Am 22. Oktober trafen sich auf Einladung von Prometheus und der Tax Foundation, im Rahmen der vorgesehenen Hygienevorschriften, Steuerexperten zu eine Podiumsdiskussion zur Vorstellung des Index der internationalen Steuerwettbewerbsfähigkeit in der Landesvertretung des Landes Schleswig-Holstein in Berlin.

An der Diskussion beteiligten sich Dr. Monika Wünnemann, Abteilungsleiterin für Steuern und Finanzpolitik beim BDI, Roland Franke, Leiter der Steuer und Finanzpolitik in der Stiftung Familienunternehmen, Prof. Dr. Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft und der Obmann des Finanzausschusses im Bundestag Markus Herbrand.

Wünnemann kritisierte etliche Aspekte des deutschen Steuersystems. Besonders wichtig sei der Abbau der Bürokratie. Die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Steuersystems leide unter anderem an global einzigartigen Steuern wie der Gewerbesteuer oder unsinnigen Regelungen etwa bei den Absetzmöglichkeiten von Kursverlusten bzw. -gewinnen. Dadurch schrecke man Investoren aus dem Ausland ab und mache den Wirtschaftsstandort Deutschland unattraktiv. Zudem sei die Gewerbesteuer anfällig für Konjunkturschwankungen und daher keine verlässliche Einnahmequelle für die Kommunen, was in Krisenzeiten Subventionen durch den Bund notwendig mache. Der Mangel an digitaler Infrastruktur erschwere die Beseitigung der Mängel am deutschen Steuersystem. Auch den zwei-Säulen Vorschlag der OECD zur Reform des internationalen Steuerrechts bewertete Wünnemann als weitestgehend negativ für die deutsche Industrie. Die Gefahr liege unter anderem darin, dass Unternehmen Betriebsstätten und Firmensitze in ihre Absatzmärkte verlegen, wenn die aktuellen Entwicklungen in den Planungen der OECD bestand hätten. Dies würde den deutschen Staat Einnahmen und viele Menschen ihre Jobs kosten. Zudem drohe für Unternehmen Doppelbesteuerung. Der zunehmende bürokratische und juristische Aufwand, den die OECD-Reform durch zwischenstaatliche Steuerstreitigkeiten auslösen könnte, wäre ebenfalls von Nachteil.

Diese Nachteile sieht auch Roland Franke. Er erwähnte eine von der Stiftung Familienunternehmen beauftragte Studie des ifo. Sie verortete Deutschland auf den letzten Plätzen in Bezug auf ein für Familienunternehmen zuträgliches steuerpolitische Umfeld. Das führte Franke auch auf die mangelnde Digitalisierung zurück, was schon allein die Beschaffung der für die Studie notwendigen Daten in den Behörden erschwerte. Die Studie zeigt, dass die Steuerquote von 1998 bis 2017 von 17% auf 23% gestiegen ist. Unternehmen zahlen immer mehr Steuern und allein Familienunternehmen kommen für die Hälfte dieser Einnahmen auf. Unter diesem Gesichtspunkt kritisierte er die Erbschaftsteuer als Bremse der Konjunktur, die Familienunternehmen in ihrer Existenz bedrohen könne. Franke betonte vor allem, dass internationale Steuerangelegenheiten auch im Parlament und nicht nur in der OECD diskutiert werden sollten.

Prof. Dr. Stefan Kooths schließt sich seinem Vorredner an mit der Feststellung, dass, trotz einer kleineren industriellen Rezession, die Steuerquote im Jahr 2019 den Höchststand seit der Wiedervereinigung erreicht habe: 24% in Relation zur Wirtschaftsleistung. Dies stehe auch im Zusammenhang mit dem race-to-the-bottom-Mythos: Im Gegensatz zur weitläufigen Meinung, könne man sehen, dass im OECD-Vergleich die Steuereinnahmen der einzelnen Länder in Relation zum Wirtschaftswachstum eher zu- als abnehmen, weil leicht sinkende Steuersätze meist an eine breiter werdende Bemessungsgrundlage gekoppelt sind. In Bezug auf die Steuersätze könne man OECD-weit eher ein race-to-the-middle identifizieren, da Hochsteuerländer ihre Steuersätze eher senken, während Niedrigsteuerländer sie anheben. In einem Ausblick auf mögliche Reformen brachte Kooths nicht nur die Abschaffung der Gewerbesteuer ins Spiel, sondern forderte auch, sich der Grundsatzfrage zu stellen, ob man Unternehmen überhaupt besteuern sollte, da nicht nur Kapitaleigentümer, sondern ebenso die Angestellten und Konsumenten besteuert würden. Ein Ausweg aus dieser Problematik könnte ein Paradigmenwechsel von der Steuerfinanzierung hin zur Nutzerfinanzierung sein. So stelle sich etwa im Bereich der Verkehrsinfrastruktur die Frage, warum diese aus Steuermitteln finanziert werden solle und nicht durch die jeweiligen Nutzer, etwa über ein Mautsystem. Zur Vermeidung der heimlichen Steuererhöhung schlug Kooths einen “Tarif auf Rädern” vor, bei dem die Steuertarife an die Inflation bzw. an das Wachstum der Nominaleinkommen gekoppelt seien.

