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Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Präsident Macron hat für die Eurozone einen Fonds zur Krisenintervention vorgeschlagen. Der Fonds soll Euroländern, die zum Beispiel in eine Rezession geraten, zinsgünstige Kredite geben. Zu zahlen wäre der durchschnittliche Zins, den die Euroländer am Kapitalmarkt aufbringen müssen. Der Fonds würde daher nur von den weniger kreditwürdigen Ländern in Anspruch genommen, die am Markt einen überdurchschnittlichen Zins zahlen müssten. Dabei hängt die Kreditwürdigkeit weniger von der vorübergehenden Konjunkturlage als vom Umfang der bereits bestehenden Staatsverschuldung (relativ zum Bruttosozialprodukt) und von der Vertrauenswürdigkeit der politischen Institutionen ab.

Vergleicht man den geplanten Krisenfonds mit dem existierenden „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM), so fällt zunächst die Verwässerung der Zugangsbedingungen auf. Gemäß Art. 3 des ESM-Vertrages können Kredite nur an diejenigen ESM-Mitglieder vergeben werden, „die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen …, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist“. Solange also zum Beispiel Frankreich nicht schwerwiegende Finanzierungsprobleme drohen, welche die Finanzstabilität der Eurozone gefährden, kommt das Land nicht an das Geld des ESM heran. Im Gegenteil, Frankreich ist Nettozahler, weil es die subventionierten ESM-Kredite an Griechenland, Zypern, Irland, Portugal und den spanischen Bankenfonds mitfinanziert. Der französische Präsident Sarkozy war 2010 bereit, diesen Preis zu zahlen, weil er unbedingt verhindern wollte, dass ein Eurostaat – zuerst Griechenland, nach diesem Präzedenzfall aber vielleicht irgendwann auch Deutschland – aus der Währungsunion austreten würde. Der ESM wird den Franzosen aber allmählich zu teuer, zumal nach der Bundestagswahl Schuldenerleichterungen für Griechenland anstehen. Es ist unwahrscheinlich, dass Frankreich selbst früher oder später vom ESM billige Kredite erhalten könnte. Aber die Zugangsbedingung des neuen Krisenfonds – eine Rezession – wird Paris von Zeit zu Zeit erfüllen können. Wenn die anderen Euroländer – allen voran Deutschland – im gewichteten Durchschnitt kreditwürdiger sind, lohnt sich der französische Griff in die Krisenkasse. Vielleicht gelingt es Macron sogar, den bestehenden ESM ganz oder teilweise zum Krisenfonds für Rezessionen umzufunktionieren.

Macron will nicht nur den ESM-Vertrag, sondern auch den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ändern, denn dieser lässt eine Ausnahme vom Bail-out-Verbot des Art. 125 AEUV nur zu, „wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets zu wahren“ (Art. 136 Abs. 3, eingefügt im März 2011). Die von Macron vorgeschlagene Vertragsänderung bedarf der Zustimmung aller 28 Mitgliedstaaten und könnte in einigen relativ kreditwürdigen Eurostaaten auf Widerstand stoßen.

Neben den Verteilungswirkungen des Krisenfonds ist seine Effizienz zu untersuchen. In der Vergangenheit war es so, dass der Staat in der Rezession sein Haushaltsdefizit erhöhte, indem er sich am Kapitalmarkt verschuldete. Der Weltkapitalmarkt verteilte die Schocks effizient auf die gesamte Weltwirtschaft. Demgegenüber würde der Krisenfonds die Risiken in den Euroländern konzentrieren. Das wäre weniger effizient.

Da sich das Krisenland beim Fonds billiger verschulden kann als am Markt – d. h., billiger, als seiner Kreditwürdigkeit entspricht -, erhält es zugleich einen stärkeren Anreiz sich zu verschulden. Vielleicht gibt es keynesianische Ökonomen, die das begrüßen würden. Nicht einverstanden wären Ricardianer wie Robert Barro und politische Ökonomen wie James Buchanan. Aus politisch-ökonomischer Sicht ist zu beachten, dass die Regierenden vor der Wahl nicht nur die Rezession überwinden, sondern auch einen vorübergehenden Boom – ein konjunkturelles Strohfeuer – herbeizaubern möchten. An einem solchen politischen Konjunkturzyklus sind die Bürger nicht interessiert. Die Zinssubvention des Krisenfonds vergrößert daher die Diskrepanz zwischen den Wünschen der Bürger und den Taten der Politiker.

