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Von Dr. Helge Gondesen, Rechtsanwalt.
Seit Einführung des flächendeckenden Zwangsbeitrages zur Finanzierung des staatlich organisierten Rundfunks im Jahr 2013 wehrt sich die Bevölkerung mit unzähligen Klagen. Diese richten sich gegen die Zahlung, ihre Höhe, die Art der Erhebung, die Frage, ob es sich um eine Steuer handelt, die Zahlungsmodalitäten, die Verwendung bzw. Verschwendung der Mittel etc. Das zugrundeliegende Problem ist jedoch das Betreiben der Öffentlichen selbst. Wenn man ein Recht des Staates anerkennt, ein System des öffentlichen Rundfunks zu betreiben –wie „staatsfern“ organisiert auch immer– dann muss der Staat auch die Mittel aufbringen dürfen, um diesen zu finanzieren. Wem ist gedient, wenn der Zwangsbeitrag abgeschafft, aber die Steuern entsprechend erhöht und das Ganze einfach aus allgemeinen Steuermitteln finanziert wird? Deshalb drängt sich auf zu betrachten, ob der Staat überhaupt berechtigt ist, einen quasi-staatlichen Rundfunk in dem vorhandenen Ausmaß zu betreiben und dessen Finanzierung durch die Bevölkerung zu erzwingen.
Eine deutliche Einschränkung des Umfangs der Öffentlichen oder sogar die Abschaffung in seiner gegenwärtig bestehenden Form haben in der letzten Zeit viele Stimmen gefordert. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium von 2014 („Öffentlich-rechtliche Medien, Aufgaben und Finanzierung“) hat eine Rückführung auf ein Subsidiaritätsprinzip gefordert. Der bayerische Ministerpräsident hat 2016 („ein nationaler Sender reicht“) und der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt 2017 („das Öffentlich-Rechtliche ist Westfernsehen geblieben“) das System kritisiert. Die wenigen freien Wettbewerber fühlen sich in ihrer Existenz bedrängt, z.B. die RTL-Chefin Schäferkordt („Die Marktverzerrung muss endlich eingedämmt werden“). Ein von Prof. Dr. Haucap und anderen im Auftrag von Prometheus – Das Freiheitsinstitut erstelltes Gutachten aus dem Jahr 2015 stellt fest: „Deutschland hat den größten und teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Welt“ Dieser strebt nach weiterer „Expansion und aktiver Verdrängung privater Inhalte“. Das Vertrauen der Bundesbürger in die öffentlich-rechtlichen Medien ist im vergangenen Jahr weiter gesunken. Wie aus einer neuen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL hervorgeht, haben nur noch 28 % (nach 36% im Vorjahr) der Befragten Vertrauen in das Fernsehen.
Was sagt unsere Verfassung?
In Deutschland muss jedes von den Parlamenten erlassene Gesetz und jeder Staatsvertrag zwischen den Ländern mit der Verfassung vereinbar sein. Wenn die gesetzlichen Grundlagen der Öffentlichen gegen das Grundgesetz oder die Menschenrechte verstoßen, sind sie nichtig. Lässt man die Äußerungen und Urteile der Richter und die Meinungen der sonstigen Vertreter des Staates einmal unbeachtet und betrachtet nur den Wortlaut der Verfassung und der dazugehörigen Menschenrechte, zeigt der neutrale juristische Befund: Der Betrieb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung ist verfassungswidrig und damit unzulässig.
Rundfunk ist das Verbreiten geistiger Botschaften mit technischen Mitteln an eine unbestimmte Anzahl von Empfängern. Der Inhalt ist beliebig. Dies können Botschaften aller Art sein, z.B. Tatsachenbehauptungen oder Meinungen, Ideologien, Satire und Unterhaltung, die durch Sprache oder Text, Töne oder Bilder vermittelt werden. Eine von staatlichen Stellen nicht behinderte Verbreitung geistiger Botschaften wird von allen Seiten als ein unverzichtbares Merkmal freiheitlicher, rechtsstaatlicher Gesellschaften angesehen, auch (in Lippenbekenntnissen) von den Befürwortern staatlicher Reglementierung und staatlichen Zwangs. Die besten Ideen und Konzepte für die Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft können sich nur in einen freien Austausch der Informationen, Erkenntnisse und Meinungen durchsetzen. Deshalb drängt es sich auf, dass eine Behinderung des freien Austausches und der Verbreitung geistiger Botschaften für den Bestand und dauerhaften Erfolg einer Gesellschaft schädlich sein muss. Aus diesem Grund ist gegenüber jeder Art von Einmischung in den freien Austausch, insbesondere einer Behinderung, Reglementierung oder Organisierung der Verbreitung geistiger Botschaften durch den Staat, äußerste Zurückhaltung geboten. Die letzten 2000 Jahre europäischer Geschichte haben dies immer wieder bestätigt.