Die steigende Steuerquote war auch ein zentraler Kritikpunkt von Markus Herbrand. Der Abgeordnete fürchtet, dass das hiesige Steuersystem die Wettbewerbsfähigkeit des Standort Deutschland einschränken könnte. Darüber hinaus wies er ebenfalls auf strukturelle Schwächen hin, wie etwa bei Zurechnungsbesteuerung und Gewerbesteuer sowie die umständliche  Besteuerung unterschiedlicher Rechtsformen. Mit der Thesaurierungsbesteuerung habe der Gesetzgeber, anders als versprochen, sogar noch mehr Bürokratie aufgebaut anstatt Unternehmen zu entlasten. Zum Thema der geplanten globalen Steuerreformen äußerte Herbrand lapidar: “Alte Steuern sind gute Steuern.” Dies bezog sich auf den Umstand, dass mit einem Systemumstieg auch immer eine weitere Bürokratisierung zu erwarten ist. Herbrand betonte, dass eine aktive Beteiligung des Parlaments bei Planung und Durchführung der OECD-Reformen absolut unerlässlich sei.

Die zunehmend schwache Stellung Deutschlands im Wettbewerb mit anderen Staaten um ein effizientes und wachstumsfreundliches bereitete allen Anwesenden Sorge. Der Wirtschaftsstandort Deutschland kann durch Fleiß und Köpfchen weit kommen, bedarf aber auch eines Rahmens, der weder durch Überregulierung noch durch finanzielle Überbelastung ausgerechnet diejenigen besonders trifft, die Arbeitsplätze schaffen, Ressourcen erwirtschaften und jenen Wohlstand für alle schaffen, der unser Land so lebenswert macht.

Die Zusammenfassung der Veranstatung entstand unter Mitarbeit unseres Praktikanten Maximilian Dreutler.

Photo: Phinehas Adams from Unsplash (CC 0)

Von Johan Norberg, Publizist, Autor von „Fortschritt – ein Motivationsbuch für Weltverbesserer“, erschienen in der Edition Prometheus.

Wir erleben gerade außerordentlich schwere Zeiten in vielerlei Hinsicht. Ich fühle mich dabei an einen Satz aus F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby erinnert:

„Der einsamste Moment im Leben eines Menschen: Zusehen, während seine ganze Welt zusammenbricht, und nur noch ausdruckslos starren können.“

Ich muss zugeben, dass das meine Gefühle zu dem Zeitpunkt gut beschreibt, als in ganz Europa die Lichter erloschen, Grenzen und Geschäfte geschlossen wurden und ein Land nach dem anderen sich in den Lockdown verabschiedete. Das war für mich ein einschneidender Moment.

Gerade zu dem Zeitpunkt hatte ich den Text eines Buches fertiggestellt, das den Titel trägt: „Open – the Story of Human Progress“. Ich beschäftigte mich damit, wie Gesellschaften in der Vergangenheit Fortschritt erzielt haben, und untersuche zugleich, wodurch sie diesen Fortschritt wieder zunichte gemacht haben. Die Schlussfolgerung meiner Arbeit war, dass der Niedergang offener Gesellschaften früher meist auf Krisenzeiten zurückzuführen war: Rezessionen, Invasionen, Naturkatastrophen oder Pandemien. Als kurz darauf die Pandemie ausbrach, lief es mir eiskalt den Rücken herunter.

All das gab es schon einmal. Wenn die Angst zunimmt, kommen Menschen auf die Idee, die Freiheitsräume ihrer Nachbarn einzuschränken, weil sie fürchten, dass sie mit diesen Freiheiten unverantwortlich umgehen könnten. Wenn die Angst zunimmt, kommen Menschen auf die Idee, sich von der Außenwelt abzuschotten, weil jeder Andersartige gefährlich sein könnte. Wenn die Angst zunimmt, kommen Menschen auf die Idee, dass ein starker Mann die Kontrolle übernehmen sollte, um uns zu beschützen. Und wenn die Angst zunimmt, kommen Menschen auf die Idee, dass Regierungen neue Befugnisse übernehmen sollen: Staatliche Überwachung statt offener Gesellschaften. Krisensozialismus statt freier Märkte. Selbstgenügsamkeit statt internationalem Handel. Wir haben schon gesehen, wohin diese Vorstellungen führen. Und jetzt sind sie wieder auf dem Vormarsch. Das ist gefährlich, denn ich bin davon überzeugt: Wenn wir die Angst und ihre Ursachen wirkungsvoll bekämpfen wollen, müssen wir das genaue Gegenteil dieser Forderungen umsetzen müssen.

Die erste globale Hochphase der Pandemie im Frühjahr hat uns über den internationalen Handel eines gelehrt: Es bringt Probleme mit sich, wenn wir uns für alle Waren und Zwischenprodukte auf die Produktion in einem einzigen Land verlassen. Besonders problematisch hat sich das am Beispiel Chinas gezeigt. Die Lösung dieser Probleme kann allerdings nicht darin liegen, seine Lieferketten noch weiter zu konzentrieren.

In Schweden konnten Fabriken nur deshalb wieder den Betrieb aufnehmen, weil sich in Asien Wirtschaft und Handel wiederbelebten und dringend benötigte Güter von dort importiert wurden. Hätten wir hingegen alles an einem einzigen Ort konzentriert, hätte schon ein weniger dramatisches und rein lokales Problem die gesamte Produktion zum Erliegen bringen können. Krisenzeiten sollte man nicht mit noch stärkerer Konzentration begegnen, sondern mit Dezentralisierung, Vielfalt und Flexibilität.

