Photo: Van Gogh „Weber am Webstuhl“ (1884), gemeinfrei

In der deutschen Politik wird gerne gejammert: über Ungleichheit und Fremde und Neid. Rechts wie links wird der Eindruck erweckt, früher wäre alles besser gewesen. Das ist grundfalsch. Es ist an der Zeit für eine neue Fortschrittsbewegung.

Früher war alles besser?

Warum denken so viele Menschen in Deutschland, dass „früher alles besser war“? Der Wohlstand wächst seit Dekaden, unterbrochen nur von Episoden internationaler Krisen. Noch nie waren Güterausstattung, Lebenserwartung und Mobilität in Deutschland so gut wie heute. Es muss also darin liegen, könnte man meinen, dass all die positiven Informationen schlicht nicht durchdringen. Doch des Pudels Kern ist: so richtig sie sind, selbst wenn die Argumente durchdringen, erzeugen sind doch allenthalben Abwehrverhalten. Stichworte: Lügenpresse, Elitendenken, Fake News. Was sind die Ursachen der allgegenwärtigen Vergangenheitsverherrlichung?

Dauerndes Gejammer über Ungleichheit und das Fremde

Im Grunde bestimmen insbesondere zwei Themen das Lamento über die aktuelle Situation in Deutschland. Von linker Seite wird das Gefühl propagiert, weite Teil der Gesellschaft würden „abgehängt“, während sich die Champagner-Elite auf Kosten der ehrlichen Leute eine Yacht nach der anderen kaufe. Die rechte Seite des politischen Spektrums, traditionell häufig ein wenig wirtschaftsfreundlicher, hat ein anderes Feindbild: Das Fremde. Hier sind es nicht die Reichen, sondern Flüchtlinge und ausländische Konzerne, die dem ehrlichen Deutschen Arbeit, Wohlstand und vor allem die Leitkultur stehlen.

Klar ist: weder wird Deutschland zu einem kultur- und rechtslosen Raum, weil es eine ohne Frage große organisatorische Leistung vollbringt und natürlich auch gewisse Risiken eingeht, indem es über eine Million hilfesuchende Menschen aufnimmt. Klar ist auch, dass von Wirtschaftswachstum und marktwirtschaftlichen Regeln alle Teile der Gesellschaft profitieren. Gerade auch die Ärmsten. Trotz der unterschiedlichen Feindbilder, sind Motivation und vor allem Lösungsansätze beider Seiten des Spektrums eng verwandt.

Fantasieprobleme führen zu echter sozialer Spaltung und Empörungspolitik

Die Motivation ist der Neid. Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob Björn Höcke und Katja Kipping diese Missgunst auch selber empfinden, oder ob sie sie nur schüren, um im politischen Wettbewerb besser gehört zu werden. Am Ende steht die soziale Spaltung als Ergebnis einer Solidarisierung mit der gefühlt moralisch haushoch überlegenen Gruppe, die den vom Staat bevorzugten Eliten oder Migranten geradezu hilflos ausgeliefert sei. Doch nicht durch das Gefühl der moralischen Erhabenheit macht diese Strömungen so attraktiv, es sind die einfachen Lösungen. Es sind Lösungen wie „Reiche besteuern!“ oder „Kriminelle Ausländer abschieben!“.

Doch einfache Lösungen sind häufig zu kurz gedacht. Sie befriedigen einen Impuls der aufgestachelten Massen und verkennen dabei die langfristigen und fast immer negativen externen Effekte. Der französische Ökonom Frédéric Bastiat (1801-1850) sah genau darin das Problem einfacher Lösungen:

Dies ist der ganze Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Ökonomen: Der eine klebt an der sichtbaren Wirkung, der andere berücksichtigt sowohl die Wirkung, die man sieht, als auch diejenige, die man vorhersehen muss. Aber dieser Unterschied ist enorm, denn es ist fast immer so, dass die unmittelbare Folge günstig ist und die letztendlichen Folgen unheilvoll und umgekehrt.

Am Ende führen die Fantasie-Probleme nicht nur zu echter sozialer Spaltung, sondern im schlimmsten Fall zur Umsetzung verheerender Politik: Aus Neid wird Abschottung, aus Missgunst Fortschrittsfeindlichkeit.

