu niedrigen Steuereinnahmen und mit ihnen einhergehenden Ausgaben zu suchen, sondern bei der Verwendung staatlicher Mittel. Steuersenkungen könnten die für einen effektiveren Einsatz von Ressourcen notwendige Selbstbeschränkung der Vertreter des Staates sein.

Steuereinnahmen pro Person 2016: 8.500 Euro

Die Steuereinnahmen des Staates sprudelten in den vergangenen Jahren. Seit 2009 sammelte der deutsche Staat von Jahr zu Jahr real pro Person mehr Steuermittel ein.

Die Daten berücksichtigen Veränderungen des Preisniveaus und lassen sich somit über die Zeit vergleichen. Über den Zeitraum von 1960 bis 2016 verdreifachten sich nicht nur die Steuereinnahmen pro Person, sondern auch das Bruttoinlandsprodukt pro Person. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Steuerquote über diesen Zeitraum in etwa konstant blieb.

Der deutliche Anstieg der Steuereinnahmen pro Kopf seit 2009 rührt vor allem aus dem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes her, der durch progressive Steuern wie die Einkommensteuer auch einen Anstieg der Steuerquote nach sich zog.

Diese Betrachtung lässt Einnahmen aus den Beiträgen zu den Sozialversicherungen ebenso unberücksichtigt wie Einnahmen aus Abgaben an den Staat. Der Anstieg der Beiträge zu den Sozialversicherungen ist dafür verantwortlich, dass die alle Einnahmen des Staates umfassende Abgabenquote seit 1960 von 33,4 % auf über 39 % stieg.

Nicht die Höhe zählt, sondern die Verwendung

Dem Staat fehlt es gewiss nicht an Einnahmen. Das spiegelt sich auch im Ausgabeverhalten des Staates in den vergangenen Jahren wider. Denn mit den Steuereinnahmen legten auch die Ausgaben des Staates deutlich zu. Auch die Diskussion um die schwarze Null weist darauf hin, dass sich Staatseinnahmen und Staatsausgaben in den letzten Jahren in etwa im Gleichschritt miteinander bewegten. Dabei verringerte das niedrige Zinsniveaus seit der Finanzkrise die Last des Schuldendienstes des Staates und trug dazu bei, dass zusätzliche Mittel auf andere Aufgabenbereiche verwandt werden konnten.

Trotz der seit 2009 deutlich höheren Einnahmen und Ausgaben lassen die heutigen Leistungen des Staates in den Augen vieler Beobachter zu wünschen übrig. Kritik wird unter anderem an unzureichender öffentlicher Sicherheit, maroden Schulen, zerfallender Infrastruktur, einem überforderten Justizwesen, weit verbreiteter Kinderarmut und zunehmender Altersarmut geübt.

Eine scheinbare Lösung für ausgemachte Missstände ist schnell formuliert. Der Staat solle mehr Mittel für Sicherheit, Schulen, den Bau von Straßen, die Justiz, Familien und Rentner bereitstellen.

Wie soeben gesehen, nimmt der Staat heute allerdings mehr Mittel ein und gibt sie wieder aus als je zuvor. Es könnte zielführender sein, nicht die Höhe der vom Staat für gewisse Aufgaben aufgewandten Mittel auf den Prüfstand zu stellen, sondern die Verwendung der Mittel.

Kosten staatlicher Aktivität: Was hätte sein können

Wie andere Akteure auch, hat der Staat durch den Einsatz seiner finanziellen Mittel einen Einfluss auf die Verwendung realer Ressourcen. Der noch nicht für den Flugbetrieb bereite Flughafen Berlin Brandenburg soll hier als Beispiel dienen. Der Mitteleinsatz des Staates führte dazu, dass tausende Arbeitsstunden von Ingenieuren, Architekten, Bauarbeitern und Stadtplanern sowie tausende Tonnen Baumaterial wie Stahl und Zement in den Bau des Flughafens flossen. In Abwesenheit des BER-Bauprojektes wären diese Ressourcen allesamt auf andere Projekte verwandt worden. Die Kosten des BER belaufen sich auf die Nicht-Realisierung dieser unsichtbaren alternativen Projekte.

Die in den BER geflossenen Ressourcen hätten effektiver eingesetzt werden können, beispielsweise für den Bau eines betriebsbereiten Flughafens oder zusätzliche Wohngebäude in Berlin. Der Fall des BER illustriert einen vom Staat herbeigeführten fraglichen Einsatz von Ressourcen besonders anschaulich, wie auch die vom Bund der Steuerzahler alljährlich zusammengetragenen Fälle.