Da die konjunkturelle Entwicklung unsicher ist, kann Macrons Krisenfonds als Versicherung gegen makroökonomische Schocks betrachtet werden. Der Schaden ist die Rezession oder Krise, die Versicherungsleistung ist die Zinssubvention. Aber in diesem Fall wird die Versicherung nur von denen in Anspruch genommen, deren Kreditwürdigkeit geringer als der Durchschnitt ist. Die überdurchschnittlich kreditwürdigen Mitgliedstaaten zahlen zwar auch Beiträge in den Fonds ein, aber sie empfangen von ihm keine Versicherungsleistungen. Das bedeutet: die relativ kreditwürdigen Mitglieder schenken den nicht so kreditwürdigen Mitgliedern Versicherungsschutz gegen wirtschaftliche Krisen. Die Versicherung ist offensichtlich nicht versicherungsmathematisch fair und daher nicht effizient. Außerdem schwächt sie den Anreiz, durch eine gute Wirtschaftspolitik Krisen zu vermeiden. Das ist der sogenannte Moral Hazard. Es ist ein Fehler zu glauben, dass sich die Menschen gegen alle Risiken versichern sollten.

Der Fonds erspart es den Regierungen der unterdurchschnittlich kreditwürdigen Krisenländer, sich zu hohen Zinsen am Kapitalmarkt zu verschulden. Mit Hilfe des Fonds können sie ihre mangelnde Kreditwürdigkeit vor dem Wahlvolk verschleiern. Er versichert die Politiker gegen das Risiko, dass das Wahlvolk erkennt, wie gering der Weltkapitalmarkt ihre Kreditwürdigkeit einschätzt.

Gefragt, ob sie sich einen Euro-Krisenfonds à la Macron vorstellen könne, bemerkte Angela Merkel jovial: „Why not?“ Der vorliegende Beitrag ist ein Versuch, ihre Frage zu beantworten. Ist der französische Plan raffiniert genug, um die Deutschen zu übertölpeln?

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Das Treffen des deutsch-französischen Ministerrates in dieser Woche sollte dazu dienen, Angela Merkel und Emmanuel Macron als die neuen Reformer in Europa zu präsentieren. Eine engere militärische Zusammenarbeit wurde vereinbart, gemeinsame Forschungsprojekte angestoßen und das Handlungsfeld für die Reformen der Währungsunion abgesteckt. Konkretes war bei Letzterem Mangelware.

Das Thema Euro ist für die Kanzlerin zu heikel, als dass es den Wahlkampf stören sollte. Im Hintergrund wird aber bereits seit Wochen verhandelt. Macron und Frankreich wollen seit Langem einen Euro-Finanzminister mit einem eigenen Haushalt etablieren, um durch öffentliche Investitionen die Angleichung der Volkswirtschaften in der Eurozone zu erreichen. Merkel und Wolfgang Schäuble wollen den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zu einem Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln, der im Notfall Kredite vergeben kann, aber ohne die Beteiligung des unliebsamen Internationalen Währungsfonds. Eine weitere Differenz beider ist die Vorgehensweise. Macron will dies alles durch Änderungen der Europäischen Verträge erreichen, die deutsche Seite ist hier skeptischer, ob dies gelingen kann und ob noch mehr Kompetenzen an die Kommission abgegeben werden sollten. Insbesondere Schäuble misstraut den Bürokraten in Brüssel und will daher lieber an der EU vorbei intergouvernementale Verträge der Euro-Staaten untereinander schließen. So funktioniert bereits der ESM, die Kommission und das EU-Parlament haben darauf keinen Einfluss.

Jetzt hat der Chef des Euro-Krisenfonds ESM, Klaus Regling, die Katze aus dem Sack gelassen. Er schlug vor, den ESM nicht nur bei Gefahren für den Euro als Ganzes einzusetzen, sondern auch bei „plötzlich schweren Krisen“ in einem Mitgliedsland. Der Fonds sollte dafür von derzeit 700 um weitere 100 bis 200 Milliarden Euro gefüllt werden. Anleihe nimmt Regling am „Rainy-Day-Fonds“ in den Vereinigten Staaten, der bei Naturkatastrophen in den einzelnen US-Bundesstaaten zum Einsatz kommt. Vergleiche hinken, auch dieser.