Der Fortschritt sollte wieder zur gesellschaftlichen Strömung werden

Was kann die adäquate Antwort der Verfechter einer offenen Gesellschaft auf die Neid-Politik von rechts und links sein? Gesellschaftliche Strömungen entstehen dadurch, dass sie immer und immer wieder aufgegriffen werden. Mit vereinzelten Hinweisen auf Fakten wie den steigenden Wohlstand wird nur Abwehrverhalten erzeugt. Stattdessen wäre es an der Zeit, den Glaube an den Fortschritt wieder zu einer gesellschaftlichen Strömung zu erheben. Ahnlich wie in der Zeit der industriellen Revolution, die große Teile der Bevölkerung aus Subsistenzwirtschaft und Armut befreite. Gründe dafür gibt es genug:

In den letzten 200 Jahren hat die Weltbevölkerung eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts wuchsen Bevölkerung und Lebensstandard kaum. Eine hohe Kindersterblichkeit, Hunger und eine geringe Lebenserwartung waren der Alltag der Menschen. Seit 1800 hat sich der Lebensstandard der Weltbevölkerung verfünfundvierzigfacht, bei gleichzeitig stetig wachsender Weltbevölkerung.

 

Charles I. Jones: “The Facts about Economic Growth” (2015) NBER Working Paper Series

Dieses Fortschritts-Wunder fußt auf genau dem, was ein wirrer Thüringer Ex-Geschichtslehrer und eine Stalinistin mit nationalen Vorlieben am liebsten beseitigen wollen: auf einer marktwirtschaftlich organisierten, offenen und pluralen Gesellschaft. Halten wir an diesen Institutionen fest, gibt es keinen Grund, warum das Fortschritts-Wunder nicht anhalten sollte. Dem Club of Rome zum Trotz: Ein Ende der absoluten Armut ist absehbar und wir müssen uns vor immer weniger Krankheiten fürchten.

Am Ende geht es aber auch darum, Alternativen anzubieten zum spalterischen Gejammer von rechts und links. Die Besinnung auf den Fortschritt, auf die eigene und die gesellschaftliche Entwicklung, ist dann hoffentlich sogar ein wirksames Mittel gegen den lodernden Populismus in der deutschen Politik.  Statt wehmütig in eine verklärte Vergangenheit zurückzublicken, sollten wir also die Zukunft in den Fokus nehmen, mit all ihren Herausforderungen. Keine neue Erkenntnis, sagte doch schon Seneca: „Es ist schon ein großer Fortschritt, den Willen zum Fortschritt zu haben.“

 

8 Kommentare
  1. Alexander Dill
    Alexander Dill sagte:

    Ein guter Kommentar. Allerdings lässt sich am GDP-Wachstum nichts ablesen, da dieses weitgehend durch Staatsschulden finanziert wird und auch – zumindest in Deutschland – leider keine Armut vermindert. Doch, in den 70ern und 80ern lebten die Armen in BRD und DDR besser und waren nicht derart sozial ausgegrenzt.
    Aber auch den geforderten Blick auf die Zukunft teile ich. Es nützt nichts, zu jammern. Und gerade die Überwindung der steigenden Ungerechtigkeit erfordert ja eine positive Zukunftsvision.

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    • Cooper8
      Cooper8 sagte:

      „Allerdings lässt sich am GDP-Wachstum nichts ablesen, da dieses weitgehend durch Staatsschulden finanziert wird.“
      Diesen Satz verstehe ich nicht, weshalb ich um Erläuterung bitte.

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      • Alexander Dill
        Alexander Dill sagte:

        Deutschland z.B. nimmt allein 2018 140 Mrd. Euro neue Schulden auf, die direkt ausgegeben werden – und damit das BIP/GDP erhöhen. Ohne diese Schulden hätte Deutschland bereits seit 20 Jahren ein rückläufiges Pro-Kopf-BIP (siehe Grafik im Artikel) und natürlich kein ‚Wachstum‘.

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        • Cooper8
          Cooper8 sagte:

          Es gibt kein wirtschaftliches Wachstum ohne neue Schulden.
          Das ist die Logik der gesamtwirtschaftlichen Buchhaltung.
          Bilden private Haushalte Ersparnisse, dann müssen sich entweder die Unternehmen oder der Staat verschulden, damit das BIP nicht sinkt.
          Gesamtwirtschaftlich braucht jeder Sparer nämlich einen Schuldner.
          Da in Deutschland seit Jahren alle drei Sektoren (private Haushalte, Unternehmen, Staat) sparen, hat dieses Land eine dysfunktionale Marktwirtschaft.
          Spiegelbildlich zu den Exportüberschüssen verschuldet sich das Ausland permanent neu gegenüber diesem Land.
          Damit betreibt Deutschland ein nicht tragfähiges Geschäftsmodell.