Zum Schutz ihrer Bürger erlassen Staaten Exportverbote für Schutzausrüstungen und andere sensible Güter. Die vielerorts beobachteten Lieferengpässe und gestiegene Preise sind zu großen Teilen auf solche Exportverbote zurückzuführen. Als Regierungen die Grenzen abriegelten, unterbrachen sie den alltäglichen Fluss von Waren, Dienstleistungen und Menschen vom einen auf den anderen Tag.

Plötzlich musste ein Unternehmen in Tschechien, das Schutzausrüstung herstellt und den europäischen Markt beliefert, die Produktion einstellen, weil die polnischen Mitarbeiter morgens nicht mehr über die polnisch-tschechische Grenze zur Arbeit fahren konnten.

Das grundlegende Problem dieses Krisensozialismus ist offensichtlich: Egal unter welchen Umständen: Krisensozialismus bleibt immer noch Sozialismus – und funktioniert immer noch nicht! Wir wünschen uns einen starken Staat, der uns in die richtige Richtung führt. Was aber, wenn er uns in die falsche Richtung führt?

Die gegenwärtige Krise gibt uns das denkbar stärkste Argument für unsere Ideen an die Hand. Wir konnten gerade erleben, wie eine Welt aussieht, in der wir uns isolieren. Wir erlebten eine alptraumhafte Kombination der Visionen von Greta Thunberg und Matteo Salvini: Keine Reisen, keine Mobilität, kein Handel, kein Offshoring, keine kapitalistische Ausbeutung …  Diese Welt sieht gar nicht so herrlich aus wie in deren Werbefilmchen.

Wir haben unsere Welt für nur wenige Monate heruntergefahren. Die Ergebnisse: globale Wirtschaftskrisen, Massenarbeitslosigkeit, Armut und Hunger. Das Frühjahr war wie der Trailer eines Horrorfilms. Nach diesem Trailer möchte ich den Film auf keinen Fall in voller Länge anschauen müssen.

Andererseits durften wir erleben, wie viel doch selbst unter widrigen Umständen funktioniert. Während die Politik vielerorts versagte, passten sich Einzelpersonen, Organisationen und Unternehmen schnell an die neuen Umstände an. Sie änderten ihre Geschäftsmodelle, Produktionsprozesse und Lieferketten, um Regale zu füllen, notwendige Lieferungen ans Ziel zu bringen, die Produktion am Laufen zu halten und Bedürftigen zu helfen. Innerhalb kürzester Zeit stellten Fabriken Waren her, von denen wir Anfang des Jahres noch nicht einmal ahnen konnten, dass wir sie benötigen könnten. Destillerien und Parfümhersteller produzierten Desinfektionsmittel, Hersteller von Hygieneartikeln stellten auf die Produktion von medizinischen Handschuhen und Gesichtsmasken um. In nur wenigen Wochen stieg die Zahl der europäischen Unternehmen, die Gesichtsmasken herstellen, von 12 auf 500.

Diese Veränderungen hätte niemals ein zentraler Planer am Reißbrett entwerfen können, da erst das Wissen über die Umstände vor Ort die Umstellungen ermöglicht hat. Einzelpersonen und Unternehmen wissen selbst am besten, wozu sie in der Lage sind, welche Kapazitäten und welche Arbeitskräfte ihnen zur Verfügung stehen, und vor allem, worauf sie verzichten können, ohne an anderen Stellen verheerende Engpässe zu schaffen. Zur Krisenbewältigung brauchen wir keinen Sozialismus. Wir brauchen Hayek für Krisenzeiten!

In Schweden sehen wir, wie das umgesetzt werden könnte. Schweden ist das einzige Land, in dem die Regierung keine Grenzen, Geschäfte und Restaurants geschlossen hat und auch Social Distancing nicht durch Ausgangssperren erzwungen hat. An diesem Beispiel können wir sehen, dass Menschen freiwillig ihr Verhalten ändern können, wenn ihnen klar ist, dass Menschenleben auf dem Spiel stehen. Schweden reduzierten ihre Mobilität fast so sehr wie Menschen in Ländern mit weitaus größeren Einschränkungen. Und sie taten das, ohne dass sie von Polizisten auf der Straße kontrolliert wurden. Der schwedische Ansatz ermöglichte eine Offenheit für lokales Wissen und Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse.

Die Krisenbewältigung in Schweden , die spontane Entwicklung in Krisenzeiten und die Anpassung an neue Umstände sollten uns als Lehren und Inspirationen für unser weiteres Vorgehen dienen – gerade angesichts der autoritären Forderungen und Maßnahmen im Rahmen der Krisenbewältigung. All die Vorschriften, Genehmigungen und Verbote sind Hindernisse für Veränderung, Anpassung und Umstrukturierung, die immer notwendig sind, in den jetzigen Zeiten aber mehr denn je. Viele Regierungen halten Menschen davon ab, ihr ortsgebundenes Wissen und ihre individuellen Talente für die Krisenbewältigung einzusetzen – stattdessen setzen sie allein auf das begrenzte Wissen der wenigen Menschen an der Spitze. Das ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich.

Wir erleben momentan widrige Zeiten. Aber um es mit den Worten der großen Philosophen von Coldplay zu sagen: „Nobody said it was easy!“ Gerade jetzt aber werden unsere Ideen am allermeisten benötigt.

