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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Über drei Jahre ist der gesetzliche Mindestlohn jetzt alt. Die ersten finanzwissenschaftlichen Analysen offenbaren, was weltweit aus der Mindestlohnforschung bekannt ist: Eine heftige Reaktion blieb aus, trotzdem gab es einen moderaten Stellenabbau beziehungsweise niedrigere Stellenschaffung.

Der flächendeckende Mindestlohn wurde am 1. Januar 2018 drei Jahre alt. Seiner Einführung ging eine kontroverse Debatte über die zu erwartende Beschäftigungswirkung voran. Das ifo-Institut etwa prophezeite den Verlust von bis zu 900.000 Arbeitsplätzen. Die damalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles dagegen versprach, dass 3,7 Millionen Menschen in den Genuss eines höheren Lohnes kommen würden. Zusätzliche Arbeitslosigkeit erwartete sie nicht.

Erste wissenschaftliche empirische Studien erlauben nun Rückschlüsse auf die kurzfristige Beschäftigungswirkung des Mindestlohns. Dieser hat demnach einen negativen, wenn auch quantitativ bescheiden ausfallenden Beschäftigungseffekt, wobei Minijobs stärker betroffen sind als reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Die neuen Erkenntnisse aus Deutschland passen zu den Ergebnissen der Mindestlohnforschung in anderen Ländern, die zeigen, dass eine Erhöhung des Mindestlohns um 10 % durchschnittlich zum Abbau von etwa 1 % der Arbeitsverhältnisse in der vom Mindestlohn betroffenen Gruppe führt. Angesichts der ersten deutschen und vielfältigen internationalen Forschungsergebnisse scheint die von der politischen Linken vorgeschlagene kurzfristige Anhebung des Mindestlohns um mehr als 30 % auf 12 € wenig attraktiv.

Einführung des Mindestlohns: Eine kontroverse Debatte

Wieso war die deutsche Mindestlohndebatte so kontrovers, wenn internationale Studien doch ein recht eindeutiges Bild zeichnen – nämlich schwache negative Beschäftigungseffekte? Viele Kommentatoren verwiesen auf die besondere Situation in Deutschland, welche Rückschlüsse auf Basis der Erfahrungen anderer Länder relativiere: Schon vor der Einführung des flächendeckenden Mindestlohns existierten in zahlreichen Industrien branchenspezifische Lohnuntergrenzen. Zudem ist vor allem außerhalb der wissenschaftlichen Forschung die Ansicht weit verbreitet, Deutschland leide an einer zu geringen Binnennachfrage und ein höherer Mindestlohn könne zu einer Ausweitung der Nachfrage nach Arbeit führen.

Doch auch wenn jedes Land gewiss spezifische Eigenheiten aufweist, gab es für Ökonomen keinen Grund für die Annahme, dass eine fundamentale Regelmäßigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gelten solle: Wenn der Preis einer Dienstleistung – in diesem Fall der erbrachten Arbeit – steigt, so wird sie weniger häufig nachgefragt. Unklar ist jedoch, wie stark der Nachfragerückgang ausfällt. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von der Preiselastizität der Arbeitsnachfrage.

Effekt des Mindestlohns: Messung anspruchsvoll

Ein weiterer Grund für die polarisierte Debatte liegt in der Schwierigkeit, die Arbeitsmarkteffekte des Mindestlohns verlässlich zu messen. Einfache Vorher-Nachher-Vergleiche bilden die tatsächlichen Effekte nicht ab, da sie nicht berücksichtigen, wie der Arbeitsmarkt heute aussähe, wäre es nicht zur Einführung des Mindestlohns gekommen. So kann die Beobachtung, dass die Arbeitslosigkeit nach 2015 weiter gesunken ist nicht als Beleg für ausbleibende unerwünschte Wirkungen des Mindestlohns herhalten- Vielmehr wurde ein negativer Beschäftigungseffekt des Mindestlohns möglicherweise von anderen gegenläufigen Entwicklungen überlagert.

Die Messung der Beschäftigungseffekte des Mindestlohns erweist sich deshalb als eine weitaus anspruchsvollere Herausforderung, als viele Kommentatoren dies in ihren Erfolgsmeldungen nach 2015 suggerierten. Aus diesem Grund suchen Arbeitsmarktforscher nach plausiblen Vergleichsgruppen, d.h. Individuen, Unternehmen oder Regionen, die in unterschiedlichem Maße vom Mindestlohn betroffen sind, sich aber in anderen arbeitsmarktrelevanten Eigenschaften ähneln. Das Ausmaß der Betroffenheit vom Mindestlohn einer solchen Vergleichsgruppe wird dabei als der „Biss“ des Mindestlohns bezeichnet.

