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Weil Bildung eine so zentrale Rolle im Leben des Menschen spielt, ist der Wunsch weit verbreitet, sie für alle möglichst gut zu organisieren. Das Problem ist, dass es sich dabei um höchst individuelle und persönliche Prozesse handelt, bei denen zentrale Fernsteuerung oft mehr schadet als nutzt.

Die Statistik-Illusion

Anna geht auf ein Gymnasium in NRW und Alex auf eines in Thüringen. Unter Berücksichtigung aller Statistiken müsste Anna sehr viel schlechter dran sein als Alex: NRW belegte 2015 den letzten Platz bei Bildungsausgaben und den vorletzten beim Bildungsmonitor, Thüringen hingegen belegt in beiden Kategorien den zweiten Platz. Freilich kommt in diesen Zahlen nicht zum Ausdruck, dass Annas Akademiker-Eltern genug verdienen, um ihr hervorragende Nachhilfe zu bezahlen; dass sie auf einem der ältesten Gymnasien des Landes ist, wo die Lehrer hochmotiviert sind; dass sie zweisprachig aufgewachsen ist und ihre Großmutter früher Physiklehrerin war. Genauso wenig ist in der Statistik zu sehen, dass Alex der erste in seiner Familie ist, der aufs Gymnasium geht; dass viele seiner Lehrer ein Problem mit ihm haben, weil er etliche Piercings im Gesicht hat; dass er sich nachmittags noch um seine Geschwister kümmern muss und dass er Basketball aufgeben musste, seit seine Mutter das Auto verkauft hat.

Das Problem mit Zahlen und Statistiken ist, dass sie nicht einmal ansatzweise konkrete Situationen darzustellen vermögen. Sie dienen natürlich der Orientierung, aber gerade an der so gern beschworenen Chancengleichheit vermögen sie nicht das Geringste zu ändern. Und die wie ein Totem verehrte Vergleichbarkeit wird dadurch erst recht nicht erfasst. Die Noten, die am Ende bei Anna und Alex auf dem Zeugnis stehen werden, hängen nur in sehr geringem Maße von der Ausgestaltung und finanziellen Ausstattung des jeweiligen Schulsystems ab. Schon die Noten von zwei Schülern aus unterschiedlichen Klassen an derselben Schule sind oft alles andere als vergleichbar – keineswegs nur in Fächern wie Deutsch oder Geschichte. Wenn die eine Mathelehrerin ihrem Beruf mit Herzblut nachgeht, während der andere sich vor allem wegen der attraktiven Arbeitszeiten für den Job entschieden hat, kann man nicht im Entferntesten davon reden, dass die Noten der 10a und der 10b vergleichbar seien.

Bildungspolitischer Budenzauber

Was macht eine gute Schule aus? Heerscharen von Politikern, Bildungsforschern, Pädagogen und Eltern haben sich den Kopf darüber zerbrochen. Das Ergebnis war eine Fülle an Experimenten, die hoch angepriesen wurden, von einer Nachfolge-Regierung dann wieder verschämt verscharrt wurden, nur um wenige Jahre später wieder als Innovation ausgebuddelt zu werden: Gesamtschulen, Kollegstufe, Ganztagsschulen, G8, G9, G8, G9, G8,5 … Der etwas undramatischere Lösungsansatz heißt in der Regel Geld. In die Richtung zielt ja auch die projektierte Grundgesetzänderung. Angestrebt wird eine „Investitionsoffensive für Schulen in Deutschland“, deshalb will man „die Möglichkeiten des Bundes zu einer aufgabenbezogenen Mitfinanzierung der Aufgabenwahrnehmung durch die Länder … erweitern“.

Quellen: INSM Bildungsmonitor; Statistisches Bundesamt

Wie das Totem der Vergleichbarkeit umgibt das Versprechen von mehr Investitionen auch eine magische Aura. Oder etwas banaler formuliert: wenn wieder mehr Geld für Bildung versprochen wird, erinnert das manchmal an den Besuch in einer Spielhölle. Und nochmal einen Euro eingeworfen – diesmal muss es klappen. Aber es klimpert nicht, und die Münze ist einfach weg. Man muss nur einmal die Bildungsausgaben der Bundesländer mit ihrem Abschneiden beim Bildungsmonitor vergleichen. Geld scheint weder positive noch negative Effekte zu haben. (So viel zum Thema Mess- und Vergleichbarkeit). Keiner wird sich gegen mehr Geld, neue Tablets oder eine Aufstockung des Betreuungsangebots sträuben. Die Frage ist nur: erreicht man so das erwünschte Ziel? Und daraus ergibt sich automatisch die davor liegende Frage: Was ist denn überhaupt das Ziel?