Staat: Kein Wettbewerb, keine Reallokationen von Ressourcen

In der Regel bleibt der ineffiziente Ressourceneinsatz durch den Staat der Öffentlichkeit und häufig auch politischen Entscheidungsträgern jedoch verborgen. Private Unternehmen werden auf Märkten vom ineffizienten Einsatz realer Ressourcen abgehalten, indem sie verschwinden. Air Berlin beispielsweise wird zukünftig keine Arbeitszeit, Flugzeuge, Sprit oder Landeslots mehr an sich binden. Die Ressourcen können anderswo effektiver eingesetz werden. Verantwortlich dafür sind auch die Entscheidungen der potentiellen Kunden von Air Berlin, die dazu beitrugen, dass die Einnahmen Air Berlins die Ausgaben nicht deckten.

In der politischen Sphäre wird der ineffiziente Einsatz von Ressourcen nicht durch das Verschwindenen misswirtschaftender Organisationen verhindert. Ineffiziente Schulen und Universitäten verschwinden nicht, zu teure Polizeidienststellen werden nicht aufgrund überlegener Wettbewerber geschlossen, erfolglose Verkehrsministerien enden nicht in der Insolvenz, verschwenderische Staatsanwaltschaften verlieren ihre Finanzierung nicht und ineffektive Jugendämter werden nicht abgewickelt. Ineffiziente staatliche Organisationen bestehen in der Regel fort und binden weiterhin reale Ressourcen an sich, die woanders eingesetzt werden könnten.

Niedrigere Steuern: Effizienzsteigernde Selbstbeschränkung

Gerade weil in der politischen Sphäre Akteure kein direktes Feedback durch erzielte Gewinne oder erlittene Verluste erhalten, sollte die Verwendung von Ressourcen dort stets explizit auf dem Prüfstand stehen. Genügt eine staatliche Leistung den Ansprüchen nicht, sollte nicht der Ruf nach dem Einsatz zusätzlicher Ressourcen folgen, sondern eine kritische Betrachtung des bereits erfolgenden Ressourceneinsatzes.

Allzu hoffnungsvoll sollte man diesbezüglich allerdings nicht sein. Niemand – Vertreter des Staates eingeschlossen – ist sonderlich geneigt, bei der Analyse der eigenen beruflichen Aktivitäten zum Schluss zu kommen, dass sie eingestellt werden sollten. Im Falle privater Unternehmen wiegen derartige Befindlichkeiten nicht sonderlich schwer. Findet sich niemand, der als Kunde oder Geldgeber freiwillig den Fortbestand eines Unternehmens sicherstellt, verschwindet es – es sei denn, der Staat springt ein. In der politischen Sphäre werden Organisationen jedoch nicht durch freiwillige Zahlungen finanziert, sondern vornehmlich durch Steuereinnahmen.

Den Steuerzahlern bleibt, sich für eine niedrigere Steuerlast und so niedrigere Steuereinnahmen einzusetzen, aus der sich für sie potentiell zwei positive Konsequenzen ergeben. Erstens, niedrigere Steuereinnahmen lassen den Steuerzahlern mehr direkte Kontrolle über die Verwendung realer Ressourcen, die sie aus den angeführten Gründen tendenziell wirkungsvoller einsetzen. Zweitens, nimmt der Staat keine zusätzlichen Schulden auf, zwingen niedrigere Steuereinnahmen ihn dazu, die Kontrolle über den Einsatz einiger Ressourcen aufzugeben. Dabei sollte es in einem von Korruption nicht allzu sehr geplagten Staat wie Deutschland gerade die nutzlosesten unter den staatlichen Aktivitäten treffen und so zu einem insgesamt effektiveren Einsatz von Ressourcen kommen.

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo: Pexels from Pixabay (CC 0)

Von Matthias Still, Unternehmer und PR-Berater, Fackelträger bei Prometheus.

Vor zwei Millionen Jahren saß einer unserer Vorfahren in Afrika unter einem Baum und grübelte. Der Tag war heiß und das Leben beschwerlich: Essen sammeln, einen sicheren Schlafplatz finden, sich gegen wilde Tiere wehren – alles musste man selber machen und das auch noch mit bloßer Hand. Der Alltag bestand vor allem aus einem ganz zentralen Tagesordnungspunkt: dem Überleben. Und das war oftmals gar nicht so einfach. Also fummelte unser Urmensch an einem runden Stein herum. Dabei kam er auf die Idee, die obere Hälfte so lange zu bearbeiten, bis sie spitz war. Und so wurde aus dem eher nutzlosen Stein ein Werkzeug: Der Faustkeil. Die erste disruptive technologische Erfindung der Menschheit.