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  2. Cooper8
    Cooper8 sagte:

    Ich mag den Begriff der Lügenpresse nicht, weil er den Kern des Problems nicht trifft.
    Von den Politikern und den angeblichen Qualitätsmedien wird ein Bild von diesem Land gezeichnet, was mit der Realität nicht mehr viel zu tun hat. Es wird gezielt eine Desinformation betrieben, in dem fast nur noch Nachrichten verbreitet werden, die in das gewünschte öffentliche Bild passen.
    Dieser Artikel ist in genauso in diesem Kontext zu sehen.
    Der Ökonom Bastiat hat in der relevanten Weltliteratur zur Ökonomik keinerlei Relevanz.
    Er gehört zu den klassischen Ökonomen, die genauso wie die neoklassischen Ökonomen theoretisch bereits mehrfach widerlegt worden sind.
    Das Soziale an der sozialen Marktwirtschaft waren einmal regelmäßige reale Lohnsteigerungen, in dem der Fortschritt in der Produktivität (Entwicklung des BIP) an die Arbeitnehmer ausbezahlt worden ist.
    Seit den 1980 er Jahre wurde dieses notwendige Prinzip einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland nicht mehr eingehalten.
    Die realen Löhne sind heute für ein Großteil der Beschäftigten viel zu niedrig.
    Die zwangsläufige Folge ist ein enormer Anstieg der Ungleichheit bei der Einkommens- und Vermögensverteilung.
    Die Agenda 2010 Politik mit den so genannten Hartz Reformen haben die Situation für Millionen von Menschen noch einmal drastisch verschlechtert.
    Wofür wird ein Mindestlohn eingeführt, wenn er für Millionen von Arbeitnehmern nicht kontrolliert wird und sie unbezahlte Überstunden in großer Zahl leisten müssen?
    Die Wahrheit in diesem Land ist, dass es sehr vielen Bürgern schlecht geht und sie sich jeden Monat durch das Leben kämpfen müssen, um überhaupt überleben zu können.
    Die neoliberale Politik seit den 1980 er Jahren kann man nur als dumm und kurzsichtig bezeichnen, weil sie zwangsläufig zu Fehlallokationen und gesellschaftlichen Spannungen führt, die sich irgendwann entladen müssen.

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  3. Peter Triller
    Peter Triller sagte:

    Früher war nicht alles besser, wer behauptet so etwas? D.h. aber nicht, dass die politischen Weichen richtig gestellt sind und dass der Fortschritt gewissermaßen wie ein Naturgesetz sich fortentwickelt. Was immer auch Fortschritt in diesem Kontext bedeutet. Die Spaltung geht nicht von den genannten Kräften aus: linker und rechter Rand hätte keine Chancen,
    würden die politischen Eliten nicht so vollkommen falsche Entscheidungen treffen.
    Die letzte war die unkontrollierte Massenzuwanderung. Der aufgeklärte Bürger hat keine Angst vor dem Fremden an sich, sondern vor der Einwanderung der Falschen, die Antisemitismus, Kriminalität, Asozialität und archaische Denk- und Verhaltensweisen überproportional importieren.
    Zurzeit erfolgt eben eine Armutszuwanderung von Menschen, die auf absehbare Zeit nicht integrierbar sind und sich zum Teil auch nicht integrieren wollen. Wir haben bereits unsere Erfahrungen, die Migration der Gastarbeiter aus der Türkei und später auch der libanesischen Flüchtlinge war in Summe alles andere als erfolgreich. Einzelfälle bestätigen hier die Regel.
    Diese Erkenntnis hat nichts und rein gar nichts mit Neid zu tun. Tut mir leid, es sagen zu müssen, ein sehr schwacher Artikel offensichtlich von einem sehr jungen und unerfahrenen Autor.

