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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre. 

Auf den ersten Blick ist Vollkommenheit erstrebenswert. Doch Perfektion ist in vielen Fällen mit hohen Kosten verbunden. Immer mehr Ressourcen, die anderswo eingesetzt werden könnten, müssen verwandt werden, um noch das letzte bisschen Unvollkommenheit auszumerzen. Unvollkommenheit ist deshalb häufig optimal.

Optimale Unvollkommenheiten

Eine Welt ohne Morde, Kriminalität, Todesopfer im Straßenverkehr, Flugzeugunglücke und mit einer immer pünktlichen Deutschen Bahn sowie einer hundertprozentigen Recyclingquote. Wäre das nicht schön? Aktuell möchte Verkehrsminister Scheuer mit einer „Funkloch-App“ auch die letzten weißen Flecken in Mobilfunknetzen aufspüren und beseitigen. Auf den ersten Blick ist Vollkommenheit erstrebenswert. Doch Perfektion ist in vielen Fällen mit hohen Kosten verbunden. Immer mehr Ressourcen, die anderswo eingesetzt werden könnten, müssen verwandt werden, um noch das letzte bisschen Unvollkommenheit auszumerzen. Unvollkommenheit ist deshalb häufig optimal.

Trade-Offs und steigende Kosten

Ressourcen wie Rohstoffe und Arbeitszeit sind knapp. Ihre Verwendung auf eine Aktivität schließt eine alternative Verwendung aus. Werden Ressourcen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung eingesetzt, können sie nicht mehr für die Prävention von Kriminalität verwandt werden. Derartige Trade-Offs plagen uns, sobald Ressourcen lediglich begrenzt zur Verfügung stehen. Angestrebte Ziele können dann nur erreicht werden, wenn die Verfolgung anderer Ziele eingeschränkt wird.

Keine Morde, Kriminalität, Todesopfer im Straßenverkehr, Flugzeugunglücke und eine stets pünktliche Deutsche Bahn haben etwas gemein: Je näher man einem dieser Ziele kommt, desto größer ist der Aufwand, einen weiteren Schritt in Richtung der angestrebten Vollkommenheit zu machen. Der Ressourceneinsatz steigt überproportional und bei alternativen Zielen müssen immer mehr Abstriche gemacht werden. Dilemmata dieser Art sind allgegenwärtig.

100 Prozent Recycling?

Die Recyclingquote für Siedlungsabfälle ist von 56 Prozent im Jahr 2002 auf 67 Prozent im Jahr 2015 gestiegen. Dies sind grundsätzlich erfreuliche Nachrichten. Doch welcher Aufwand wurde betrieben, um die zusätzlichen 11 Prozentpunkte zu erreichen? Wurde relativ zum Nutzen wenig Aufwand betrieben, um die Recyclingquote zu erhöhen, dann wurden insgesamt Ressourcen geschont. Überstieg dagegen der zusätzliche Ressourcenaufwand die Einsparungen durch zusätzliches Recycling, hat sich die Steigerung nicht gelohnt.

Je höher die Recyclingquote ist, desto aufwändiger ist es, diese weiter zu erhöhen. Das Recycling jeder weiteren Einheit ist etwas teurer als für die Einheit zuvor. Eine hundertprozentige Recyclingquote wird daher kaum optimal sein. Eine Studie aus dem Jahr 2014 kommt zum Beispiel zu dem Schluss, dass die Recyclingquote in Japan ineffizient hoch sei. Dabei lag die Recyclingquote dort bei nur knapp über 20 Prozent.

Beste medizinische Versorgung?

Mückenstiche können gefährlich sein, auch in Deutschland. Nicht Malaria, sondern eine Entzündung und eine darauffolgende Blutvergiftung können schwerwiegende gesundheitliche Schäden hinterlassen. Eine schnelle ärztliche Behandlung ist bei einem Verdacht auf eine Blutvergiftung unabdinglich. Sollten deshalb alle Personen mit dem Verdacht auf einen Mückenstich auf die Intensivstation gebracht werden? Wollten wir die medizinische Versorgung auf das höchstmögliche Level anheben, wäre dies wohl die Folge. Auch hier zeigt sich, dass die Extremlösung nicht optimal ist.