Die Euro-Schuldenkrise ist keine Naturkatastrophe oder schlechtes Wetter, sondern von Menschenhand gemachte Misswirtschaft der Regierungen. Der ESM wird auch nicht nur dann eingesetzt, wenn der Euroraum als Ganzes gefährdet ist – schön wäre es. Er wird immer dann eingesetzt, wenn es tagespolitisch opportun ist. Bereits bei seinem ersten Testfall, der drohenden Zahlungsunfähigkeit Zyperns im Jahr 2013, kam er zum Einsatz. Damals war schon klar, dass eine kleine Insel im Mittelmeer, deren Fläche nur zur Hälfte zur EU und zum Euroraum gehört, niemals den Euroraum als Ganzes gefährden kann. Deren größte Bank, die damals in Schieflage geriet, war kleiner als die Hamburger Sparkasse und es leben weniger Menschen dort als in Köln.

Doch was Macron will, ist nicht nur einen größeren Krisenfonds zu schaffen, sondern einen Finanzausgleich, vergleichbar dem Länderfinanzausgleich in Deutschland. Dieser wurde zwar hierzulande gerade beerdigt, aber dennoch dient er als Vorbild. Es soll ein Umverteilungsmechanismus geschaffen werden, bei dem die reicheren Länder den ärmeren Ländern regelmäßig helfen. Der deutsche Anteil an diesem Topf würde rund 30 Prozent betragen, also je nach Größe bis zu 60 Milliarden Euro. Zum Vergleich, das ist mehr als das Dreifache dessen, was der Bund derzeit für Bildung und Forschung ausgibt. Das ist für eine Kanzlerin vor einer wichtigen Wahl schwierig zu erklären.

Beide Pläne sind daher sehr gefährlich für den Steuerzahler hierzulande. Der Einstieg in einen Länderfinanzausgleich wäre ein Fass ohne Boden, der unendliche Summen verschlingen würde, ohne dass die Ursachen der Wirtschaftsschwäche in Südeuropa wirklich angegangen würden. Im Gegenteil würden der Reformdruck genommen und private durch öffentliche Investitionen ersetzt. Aber auch ein Europäischer Währungsfonds, der den IWF rausschmeißt, würde das Kungeln innerhalb der Eurogruppe nur noch erhöhen. Mehr Prinzipientreue ist dadurch nicht zu erwarten. Deutschland gewinnt nichts, wenn es die falschen Rezepte zur Krisenbewältigung von Frankreich übernimmt, nur weil man Präsident Macron stützen will. Und Frankreich gewinnt nichts, wenn es Deutschland durch einen Länderfinanzausgleich schwächt, nur weil man nicht bereit ist, die Hausaufgaben im eigenen Land zu machen. Und Angela Merkel gewinnt nichts, wenn sie die Wähler über ihre eigentliche Absicht hinter die Fichte führt.

Erstmals erschienen in der Fuldauer Zeitung am 15.07.2017

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Die wirtschaftliche Schwäche in weiten Teilen Südeuropas hat ursächlich mit den faulen Krediten des Bankensektors zu tun. In der Europäischen Union summieren sich diese Kredite inzwischen auf 920 Milliarden Euro. Das sind über 7 Prozent der Wirtschaftsleistung. Über 200 Milliarden Euro faule Kredite liegen allein in den Büchern italienischer Banken. Dies entspricht über 11 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung. Fast 13 Prozent der Kredite sind notleidend – die Schuldner befinden sich bereits in Verzug. Zwei Prozent wären normal. Noch schlimmer sieht es in Griechenland aus. Dort sind Kredite in einem Volumen von 100 Mrd. Euro faul. Fast die Hälfte (45,2 Prozent) der Kredite werden nicht mehr regelmäßig von den Kreditnehmern bedient, bei den Konsumentenkrediten liegt die Quote sogar bei 54 Prozent. Eine wirtschaftliche Erholung ist schon deshalb in Griechenland fast unmöglich. Ähnlich sieht es in Zypern, Spanien und Portugal aus.