Was genau der Urmensch, der zu diesem Zeitpunkt noch ein Vorgänger der Gattung Homo sapiens war, mit dem Faustkeil machte, lässt sich nur erahnen: Für die Selbstverteidigung, für das Zerkleinerung von Nahrung oder als Werkzeug, um weitere Werkzeuge herzustellen, kann er gedient haben.

Und doch hat dieser primitiv behauene Stein etwas ganz Besonderes bewirkt: Er ließ in unseren urzeitlichen Vorfahren eine erste Ahnung erglimmen, dass sie nicht einfach wehrlos einer rauen und hochgradig lebensgefährlichen Natur ausgesetzt waren. Sie konnten sich aufmachen, um diese zumindest ein bisschen zu zähmen, sie für das eigene Überleben zu nutzen und sich bei Gefahren vor ihr zu schützen.

Menschen erfinden, um das Leben einfacher und besser zu machen

Auf bahnbrechende Erfindungen wie das Rad, die Schrift oder gar die Dampfmaschine musste man dann noch ein paar Hunderttausend Jahre warten. Innovation hatte in der frühen Geschichte des menschlichen Daseins nichts mit Geschwindigkeit zu tun. Doch der Gedanke, durch Erfindungsreichtum die eigene, Natur gegebene Begrenztheit zu überwinden, sollte zu einem der mächtigsten und wirkungsreichsten in der Menschheitsgeschichte werden.

Warum kommen Menschen überhaupt auf die Idee, Dinge zu erfinden? Es hat fast immer damit zu tun, das Leben einfacher und besser zu machen. Wir alle würden heute in der unwirtlichen Umgebung unserer Vorfahren kaum eine Woche überleben. Wie selbstverständlich nehmen wir Erfindungen wie elektrischen Strom  oder Heizsysteme hin, die uns zu jeder Zeit Licht spenden und vor Kälte schützen. Wie einfach ist es für uns, Lebensmittel im nächsten Supermarkt zu kaufen, anstatt sie sammeln oder jagen zu müssen.

Der technische Fortschritt hat unser Leben massiv verbessert. Und je schneller er sich vollzieht, umso schneller leben wir immer besser. Werkzeuge, Maschinen und Fertigungsverfahren ermöglichen erst das, was Ökonomen „Arbeitsteilung“ nennen – die womöglich wichtigste Grundlage unseres wirtschaftlichen Wohlstands. Ohne Technik müssten wir nämlich alle das Gleiche machen: Ums Überleben kämpfen, Tag für Tag.

Innovationen eröffnen Benachteiligten neue Optionen, ihr Leben zu gestalten

Doch das ist noch nicht alles: Der technologische Fortschritt sorgt nicht nur für wirtschaftlichen Wohlstand, sondern auch für so etwas wie „soziale Gerechtigkeit“ (lassen wir hier einmal außer Acht, dass unter diesem Begriff höchst unterschiedliche Dinge verstanden werden). Über Jahrtausende war das menschliche Zusammenleben vom Prinzip des „Survival of the fittest“ bestimmt. Der, der am schnellsten vor dem Säbelzahntiger wegrennen konnte, hatte Glück. Der, der schneller war als der Langsamste, auch noch. Aber der Langsamste hatte Pech. Kinder, Alte, Verletze, Behinderte hatten schlechte Überlebenschancen, wenn es eng wurde. Das ist heute anders: Technologische Innovationen eröffnen bislang Benachteiligten ganz neue Optionen, ihr Leben zu gestalten: Auf Seiten der politischen Linken spricht man hier oft von „gesellschaftlicher Teilhabe“. Erfindungsreichtum und Innovation sind die eigentlichen Treiber dieser Teilhabe: Und ganz im Gegenteil zum vermeintlich fürsorglichen Sozialstaat leisten sie dies ohne die Kosten der Teilhabe Dritten aufzulasten. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Der medizinische Fortschritt hat nahezu alle großen Volkskrankheiten und Epidemien hierzulande ausgerottet – und damit Millionen Menschen Leid und Elend erspart. Moderne Hilfsmittel ermöglichen es heute Menschen mit Handicap zu arbeiten und für den eigenen Broterwerb zu sorgen – anstatt auf Almosen angewiesen zu sein.

Und auch für die Zukunft sieht es rosig aus: Innovationen wie das autonome Auto werden dazu führen, dass sich Menschen selbständig fortbewegen können, die derzeit ausschließlich auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind: Blinde beispielsweise oder Personen, die durch fehlende Gliedmaße stark beeinträchtigt sind – aber auch Senioren, die sich im fortgeschrittenen Alter nicht mehr sicher als Fahrer betätigen können. Die Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren der Bundesregierung geht davon aus, dass der Personenverkehr bis zum Jahr 2030 deutlich zunehmen wird – und autonome Fahrzeuge eine wichtige Rolle dabei spielen werden. Damit könnte das selbst fahrende Auto am Ende für mehr gesellschaftliche Teilhabe sorgen als alle ehrenwerten Absichten des Bundesteilhabegesetzes.