Nicht zuletzt deshalb haben, unter dem noch unverblassten Eindruck absolutistischer, keine andere Meinung duldender Diktaturen und insbesondere der Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus die UNO in ihrer allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948, das deutsche Grundgesetz von 1949 (GG) sowie die Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 (EMRK) die freie, ungehinderte Verbreitung geistiger Botschaften in den Rang eines unveräußerlichen Menschenrechtes bzw. in Verfassungsrang erhoben, zur Abwehr staatlicher Einmischung.
Die Universal Declaration of Human Rights der UNO von 1948 besagt in Article 19: „ Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit ein Meinungen zu vertreten ohne Einmischung und … Informationen und Ideen durch jedwedes Medium zu übermitteln.“
In Art. 5 Abs. 1 GG heisst es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt“.
Und Art. 10 Abs.1 EMRK lautet in dem neben dem französischen Wortlaut allein verbindlichen englischen Text: „Jeder hat das Recht sich frei auszudrücken. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, Information und Ideen zu übermitteln ohne Einmischung staatlicher Stellen.“
Von staatlicher Einmischung, Leitung oder Organisierung der freien Verbreitung von Meinungen durch technische Hilfsmittel ist in keiner dieser Rechtsgrundlagen die Rede. Im Gegenteil, die UN Menschenrechtskonvention und die EMRK verbieten ausdrücklich jede Art von staatlicher Einmischung. Das Grundgesetz garantiert die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk. Auch hier findet sich kein Wort von staatlicher Einmischung.
Dieses Grund- und Menschenrecht wird durch die Öffentlichen in rechtlicher und in tatsächlich-wirtschaftlicher Hinsicht stark eingeschränkt. In rechtlicher Hinsicht durch unzulässige Zulassungsvoraussetzungen. In tatsächlicher Hinsicht durch explosionsartig gewachsenes, permanentes Senden auf immer mehr Kanälen mit der Wirkung, ein wirtschaftliches Betreiben von Rundfunk durch Privatpersonen weitestmöglich zu verhindern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat im TV, aber auch im Radio, in den letzten Jahren sein Programm drastisch erhöht und versucht mit gegenwärtig rund 100 Sendern, jede auch noch so kleine thematische Nische zu besetzen.
Der heutige Umfang der Öffentlichen führt faktisch dazu, Private bei der Verbreitung ihrer Inhalte deutlich zu behindern. Die vom Grundgesetz und den Menschenrechten garantierte Freiheit der Verbreitung von Meinungen ist nachhaltig nur möglich, wenn eine wirtschaftliche Tragfähigkeit hergestellt werden kann. Und gerade dies behindern die Öffentlichen durch ihr Agieren praktisch mit allen Mitteln und unter Einsatz unbegrenzt fließender Einnahmen aus Zwangszahlungen. Nicht zuletzt deshalb gibt es freies, privates Fernsehen mit Breitenwirkung in Deutschland, vereinfacht ausgedrückt, nur von zwei Rundfunkbetreibern: die RTL-Gruppe und ProSieben/Sat1. Daneben gibt nur noch eine Handvoll nicht breitenwirksamer Nischenanbieter.
Die ins Gigantische ausgeuferten Öffentlichen haben demgegenüber ein in der Welt unvergleichbares Ausmaß angenommen, wie das o.g. Gutachten von Prof. Dr. Haucap u.a. deutlich macht. Sie behindern durch ihre bloße Existenz die Meinungsäußerungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Mit Zynismus stellt die „Bundeszentrale für politische Bildung“ fest, der private Rundfunk „befindet sich in einer schwierigen Wettbewerbssituation“.
Der Konzentrationsdruck und die Programmgestaltung der Privaten wird maßgeblich durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen verursacht und determiniert. Wenn ein privat veranstaltetes Sendeformat wirtschaftlich interessant wird, wird es häufig von den staatlich privilegierten Kollegen kopiert. Auf diese Weise wird den Privaten ein Marktanteil von der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz weggenommen mit dem Effekt, dass die privaten Veranstalter sich aus den wirtschaftlich nicht mehr tragfähigen Sendungen wieder zurückziehen müssen. Deshalb suchen die Privaten sich immer entlegenere, absurdere Nischen in diesem wirtschaftlichen Überlebenskampf. Eine Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk, wie sie Art. 10 EMRK und Art. 5 GG garantieren, ist in Deutschland nur ohne den staatlich privilegierten Rundfunk in seiner gegenwärtigen Form möglich.