 

Studien für Deutschland seit 2015: Beschäftigungseffekt schwach und negativ

Eine der ersten zuverlässigen Analysen liefern Mario Bossler und Hans-Dieter Gerner (2016) vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mittels einer Differenz-von-Differenzen-Schätzung. Basierenden auf dem IAB-Betriebspanel, einem repräsentativen Survey deutscher Arbeitgeber, vergleichen die Autoren Betriebe vor und nach 2015 unter Berücksichtigung des Ausmaßes, in dem ein Betrieb vom Mindestlohn betroffen ist. Sie finden, dass es unter den betroffenen Betrieben zu einem Beschäftigungsrückgang von 1,9 % oder 60.000 Arbeitsplätzen kam – hauptsächlich aufgrund nicht erfolgter Neueinstellungen. In einem weiteren Paper findet Mario Bossler (2017), dass die voraussichtlich vom Mindestlohn betroffenen Arbeitgeber 2014 erwarteten, dass die Rate mit der sie zukünftig neue Beschäftigungsverhältnisse schaffen werden um 0,9 Prozentpunkte sank – eine Erwartung, die sich nach 2015 punktgenau bestätigt hat.

Alfred Garloff (2017) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist in der Bewertung der Arbeitsmarkteffekte des Mindestlohns zurückhaltender. In seiner Analyse verwendet er alters- und geschlechtsspezifische Daten der 141 Arbeitsmarktregionen Deutschlands und berechnet den „Biss“ des Mindestlohns für 1.410 Regionen-Altersgruppen-Geschlecht-Zellen. Er zeigt, dass in stärker betroffenen Zellen nach 2015 relativ mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und relativ weniger Minijobs geschaffen wurden – ein Indiz dafür, dass vom Mindestlohn betroffenen Minijobs teilweise in reguläre Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt wurden. Da jedoch mehr Minijobs verloren gegangen sind als sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen wurden, ist in stärker betroffenen Zellen zugleich die Arbeitslosigkeit gestiegen.

Sebastian Schmitz (2017) von der Freien Universität Berlin verwendet ein ähnliches Forschungsdesign wie Garloff, untersucht jedoch stärker aggregierte Regionaldaten in einer Längsschnittanalyse über fast 50 Jahre. Er findet keinen Effekt auf die reguläre Beschäftigung, schätzt jedoch, dass im Jahr 2015 zwischen 150.000 und 200.000 Minijobs aufgrund des Mindestlohns verloren gegangen sind.

Marco Caliendo et al. (2017), ein breites Forscherteam aus Berlin und Potsdam, greifen auf Individualdaten aus der Verdienststrukturerhebung (SES) der EU und dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) zurück. Wie in den vorgenannten Studien aggregieren sie diese Daten in Regionen auf und setzen deren Mindestlohnbetroffenheit und Arbeitsmarktentwicklung zueinander ins Verhältnis. Die Autoren finden, dass zwischen 2014 und 2015 ca. 180.000 Minijobs, also 2,4 % aller Minijobs, durch den Mindestlohn verloren gegangen sind. Bezüglich regulärer Arbeitsverhältnisse ergeben einige Schätzungen einen Rückgang um bis zu 0,3 % oder 78.000 Jobs. Doch in anderen Spezifikationen finden sie keinen Effekt.

Lutz Bellmann et al. (2017) zeigen auf Basis des IAB-Betriebspanels, dass von der Einführung des Mindestlohns betroffene Betriebe weniger in die Fortbildung ihrer mittel- und hochqualifizierten Mitarbeiter investieren. Dieser Befund liefert einen Hinweis darauf, dass Arbeitgeber angesichts des Mindestlohns Kosten sparen, indem sie andere explizite und implizite Lohnbestandteile senken.

Fazit: Mindestlohn mit unerwünschten Nebenwirkungen

Drei Jahre nach der Einführung des Mindestlohns ist eine erste wissenschaftlich zuverlässige Abschätzung der kurzfristigen Beschäftigungseffekte möglich. Bisherige Studien zeigen, dass sich weder das Horrorszenario von fast einer Million verlorenen Jobs, noch der Traum einer beschäftigungsneutralen Lohnanhebung bewahrheitet haben. Unterm Strich hat der Mindestlohn zu leichten Jobverlusten geführt: 150.000 bis 200.000 Minijobs sind verloren gegangen. Einige, doch bei weitem nicht alle dieser Job wurden in reguläre Arbeitsverhältnisse umgewandelt, sodass insgesamt ca. 60.000 Stellen abgebaut bzw. nicht neu geschaffen wurden.

Auch wenn die bisherigen Beschäftigungseffekte des Mindestlohns nicht dramatisch ausfallen, sind diese arbeitsmarktpolitisch nicht unbedenklich und ließen sich verhindern, wenn der Mindestlohn durch stärkeres Aufstocken niedriger Löhne ersetzt würde. Zwar sind die schwachen negativen Beschäftigungseffekte angesichts der moderaten Höhe des Mindestlohns von 8,50 € bzw. 8,84 € seit 2017 nicht überraschend. Doch demonstrieren sie, dass die Teilnehmer auf dem deutschen Arbeitsmarkt auf gesetzliche Lohnuntergrenzen ähnlich reagieren, wie dies in anderen Ländern der Fall ist. Entsprechend würde eine deutliche Anhebung des Mindestlohns stärkere Beschäftigungseffekte hervorrufen. Gemäß der bisherigen Erfahrungen in Deutschland und anderen Ländern ließe die von der politischen Linken geforderte Anhebung um mehr als 30 % auf 12 € einen Beschäftigungsrückgang von etwa 3 % in der betroffenen Gruppe erwarten.

Zuerst erschienen bei IREF.

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