Auch wenn er schnell ist und uns manchmal überfordert: Der technologische Fortschritt hat Zustimmung verdient. Er ist der soziale Treibstoff unserer Zeit.

Photo by Zhen Hu on Unsplash

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Über drei Jahre ist der gesetzliche Mindestlohn jetzt alt. Die ersten finanzwissenschaftlichen Analysen offenbaren, was weltweit aus der Mindestlohnforschung bekannt ist: Eine heftige Reaktion blieb aus, trotzdem gab es einen moderaten Stellenabbau beziehungsweise niedrigere Stellenschaffung.

Der flächendeckende Mindestlohn wurde am 1. Januar 2018 drei Jahre alt. Seiner Einführung ging eine kontroverse Debatte über die zu erwartende Beschäftigungswirkung voran. Das ifo-Institut etwa prophezeite den Verlust von bis zu 900.000 Arbeitsplätzen. Die damalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles dagegen versprach, dass 3,7 Millionen Menschen in den Genuss eines höheren Lohnes kommen würden. Zusätzliche Arbeitslosigkeit erwartete sie nicht.

Erste wissenschaftliche empirische Studien erlauben nun Rückschlüsse auf die kurzfristige Beschäftigungswirkung des Mindestlohns. Dieser hat demnach einen negativen, wenn auch quantitativ bescheiden ausfallenden Beschäftigungseffekt, wobei Minijobs stärker betroffen sind als reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Die neuen Erkenntnisse aus Deutschland passen zu den Ergebnissen der Mindestlohnforschung in anderen Ländern, die zeigen, dass eine Erhöhung des Mindestlohns um 10 % durchschnittlich zum Abbau von etwa 1 % der Arbeitsverhältnisse in der vom Mindestlohn betroffenen Gruppe führt. Angesichts der ersten deutschen und vielfältigen internationalen Forschungsergebnisse scheint die von der politischen Linken vorgeschlagene kurzfristige Anhebung des Mindestlohns um mehr als 30 % auf 12 € wenig attraktiv.

Einführung des Mindestlohns: Eine kontroverse Debatte

Wieso war die deutsche Mindestlohndebatte so kontrovers, wenn internationale Studien doch ein recht eindeutiges Bild zeichnen – nämlich schwache negative Beschäftigungseffekte? Viele Kommentatoren verwiesen auf die besondere Situation in Deutschland, welche Rückschlüsse auf Basis der Erfahrungen anderer Länder relativiere: Schon vor der Einführung des flächendeckenden Mindestlohns existierten in zahlreichen Industrien branchenspezifische Lohnuntergrenzen. Zudem ist vor allem außerhalb der wissenschaftlichen Forschung die Ansicht weit verbreitet, Deutschland leide an einer zu geringen Binnennachfrage und ein höherer Mindestlohn könne zu einer Ausweitung der Nachfrage nach Arbeit führen.

Doch auch wenn jedes Land gewiss spezifische Eigenheiten aufweist, gab es für Ökonomen keinen Grund für die Annahme, dass eine fundamentale Regelmäßigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gelten solle: Wenn der Preis einer Dienstleistung – in diesem Fall der erbrachten Arbeit – steigt, so wird sie weniger häufig nachgefragt. Unklar ist jedoch, wie stark der Nachfragerückgang ausfällt. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von der Preiselastizität der Arbeitsnachfrage.

Effekt des Mindestlohns: Messung anspruchsvoll

Ein weiterer Grund für die polarisierte Debatte liegt in der Schwierigkeit, die Arbeitsmarkteffekte des Mindestlohns verlässlich zu messen. Einfache Vorher-Nachher-Vergleiche bilden die tatsächlichen Effekte nicht ab, da sie nicht berücksichtigen, wie der Arbeitsmarkt heute aussähe, wäre es nicht zur Einführung des Mindestlohns gekommen. So kann die Beobachtung, dass die Arbeitslosigkeit nach 2015 weiter gesunken ist nicht als Beleg für ausbleibende unerwünschte Wirkungen des Mindestlohns herhalten- Vielmehr wurde ein negativer Beschäftigungseffekt des Mindestlohns möglicherweise von anderen gegenläufigen Entwicklungen überlagert.

