Beiträge

Photo: Pedro Ribeiro Simoes from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander FinkUniversität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Die gesetzlichen Sozialversicherungen weisen eine interessante Eigenart auf: Für Beamte und Abgeordnete sind sie entweder nicht verpflichtend oder Beamte und Abgeordnete können nicht Mitglied sein. Das ist bemerkenswert. Abhängig Beschäftigte sind grundsätzlich verpflichtet, Mitglieder der von der öffentlichen Hand angebotenen Sozialversicherungen zu sein. Die mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betrauten Abgeordneten und Beamte hingegen können sich grundsätzlich gegen die Sozialversicherungsangebote der öffentlichen Hand entscheiden. Um die Interessen von Abgeordneten und Beamten besser in Einklang zu bringen mit denen der übrigen Bevölkerung, sollten die Regeln der Sozialversicherungen stets universell angewandt werden und somit auch für Abgeordnete und Beamte gelten.

Sozialversicherungen: Derzeit keine Pflicht für Abgeordnete und Beamte

Beiträge zu den drei großen gesetzlichen Sozialversicherungen sind für Abgeordnete, die für ihre Ausgestaltung verantwortlich sind, und die engsten Mitarbeiter des Staates ? verbeamtete Staatsdiener, Richter und Soldaten ? gerade nicht verpflichtend. Abgeordnete und Beamte können zwar freiwillige Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, erhalten jedoch im Alter steuerfinanzierte Pensionen. Sie können Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung sein, aber gerade für Beamte sind die Anreize so ausgestaltet, dass private Krankenversicherungen wesentlich attraktiver sind. Es ist deshalb nicht überraschend, dass nur vereinzelt Beamte Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung überweisen. Abgeordnete und Beamte sind zudem nicht gesetzlich arbeitslosenversichert.

Einklang von Interessen wünschenswert

Die Interessen von Auftraggebern und Auftragnehmern fallen in vielen Lebenslagen häufig nicht zusammen. Die Interessen von Eigentümern und angestellten Managern eines Unternehmens sind nicht deckungsgleich, ebenso wenig die von angestellten Managern und ihnen unterstellten Mitarbeitern. Eigentümer und Manager versuchen deshalb Instrumente zu nutzen, die ihre eigenen Interessen und die Interessen der von ihnen Beauftragten besser in Einklang bringen. Manager werden von den Eigentümern beispielsweise mithilfe von Aktienoptionen am Erfolg des Unternehmens beteiligt und Mitarbeiter erhalten Boni, wenn sie vereinbarte Ziele erreichen.

Ähnlich könnten die Interessen der auftraggebenden Bevölkerung mit auftragnehmenden Abgeordneten und Beamten im Rahmen der Sozialversicherungen besser in Einklang gebracht werden, wenn alle von Abgeordneten verabschiedeten und von Beamten durchgesetzten Regeln auch auf sie Anwendung fänden.

Rentenversicherung

Abgeordnete und Beamte erhalten nach ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben steuerfinanzierte Pensionen, die von den Entwicklungen der gesetzlichen Rentenversicherung unabhängig sind. Pflichtversichert in der gesetzlichen Rentenversicherung sind alle abhängig Beschäftigten ohne Beamtenstatus und Selbständige ausgewählter Berufsgruppen.

Die primäre Leistung einer Rentenversicherung besteht nicht in der Grundsicherung im Alter, sondern der Vorsorge für den Konsum in der Zeit nach dem Arbeitsleben. Es sollte jedem freistehen, eigens zu entscheiden, wie hoch diese Vorsorge im Vergleich zum Konsum während des Arbeitslebens ausfällt. Grundsätzlich ist deshalb staatlicher Zwang zur Altersvorsorge nicht wünschenswert. Es besteht jedoch die Gefahr, dass ohne Zwang einige gar nicht fürs Alter vorsorgen und darauf setzen, dass die übrigen Mitglieder der Gesellschaft sie im Alter dennoch unterstützen werden. Deshalb können Pflichtbeiträge während des Arbeitslebens angebracht sein, die eine Grundsicherung im Alter ermöglichen.

Unabhängig davon, ob die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung über die zur Grundsicherung im Alter notwendigen Beiträge hinausgehen, sollten Abgeordnete und Beamte ebenfalls in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sein. Dann könnten Abgeordnete und Beamte überzeugend argumentieren, sie hätten das gleiche Interesse wie die übrigen Pflichtversicherten an einer Rentenpolitik, die die Vorteile für Rentenbezieher weise gegen die durch die Besteuerung von Arbeit entstehenden Nachteile abwägt.