Ebenso verhält es sich mit der Krankenwagendichte. In Notfällen ist es entscheidend, dass Patienten schnell medizinisch versorgt werden. Im ländlich geprägten Rheinland-Pfalz brauchen Krankenwagen im Durchschnitt etwa 7 Minuten bis sie einen Patienten erreichen. Immerhin 94 Prozent der Rheinland-Pfälzer können in unter 15 Minuten von einem Krankenwagen erreicht werden. Eine bessere Versorgung mit Krankenwagen wäre natürlich möglich. Doch in der dünnbesiedelten Eifel eine Abdeckung wie in Mainz zu garantieren, wäre sehr aufwendig. Auch eine wünschenswerte bessere Versorgung in den Städten ist mit immer höherem Aufwand verbunden. Es wäre kaum optimal, wenn jeder Straßenzug eine eigene Rettungswacht beherbergte. Die Kosten, auch die letzte Minute Anfahrtszeit zu reduzieren, sind schlicht zu hoch.

Hundertprozentige Medikamentensicherheit?

Wir alle wünschen uns, dass Medikamente unsere Gesundheit verbessern. Zu diesem Zweck werden Medikamente aufwendig geprüft. Doch die aufwendigen, staatlich geforderten Tests und Zulassungsverfahren führen nicht nur dazu, dass die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass ein schadhaftes Medikament auf den Markt kommt. Sie führen auch dazu, dass Erkrankte die von getesteten Medikamenten profitieren könnten, diese erst verspätet oder gar nicht erhalten.

Es muss daher zwischen den Kosten der Nichtbereitstellung hilfreicher Medikamente und dem Schaden, der durch fehlerhafte Medikamente verursacht wird, abgewogen werden. Ein hundertprozentiger Ausschluss potentiell schädlicher Medikamente würde die Einführung wirksamer Medikamente unverhältnismäßig verzögern oder gänzlich verhindern.

Optimale Mordrate nicht null?

Auch hundertprozentige öffentliche Sicherheit ist nicht mit angemessenem Aufwand zu erreichen. Selbstverständlich wäre es wünschenswert, wenn alle Menschen engelsgleich wären und es keine Morde gäbe. Müssen für die Verhinderung von Morden mehr Polizisten und Richter eingestellt oder die Videoüberwachung ausgeweitet werden, können diese Ressourcen jedoch nicht für alternative wünschenswerte Ziele eingesetzt werden. Dabei wird es mit sinkender Mordrate schwieriger und somit teurer, sie weiter zu senken. Selbst eine 24-Stunden-Polizeistreife für jeden Straßenzug wird nicht ausreichen, um jeden Mord zu verhindern.

Vollkommenheit unerschwinglich

Es wäre wünschenswert, wenn kostenlos dafür gesorgt werden könnte, dass Menschen nicht morden, Krankenwagen sofort vor Ort sind, die Bahn immer pünktlich kommt, eingesetzte Ressourcen vollständig recycelt werden und vieles mehr. Leider ist Vollkommenheit nicht zu Kosten von null erreichbar.

Bei der Formulierung von Zielen sollten stets die Kosten berücksichtigt werden. Extremlösungen erweisen sich nur in Ausnahmefällen als optimal. Im privaten Bereich werden Menschen zwangsläufig mit den Kosten ihrer Handlungen konfrontiert. Wenn etwa Frau Hoppenstedt nicht nur ein Jodeldiplom erlangen, sondern die beste Jodlerin der Welt werden möchte, kann sie nur noch wenig Zeit mit ihrem Mann verbringen.

Auch in der Politik gilt: There is no free lunch

Haben Entscheidungen Einzelner direkte Konsequenzen auch für andere, besteht die Gefahr, dass Kosten nur unzureichend berücksichtigt werden. Die Politik als der Bereich unserer Gesellschaft, in dem wir in Gruppen entscheiden oder gewählte Repräsentanten für uns entscheiden lassen, ist von diesem Problem besonders betroffen. Wähler haben angesichts hoher Informationskosten keinen Anreiz, vollständig informiert zu sein – unabhängig davon, ob sie an einer politischen Entscheidung direkt beteiligt sind oder nicht. Das macht es für Politiker reizvoll, die Vorteile politischer Maßnahmen zu betonen und die Kosten in Form alternativer Ressourcenverwendungen in den Hintergrund zu rücken. Um ihrer Kontrollfunktion gerecht zu werden, sollten gerade Vertreter der vierten Gewalt deshalb die Kosten stets mit im Blick haben, auch wenn ihnen das angestrebte politische Ziel persönlich zusagt.

So würde sich über die politische Durchsetzung lückenloser Mobilfunknetze gewiss nicht nur Herr Scheuer freuen. Doch wäre es die Kosten wirklich Wert, auch im entlegensten Waldstück LTE-Empfang zu haben? Das eine oder andere Loch im Funknetz ist vermutlich optimal.

Erstmals veröffentlicht bei IREF. 

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