Die Messung der Beschäftigungseffekte des Mindestlohns erweist sich deshalb als eine weitaus anspruchsvollere Herausforderung, als viele Kommentatoren dies in ihren Erfolgsmeldungen nach 2015 suggerierten. Aus diesem Grund suchen Arbeitsmarktforscher nach plausiblen Vergleichsgruppen, d.h. Individuen, Unternehmen oder Regionen, die in unterschiedlichem Maße vom Mindestlohn betroffen sind, sich aber in anderen arbeitsmarktrelevanten Eigenschaften ähneln. Das Ausmaß der Betroffenheit vom Mindestlohn einer solchen Vergleichsgruppe wird dabei als der „Biss“ des Mindestlohns bezeichnet.

 

Studien für Deutschland seit 2015: Beschäftigungseffekt schwach und negativ

Eine der ersten zuverlässigen Analysen liefern Mario Bossler und Hans-Dieter Gerner (2016) vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mittels einer Differenz-von-Differenzen-Schätzung. Basierenden auf dem IAB-Betriebspanel, einem repräsentativen Survey deutscher Arbeitgeber, vergleichen die Autoren Betriebe vor und nach 2015 unter Berücksichtigung des Ausmaßes, in dem ein Betrieb vom Mindestlohn betroffen ist. Sie finden, dass es unter den betroffenen Betrieben zu einem Beschäftigungsrückgang von 1,9 % oder 60.000 Arbeitsplätzen kam – hauptsächlich aufgrund nicht erfolgter Neueinstellungen. In einem weiteren Paper findet Mario Bossler (2017), dass die voraussichtlich vom Mindestlohn betroffenen Arbeitgeber 2014 erwarteten, dass die Rate mit der sie zukünftig neue Beschäftigungsverhältnisse schaffen werden um 0,9 Prozentpunkte sank – eine Erwartung, die sich nach 2015 punktgenau bestätigt hat.

Alfred Garloff (2017) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist in der Bewertung der Arbeitsmarkteffekte des Mindestlohns zurückhaltender. In seiner Analyse verwendet er alters- und geschlechtsspezifische Daten der 141 Arbeitsmarktregionen Deutschlands und berechnet den „Biss“ des Mindestlohns für 1.410 Regionen-Altersgruppen-Geschlecht-Zellen. Er zeigt, dass in stärker betroffenen Zellen nach 2015 relativ mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und relativ weniger Minijobs geschaffen wurden – ein Indiz dafür, dass vom Mindestlohn betroffenen Minijobs teilweise in reguläre Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt wurden. Da jedoch mehr Minijobs verloren gegangen sind als sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen wurden, ist in stärker betroffenen Zellen zugleich die Arbeitslosigkeit gestiegen.

Sebastian Schmitz (2017) von der Freien Universität Berlin verwendet ein ähnliches Forschungsdesign wie Garloff, untersucht jedoch stärker aggregierte Regionaldaten in einer Längsschnittanalyse über fast 50 Jahre. Er findet keinen Effekt auf die reguläre Beschäftigung, schätzt jedoch, dass im Jahr 2015 zwischen 150.000 und 200.000 Minijobs aufgrund des Mindestlohns verloren gegangen sind.

Marco Caliendo et al. (2017), ein breites Forscherteam aus Berlin und Potsdam, greifen auf Individualdaten aus der Verdienststrukturerhebung (SES) der EU und dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) zurück. Wie in den vorgenannten Studien aggregieren sie diese Daten in Regionen auf und setzen deren Mindestlohnbetroffenheit und Arbeitsmarktentwicklung zueinander ins Verhältnis. Die Autoren finden, dass zwischen 2014 und 2015 ca. 180.000 Minijobs, also 2,4 % aller Minijobs, durch den Mindestlohn verloren gegangen sind. Bezüglich regulärer Arbeitsverhältnisse ergeben einige Schätzungen einen Rückgang um bis zu 0,3 % oder 78.000 Jobs. Doch in anderen Spezifikationen finden sie keinen Effekt.

Lutz Bellmann et al. (2017) zeigen auf Basis des IAB-Betriebspanels, dass von der Einführung des Mindestlohns betroffene Betriebe weniger in die Fortbildung ihrer mittel- und hochqualifizierten Mitarbeiter investieren. Dieser Befund liefert einen Hinweis darauf, dass Arbeitgeber angesichts des Mindestlohns Kosten sparen, indem sie andere explizite und implizite Lohnbestandteile senken.