Krankenversicherung

Nicht verbeamtete abhängig Beschäftigte, deren Einkommen unter der Beitragsbemessungsgrenze liegt, sind in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Abgeordnete und Beamte hingegen haben die Wahl zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen. So können Abgeordnete des Bundestages entscheiden, ob sie Beihilfe nach beamtenrechtlichen Maßstäben erhalten oder der Bundestag ihnen einen Zuschuss in Höhe der Hälfte ihres Beitrags zu einer privaten oder gesetzlichen Krankenversicherung zahlt. 2013 waren Schätzungen zufolge zwischen 42% und 66% aller Mitglieder des Bundestages privat krankenversichert. Bei den Beamten sind es gewiss deutlich mehr. Sie verspüren keinen Druck, sich mit dem Rest der Bevölkerung durch eine Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse solidarisch zu zeigen. Zudem gilt, dass ein Beamter, der sich für eine gesetzliche Krankenversicherung entscheidet, anders als Abgeordnete des Bundestages keinerlei Zuschuss zu seinen Beitragszahlungen erhält. Ist ein Beamter jedoch privat krankenversichert, trägt der Dienstherr in der Regel mindestens 50% der Gesundheitskosten und der Beamte muss mittels seiner privaten Versicherung nur noch die verbleibenden Kosten abdecken.

Der Anreiz für Beamte, sich für eine private Krankenversicherung zu entscheiden, ist so stark, dass nur vereinzelt Beamte in gesetzlichen Krankenkassen versichert sind. Gesetzlich Pflichtversicherte hingegen können sich nicht für eine private Krankenkasse entscheiden. Ein Geschmäckle hat diese Konstellation, weil es für Ärzte, Krankenhäuser und andere Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen deutlich attraktiver ist, Privatpatienten zu behandeln. Für die gleiche Leistung stellen sie Privatpatienten in der Regel eine um den Faktor 2,3 höhere Gebühr in Rechnung. Es ist deshalb nicht überraschend, dass Privatpatienten eine bessere Behandlung erfahren und beispielsweise weniger lange auf Untersuchungen warten als Kassenpatienten. Leider liegt es nicht nahe, dass es nur zufällig für Beamte finanziell deutlich attraktiver ist, sich privat zu versichern und die mit dem Status als Privatpatient einhergehenden Vorzüge gegenüber gesetzlich Krankenversicherten zu genießen.

Der Bevorzugung von Beamten, Abgeordneten und Gutverdienern könnte begegnet werden, indem allen freigestellt wird, sich für eine private Krankenversicherung zu entscheiden, solange sie bereit sind, die dafür möglicherweise zusätzlich anfallenden Kosten zu tragen.

Arbeitslosenversicherung

Abgeordnete und Beamte zahlen keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Pflichtversichert sind jedoch alle Arbeitnehmer, die nicht Beamte, Richter oder Soldaten sind und mehr als nur geringfügig beschäftigt sind.

Beamte können nur aufgrund von eigenem Verschulden unfreiwillig arbeitslos werden und haben somit eine Beschäftigungsgarantie. Die Kosten für diese Garantie sind nicht offenbar, aber sie sind gewiss nicht gleich null. Da Beamte nicht in Abhängigkeit von kurzfristigen Schwankungen in Bezug auf ihren Dienstbedarf eingestellt und entlassen werden können, unterhalten Steuerzahler in Zeiten geringeren Bedarfs zu viele Beamte und leiden unter geringerer Servicequalität in Zeiten hohen Bedarfs.

Die Kosten der Beschäftigungsgarantie für Beamte ließen sich offenbaren, indem auch Beamtenarbeitsverhältnisse mit einem Beitrag zur Arbeitslosenversicherung belastet würden. Anders als derzeit sollte die Arbeitslosenversicherung allerdings darauf ausgereichtet sein, Menschen gegen Katastrophen zu schützen und nicht gegen die Folgen kurzfristiger Arbeitslosigkeit, die in den meisten Fällen nicht katastrophal sind. So könnten beispielsweise Auszahlungen von Arbeitslosengeld erst ab dem vierten Monat erfolgen, um Arbeitslosen einerseits einen stärkeren Anreiz zu geben, sich umgehend nach einer neuen Aufgabe umzusehen, und andererseits dafür zu sorgen, dass Arbeitssuchende nach mehreren Monaten nicht aus Verzweiflung Arbeitsverträge abschließen, obwohl der Match zwischen ihnen und dem Arbeitgeber nicht sonderlich gut ist.

Interessen in Einklang bringen, Vertrauen stärken

Derzeit befinden wir uns in der sonderlichen Situation, dass die von der öffentlichen Hand bereitgestellten verpflichtenden Sozialversicherungen gerade für die Volksvertreter in den Parlamenten und die engsten Mitarbeiter des Staates nicht verpflichtend sind. Um die Interessen aller Beteiligten in Einklang zu bringen und das Vertrauen in die staatlichen Organisationen zu stärken, wäre es wünschenswert, wenn für Abgeordnete, Beamte und ihre Arbeitgeber Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend wären. Im Rahmen der Krankenversicherung sollten alle Versicherten die Möglichkeit haben, sich für einen privaten Anbieter von Versicherungsleistungen zu entscheiden. Außerdem wäre es wünschenswert, die Kosten der Beschäftigungsgarantie für Beamte durch Beiträge zu einer auf Katastrophenschutz ausgerichteten Arbeitslosenversicherung offen zulegen.