Das hat Hayek, Mises und Friedman zu Legenden gemacht: Sie waren zwar allesamt brillante Denker – unvergesslich wurden sie allerdings erst durch die großen Widerstände, gegen die sie ankämpfen mussten. Sie schreckten vor dem Gegenwind nicht zurück, sondern hielten auch in schweren Zeiten durch. Wir brauchen Menschen, die nicht nur ausdruckslos starren und zusehen, wie unsere Welt zusammenbricht. Denn wie schon Hemingway wusste: Die Welt ist ein guter Ort und es lohnt sich, für sie zu kämpfen.

Dies ist eine gekürzte Version der Ansprache, die Norberg beim Europe Liberty Forum 2020 des Atlas Network gehalten hat.

Photo: Christoph Scholz from Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)

Von Claus Vogt, Börsenbrief „Krisensicher investieren“.

Die EU finanziert im Rahmen ihrer Zuständigkeiten eine Fülle von Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten. Bei solchen Förderungen ist vorgesehen, dass sich die Mitgliedstaaten mit einem Eigenanteil an den Ausgaben beteiligen. In Deutschland sind in der Regel die Bundesländer für Fördermaßnahmen zuständig und tragen dementsprechend den Eigenanteil. Soweit nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes zulässig, beteiligt sich auch der Bund an der Finanzierung.

Wesentliche Instrumente der europäischen Förderpolitik sind die beiden großen EU-Strukturfonds, nämlich der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Europäische Sozialfonds (ESF). Aus diesen Fonds werden Maßnahmen gefördert, welche die Regionen wettbewerbsfähiger machen, wirtschaftliches Wachstum begünstigen und Arbeitsplätze schaffen sollen.

Um an die Gelder der EU heranzukommen, ist jedoch regelmäßig eine Vielzahl von bürokratischen Hürden zu überwinden. Weil es in früheren Jahren Korruptionsvorwürfe gab, hat sich die EU-Kommission für die genannten Förderprogramme ein überaus kompliziertes Verfahren ausgedacht. Die Empfängerländer müssen aufwendige Verwaltungs- und Kontrollsysteme einrichten, um den Vorgaben der EU gerecht zu werden. Eine Fülle verschiedener Behörden zahlt aus, bescheinigt und kontrolliert in einem hochbürokratischen Verfahren.

Der administrative Aufwand bei Fördermaßnahem der EU wurde ermittelt  

Ein Gutachter hat vor kurzem in einem ostdeutschen Bundesland untersucht, welcher Verwaltungsaufwand bei der Durchführung der Fördermaßnahmen aus den beiden Strukturfonds entsteht. Der administrative Aufwand ergibt sich im Wesentlichen aus den von der EU vorgeschriebenen Verwaltungs- und Kontrollsystemen. Der Gutachter hat das mit der Abwicklung der Fördermaßnahmen beschäftigte Personal des Bundeslandes ermittelt und anschließend eine Vollkostenrechnung durchgeführt. Die so berechneten administrativen Kosten hat er in Relation zu den Fördermitteln aus den Strukturfonds gesetzt.

Dem Bundesland fließen EU-Mittel von rund 1,7 Milliarden Euro zu  

In der Förderperiode 2014 bis 2020 stehen dem ostdeutschen Bundesland aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Europäischen Sozialfonds insgesamt rund 1,7 Milliarden Euro zur Verfügung. Zusammen mit dem von dem Bundesland aufzubringenden Eigenanteil ergibt sich ein Gesamtfördervolumen von nahezu 2,1 Milliarden Euro. Gemäß den Vorgaben der EU hat die Landesverwaltung für jeden der beiden Strukturfonds eine Verwaltungsbehörde, eine Bescheinigungsbehörde, eine Prüfbehörde, eine Prüfstelle sowie zwischengeschaltete bzw. beauftragte Stellen eingerichtet.

Die Verwaltungskosten betrugen 8,9 bzw. 16,6 Prozent  

Für die Förderperiode 2014 bis 2020 hat der Gutachter für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung einen Verwaltungsaufwand von 130,0 Millionen Euro bei Fördermitteln inklusive Landesanteil von 1.456,3 Millionen Euro errechnet. Das entspricht einem Anteil von 8,9 Prozent. Bei dem Europäischen Sozialfonds belief sich der Verwaltungsaufwand auf 103,0 Millionen Euro bei Fördermitteln inklusive Landesanteil von 624,1 Millionen, was einem Anteil von 16,6 Prozent entspricht. Auffällig ist, dass der Verwaltungsaufwand beim Sozialfonds fast doppelt so hoch war wie beim Regionalfonds. Ursächlich hierfür ist nach Ansicht des Gutachters die häufig zu kleinteilige Förderpraxis beim Europäischen Sozialfonds. Der Gutachter hat empfohlen, bei der Vorbereitung für die nächste Förderperiode den Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Administrative Aufgaben sollten zentralisiert und die Förderung durch Kleinstbeträge vermieden werden.