Fazit: Mindestlohn mit unerwünschten Nebenwirkungen

Drei Jahre nach der Einführung des Mindestlohns ist eine erste wissenschaftlich zuverlässige Abschätzung der kurzfristigen Beschäftigungseffekte möglich. Bisherige Studien zeigen, dass sich weder das Horrorszenario von fast einer Million verlorenen Jobs, noch der Traum einer beschäftigungsneutralen Lohnanhebung bewahrheitet haben. Unterm Strich hat der Mindestlohn zu leichten Jobverlusten geführt: 150.000 bis 200.000 Minijobs sind verloren gegangen. Einige, doch bei weitem nicht alle dieser Job wurden in reguläre Arbeitsverhältnisse umgewandelt, sodass insgesamt ca. 60.000 Stellen abgebaut bzw. nicht neu geschaffen wurden.

Auch wenn die bisherigen Beschäftigungseffekte des Mindestlohns nicht dramatisch ausfallen, sind diese arbeitsmarktpolitisch nicht unbedenklich und ließen sich verhindern, wenn der Mindestlohn durch stärkeres Aufstocken niedriger Löhne ersetzt würde. Zwar sind die schwachen negativen Beschäftigungseffekte angesichts der moderaten Höhe des Mindestlohns von 8,50 € bzw. 8,84 € seit 2017 nicht überraschend. Doch demonstrieren sie, dass die Teilnehmer auf dem deutschen Arbeitsmarkt auf gesetzliche Lohnuntergrenzen ähnlich reagieren, wie dies in anderen Ländern der Fall ist. Entsprechend würde eine deutliche Anhebung des Mindestlohns stärkere Beschäftigungseffekte hervorrufen. Gemäß der bisherigen Erfahrungen in Deutschland und anderen Ländern ließe die von der politischen Linken geforderte Anhebung um mehr als 30 % auf 12 € einen Beschäftigungsrückgang von etwa 3 % in der betroffenen Gruppe erwarten.

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo by Christin Hume on Unsplash

Von Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus und dem Cato Institute in Washington D.C.

Bevor Medikamente auf den Markt kommen, müssen sie umfangreich getestet werden, um Schäden durch die Anwendung zu vermeiden. Doch dabei werden diejenigen Menschen vergessen, denen durch eine schnellere Zulassung früher oder überhaupt hätte geholfen werden können. Darüberhinaus zeigt die Erfahrung, dass Patienten unter ärztlicher Betreuuung auch nicht-zugelassene Medikamente erfolgreich anwenden. Es ist Zeit für eine Reform der Medikamentenzulassung.

Wenn wir ehrlich sind, wissen wir meist nicht genau, was wir einnehmen oder wie häufig eine Nebenwirkung auftreten kann, wenn wir unsere Kopfschmerztablette, das Asthmamittel oder die Blutdrucktablette schlucken. Wir verlassen uns darauf, dass die Medikamente ausgiebig getestet wurden und staatliche Behörden sie für unbedenklich erachten. Auf den ersten Blick scheint die staatliche Medikamentenzulassung nur Vorteile zu haben.

Doch die aufwendigen staatlich geforderten Tests und Zulassungsverfahren führen nicht nur zu höheren Kosten für das Medikament, sondern bergen zudem Kosten, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind: Menschen die von einem getesteten Medikament gesundheitlich profitieren könnten, erhalten es erst verspätet oder gar nicht.

Ein aktuelles Beispiel verdeutlicht dies. Forscher in den USA haben erfolgreich eine Therapie für die seltene Blutkrankheit Hämophilie B entwickelt, die bisher als unheilbar galt. Die Therapie würde für die Betroffenen eine enorme Verbesserung ihrer Lebensumstände bedeuten. Doch Professor Oldenburg vom Universitätsklinikum Bonn dämpft die Hoffnung auf eine schnelle Verfügbarkeit:

„Dennoch wird es sicher noch drei bis fünf Jahre dauern, bis diese Therapie den meisten Hämophilie B-Patienten zur Verfügung steht.“

Vom Labor in die Apotheke

Durchschnittlich dauert die Entwicklung und Zulassung eines neuen Wirkstoffes 13,5 Jahre. In den ersten 5,5 Jahren wird der Wirkstoff in Labors untersucht und die Wirksamkeit sowie mögliche schädliche Wirkungen an Tieren getestet. Anschließend folgen in drei Phasen 6,5 Jahre klinische Tests an Menschen. In der ersten Phase werden an gesunden Menschen Tests auf Verträglichkeit durchgeführt. In der zweiten Phase wird der Wirkstoff an wenigen Patienten getestet, um in der dritten Phase an mehreren tausend Patienten erprobt zu werden. Absolviert der Wirkstoff diese Phasen erfolgreich, können die Entwickler die Zulassung beantragen und reichen dafür die Ergebnisse der vorherigen Tests bei den Zulassungsbehörden ein.