Erstmals erschienen bei IREF. 

Photo: dedljiv from Flickr (CC BY 2.0)

Die OECD hat mit einem internationalen Vergleich der Steuer- und Abgabenbelastung aufhorchen lassen. Deutschland nimmt hinter Belgien einen Spitzenplatz im negativen Sinne ein. Ein alleinverdienender Durchschnittsverdiener musste 2016 eine Abgabenbelastung von 49,4 Prozentpunkten stemmen. Richtigerweise bezieht die OECD die Arbeitgeberbeiträge für die Sozialversicherungen in ihre Berechnungen mit ein. Sie sind letztlich dem Arbeitnehmer zuzurechnen und sind auch Lohnbestandteil. Die OECD-Studie wird hoffentlich eine überfällige Diskussion über die Entlastung der Bürger in Deutschland befördern.

An erster Stelle ist die Lohnabhängigkeit der Sozialversicherungensbeiträgen zu nennen. Bleibt man im System der Lohngebundenheit der Sozialversicherungsbeiträge, dann müssen die Potentiale in den Sozialversicherungssystemen selbst stärker genutzt werden. Dies geschieht leider nicht. Trotz Sonderkonjunktur durch die Niedrigzinspolitik der EZB betragen die Gesamtbeitragssätze der gesetzlichen Sozialversicherungen (Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung) 39,75 Prozentpunkte – das ist der höchsten Wert seit 2013. Rechnet man die gesetzliche Unfallversicherung hinzu, liegen die Sozialversicherungsbeiträge inzwischen bei deutlich mehr als 40 Prozentpunkte des Arbeitslohnes.

Dies alles vor dem Hintergrund, dass inzwischen fast 40 Millionen Menschen in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind – der höchste Wert seit der Deutschen Einheit. Die Einnahmen sprudeln wie noch nie und dennoch steigen die Beitragssätze. Hinzu kommt, dass die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt auch im nächsten Jahr wahrscheinlich so weitergehen wird. Die Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen 2018 mit einem weiteren Absinken der Arbeitslosenquote auf nur noch 5,4 Prozentpunkte. 2005 lag sie fast doppelt so hoch.

Inzwischen hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) über 11 Milliarden Euro Überschüsse in ihrer Kasse gehortet und dennoch wird der Beitragssatz von 3 Prozentpunkten nicht reduziert. Dabei wäre das Potential groß. Die Beschäftigtenzahl der BA beträgt fast 100.000 Vollzeitstellen und ist im Vergleich zur Hochzeit 2005 nur marginal gesunken. Jetzt will Andrea Nahles die BA noch stärker für den Weiterbildungsmarkt öffnen, damit zumindest das Beschäftigungsniveau der BA gehalten werden kann. Bezahlen müssen dies alle Arbeitnehmer im Lande. Auch für die Aufblähung der Rentenversicherung durch Mütterrenten und Rente mit 63 müssen alle Arbeitnehmer aufkommen.

In den anderen Sozialversicherungssystemen sieht es nicht viel besser aus. In der gesetzlichen Krankenversicherung gelingt es nicht, den Beitragssatz zu reduzieren, stattdessen steigen vielfach die Zusatzbeiträge. Der Grund ist im Wesentlichen die überbordende Planwirtschaft im Gesundheitswesen mit ihren Ineffizienzen. Selbst die gesetzliche Pflegeversicherung, die eigentlich als Teilkaskoversicherung ausgelegt war, wird zunehmend zu einem Vollkaskosystem ausgebaut. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass der Beitragssatz inzwischen auf 2,35 Prozentpunkte angestiegen ist. Im deutschen Sozialversicherungssystem geht es immer nur um mehr Geld und mehr Leistungen im und für das System, das wie ein Schwarzes Loch alles ansaugt. Es gibt gar keine Diskussion darüber, ob bei Leistungsausweitungen auf der einen Seite auch Leistungseinschränkungen auf der anderen Seite notwendig sind.

Es wäre eigentlich höchste Zeit, eine Diskussion darüber zu führen, ob die Lohnabhängigkeit der gesetzlichen Sozialversicherungen nicht durch ein echtes Versicherungsprinzip abgelöst werden könnte. Warum soll die gesetzliche Unfallversicherung nicht durch ein privatwirtschaftliches Angebot sukzessive ersetzt werden? Warum soll die Private Krankenversicherung und die Private Pflegepflichtversicherung nicht für alle Arbeitnehmer geöffnet werden, statt nur für Selbstständige, Beamte und Gutverdiener? Warum kann der gesetzliche Rentenversicherungsbeitrag nicht um die derzeitigen Überschüsse reduziert und anschließend der Beitragssatz eingefroren werden? Verbunden mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags und einer Steuerreform, die ihren Namen verdient, hätten die Arbeitnehmer selbst die Möglichkeit, für das Alter vorzusorgen. Eine solche Steuerreform müsste Sparvorgänge für die Altersvorsorge, die Kinderausbildung und die eigengenutzte Immobilie viel flexibler und in viel größerem Umfang als bisher fördern, indem diese Sparvorgänge nachgelagert besteuern werden. Sie können also aus dem Brutto bespart werden und unterliegen erst im Entnahmezeitpunkt der Besteuerung.