Bereits im Januar hat der Chef der Europäischen Bankenaufsicht EBA, der Italiener Andrea Enria, daher eine europäische „Bad Bank“ gefordert, in der die faulen Kredite der europäischen Banken gebündelt und mit einer staatlichen Ausfallgarantie versehen werden. Ihm geht es letztlich um eine Umverteilung innerhalb der Euro-Zone. Die im Moment noch besser dastehenden Euro-Länder sollen mit ihrer Wirtschaftskraft für die anderen geradestehen. Am Dienstag kam das Thema erneut beim Treffen der Euro-Finanzminister auf die Tagesordnung. Lediglich über einen „Aktionsplan“ zum Abbau der faulen Kredite konnten sich die Finanzminister verständigen. Insbesondere Wolfgang Schäuble passt die Bad-Bank-Diskussion derzeit nicht ins Konzept. Noch nicht!

Tatsächlich kommt das Thema nach der Bundestagswahl wieder auf die Tagesordnung. Denn ohne eine Lösung der faulen Kredite kommen die südeuropäischen Länder nicht auf die Beine. Deren Wachstumsschwäche hängt ursächlich damit zusammen. Deren Banken vergeben deshalb nicht vermehrt neue Kredite, weil sie bereits hohe Risiken in ihren Büchern haben und neue befürchten. Das lässt sie insgesamt zurückhaltender sein.

Allmählich dämmert es allen Beteiligten, dass die Politik der EZB gescheitert ist. Bislang hat die EZB geglaubt, ihre Nullzinspolitik würde die Kreditvergabe und damit auch die Konjunktur in den Südländern anregen. Doch dem maroden Bankensektor hilft das nicht weiter. Tendenziell verschärft sie eher die Situation. Denn auch für Banken in Italien und anderswo bricht das Einlagegeschäft durch Nullzinsen weg und im Kreditgeschäft sinken die Margen bei nach wie vor hohen Ausfallwahrscheinlichkeiten. Lediglich die Staatskassen profitieren. Italien kann sich mehr Schulden leisten. 2.300 Milliarden Euro betragen sie aktuell. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind das inzwischen 133 Prozent, so viel wie seit den 1920er Jahren nicht mehr. Die Inflation, die die EZB mit ihrer Politik auf 2 Prozent bringen will, springt nicht an, weil das Volumen der Bankkredite in Südeuropa stagniert. Die italienischen Staatsschulden sind der Garant dafür, dass die Zinsen im Euroclub niedrig bleiben werden. Mario Draghi sitzt in der Zinsfalle.

In diesem Umfeld ist es erstaunlich, wie sich in der Euro-Schuldenkrise die Argumente verändern. Noch 2007, 2008 und 2010 hieß es, wenn Banken wie Lehman, Hypo Real Estate oder auch Länder wie Griechenland Pleite gehen, dann habe das unabsehbare Folgen. Es würde zu einem Flächenbrand führen, an dessen Ende das ganze Finanzsystem zusammenbrechen würde. Das war die Begründung für die Überwälzung der Lasten von den Eigentümern und Gläubigern auf die Steuerzahler. Anschließend hieß es: nie, nie, nie wieder dürfe der Steuerzahler für das unmoralische Handeln der Banker herangezogen werden. Die Antwort der Euro-Staaten war der Europäische Stabilitätsmechanismus, eine einheitliche Bankenaufsicht und ein Abwicklungsmechanismus für nicht mehr überlebensfähige Banken. Den ersten Lackmustest haben zumindest die italienischen Banken nicht überstanden. Mit dem Niedergang der ältesten Bank der Welt, der Monte dei Paschi di Siena, wurde bereits die obligatorische Gläubigerhaftung durch eine staatliche Beihilfe und die Verlagerung fauler Kredite in eine nationale Bad Bank umgangen.