Die Subventionierung durch die EU sollte zurückgefahren werden      

Natürlich ist es sinnvoll, den Verwaltungsaufwand bei den beiden in Rede stehenden Strukturfonds zu verringern, damit die Fördermittel möglichst ungeschmälert für den vorgesehenen Zweck eingesetzt werden können. Aber die grundlegende Problematik der EU-Förderung liegt ganz woanders. Die Erfahrung gerade bei der Strukturförderung zeigt, dass mit den Fördermitteln häufig keine unerfüllten Bedarfe gedeckt werden, sondern dass sich die potentiellen Empfänger Projekte ausdenken, um in den Genuss der Förderung zu kommen. Über weite Strecken liegt mithin eine Fehlleitung von Ressourcen vor. Im Grunde spricht vieles dafür, die Subventionierung durch die EU stark zurückzufahren. Aber das Gegenteil findet gerade statt: Die Mitgliedstaaten pumpen immer höhere Beträge in den EU-Haushalt, insbesondere jetzt, im Zuge der sogenannten Coronakrise, um sich dann einen Teil der Mittel im Rahmen aufwendiger Verfahren wieder zurückzuholen. Ein völlig aus dem Ruder gelaufenes System.

Photo: Blaise Alleyne from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre.

Die EU sollte sich nicht daran versuchen, aktiv regionale Cluster der Digitalwirtschaft zu fördern oder gar als Wagniskapitalgeber aufzutreten. Stattdessen sollte sie sich auf eine ihrer Kernkompetenzen konzentrieren und durch die Öffnung nationaler Märkte zur Vervollständigung des Binnenmarktes beitragen.

Google, Apple, Amazon, Facebook, Uber, Airbnb – die Liste ließe sich weiterführen. Diese und viele andere Unternehmen haben in den vergangenen Jahren mit neuen Technologien unser Leben tiefgreifend verändert. Die Geschäftsmodelle sind verschieden, doch die großen Stars haben eines gemeinsam: Sie kommen nicht aus Europa. In Deutschland gibt es mit SAP nur einen großen digitalen Konzern, wenn man von den Seriengründern bei Rocket Internet in Berlin absieht. Kommt der EU eine Rolle bei dem Versuch zu, das zu ändern? Ja, allerdings nicht mithilfe neuer Subventionen und detailreicher Regulierungen, sondern mit einer EU-Kernkompetenz: Märkte offen halten.

Wenig Tech-Unternehmen in Europa

Nicht nur bei den etablierten Platzhirschen, auch bei den potentiellen Superstars der Zukunft sieht es in Europa eher mau aus. Einen aktuellen Überblick über Startups, die eine Bewertung von mehr als 1 Milliarde US Dollar aufweisen oder kurz davor stehen, bietet CB Insights. Dort werden derzeit fast 480 Startups gelistet. Sie sind meistens IT-zentriert und schwerpunktmäßig im Softwarebereich zu finden. Fast die Hälfte kommt aus den Vereinigten Staaten. Etwa ein Viertel ist in China zu finden, nur gut 12 Prozent in Europa und davon gut 40 Prozent in Großbritannien.

Für die relative Abwesenheit weltweit führender europäischer Technologieunternehmen ist eine Reihe von Faktoren verantwortlich. Längst nicht alle liegen im Einflussbereich der EU.

Euro-Valleys vergeblich gesucht

In Europa werden Cluster schmerzlich vermisst, in denen wissensbasierte Unternehmen mit Spitzenforschungseinrichtungen eng vernetzt sind. Während an der Westküste der USA weltweit führende Universitäten wie Stanford und Berkeley die innovativen Unternehmen des Silicon Valleys mit Talenten versorgen, hapert es in Europa bereits bei den Spitzenforschungseinrichtungen – vor allem auf dem Kontinent: Unter den weltweiten Top-20 Universitäten sind lediglich zwei Schweizer Institutionen als Vertreter des europäischen Festlandes zu finden.

Die Förderung von Clustern ist jedoch nicht Aufgabe der EU. Zum einen sind Cluster stets regionaler Natur. Das Interesse beispielsweise Spaniens, im Osten Frankreichs eine Forschungseinrichtung auf Weltniveau mitzufinanzieren, wäre vermutlich überschaubar. Zum anderen ist die Bildungspolitik auf Ebene der Mitgliedsstaaten oder wie in Deutschland auf untergeordneten Gebietskörperschaften angesiedelt. Aus diesen Gründen liegt es im Verantwortungsbereich der Mitgliedsstaaten und gegebenenfalls ihrer Gebietskörperschaften, die Voraussetzungen für Spitzenforschung an Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen zu verbessern, möglicherweise auch Staatsgrenzen überschreitend.

Wenig Wagniskapital

Junge Unternehmen, die riskante Geschäftsideen umsetzen wollen, greifen für ihre Finanzierung häufig auf Wagniskapitalgeber zurück und selten auf Bankkredite. Auch bei der Finanzierung durch Wagniskapital liegen die Staaten der EU gemäß Daten der OECD deutlich abgeschlagen hinter den USA. So wurde im Jahr 2019 in den USA Wagniskapital in Höhe von mehr als 0,63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung gestellt. In Deutschland waren es mit 0,056 Prozent nur etwa ein Zehntel des Anteils der USA.

Dabei ist der Abstand zu den Vereinigten Staaten im Bereich Wagniskapital in den letzten Jahren nicht etwa geschrumpft – im Gegenteil. Das Volumen in den USA stieg zwischen 2010 und 2019 um 345 Prozent, während in Deutschland der Zuwachs bei 130 Prozent und in Frankreich bei 215 Prozent lag. Einige osteuropäische Staaten und Korea konnten einen größeren relativen Wagniskapitalzuwachs aufweisen als die Vereinigten Staaten. Alle anderen EU-Staaten hatten geringere Zuwachsraten oder gar Rückgänge zu verzeichnen.