 

Die Zulassung: Sichtbare und nicht sichtbare Fehler

Der letzte Schritt, die Zulassung, ist eine kritische Phase. Hier entscheidet sich, ob sich die vorangegangenen Mühen auszahlen. Irren ist menschlich. Auch Zulassungsbehörden können irren. Dabei können sie zwei Arten von Fehlern begehen. Erstens können sie ein Medikament zulassen, das schädlich ist. Zweitens können sie einem Medikament die Zulassung verwehren, das unbedenklich ist und so Menschen helfen könnte. Beide Fehler führen dazu, dass die Gesundheit von Menschen gefährdet wird. In manchen Fällen hängen von beiden Arten von Fehlern Leben ab.

Eine fatale Asymmetrie

Der Fehler eines zugelassenen schädlichen Präparats wird automatisch korrigiert. Sollte ein Medikament sich als schädlich herausstellen, wird es vom Markt genommen. Der zweite Fehler wird hingegen nicht automatisch korrigiert. Wird ein Medikament nicht zugelassen, wird zu einem späteren Zeitpunkt auch nicht entdeckt, dass es Menschen hätte helfen können.

Schon 1972 kam der Ökonom Sam Peltzman in einer Studie zu dem Schluss, dass zu späte Zulassungen oder nicht erteilte Zulassungen von brauchbaren Medikamenten mehr geschadet haben als die Verhinderung unbrauchbarer Medikamente. Seitdem gab es einige Bemühungen die Zulassungen zu beschleunigen. So wurde beispielsweise 1992 in den USA ein entsprechendes Gesetz erlassen. Eine Studie aus dem Jahr 2008 kommt zu dem Schluss, dass die daraufhin schneller erteilten Zulassungen bis zu 310.000 Menschenleben gerettet haben.

Dieser Befund deutet zum einen darauf hin, dass durch eine weitere Beschleunigung möglicherweise zukünftig abermals mehr Leben gerettet werden könnten. Zum anderen führt er vor Augen, dass das durch nicht erfolgte Zulassungen verursachte Leid potentiell beträchtlich ist. Denn die Zulassungsbehörden sehen sich einer außergewöhnlichen Anreizstruktur ausgesetzt.

Bedenkliche Anreize für Zulassungsbehörden

Schädliche zugelassene Medikamente führen zu sichtbaren Opfern und entsprechende Reaktionen der Öffentlichkeit. Eines der wohl tragischsten Beispiele ist der Wirkstoff Thalidomid und der damit verbundene Contergan-Skandal. Die staatlichen Zulassungsstellen haben einen starken Anreiz, diese Art von Fehlern zu vermeiden.

Opfer des zweiten Fehlers bleiben dagegen im Verborgenen. Opfer des Fehlers, ein Medikament nicht zuzulassen, das hätte zugelassen werden sollen, bleiben unsichtbar. Der Anreiz der Zulassungsbehörden, derartige Fehler zu vermeiden, fällt deutlich schwächer aus. Reaktionen der Öffentlichkeit müssen sie in diesen Fällen kaum fürchten.

Medikamente sehr ausgiebig in langwierigen Verfahren zu testen und im Zweifel nicht zuzulassen, hilft den Zulassungsbehörden folglich bei der Vermeidung sichtbarer Fehler und trägt zu mehr als der optimalen Anzahl unsichtbarer Fehler bei.

Ein ehemaliger Mitarbeiter der amerikanischen
Medikamentenzulassungsbehörde beschreibt einen Fall, in dem die Behörde davon überzeugt war, dass das betreffende Medikament effektiv und unbedenklich sei. Sein Vorgesetzter weigerte sich dennoch die Zulassung zu erteilen – mit der folgenden Begründung:

„Wenn irgendwas schief geht (…) denken Sie daran, wie übel es aussieht, wenn wir das Medikament so schnell genehmigt haben.“

Schnellere Zulassungen in den USA

Seit 1997 gibt es in den USA eine „Fast Track–Zulassung“ von Medikamenten für besonders schwerwiegende und lebensbedrohliche Krankheiten. Das Konzept setzt bei den der Zulassung vorgelagerten klinischen Tests an, die gut die Hälfte der gesamten Entwicklungsdauer vereinnahmen – hier ist offensichtlich das größte Zeitersparnispotential zu finden. Die Medikamente werden schrittweise für verschiedene Patientengruppen zugelassen, noch bevor größer angelegte Feldstudien durchgeführt werden. Der Kreis der Patienten und die Zulassung werden ausgeweitet, wenn Erfahrungen über das Risiko-Nutzen-Verhältnis mit den ersten Patientengruppen gesammelt wurden.