Was sagt das Bundesverfassungsgericht?
Das Bundesverfassungsgericht hat die Entwicklung des deutschen öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunks zum weltweit teuersten und größten öffentlichen Rundfunk bis heute zustimmend begleitet. Es musste sich in mehr als 50 Jahren wiederholt mit dessen Berechtigung befassen. Mehrere Generationen von Richtern haben dabei im Laufe der Zeit widersprüchliche und logisch nicht nachvollziehbare Ansichten vertreten. Ein klares und eindeutiges Bild ist dem Ganzen bis heute nicht zu entnehmen:
1961 hat das BVerfG den Versuch Kanzler Adenauers zunächst abgewehrt, zusätzlich zur 1950 gegründeten ARD einen weiteren öffentlich-rechtlichen TV-Sender einzurichten. Die Zuständigkeit für das Fernsehen läge bei den Ländern. Grundsätzlich war das Gericht damals aber der Meinung, der Staat sei dazu aufgerufen Fernsehen zu veranstalten. Im Gegensatz zur Presse, bestehe beim Fernsehen eine „Sondersituation“. „Aus technischen Gründen“ und mit Rücksicht auf den „außergewöhnlich großen finanziellen Aufwand“ nahm das Gericht an, die Zahl der Träger solcher Veranstaltungen müsse zwangsläufig verhältnismäßig klein bleiben. Das Gericht erkannte damals noch, dass Art. 5 GG ein individuelles Grundrecht des Bürgers gegen den Staat auf Respektierung seiner Freiheitssphäre zur Meinungsäußerung enthält (BVerfGE 12, 259f). Die technische Sondersituation rechtfertige jedoch eine staatliche Organisierung des Rundfunks. Da technisch nicht viele Einzelne Rundfunk betreiben konnten, erlaubte das Gericht eine seiner Ansicht nach erforderliche Notlösung: der Staat organisiert den Rundfunk und sorgt dafür, dass die im Volk vorhandene Pluralität der Meinungen und Kulturen sich innerhalb des Rundfunks widerspiegelt.
Es ist offensichtlich, dass diese “Sondersituation” heute nicht mehr vorliegt. Durch Satellitenübertragung und Kabelfernsehen und das Internet ist es möglich, Tausende von Rundfunksendern zu betreiben. Den Wegfall der technischen Gründe, mit denen der öffentliche Rundfunk einst gerechtfertigt wurde und damit den Wegfall seiner Existenzberechtigung hat das o.g. Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen vom Oktober 2014 ausführlich dargestellt.
Als in den 80er Jahren Privatpersonen erstmals zur Veranstaltung von Fernsehen zugelassen wurden, lag nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die „Sondersituation“ unverändert vor. Technisch sei man auf terrestrisch verbreitete Programme angewiesen. Zusätzlich erfanden die Verfassungsrichter einen vermeintlichen „klassischen“ Auftrag des Staates zur Veranstaltung von Fernsehen. Zwar garantiere das Grundgesetz (auch) privaten Rundfunk, aber die öffentlich-rechtlichen Anstalten hätten eine Bestandsgarantie, weil nur sie praktisch alle Menschen erreichen könnten. Der Staat müsse die „unerlässliche Grundversorgung“ sicherstellen. Das Grundgesetz erteile dem Staat den Auftrag, die Bevölkerung bei der Meinungsbildung (!) zu unterstützen. Statt von dem Recht zur freien Verbreitung der Meinung spricht das Verfassungsgericht hier nur noch von einem Recht auf Bildung der Meinung. Der Staat müsse für die Meinungsbildung der Bevölkerung sorgen. Eine gewisse Ablehnung gegenüber dem Menschenrecht und Grundrecht der freien Meinungsverbreitung und der Urteilsfähigkeit der Bevölkerung lässt sich herauslesen, wenn das Gericht ausführt: „Private sind zu umfassender und wahrheitsgemäßer Information verpflichtet“ und zugleich: „Private können der Aufgabe umfassender Information nicht gerecht werden“. Rundfunkfreiheit ist nach dieser Auffassung nicht ein Recht der Bevölkerung gegenüber dem Staat, wie alle anderen Grundrechte, sondern das Recht und die Pflicht des Staates, die Bevölkerung mit „umfassenden“ und „wahrheitsgemäßen“ Informationen zu versorgen. Diese „Grundversorgung“ dürfe keinesfalls der Bevölkerung selbst (den „Privaten“) vorbehalten sein.