Weniger Finanzierung durch Wagniskapital ist die andere Seite der Medaille fehlender Cluster der digitalen Industrie in Europa. Wagniskapital und innovative Geschäftsideen bedingen einander. In den USA sind in Kalifornien an der Westküste aber auch ums MIT und Harvard an der Ostküste Netzwerke von Forschungseinrichtungen, Unternehmen, erfolgreichen Gründern und Investoren entstanden, die nicht per Plan und Beschluss geschaffen werden können. Die EU sollte folglich nicht den Versuch unternehmen, durch die eigene Bereitstellung von Wagniskapital – beispielsweise über die Europäische Investitionsbank – den Technologiestandort Europa zu fördern. Zum einen hat sie weder das notwendige Expertenwissen, noch sehen sich ihre Vertreter ähnlichen zu Sorgfalt und Risikofreude führenden Anreizen gegenüber wie private Investoren, die ihre eigenen Mittel einsetzen. Zum anderen gehen Wagniskapital und innovative Geschäftsideen unter den richtigen Voraussetzungen miteinander einher. Allein die Bereitstellung von Wagniskapital führt nicht zu guten Geschäftsideen.

Größte Volkswirtschaft, aber kleine Märkte

Wachsen erfolgreiche neue Unternehmen im Informations- und Kommunikationstechnologiesektor zunächst organisch in ihren Heimatmärkten, ist ein größerer Heimatmarkt von Vorteil. Zwar ist der EU-Binnenmarkt mit über 500 Millionen Konsumenten riesig, auch im Vergleich zu den USA. Doch der Markt ist immer noch stark fragmentiert. Dafür verantwortlich sind zum einen sprachliche und kulturelle Barrieren. So gibt es in der EU 24 Amtssprachen. Verträge, AGBs, Webseiten und Apps müssen von Anbietern 23-mal übersetzt werden, wenn sie den gesamten EU-Markt bedienen wollen. Ein Umstand, der kaum durch politische Rahmenbedingungen geändert werden kann. Zum anderen erschweren rechtliche und regulatorische Besonderheiten auf nationaler Ebene es Firmen, von Beginn an den gesamten EU-Markt zu bedienen und eine weltweit kritische Größe zu erreichen.

Während der EU-Binnenmarkt für Güter weitgehend von nationalen Barrieren befreit ist, ist dies für Dienstleistungen nicht der Fall. Hier liegt das größte Handlungspotential der EU, um europäischen Startups bessere Rahmenbedingungen zu ermöglichen.

Der digitale Binnenmarkt: Dienstleistungen liberalisieren

Es stehen zwei Mittel zur Verfügung, rechtliche und regulatorische Hürden für den grenzüberschreitenden Handel mit Waren und Dienstleistungen zu beseitigen.

Erstens können Regeln harmonisiert werden. So sieht die digitale Binnenmarktstrategie von 2015 unter anderem vor, Vertragsrechtsvorschriften für Onlinegeschäfte weiter anzugleichen. Händler müssten dann weniger als bisher auf nationale Besonderheiten Rücksicht nehmen und Verbraucher könnten darauf vertrauen, dass die gleichen Regeln bei aus- wie inländischen Anbietern angewendet werden.

Die mit der Regulierungsharmonisierung einhergehende Gefahr ist jedoch, dass sie nicht die Erprobung innovativer Produkte in ganz Europa ermöglicht, sondern vielmehr Möglichkeiten zum Experimentieren im Gebiet der gesamten EU einheitlich einschränkt.

Liberalisierung durch gegenseitige Anerkennung

Zweitens können Regulierungen gegenseitig anerkannt werden. Diese Alternative verspricht einen einfacheren Austausch von Waren und Dienstleistungen ohne potentiell schädliche Folgen einer Harmonisierung. Dies ist bei Gütern in der EU, für die kein einheitliches EU-Recht existiert, bereits gängige Praxis. So dürfen Waren, die in einem Mitgliedsland legal in Verkehr gebracht werden, auch in den anderen EU-Staaten verkauft werden. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wird jedoch nicht auf Dienstleistungen angewendet, obwohl die EU-Kommission genau das ursprünglich geplant hatte.

Der Entwurf für die Dienstleistungsrichtlinie aus dem Jahr 2006 sah vor, dass für Dienstleistungen das Herkunftslandprinzip gelten sollte. Dies hätte zufolge gehabt, dass in einem EU-Land legale Dienste auch legal in den übrigen EU-Staaten hätten angeboten werden dürften. Statt dem Herkunftslandprinzip zu folgen, wurden Regeln für Dienstleistungen harmonisiert – mit umfassenden Ausnahmen. So gelten unter anderem keine harmonisierten Regeln für Dienstleistungen von „allgemeinem Interesse“, Finanzdienstleistungen, Dienstleistungen und Netze der elektronischen Kommunikation, öffentliche und private Gesundheitsdienstleistungen sowie Verkehrsdienstleistungen und Glücksspiele. Diese Bereiche werden weiterhin national reguliert. Die Ausnahmen zeigen, dass der EU-Binnenmarkt gerade in Bereichen fragmentiert ist, die als besonders vielversprechend für digitale Innovationen erscheinen.

Um europäischen Anbietern von Technologiedienstleistungen den Zugang zu einem wahrlich gemeinsamen Heimatmarkt zu ermöglichen, sollte die EU auch bei Dienstleistungen zur gegenseitigen Anerkennung von Regeln übergehen.