Auch Europa sammelt Erfahrung

Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat im Jahre 2005 sogenannte „Conditional Approval“ für Medikamente eingeführt. Diese sollen ähnlich wie in den USA ermöglichen, dass Patienten, die unter besonders schwerwiegenden Krankheiten leiden, schneller Zugang zu neuen Medikamenten bekommen. Dabei werden Medikamente unter der Auflage, dass Phase III nachgeholt wird, bereits nach Phase II zugelassen. Dies ermöglicht einen bis zu 2,5 Jahre schnelleren Zugang zum entsprechenden Medikament.

Schnelle Zulassungen genauso sicher wie konventionelle

In einer Studie aus dem Jahr 2011 wurde untersucht, ob Medikamente, die in der EU in einem Schnellzulassungsverfahren zugelassen wurden, ein höheres Risiko aufweisen als konventionell zugelassene Medikamente. Dabei wurden nicht häufiger neue Risiken nach der Zulassung erkannt, als bei konventionell zugelassenen Medikamenten, die die Phasen I bis III komplett durchliefen.

Gegenseitig Zulassungen anerkennen

Ein erster Schritt, Medikamente schneller und günstiger für Patienten verfügbar zu machen, wäre die gegenseitige Anerkennung der Zulassung von Medikamenten in den USA und Europa. In der Regel werden die gleichen Unterlagen für die jeweilige Zulassung eingereicht. Warum sollte ein Medikament, das für EU Bürger zugelassen wurde, für Amerikaner schädlich sein?

Schnellere Zulassungen allein genügen nicht

Doch schnellere Zulassungen und ihre gegenseitige Anerkennung allein genügen nicht. Sie führen nicht dazu, dass die Zulassungsbehörden einen schwächeren Anreiz haben, unbedenkliche Medikamente nicht zuzulassen. Es stellt sich daher die grundsätzliche Frage, ob eine zwingende staatliche Zulassung nötig ist.

Unkonventioneller Einsatz bereits beschränkt möglich

Schon jetzt zeigen Ärzte und Patienten, dass sie bereit sind, Medikamente zu verschreiben und zu konsumieren, die nicht spezifisch getestet oder von den Behörden für diese Anwendungen zugelassen sind. Der Off-Label-Use, also die Nutzung von Medikamenten außerhalb des von den Behörden zugelassen Bereichs, ist vor allem bei Kindern weit verbreitet. So waren 2002 in Deutschland etwa 57 % aller verordneten Medikamente für gesetzlich krankenversicherte Neugeborene nicht für diese zugelassen.

Zudem ist es bereits möglich, nicht zugelassenen Medikamente im Rahmen der Härtefall-Verordnung zu erhalten. Allerdings gibt es nur sehr wenige Ausnahmen. So sind derzeit nur sieben Medikamente beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und drei weitere beim Paul Ehrlich Institut gelistet, die für Härtefälle verfügbar sind. Ferner sind nicht zugelassene Medikamente im Rahmen individueller Heilversuche erhältlich. Allerdings dürfen diese Medikamente nicht beworben werden. Der Patient oder der behandelnde Arzt muss also auf anderen Wegen auf den potentiell hilfreichen Wirkstoff aufmerksam werden.

Die Nutzung von nicht zugelassenen Medikamenten und der Einsatz außerhalb des zugelassenen Bereichs zeigen, dass Patienten und Ärzte in der Lage und willens sind, auch ohne staatliche Zulassung Risiko und Nutzen abzuwägen. Nicht bzw. noch nicht zugelassene Medikamente sollten Patienten leichter zugänglich gemacht werden als derzeit.

Freiwillige staatliche Prüfung

Natürlich gibt es Menschen, die ausschließlich auf die staatliche Zulassung vertrauen. Eine freiwillige staatliche Prüfung von Medikamenten, wodurch die Vermarktung auch noch nicht zugelassener Medikamenten möglich würde, wäre eine für beide Patientengruppen attraktive Lösung. Die Medikamente, die nicht dieser freiwilligen Prüfung unterzogen werden, könnten mit einem entsprechenden Hinweis versehen werden.

Medikamente schneller und umfangreicher verfügbar machen

Unsichtbare Opfer, die zu einem hilfreichen Medikament keinen Zugang haben, sollten nicht unberücksichtigt bleiben. Deshalb sollten in einem ersten Schritt die Zulassungsverfahren deutlich beschleunigt und die Zulassungen durch Stellen anderer Staaten anerkannt werden. Zudem sollte den bedenklichen Anreizen der Zulassungsbehörden durch freiwillige staatliche Prüfungen begegnet werden. Kosten könnten so reduziert und die Gesundheit vieler Menschen verbessert werden.

Zuerst erschienen bei IREF.