Ganz im Gegensatz zu dieser erstaunlichen Meinung des höchsten deutschen Gerichts haben die obengenannten Rechtsquellen dieses Problem klar erkannt und befassen sich nicht mit Fragen von „Wahrheit“ oder „umfassenden Informationen“, sondern garantieren die freie Äußerung und Verbreitung jedweder Art von Meinungen. Auch die „falsche“ Meinung oder die umstrittene Meinung, die „unvernünftige“ Meinung sind durch die Menschenrechte und das Grundgesetz geschützt und dürfen frei verbreitet werden. Gerade die isolierten, die eigenwilligen, die von der Mehrheit nicht nachvollziehbaren Ideen und Meinungsäußerungen des Menschen dienen nicht nur dem Individualinteresse, sondern der Gesellschaft insgesamt. Fast aller Fortschritt, aller Wohlstand, alle Technik in der Gesellschaft wurde von selbstbestimmten Individuen geschaffen, sehr oft gerade von solchen, die in ihren Ideen ganz erheblich abgewichen sind von dem, was allgemein für „vernünftig“ gehalten wurde.
In den 90er Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht das Problem des staatlich organisierten Rundfunks zeitweilig erkannt: Es müsse sichergestellt sein, dass der Staat im Fernsehen keinen „bestimmenden Einfluss“ ausüben kann. Dies müsse „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ vorbehalten sein. Der Auftrag zur Grundversorgung bestehe nur unter den „gegenwärtigen Bedingungen“. Kurz darauf haben die Richter jedoch erneut eine Wende vollzogen und nunmehr geurteilt, der Rundfunk dürfe nicht allein den gesellschaftlichen Kräften überlassen werden. Es bleibt die Frage offen: wem denn dann, wenn nicht der Bevölkerung?
Einige Jahre später ignorierte das Gericht immer noch die mittlerweile offensichtliche technische Revolution durch Kabelfernsehen, Satellitenfernsehen und insbesondere das Internet. Die 1961 konstatierte, technische „Sondersituation“, die 1986 vertretene Meinung, mit einem echten Markt könne auf absehbare Zeit nicht gerechnet werden, und die 1991 für maßgebend gehaltenen „gegenwärtigen Bedingungen“ waren sämtlich entfallen. In einem Urteil vom Februar 1998 geht das Gericht unbeirrt und unverändert von „beschränkten Übertragungskapazitäten“ aus. Der öffentliche Rundfunk wird gerechtfertigt und ein angeblich von der Verfassung vorgegebenes „duales System“ postuliert. Das höchste deutsche Gericht hat geradezu in Umkehrung der Grundrechte ein Grundrecht des Staates gegen die Bürger auf Veranstaltung eines mit dem Geld der Bürger finanzierten stattlich organisierten Rundfunks erfunden und das Recht der Bürger auf eine Freiheit der Meinungsbildung reduziert. Das Recht der Bürger auf freie Verbreitung ihrer Meinungen wird in den einschlägigen Urteilen nur theoretisch anerkannt. Die dafür erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen und technischen und tatsächlichen Voraussetzungen werden der Bevölkerung vorenthalten und weitgehend dem Staat zugewiesen.
Das Grundrecht bzw. Menschenrecht verbürgt nicht nur die Freiheit zur Verbreitung geistiger Botschaften durch Presse oder Rundfunk, sondern auch die Freiheit zur Ablehnung bzw. Nicht-zur-Kenntnisnahme entsprechender Botschaften. Es darf niemand gezwungen werden, die Presse zu lesen oder Rundfunk zu empfangen. Die Umdeutung der Freiheit zur Ablehnung von Presse und/oder Rundfunk in einen Zwang zur Inanspruchnahme bzw. Finanzierung derselben ist abwegig. Es sollte jedem Einzelnen überlassen sein, ob und wie er Meinungen äußert, sich bildet oder Informationen bezieht oder weitergibt.