Barrieren abbauen und Tee trinken

Im Einsatz für den Digitalstandort Europa sind die Möglichkeiten der EU zwar begrenzt, aber gewiss nicht zu vernachlässigen. Die EU sollte sich nicht daran versuchen, aktiv regionale Cluster der Digitalwirtschaft zu fördern oder gar als Wagniskapitalgeber aufzutreten. Stattdessen sollte sie sich auf eine ihrer Kernkompetenzen konzentrieren und durch die Öffnung nationaler Märkte zur Vervollständigung des Binnenmarktes beitragen. So könnte sie den häufig von Netzwerkeffekten getriebenen digitalen Geschäftsideen und den Startups, die diese umsetzen, zu einem leichteren Start in Europa verhelfen, was Grundlage eines weltweiten Erfolgs sein kann.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: kirk from Unsplash (CC 0)

Von Norbert Häring, Journalist.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat gestern in mündlicher Verhandlung über die Fragen des Bundesverwaltungsgerichts in meinem Rechtsstreit mit dem Hessischen Rundfunk beraten. Es geht um das Recht auf Barzahlung des Rundfunkbeitrags und übergreifend um die Frage, ob öffentliche Stellen Bargeld annehmen müssen. Es war ein großer Auftrieb. Hier einige der Highlights der Veranstaltung.

Niemand kann behaupten, die Bargeldfrage würde von den europäischen Institutionen und den Regierungen nicht ernst genommen. Vom stark erhöhten, halbrunden Richterpult im großen Saal des Gerichts blickten 15 Richterinnen und Richter und der EU-Generalanwalt auf rund ein Dutzend Prozessbevollmächtigte verschiedener Institutionen und mich, den Kläger im Ursprungsverfahren, herab. Anders sieht es bei Presse, Funk und Fernsehen aus. Sie wohnten der öffentlichen Verhandlung nicht bei.

Zur Erinnerung. Das Bundesverwaltungsgericht hatte entschieden, dass §14 Bundesbankgesetz öffentliche Stellen, darunter den Rundfunk, verpflichtet, die Barzahlung hoheitlicher Abgaben zu ermöglichen. Es hatte dem EuGH Fragen dazu gestellt, ob der deutsche Gesetzgeber tatsächlich noch die Kompetenz hat, so etwas zu regeln, oder ob das alleiniges Vorrecht der EU ist. Schon damals hatten sich die Medien nicht nennenswert für den Beschluss des Bundesverwaltungsgericht interessiert, den man für aufsehenerregend halten konnte.

Entsprechend der wichtigen und grundsätzlichen Fragestellung schickten neben dem Hessischen Rundfunk und dem Kläger auch die Bundesregierung, Frankreich, die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Anwältinnen und Anwälte, um zu dem Thema Stellung zu nehmen. Entsprechend lang dauerte die Verhandlung (ca. 3,5 Stunden). Die italienische Regierung hatte sich ebenfalls ausführlich schriftlich geäußert, erschien aber nicht zu der Verhandlung im Gerichtsgebäude in der rue du fort Niedergrünwald in Luxemburg, das in seiner Anmutung ein wenig an den Palast der Republik erinnert.

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Der EU-Generalanwalt hat angekündigt, am 29. September seine Entscheidungsempfehlung abzugeben, der das Gericht in den weitaus meisten Fällen folgt. Wie es ausgehen wird, ist in Anbetracht der Komplexität der aufgeworfenen Kompetenzfragen, der unterschiedlichen Meinungen der Verfahrensbeteiligten dazu und der Tatsache, dass sich das Gericht kaum in die Karten schauen ließ, schwer vorauszusagen.

Einige Higlights

Die sechs beteiligten Parteien durften jeweils ein Eingangsplädoyer von maximal 15 Minuten halten und wurden dann vom Gericht und vom Generalanwalt befragt. Dabei fielen einige bemerkenswerte Sätze und wurden erstaunliche Positionen deutlich.

Die EU-Kommission meinte in Reaktion auf die Einlassung der Vertreterin der französischen Regierung, klarstellen zu müssen, dass der Rundfunkbeitrag kein freiwilliger Beitrag ist, sondern eine Zwangsabgabe, “eine Steuer”.

Ansonsten wurde die Kommission ihrem Ruf als eifrige Anti-Bargeld-Kriegerin gerecht. Wenn es nach ihr ginge, müsste der Rundfunk nur behaupten, dass er Bargeld ablehnt, um die Mitarbeiter vor Überfällen und vor der Versuchung zu bewahren, selbst in die Kasse zu greifen (öffentliches Interesse) und außerdem eine Härtefallregel für Leute ohne Konto anbieten. Dann wäre das Bargeldverbot im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag aus Sicht der Kommission in Ordnung.

Der Rechtsvertreter des Hessischen Rundfunks antwortete auf die Frage des Gerichts, wie viele Fälle es eigentlich gebe, nach Auskunft des HR habe es sieben Fälle gegeben, in denen Beitragspflichtige Barzahlung angeboten hätten. Ich bin sicher die Zahl geht in die Tausende. Aber die Falschbehauptung kam aus anderen Gründen nicht gut an. Die 15 obersten Richterinnen und Richter waren erkennbar düpiert, dass sie sich stundenlang mit der Frage beschäftigen sollten, ob sieben Leute ihren Rundfunkbeitrag bar zahlen dürfen oder nicht und fragten, ob der Rundfunk das nicht vielleicht doch irgendwie möglich machen könne.