Nicht Dienst nach Vorschrift, sondern Dienst nach Begeisterung

Das Ziel müsste sein, dass Anna und Alex in ihrer jeweiligen Situation das Beste aus ihrem Leben machen können. Nun sind die beiden ebenso wie die anderen 11 Millionen Schüler in unserem Land sehr unterschiedliche Persönlichkeiten in sehr verschiedenen Umständen. Was sie brauchen, wie man sie am besten fördert, in welchem System sie sich am besten entfalten, kann kein Abgeordneter, kein Kultusminister und kein Schulamt beurteilen. Am ehesten können das noch diejenigen einschätzen, die sie wirklich kennen, also ihre Eltern, und diejenigen, die sie nicht nur kennen, sondern jahrelang dafür ausgebildet wurden, also ihre Lehrer und Schulleiter. An diesen Stellen entscheidet sich, wo die Reise für die jungen Leute hingeht. Die neuesten Tabletts nutzen nichts in der Hand schlechter Lehrer und die besten Turnhallen bringen nichts, wenn sich Pädagogen nicht für ihre Schüler interessieren.

Die Antwort auf die Herausforderung, die jungen Menschen unseres Landes so gut wie möglich für ihr Leben vorzubereiten, ist leider nicht so einfach zu geben. Es ist nicht einfach getan mit Investitionen und Systemveränderungen, auch wenn beides nicht grundsätzlich falsch sein muss. Aber die Fixierung darauf lenkt ab vom Kernproblem. Der entscheidende Punkt muss sein, dass Lehrer und Pädagogen ihre Verantwortung erkennen und wahrnehmen. Je mehr sie dabei durch Politik und Bürokratie gegängelt werden, desto mehr verschwindet auch das persönliche Verantwortungsbewusstsein. Gerade diese Menschen sollten (und wollen oft) nicht Dienst nach Vorschrift machen, sondern Dienst nach Begeisterung.

Verantwortung, wo sie hingehört

Wenn man Bildung, anstatt sie noch mehr zu zentralisieren, viel stärker dezentral gestalten würde, könnte man die Möglichkeiten, jeder Schülerin individuell gerecht zu werden, deutlich erhöhen – und das ist die wahre Chancengleichheit. Schulen müssen möglichst viel Autonomie haben, um sich auf ihre Schüler einstellen zu können und im Zusammenwirken von Pädagogen, Eltern und Schülern die richtigen Methoden zu finden. Es muss Freiraum geben für Experimente und Innovation, Schulleitungen müssen selbst entscheiden können, wie sie finanzielle und personelle Ressourcen am besten einsetzen. Warum sollten wir bildungspolitischen Sprechern und Ministerialbürokraten mehr vertrauen als den Lehrern unserer Kinder?

Es ist auch an der Zeit, sich vom Vergleichbarkeits-Totem zu lösen. Der Wechsel innerhalb derselben Schule in eine Parallelklasse kann dramatischer ablaufen als der zwischen zwei Bundesländern. Nicht nur Pädagogen sollten wir mehr zutrauen, sondern auch den Kindern und Jugendlichen – sie sind oft klüger und auch flexibler als wir meinen. Wir dürfen Bildung nicht als einen schematischen Vorgang denken, wo es nur darauf ankommt, die richtige Schablone zu finden, und sie mit viel Geld festzukleben. Bildung ist ein dynamischer Prozess, der besonders gut in der Kombination aus Freiheit und Verantwortung gedeiht. Die wenigen freien Schulen, die es gibt, zeigen in der Regel eindrucksvoll: dies ist das Umfeld, in dem Schüler und Lehrer gleichermaßen die erstaunlichsten Ergebnisse zeitigen können.

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