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  4. Moosa Kamal
    Moosa Kamal sagte:

    was ist schlecht was ist gut? was ist besser?
    wir müssen nicht mehr so hart arbeiten, sind mobil etc. richtig. Doch ist ein vollgefressener Fleischesser in seinem riesigen Ölverbrennungsfahrzeug unterwegs zu einem Bildschirm, wenn möglich so groß wie eine Wand, wirklich ein Fortschritt? Verweichlichte sich-bedienen-Lasser, Vereinsamung, Verlust der Sprache und Religion (da nicht an das tatsächliche Leben gekoppelt) Chemikalien in Wasser, Luft und Essen, am Ende mit nocht mehr chemischen Pharmaprodukten zu Tode therapiert werden?
    Der Glaube ans Geld und das starren auf ein Gerät mit bunten Bildern ist alles was ich um mich herum noch sehen kann (na ja, ein wenig Pornographie als Zucker obendrauf) Wir Leben schon in der „Brave new world“ und haben es nicht gemerkt, weil wir uns viel zu zutraulich auf offizielle Autoritäten verlassen haben und weiterhin verlassen.
    Die Gesellschaft ist schon in Gruppen aufgeteilt die bei ihrer jeweiligen Gruppe auch Geschäfte macht und den Rest ins Ausland schickt. Oder meint jemand wirklich, dass die internationalen Bewohner in Deutschland Liebe und Verantwortung zum Land entwickeln?

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  5. Kannitverstaan
    Kannitverstaan sagte:

    Dass „früher alles besser“ gewesen sei, ist in erster Linie der Eigenschaft des menschlichen Gehirnes zuzuschreiben, das unangenehmes eher verdrängt. Wer von uns erinnert sich nicht lieber an die „schöne Schulzeit“, dh die Momente, wo von Herzen gelacht wurde und ein Zusammengehörigkeitsgefühl spürbar war. Die oft katastrophalen Einzelerlebnisse, mißlungene Prüfungen etc verschwinden aus dem Gedächtnis, und übrig bleibt eine merkwürdige Sehnsucht nach der „Guten Alten Zeit“. Und genau darauf setzen Populisten jeglicher Ausrichtung auf, wenn sie ihre Netze auswerfen.

    Letztlich ist jede Störung des Alltäglichen (=Innovation mit ihren Folgen) subjektiv eine Verschlechterung, auch wenn objektiv, oder besser vielleicht „im Durchschnitt“ eine Verbesserung eintritt. Der Durchschnitt aber ist nicht die Realität des Einzelnen: ein Fuß in der Gefriertruhe und ein Fuß auf der Herdplatte mögen im Durchschnitt die Körpertemperatur von 37 Grad ergeben – aber eben nur im Durchschnitt.

    Das in unserer Gesellschaft tatsächlich bedrohliche ist das ungehemmte Anwachsen des öffentlichen, per se unproduktiven Sektors, der mangels des betriebswirtschaftlichen Optimierungszwanges seinen Mittelbedarf eben nicht durch Verbesserung seiner Leistung und damit Senkung seiner Kosten „re-finanziert“, sondern durch im Kern höchst korrupte Verwaltungs- und Gesetzgebungsstrukturen mittels Erhöhung der Abgabenlast mitunter sogar verfassungsrechtlich abgesicherte Vorgänge einfach nimmt. Und dann wird nicht. wie in einem marktwirtschaftlich-wettbewerbsorientierten System üblich, der bessere gewinnen, sondern wie am Lagerfeuer der Räuber die Beute verteilt.

    Dieses Faktum, lieber Mini-Cooper, führt genau dazu, dass Reallöhne zurückgehen, Preise trotzdem steigen, und – befeuert durch ein monopolisiertes, virtualisiertes Geldsystem (Fiat Money) – die Maschine am Laufen gehalten wird, ohne dass die Mehrheit der Arbeitslohnabhängigen noch eine Chance hätte, Vermögen zu bilden.

    Der vielzitierte Mindestlohn ist, genauso wie gesetzlicher Kündigungsschutz für bestimmte AN-Gruppen, das perfekte Mittel, das Heer der Arbeitslosen zu vergrößern. Lohn kann nur gezahlt werden, wenn es Geschäft gibt, und manchmal muss man halt mit weniger zufrieden sein, als man gerne hätte. Mehr Lohn zu fordern führt halt leider nicht zu mehr Umsatz bzw Geschäft. Die Zusammenhänge sind halt doch ein bisschen komplexer, aber mit einer Portion Selbstdenkvermögen durchblickbar und auch beherrschbar.

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