Bei den beiden Volksbanken Veneto Banco und Banca Popolare di Vicenca musste jetzt ebenfalls der Steuerzahler in Italien geradestehen. Dieses Mal war jedoch das Argument nicht, dass die beiden Banken zu groß oder zu sehr mit anderen Instituten vernetzt seien, sondern dass sie zu klein wären und daher nicht den europäischen Regeln unterliegen würden. Was nicht passt, wird passend gemacht. Nach diesem Prinzip handelt die Europäische Union und ihre Mitglieder seit Ausbruch der Euro-Schuldenkrise. Dabei ist die Lösung, Bankschulden durch staatliche Schulden zu ersetzen, nicht zielführend. Es ist „linke Tasche rechte Tasche“. Je länger die Kreditausweitung aus dem Nichts ausgeweitet wird, ohne das es dafür ein tragbares ökonomisches Fundament gibt, desto größer ist der anschließende Korrekturbedarf. Spätestens nach der Bundestagswahl wird nicht nur der Euro-Finanzminister mit einem eigenen Euro-Etat etabliert, sondern auch in einer europäischen Bad Bank die faulen Kredite entsorgen. Darüber schweigt Schäuble geflissentlich. Das darf man ihm nicht durchgehen lassen.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick

Photo: yoppy from Flickr (CC BY 2.0)

Tausende von Chaoten werden am Wochenende beim G20-Gipfel in Hamburg demonstrieren. Sie verorten sich politisch links, meist sogar extrem links. Ab Freitag wird die Hansestadt daher den größten Polizeieinsatz ihrer Geschichte erleben. Der so genannte „schwarze Block“ will nicht nur Transparente hochhalten, sondern wird seine „Meinung äußern“, indem er Gegenstände auf Polizisten wirft und dabei auch auf fremdes Eigentum keine Rücksicht nimmt. Sie kämpfen gegen die Globalisierung, gegen den Kapitalismus und den Freihandel. Sie hören freilich nicht so gerne, dass sie auch unter den G20-Staaten mächtige Verbündete haben. Dabei sitzen die linken Chaoten eigentlich längst mit am Tisch.

Vorneweg ist hier US-Präsident Donald Trump zu nennen. Niemand stellt sich derzeit so sehr gegen den freien und ungehinderten Austausch von Waren und Dienstleistungen wie der US-Präsident. Er wirft China, Deutschland und anderen Ländern „unfaire“ Handelspraktiken vor. „Fairness“ ist dabei das neue Wieselwort in den globalen Wirtschaftsbeziehungen. Niemand kann es fassen, weil es sofort entweicht. Setzt fairer Handel einen Mindestlohn von 8,50 Euro nicht nur in Deutschland, sondern auch in China voraus? Ist die sehr viel strengere Produkthaftung in den USA fair? Oder führt die Politik der Europäischen Zentralbank zu einem künstlich niedrigen Euro-Kurs, der wie eine Exportsubvention der europäischen Wirtschaft im Außenhandel einen unfairen Vorteil verschafft? Einfache Antworten gibt es darauf nicht, und daher ist es sinnvoll und richtig, dass sich die Staats- und Regierungschefs regelmäßig treffen. Nur wer miteinander redet, kommt einer für alle Beteiligten vorteilhaften Lösung näher.

In solchen Gesprächen wird dann auch deutlich, dass nicht alles schwarz oder weiß ist. Auch die Europäische Union, die neben den 19 führenden Industrie- und Schwellenländern mit am Verhandlungstisch in Hamburg sitzt, ist nicht der Leuchtturm des Freihandels, für den es sich vielleicht hält. Sie lässt auch die Muskeln spielen, wo sie es kann. Kleinere europäische Staaten wie die Schweiz und Norwegen sind gegenüber der EU in Milliardenhöhe tributpflichtig, um für ihre Unternehmen einen Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu erhalten. Stahlimporte aus China werden ebenfalls mit Zöllen belegt, weil sie zu billig sind. Und Autos aus Japan sind durch Zölle zehn Prozent teurer, weil die heimische Industrie vor Konkurrenz geschützt werden soll. Praktisch für die EU, dass sie dabei noch die Hand aufhalten kann, um damit auch den eigenen Haushalt zu finanzieren. Bezahlen müssen das alles die Konsumenten in der Europäischen Union. Sie werden letztlich geschröpft.

Abschottung und Protektionismus gibt es seitdem es Staaten gibt. Doch seit der Mitte des 19. Jahrhunderts reift die Erkenntnis, dass die Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels allen schaden. Die universelle Idee des Freihandels steht seit Richard Cobden und Frédéric Bastiat für mehr als nur eine materielle Nutzenmaximierung auf beiden Seiten. Gerade Cobden betonte die friedensstiftende Idee des Freihandels. Sein wesentliches Argument war, dass die gegenseitige ökonomische Abhängigkeit dazu führt, dass den Regierungen die Macht genommen wird, ihre Bürger in den Krieg zu stürzen.