Der Wohlstand eines Landes ist nicht in Stein gemeißelt, sondern die Basis für morgen wird heute gelegt. Wir können von den ersten wichtigen Reformen 2005 und ihrem durchschlagenden Erfolg lernen. Gerade in der jetzigen Situation können neue Wege eingeschlagen werden, ohne dass sie zu schmerzhaft werden. Echte, mutige und nachhaltige Reformen würden nicht nur jetzt zur Entlastung der Arbeitnehmer beitragen, sondern auch der Grund legen dafür, dass es den Arbeitnehmern hierzulande morgen und übermorgen besser geht.

Photo: Schwabe90 from Flickr (CC BY 2.0)

Die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs war für Wolfgang Schäuble ein teurer Kompromiss. Auf 9,5 Milliarden Euro an Steuern verzichtet der Bund ab 2020 zugunsten der 16 Bundesländer. Er glaubt, es verkraften zu können. Gleichzeitig hat er den Ländern abgerungen, dass für den Betrieb und die Finanzierung der Autobahnen künftig eine privatrechtliche Gesellschaft gegründet wird. Derzeit planen, bauen und unterhalten die Länder in Auftragsverwaltung für den Bund die Autobahnen. Diese öffentlich-rechtlichen Betriebe sind schwerfällig und teuer.

Schon wird das „Schreckgespenst“ der Privatisierung an die Wand gemalt. Tatsächlich kann der Bund seine Autobahnen aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht komplett privatisieren. Die Mehrheit an dieser Autobahngesellschaft muss immer die öffentliche Hand halten. Dennoch könnte eine private Rechtsform die Grundlage für mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit legen. Doch der Grund für Schäuble, dies den Ländern abzuringen, ist ein ganz anderer.

Schäuble sieht die aufkommende Existenzkrise der Lebensversicherungen in Deutschland. Die Niedrigzinspolitik der EZB führt diese an den Abgrund – und einen Schritt weiter. Sie finden keine rentierlichen Anlageformen mehr, die einen regelmäßige Ertrag bringen. Im Durchschnitt haben die Lebensversicherungen einen Garantiezins versprochen, der immer noch über 3 Prozent beträgt. Das ist mit klassischen Anleihen nicht mehr zu erwirtschaften. Gleichzeitig sind Anlagen der 90 Millionen Lebensversicherungsverträge zu über 90 Prozent in festverzinsliche Wertpapiere angelegt, deren Renditen seit Jahren dahinschmelzen wie das Eis in der Sonne.

Aus Sicht Schäubles wäre es doch gut, wenn die Lebensversicherungen auch verstärkt in die Infrastruktur investieren könnten. Dann hätte man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Man hätte privates Kapital aktiviert, um die marode Infrastruktur in Deutschland zu modernisieren und gleichzeitig den privaten Altersvorsorgeeinrichtungen in Deutschland eine berechenbare Ertragsquelle geschaffen. Dieser Weg wird schon länger beschritten. Die Anlagevorschriften wurden vor geraumer Zeit durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFIN) gelockert, so dass die Assekuranz leichter in die Energieinfrastruktur und demnächst auch in Autobahnen investieren kann. Jetzt reiben sich die Lebensversicherungen schon die Hände und spekulieren darauf, dass ab 2020 eine Minderheitenbeteiligung an der Autobahngesellschaft des Bundes möglich wird. Sowohl im Energiesektor, als auch bei den Autobahnen lenkt der Bund über seine Regulierung auch die Erträge der Investoren. Er könnte damit das Überleben der Energieunternehmen, aber auch der Lebensversicherungen, am langen Zügel steuern. Er führt also Investoren noch stärker in seine Abhängigkeit.

An diese „Kungelwirtschaft“ werden wir uns gewöhnen müssen. Es wird das Bild unserer Wirtschaft in den nächsten Jahren prägen. So lange die Zinsvernichtung der EZB und der anderen großen Notenbanken anhält, ist das einer der Kollateralschäden dieser Politik. Viele reden jetzt über eine mögliche Zinswende, die durch die Trump-Wahl in Amerika eingeleitet wurde. Vielleicht erhöht die FED ihren Leitzins leicht. Der generelle Trend der Notenbanken, die Zinsen zu drücken, wird aber anhalten. Würde eine generelle Zinswende bei den langfristigen Zinsen einsetzen, würde die Weltwirtschaft sofort einbrechen und die überschuldeten Staaten und Banken, unter anderem in Europa, in den Abgrund stürzen. Schäubles Autobahngesellschaft wird die Lebensversicherer und Energiekonzerne dann nicht retten können.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 19. November 2016.

Photo: futurestreet from Flickr (CC BY 2.0)

Von Gottfried Heller, Vermögensverwalter und Autor des Buches „Der einfache Weg zum Wohlstand„.