Der Vertreter der Bundesregierung stellte die mutige These auf, es komme nur auf die Währungseinheit Euro an, wenn es um das gesetzliche Zahlungsmittel geht. Die Form, ob auf Papier oder einem Konto, sei unwichtig. Das ist albern, da nicht nur Giralgeld (Bankguthaben) in Euro ausgedrückt ist, sondern viele Formen von handelbaren Schuldtiteln, darunter auch Anleihen. Diese wären dann alle gesetzliche Zahlungsmittel. Selbst mein Schuldschein an den Nachbarn könnte so zum gesetzlichen Zahlungsmittel mutieren, wenn er nur auf Euro lautet. Von Kommission und EZB wurde er belehrt, dass die einschlägigen Vorschriften explizit “Euro-Banknoten und -Münzen” zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklären, und sonst nichts.

Die Vertreterin der französischen Regierung vertrat (in Übereinstimmung mit der deutschen und italienischen Regierung) die Ansicht, Maßnahmen zum Gebrauch der Währung fielen nicht unter das Währungsrecht (für das allein die EU-Institutionen zuständig sind).

“Euro-Banknoten sind gedrucktes Vertrauen in den Euro”, widersprach der Vertreter der EZB. Im Gegensatz zu den Darlegungen der Regierungen betreffe das den Kern des Verantwortungsbereichs der Notenbank, weil sie für die Wirksamkeit ihrer Geldpolitik zentral darauf angewiesen sei, dass die Bürger darauf vertrauen, dass sie mit dem von der EZB ausgegebenen Geld immer bezahlen können und auch nicht mehr bezahlen müssen als mit anderen Zahlungsmitteln.

Die EZB widersprach auch dem Rundfunk, der behauptet hatte, es gebe keine akzeptable Möglichkeit, den Beitragspflichtigen Barzahlung zu ermöglichen. Nach Auskunft der Bundesbank gebe es in Deutschland eine Reihe Anbieter, die das ermöglichten. Die Kosten bewegten sich im Centbereich. Teuer werde es nur, wenn der Beitragspflichtige selbst jemand finden müsse, der gegen Barzahlung die vom Rundfunk geforderte Überweisung vornimmt.

Die EU-Kommission zeigte sich überrascht, dass die  deutsche und andere Regierungen nun plötzlich Regelungen zum gesetzlichen Zahlungsmittel nicht mehr als der Währungspolitik zugehörig betrachteten. Beim Konvent zur Vorbereitung des EU-Vertrags (AEUV) hätte keine Regierung den Ausführungen der EZB widersprochen, die diese Angelegenheit klar dem eigenen Kompetenzbereich zuordnete. Auch habe niemand Einspruch dagegen erhoben, dass die einschlägigen Artikel 128 und 133 AEUV im Kapitel mit der Überschrift “Währungspolitik” stehen. Auch sei die Euro-Einführungsverordnung von 1998 einstimmig angenommen worden. Deren Erwägungsgrund 1 stellt fest, dass es darin um währungsrechtliche Bestimmungen geht. Die Verordnung enthält einen Artikel, der Euro-Banknoten zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt.

Eine bemerkenswerte Frage des Gerichts lautete, es gebe ja in mehreren Mitgliedstaaten Entwürfe für den Übergang zu einer bargeldlosen Gesellschaft und viele betrachteten diesen Übergang als zwangsläufig. Wie sei dieser Übergang vereinbar mit dem Schutz der Privatsphäre der Bürger und der Integration der Schwächsten Mitglieder der Gesellschaft in das Wirtschaftsleben? Der EZB-Vertreter antwortete mit der Gegenfrage, wer diese bargeldlose Gesellschaft denn wünschen und vorantreiben würde. Seien es Lobbygruppen von Startups, die daran verdienen wollen, oder der Gesetzgeber, der an Nachverfolgbarkeit von Geldströmen interessiert ist, oder liege es an sinkendem Interesse der Bürger an Barzahlungen? Auch wenn viele aus Bequemlichkeitserwägungen zunehmend unbar bezahlten, sei das Interesse an Bargeld als Wertaufbewahrungsmittel sehr groß und im Zuge der Corona-Krise – wie in früheren Krisen regelmäßig – kräftig gestiegen.

Schlussbemerkung

Für unser Anliegen zur Rettung des Bargelds in Deutschland ist es nicht unbedingt günstig, wenn sich die These von der alleinigen EU-Zuständigkeit durchsetzt. Die Kommission vertritt die Ansicht, Artikel 14 Bundesbankgesetz sei deshalb nicht anwendbar. Damit könnte sie den bargeldfreundlichen Beschluss des Bundesverwaltungsgericht zur Rechtslage in Deutschland, der sich auf diesen Artikel bezieht, aushebeln. Wenn dann noch der EuGH der Linie der Kommission folgen würde, dass jede Behörde mit fast jedem beliebigen Vorwand des öffentlichen Interesses die Barzahlung einschränken oder verbieten kann, wäre der Weg für die Bargeldabschaffung weitgehend freigeräumt. Hoffentlich nutzt der EuGH nicht die Gelegenheit zu einer Retourkutsche an das Bundesverfassungsgericht, das die Rechtsauffassung des EuGH im Streit um die EZB-Geldpolitik kürzlich für falsch und unbeachtlich erklärt hatte, indem er seinerseits Teile des Bundesbankgesetzes für ungültig erklärt.