Erfreulich ist daher, dass die EU und Japan sich über wesentliche Fragen eines Freihandelsabkommens einig sind und es noch vor dem Gipfel unterschrieben werden kann. 99 Prozent aller Produkte sollen künftig ohne Zölle und Handelsbeschränkungen auskommen. Für die Europäer werden japanische Autos billiger und für Japaner werden französischer Brie und der Riesling aus Rheinhessen erschwinglich. Die Konsumenten auf beiden Seiten wird das freuen. Das Potential für eine Ausweitung der Handelsbeziehungen ist da.  Heute exportieren Unternehmen aus der EU bereits Waren und Dienstleistungen im Wert von 86 Mrd. Euro nach Japan. Die EU erwartet allein durch dieses Handelsabkommen in den nächsten Jahren 420.000 neue Arbeitsplätze für ihre Bürger. Beide Wirtschaftsregionen stellen zusammen knapp ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung.

Trotz der vielfältigen Probleme der EU ist es sehr erfreulich, dass sie doch noch in der Lage ist, wichtige Zukunftsaufgaben anzugehen anstatt nur auf Probleme zu reagieren. Der Freihandel bietet für die EU die Chance, sich als offener und zukunftsweisender Club zu präsentieren und andere Regionen einzuladen, ohne Protektionismus Handel mit uns zu treiben. Dass dies möglich wird, liegt aber auch an den Mitgliedstaaten der EU selbst. Die gemeinsame Handelspolitik liegt in der alleinigen Kompetenz der Europäischen Union. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten wirken im Europäischen Rat an der Rechtssetzung mit. Eine zusätzliche Ratifizierung in den Parlamenten der Mitgliedsstaaten würde diese sinnvolle Kompetenzverteilung unterlaufen. Die gemischten Zuständigkeiten unterschiedlicher multistaatlicher und staatlicher Ebenen führt nicht nur zur Handlungsunfähigkeit, sondern auch zur Verantwortungslosigkeit. Jeder kann sich hinter jedem verstecken, wenn es nicht funktioniert. Gerade beim Freihandelsabkommen mit Japan können die Regierungschefs in der EU unter Beweis stellen, wie sie es mit dem Freihandel wirklich halten: „Free trade“ statt „EU first“.

Photo: Jonas Schoenfelder from Flickr (CC BY 2.0)

Der Tag der Deutschen Industrie ist immer auch ein Stelldichein der Politik. Gerade in einem Bundestagswahljahr. Welche Signale die Spitzenpolitiker aussenden, sind daher von Interesse. Kanzlerin Merkel hat sich in ihrer Rede am Dienstag vor den Industrievertretern offen gezeigt für einen Euro-Finanzminister, ein Eurobudget bis hin zu einer Wirtschaftsregierung. Vor den Industrievertretern sagte sie: „Man kann natürlich über einen gemeinsamen Finanzminister nachdenken, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.“ Einen Euro-Haushalt begrüßte sie, „wenn klar ist, dass man damit wirklich Strukturen stärkt und sinnvolle Dinge macht.“ Sie kündigte an, gemeinsam mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Fahrplan für die Reform der Euro-Zone vorzulegen.

Macron werden die warmen Worte der deutschen Kanzlerin freuen. In seinem Wahlprogramm forderte er selbst ein eigenes Budget für die Eurozone, das für Innovationen, finanzielle Nothilfen und für Hilfen für in Krisen geratene Euro-Länder gedacht ist. Der Euro-Finanzminister solle dann dieses Budget verwalten und dabei von einem Euro-Parlament, bestehend aus den EU-Parlamentariern der Euro-Staaten, kontrolliert werden. Macron will dazu die EU-Verträge ändern und die bisherige Praxis, Änderungen im bestehenden Rechtsrahmen zu vollziehen, verlassen. Letzteres ist grundsätzlich zu begrüßen, denn dieser Rahmen ist inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Mit dem Grundsatz „Not bricht jedes Gebot“ wurden in der Euro-Schuldenkrise noch jede Regel gebrochen.