Angela Merkel ist sauer. Mal wieder. Hat es doch der DGB gewagt, so kurz vor der Bundestagswahl auf die Krise der Rentenversicherung aufmerksam zu machen. Das befördere, klagte die Kanzlerin, ohne Not die Angst vor Altersarmut. Und  das nutze der AfD. Mit diesem Totschlagargument kann sie aber nicht jedes Problem unter den Teppich kehren. Vor allem dann nicht, wenn es so himmelschreiend ist wie bei der Altersvorsorge.

Die Kanzlerin hätte nur ihre Sozialministerin Andrea Nahles fragen müssen. Die hatte Ende September alarmierende Ergebnisse vorgestellt: Wenn alles bleibt wie es ist, wird das gesetzliche Rentenniveau von 47,8%bis 2030 auf 44% und bis 2045 auf 41,6% fallen. 2001 waren es noch 52,6% des Durchschnittslohns. Trotzdem von drohender Altersarmut keine Spur, meint Merkel. Was nicht sein darf, kann auch nicht sein.

Dabei sind die neuen Zahlen von der Tendenz her längst bekannt. 2012 hatte die damalige Sozialministerin von der Leyen vorgerechnet, 2030 müssten Arbeitnehmer, die weniger als 2500 Euro verdienen, „mit dem Tag des Renteneintritts den Gang zum Sozialamt“ antreten. Dabei fangen die Probleme ab 2030 erst richtig an, weil dann die geburtenstärksten Jahrgänge in Rente gehen.

Aber statt überfällige Reformen –auch schmerzhafte – durchzuführen, die von Schwarz-Rot mit 80% Stimmenmehrheit leicht umsetzbar gewesen wären, hat Kanzlerin Merkel die Chance leichtfertig vertan und das Thema „Rente“ in der Schublade versenkt. Mit ihrem üblichen Aussitzen hat sie wertvolle Zeit vergeudet, Zeit, die eine Reform der Alterssicherung nicht hat. Stattdessen verteilte die „GroKo“ mit abschlagfreier Rente mit 63 und Mütterrente neue Wohltaten, die bis 2030 zusätzlich 130 Milliarden Euro kosten.

Falls Frau Nahles in ihrem für November angekündigten neuen Rentenkonzept die Forderung ihres Parteichefs Sigmar Gabriel und des DGB erfüllt, das Rentenniveau auf dem jetzigen Stand einzufrieren, wird alles noch viel teurer – 2030 entstünden Mehrkosten von jährlich 19 Milliarden Euro und 2045 von sage und schreibe 40 Milliarden Euro. Finanziert werden müsste das mit einem Sprung des Beitragssatzes von 18,7% auf 26,4%. Nahles hat die Schleusen schon geöffnet und erklärt, die Beiträge blieben „nicht bei den 22% stehen“, die als Höchstgrenze bis 2030 festgeschrieben sind.

Wie man es dreht und wendet, die Regierung hat nur drei Stellschrauben: die Rentenhöhe, den Beitragssatz und das Renteneintrittsalter. Mal ist die Lösung zu teuer, mal menschlich nicht zumutbar oder ideologisch nicht akzeptabel. Die Rechenakrobaten im Sozialministerium mühen sich vergeblich: Der frühere SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering hat es auf den Punkt gebracht: „Weniger Kinder, später in den Beruf, früher raus, länger leben, länger Rente beziehen: Wenn man das nebeneinander legt, muss man kein Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Das kann nicht gehen!“ Recht hat er, der Sauerländer Müntefering. Er wollte bildhaft klarmachen, dass ein späterer Rentenbeginn und Abstriche bei der Rentenhöhe unvermeidbar sind. Nahles und Merkel hätten wohl Volksschule Sauerland nicht geschafft. Aber für die Bundesregierung hat es allemal gereicht.

Um wachsende Altersarmut zu vermeiden, muss schnellstens eine Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge erfolgen. Das hat die Koalition zwar vor – aber mit den Mitteln, die schon in der Vergangenheit versagt haben, nämlich solchen, die auf Lebensversicherungen basieren. Die setzen  fast nur auf Zinsanlagen und verzichten weitgehend auf Aktien. Ausgerechnet  die langfristig ertragreichste Anlageform wird mit 4 % Anteil sträflich vernachlässigt.

Die heftig gescholtene Riester-Rente, die betrieblichen Pensionskassen und neue Lebensversicherungsverträge werfen deswegen lächerliche Renditen ab. Mit deutscher Gründlichkeit, mit Regulierungswut, teuren Garantieversprechen, Risikoscheu und Aktienfeindlichkeit ist das System der Altersvorsorge deshalb zur Zeitbombe geworden.

Schon in biblischen Zeiten gab es eine Regel, wie das Vermögen am besten aufzuteilen sei: Ein Drittel im Beutel, ein Drittel in Häusern, ein Drittel in Geschäften. Übersetzt heißt das: Ein Drittel in Festgeld und Festverzinslichen, ein Drittel in Immobilien und ein Drittel in Aktien. Die Deutschen dagegen sind in Geschäften – also Aktien mit 8 % Anteil am Gesamtvermögen – total unterinvestiert. Wollten sie bibeltreu anlegen, müssten sie den Aktienanteil vervierfachen. Das würde sich lohnen.