Wir leben im Informationszeitalter. Fast jeder trägt ein kleines Wunderwerk der Technik bei sich welches sofortigen, jederzeitigen Zugang zu privaten und öffentlichen Informationen, Archiven und Bibliotheken, Unternehmen, Banken und staatlichen Institutionen rund um den Globus vermittelt. Millionen Seiten mit Nachrichten, Meinungen, Unterhaltungs- und Konsumangeboten buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Durch Internet, Kabel und Satellitenübertragung haben wir Zugang zu Medien überall auf der Welt, wann immer wir wollen. In diesem Umfeld, wo jeder ohne Schwierigkeiten Informationsgeber und Informationsempfänger für jeden sein kann, sollte man meinen, der Staat könne sich aus den Medien langsam zurückziehen und sie den Bürgern überlassen. Aber weit gefehlt! Statt sich zurückzunehmen wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk offensiv ausgebaut. Der Ruf der Öffentlichen nach mehr Geld ist grenzenlos und nur beschränkt durch die (vermutete) Tragfähigkeit der Bevölkerung. Diverse Skandale aus der letzten Zeit haben den im Grunde zwangsläufigen Missbrauch der Struktur offengelegt.
Und was sagt der Hüter unserer Verfassung dazu? Anstatt die genannten Umstände aufzugreifen, haben die Verfassungsrichter die unter den gegebenen Verhältnissen existierenden Programme vergleichen lassen und mit bedauerlichem Zynismus das Sendeangebot der Öffentlichen mit der Feststellung gerechtfertigt, Vergleiche der Angebote öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten und „Privater“ zeigten „deutliche Unterschiede“ aus denen sich ergäbe, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nötig sei.
Vor unser aller Augen wird, finanziert mit Zwangsgebühren und Werbeeinnahmen, ein gnadenloser Konkurrenzkampf gegen private Meinungsäußerung durch privaten Rundfunk geführt. Einen ähnlichen Kampf führt das öffentlich-rechtliche Fernsehen mittlerweile auch gegen die Presse. Der BGH hat vor kurzem zur Tagesschau-App festgestellt, dass ARD und NDR unlauteren Wettbewerb betreiben.
Nach dem theoretischen Konzept des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtfertigung der Öffentlichen sollen die Personen, die die Macht im Staat innehaben, mit diesem Rundfunk eine Organisation schaffen, die ihnen potentiell gefährlich werden und evtl. durch Berichterstattung zum Verlust ihrer Macht beitragen kann. Und diese Organisation sollen die Machthaber „staatsfern“ strukturieren, damit sie selbst keinen bestimmenden Einfluss in dieser Organisation haben. Mit anderen Worten: es wird von ihnen erwartet, ihren eigenen fundamentalen Interessen entgegenzuwirken. Dass dies nicht funktionieren kann, ist offensichtlich und wird auch deutlich in dem Minderheitsvotum eines Richters zum Urteil vom März 2014 zum Ausdruck gebracht.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte:
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte sich bereits mit staatlich organisiertem bzw. beeinflusstem Rundfunk zu befassen. Er hat wiederholt betont, dass Artikel 10 EMRK nicht nur den Inhalt von Informationen und Ideen schützt, sondern auch die Mittel ihrer Verbreitung. Danach ist die unbehinderte Meinungsäußerungsfreiheit der Bürger grundlegende Bedingung für den Fortbestand demokratischer Gesellschaften und die Entwicklung jedes Individuums (vgl. Europäischer Rat Veröffentlichungen, Band 18, Meinungsäußerungsfreiheit in Europa, Dezember 2005, S.7).
Im November 1993 hat der EGMR im Fall „Informationsverein Lentia und andere“ entschieden, dass die Freiheit der Weitergabe von Meinungen durch Rundfunk nicht durch faktische Monopolisierung oder wirtschaftliche Behinderung seitens staatlicher Systeme eingeschränkt werden darf. Die Restriktionen durch staatliche Organisierung vermeintlicher Qualität und Ausgewogenheit der Programme („quality and balance of programme output“) durch Aufsichtsgremien („supervisory powers over the media“) ist wegen der technischen Entwicklung der vergangenen Dekaden nicht zu rechtfertigen und ein Verstoß gegen Art. 10. Diese Auffassung hat der EGMR nochmals bestätigt in der Entscheidung Telesystem Tyrol Kabeltelevision vom 9. Juni 1997 (ebenda, Fn.153). Eine Entscheidung zum deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk steht noch aus.
Es ist zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht unserem Land und unserer Freiheit einen Dienst erweist und den Öffentlichen endlich Grenzen aufzeigt. Sonst muss erneut der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte feststellen, dass Deutschland rechtsstaatliche Defizite aufweist.