Doch inhaltlich ist der Vorstoß Macrons falsch und bringt einen grundsätzlichen Konflikt zum Vorschein, der eigentlich seit Anbeginn vorhanden ist. Es ist die Auseinandersetzung über das Wirtschaftsmodell in der EU und im Euro-Währungsraum. Frankreich, und im Kern auch die Südländer um Italien herum, wollen das französische Modell der „Planification“ durchsetzen, das eine zentrale Einflussnahme der Regierung auf die Wirtschaft und deren Lenkung zum Ziel hat. Es ist das Gegenmodell zum klassischen Modell der Sozialen Marktwirtschaft, wie es Walter Eucken und andere konzipiert und Ludwig Erhard in die Tat umgesetzt hat. Ihre Vorstellung war ein Ordnungsrahmen, aber keine direkte Einmischung und Lenkung durch die Politik.

Das Ideal von damals wurde in Deutschland in der Praxis nie konsequent angewandt und durchgesetzt. Dazu muss man nur den jahrzehntelangen Einfluss der Politik bei Volkswagen betrachten. Gerade dort kann man jedoch die negativen Folgen der Verquickung von politischen und unternehmerischen Interessen sehr gut nachvollziehen. Wahrscheinlich haben die fortdauernden Probleme der Governance gerade mit der Verbindung der politischen Interessen der jeweiligen Landesregierung in Niedersachsen und der IG Metall zu tun, die gemeinsam faktisch eine beherrschende Stellung im Unternehmen haben.

Doch letztlich ist das Modell der Sozialen Marktwirtschaft dem Modell der Planification überlegen. Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Der wesentliche flexiblere Arbeitsmarkt in Deutschland nimmt mehr Menschen auf, die Jugendarbeitslosigkeit ist gering. Frankreich hat dagegen eine Rekordarbeitslosigkeit, insbesondere bei jungen Menschen. Die deutsche Wirtschaft hat die Krise 2008 längst überwunden, die französische ist noch weit unter dem Niveau der Vorkrisenjahre. Die Staatsquote im Nachbarland ist mit über 56 Prozent erdrückend hoch. All das soll nicht verklären, dass auch Deutschland große Strukturprobleme hat. Insbesondere die letzten Jahre wurden nicht genutzt, Reformen bei der steuerlichen Belastung, beim Bürokratieabbau und beim Zurückdrängen staatlichen Einflusses in Wirtschaft und Gesellschaft durchzuführen. Aber dennoch ist das hiesige Wirtschaftssystem, das die Individualität und Dezentralität der Marktwirtschaft betont, einem auf zentraler Steuerung beruhenden System überlegen.

Daher muss in Europa über das jeweilig überlegene Wirtschaftsmodell im Wettbewerb gerungen werden und eine deutsche Regierung sollte nicht vorschnell Positionen aufgeben. Es macht keinen Sinn, aus falscher Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten unseres Nachbarlandes, unser Wirtschaftsmodell infrage zu stellen.

Doch genau dies würde ein Euro-Finanzminister mit einem eigenen Budget bedeuten. Es wäre der Einstieg, oder besser gesagt, die konsequente Fortsetzung einer EU-Politik, die auf Planification setzt. Denn die Umverteilungsmechanismen aus EU-Struktur- und Kohäsionsfonds haben die derzeitige Lage in Frankreich und im Süden nicht verhindert, sondern wahrscheinlich befördert. Sie haben nämlich den Anpassungsdruck genommen. Sie haben Investitionsgelder abstrakt verteilt, deren Kontrolle meist nur unzureichend war und daher dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet haben. Dabei ist Griechenland, dass seit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft 1981 bis zum faktischen Staatsbankrott 2010 133 Milliarden Euro an Transfers erhalten hat, nur die Spitze des Eisbergs. Zu wirtschaftlichem Wohlstand insgesamt haben die Subventionen nichts beigetragen. Die EU hinkt stattdessen auch anderen Wirtschaftsregionen auf dieser Welt hinterher.

Diesen Weg noch intensiver fortzusetzen, wäre der vergebliche Versuch, gleiche Lebensverhältnisse in Europa durch noch mehr Transferzahlungen, noch mehr Subventionen und noch mehr öffentlicher Investitionslenkung zu erreichen. Doch die Folgen dieses falschen Weges wäre, den Wohlstand nicht nur in Frankreich weiter zu gefährden, sondern dann auch bei uns.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.