Aktien sind langfristig die mit Abstand ertragreichste Anlageform. Einschließlich wieder angelegten Dividenden betrugen die durchschnittlichen jährlichen Renditen in den 45 Jahren bis 2015 an den wichtigsten Börsen 10 bis 11 Prozent. Davon können die von Albträumen geplagten Zinssparer nur träumen.

Für die private und betriebliche Altersvorsorge ist deshalb ein viel höherer Aktienanteil unverzichtbar. Anstatt aber das Rad neu zu erfinden, würde ein Blick ins Ausland helfen, um bewährte Lösungen zu finden und zu übernehmen.

In der Schweiz können Einzahlungen in die „gebundene Vorsorge“ bis zu bestimmten Höchstbeträgen vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden, und die Kapitalzuwächse bei Aktien, Anleihen, Fonds, etc. sind in der Ansparphase steuerfrei. Der Maximalbetrag beläuft sich 2016 bei Personen ohne betriebliche Vorsorge auf 20% des Nettoeinkommens, maximal umgerechnet rund

31 000 Euro, bei Personen mit beruflicher Vorsorge – die in der Schweiz üblich ist – auf gut 6200 Euro. Nach der Auszahlung werden die Erträge  zu vergünstigten Sätzen besteuert.

In Frankreich gibt es den Aktiensparplan PEA (Plan d Épargne en Actions), in den Jeder bis zu 150 000 Euro in Aktien, Fonds und Zinsanlagen investieren kann. Voraussetzung: 75 % der Aktien sind von Unternehmen aus der EU. Die Erträge sind steuerfrei, ab fünf Jahren  Haltedauer auch die Kursgewinne. 2014hat die Regierung zusätzlich einen PEA für kleine und mittlere Unternehmen eingerichtet, in den weitere 75 000 Euro angespart werden können. Ein Ehepaar kann zusammen also bis zu 450 000 Euro in renditestarken Aktien und Fonds investieren. Im Vergleich dazu sind die Riester-Höchstbeträge ein Witz.

Die USA sind ein Musterbeispiel betrieblicher und privater Altersvorsorge. Da dort die Beitragssätze zur Rentenversicherung mit 12,4 % um 6,3 Prozentpunkte niedriger sind als in Deutschland – und seit über 30 Jahren unverändert – haben Arbeitnehmer netto mehr von ihren Löhnen übrig, und Unternehmen müssen weniger einzahlen. Dieses „eingesparte“ Geld fließt seit 1978 vielfach in die betriebliche Vorsorge, die mit dem 401(k) Plan eine rentable und flexible Lösung bietet. Viele Arbeitgeber beteiligen sich mit 50 bis 100% an den Beiträgen. Die Arbeitnehmer können bis zu 18 000 Dollar (2016) jährlich einzahlen, über 60-jährige zusätzlich 6000 Dollar. Die Beiträge fließen überwiegend in Aktien- und gemischte Fonds, bei denen die Anlagestrategie auf das erwartete Rentenalter abgestimmt wird. Sie sind für Arbeitnehmer steuerfrei, der Arbeitgeber kann seinen Anteil als Betriebsausgaben absetzen. Zusätzlich gibt es den Roth-IRA, mit dem aus versteuertem Einkommen Vorsorgevermögen bis zu jährlich 5500 Dollar gebildet werden kann. Kapitalwachstum, Dividenden und Zinsen sind nach fünf Jahren steuerfrei.

Die unkomplizierte, flexible und renditestarke Art der Altersvorsorge bewirkt, dass US-Bürger kurz vor Renteneintritt im Durchschnitt 360 000 Dollar auf ihren Vorsorge-Konten angespart haben.  Die Amerikaner besitzen laut dem Allianz Global Wealth Report über 202 000 Euro Durchschnittsvermögen, die Deutschen mit 68 000 Euro nur ein Drittel davon. Deutschland ist in der Industrie Weltklasse, bei Vermögensbildung und Altersvorsorge Provinzklasse. Das lässt sich leicht ändern.

Das Rad in der Altersvorsorge ist andernorts schon erfunden und läuft rund. Unsere überforderten Gesetzesgeber könnten es einfach kostenlos und zollfrei importieren.

 

Photo: ILRI from Flickr (CC BY 2.0)

Von Diego Zuluaga, International Research Fellow am Institute of Economic Affairs und Deputy Director von EPICENTER, einem pan-europäischen Think-Tank-Netzwerk.

Ökonomische Debatten werden oft dargestellt als Wettbewerb zwischen zwei entgegengesetzten Interessensgruppen. Der Sozialismus nach Marx brachte Kapital und Arbeit gegeneinander in Stellung. Manch eine Variation zu dieser Auseinandersetzung ist nach wie vor sehr populär unter Linken in Europa und Nordamerika: reich gegen arm, die ein Prozent gegen die 99 Prozent, die entwickelten Staaten gegen die Entwicklungsländer. Die Protektionisten – 19.Jahrhundert-Merkantilisten oder die jüngere Variante Trump – setzen die Trennlinien zwischen Einheimischen und Ausländern, heimische Produkte und Importen, Handelsüberschüsse und Handelsdefizite.

Beide Erzählungen begreifen Wirtschaft zum Teil oder ganz als Nullsummenspiel. Liberale und Libertäre halten dem entgegen, dass eine solche Analyse grundsätzlich falsch ist. Das Pro-Kopf-Einkommen in Westeuropa, den USA und anderen industrialisierten Staaten hat sich seit 1800 um das 20- bis 30fache gesteigert. Auf anderen Kontinenten dauerte die Entwicklung länger. Dafür ging es in den vergangenen Jahren mit sehr eindrucksvollen Sprüngen nach vorne: In Lateinamerika ist das Einkommen heute vier Mal höher als 1930, in Asien acht Mal höher als 1951. Und dabei muss man bedenken, dass der Durchschnitt gesenkt wird durch humanitäre Katastrophen wie in Nordkorea, im Kambodscha der 70er Jahre und zuletzt in Venezuela.

1

Die geschichtliche Entwicklung widerlegt die Vorstellung von Wirtschaft als einem Prozess, in dem der Gewinn des einen der Verlust des anderen sein muss – ob innerhalb einzelner Länder oder zwischen den Ländern. Die oft wiederholte Behauptung, dass die letzten drei Jahrzehnte der Globalisierung den ärmeren Ländern zwar genutzt hätten, dass dies aber auf Kosten der arbeitenden Mittelschicht in den entwickelten Ländern geschehen sei, ist sehr fraglich. Ein Bericht der „Resolution Foundation“ hat sich dieser Frage jüngst angenommen. Häufig wird die Behauptung aufgestellt im Zusammenhang mit der „Elephant Curve“, die von den Weltbank-Ökonomen Christoph Lakner und Branko Milanovic konzipiert wurde. Diese Kurve zeigt, dass von 1988 bis 2008 das Einkommen stagniert für die obersten 80 bis 90 Prozent bei der weltweiten Einkommensverteilung. In der Aufarbeitung der Studie von Lakner und Milanovic haben viele diese Schicht als die Verlierer der Globalisierung ausgemacht: Jene untere Mittelschicht in Europa und Nordamerika, die nun dem Freihandel den Rücken zukehren und Populisten wählen.

2

Die Wissenschaftler bei der „Resolution Foundation“ haben festgestellt, dass die Elefantenkurve verschwindet, sobald man die Daten anpasst an das Bevölkerungswachstum in ärmeren Ländern und den demographischen Wandel in reicheren, und wenn man Japan, die postkommunistischen Staaten Osteuropas und das boomende China außen vorlässt. Dann haben wir plötzlich eine bemerkenswert gleichmäßige Verteilung der Einkommensgewinne über das gesamte verbliebene Spektrum hinweg.

3

Das Argument der Kluft zwischen Arm und Reich – auf der Ebene der einzelnen Länder ebenso wie global – verliert an Schlagkraft. Einige bemerken nun, dass die tatsächliche Trennung nicht horizontal, sondern vertikal verlaufe. Und zwar zwischen denjenigen, die politischen Einfluss haben, und denjenigen, die ihn nicht haben. Es kann sein, dass diese Trennung mit Einkommensunterschieden korreliert – insbesondere auf lange Sicht, weil diejenigen mit mehr politischem Einfluss diesen benutzen, um Ressourcen umzuverteilen. Vielleicht korrelieren sie aber auch nicht. Es ist keine Trennung entlang der Linien Wohlstand, Kaufkraft oder Eigentum, sondern in Bezug auf Zugang zu rechtlichen Privilegien, Steuergeldern und anderen Erträgen politischer Prozesse.

So haben etwa viele entwickelte Länder Subventionsmechanismen für die Landwirtschaft. Diese werden in der Regel aus Steuergeldern bezahlt. Die Grundlage dieser Umverteilung ist nicht ein Einkommensunterschied zwischen Landwirten und der anderen Bevölkerung. Vielmehr ist sie das Ergebnis vom starken und gut organisierten Einfluss der Landwirtschaft, die sich gegen die diffusen Interessen und geringen Anreize zur Gegenwehr auf Seiten der breiten Bevölkerung durchsetzt. Auf einer ähnlichen Grundlage können sich kartellierte Branchen wie die Taxi- und Pharma-Industrie durchsetzen und ganz grundsätzlich strenge Lizenzvergaben und hohe Mindestlöhne in vielen Bereichen.

Ökonomische Theorien und Wirtschaftsgeschichte zeigen, dass der freie Austausch zu Ergebnissen führt, die für alle Beteiligten von Vorteil sind. Im Gegensatz dazu profitieren durch rechtlich gesicherte Privilegien einzelne Gruppen auf Kosten von anderen. Gezielte Subventionen werden von allen Steuerzahlern getragen, die Gewinne von Monopolisten werden von den Verbrauchern bezahlt und die Kosten von Lizenzierung werden von denen getragen, die deshalb keinen Zugang zum Gewerbe bekommen. Wenn staatliche Privilegien im Spiel sind, fließt kein Freibier.

Über die meiste Zeit im 19. und 20. Jahrhundert trieben staatlich geförderte Privilegien einen Keil zwischen die Privilegierten und die Anderen anhand von speziellen Kriterien wie Beruf, Nationalität, Qualifikation oder familiärer Herkunft: gelernte gegen ungelernte Arbeiter, Bauern gegen Industriearbeiter, organisierte Arbeiterschaft gegen unorganisierte, Einheimische gegen Zuwanderer, heimische Firmen gegen Importeure und so weiter. Inzwischen freilich wird im gesamten Westen die Teilung am deutlichsten entlang der Generationen. Insbesondere die Älteren haben sich eine Reihe an staatlichen Privilegien gesichert – auf Kosten der Jüngeren.

Diese Ungleichheit zwischen den Generationen kommt in vielerlei Gewändern daher. So haben zum Beispiel strenge Bauvorschriften in Großbritannien dazu geführt, dass die Median-Hauspreise inzwischen fünf Mal höher sind als die Median-Einkommen (in London sogar neun Mal höher). Das ist erheblich höher als der Standard in den meisten entwickelten Staaten, wo der Median-Hauspreis bei dem zwei- bis dreifachen liegt. Von den Preissteigerungen profitieren vor allem die Über-50järigen, die bereits gut untergekommen sind. Ihr eigener Wohlstand ist rasch gewachsen, aber sie haben die Mieten enorm steigen lassen, so dass für die Unter-40jährigen wohnen immer teurer wird.

4

In der gesamten EU gibt es sehr große Unterschiede in der Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zur allgemeinen Arbeitslosigkeit. Die Raten von bis zu 50 Prozent in Spanien und Griechenland schaffen es bisweilen in die Schlagzeilen. Doch auch in Frankreich, Polen, Tschechien und Belgien ist die Arbeitslosenquote der Unter-25jährigen drei Mal höher als die allgemeine Quote, in Schweden, Großbritannien und Italien vier Mal höher. Manche Unterschiede mag man durch das langsame Wachstum nach der Krise erklären können – ein großer Teil hat aber strukturelle Ursachen. Es liegt an einem Arbeitsrecht, das Neueinstellungen teuer macht und Entlassungen sehr schwierig. Und es liegt an Mindestlöhnen, die häufig höher sind als die mögliche Produktivität ungelernter Arbeiter. All diese Eigenschaften des europäischen Arbeitsmarktes sprechen gegen die Jungen.

5

Schließlich sind da noch die gigantischen Rentenversprechen, die europäische Regierungen gemacht haben. Und das angesichts schrumpfender Bevölkerungszahlen und steigender Lebenserwartung. Eine Untersuchung, die Jagadeesh Gokhale für das Institute of Economic Affairs durchgeführt hat, hat gezeigt, dass diese Verpflichtungen in einigen EU-Staaten das Drei- bis Vierfache des nationalen Einkommens. Wollte man diese Versprechen erfüllen ohne das Renten- und Krankenversicherungssystem radikal umzustrukturieren, so müsste man das Steueraufkommen in den meisten Ländern mehr als verdoppeln oder die öffentlichen Ausgaben drastisch reduzieren.

6

Diejenigen von uns, die im Internet-Zeitalter aufwuchsen, müssen für vieles dankbar sein. Der durchschnittliche junge Mensch heute ist wohlhabender, sicherer, gesünder und besser ausgebildet als je zuvor in der Geschichte. Sowohl in den entwickelten Ländern als auch in den meisten Entwicklungsländern. Doch ein Fluch des wachsenden Wohlstands ist das gleichzeitige Wachstum von staatlich gewährten Privilegien, wobei die Bürger mittleren und höheren Alters die größten Nutznießer sind, während die Jüngeren – bisweilen sogar die noch gar nicht Geborenen – die Rechnung präsentiert bekommen. Dieser Trend ist nicht nachhaltig – selbst unter den optimistischsten Prognosen im Blick auf Wirtschaftswachstum und demographische Entwicklung.

Der scheidende US-Präsident Barack Obama hat Ungleichheit als „die entscheidende Herausforderung unserer Zeit“ bezeichnet. Es kann gut sein, dass sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin das Ende der Globalisierung zum entscheidenden Merkmal seiner oder ihrer Politik machen wird. Dennoch – oder gerade deswegen: während Behauptungen über wachsende Ungleichheit und den Freihandel widerlegt werden, täten Politiker gut daran, ihre Aufmerksamkeit der wachsenden Kluft zwischen Alt und Jung zuzuwenden. Darin liegt wohl die grundlegende unbeantwortete Herausforderung unserer Zeit.

Erstmals veröffentlicht auf dem Blog von Epicenter.