Photo: Jonas Schoenfelder from Flickr (CC BY 2.0)
Der Tag der Deutschen Industrie ist immer auch ein Stelldichein der Politik. Gerade in einem Bundestagswahljahr. Welche Signale die Spitzenpolitiker aussenden, sind daher von Interesse. Kanzlerin Merkel hat sich in ihrer Rede am Dienstag vor den Industrievertretern offen gezeigt für einen Euro-Finanzminister, ein Eurobudget bis hin zu einer Wirtschaftsregierung. Vor den Industrievertretern sagte sie: „Man kann natürlich über einen gemeinsamen Finanzminister nachdenken, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.“ Einen Euro-Haushalt begrüßte sie, „wenn klar ist, dass man damit wirklich Strukturen stärkt und sinnvolle Dinge macht.“ Sie kündigte an, gemeinsam mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Fahrplan für die Reform der Euro-Zone vorzulegen.
Macron werden die warmen Worte der deutschen Kanzlerin freuen. In seinem Wahlprogramm forderte er selbst ein eigenes Budget für die Eurozone, das für Innovationen, finanzielle Nothilfen und für Hilfen für in Krisen geratene Euro-Länder gedacht ist. Der Euro-Finanzminister solle dann dieses Budget verwalten und dabei von einem Euro-Parlament, bestehend aus den EU-Parlamentariern der Euro-Staaten, kontrolliert werden. Macron will dazu die EU-Verträge ändern und die bisherige Praxis, Änderungen im bestehenden Rechtsrahmen zu vollziehen, verlassen. Letzteres ist grundsätzlich zu begrüßen, denn dieser Rahmen ist inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Mit dem Grundsatz „Not bricht jedes Gebot“ wurden in der Euro-Schuldenkrise noch jede Regel gebrochen.
Doch inhaltlich ist der Vorstoß Macrons falsch und bringt einen grundsätzlichen Konflikt zum Vorschein, der eigentlich seit Anbeginn vorhanden ist. Es ist die Auseinandersetzung über das Wirtschaftsmodell in der EU und im Euro-Währungsraum. Frankreich, und im Kern auch die Südländer um Italien herum, wollen das französische Modell der „Planification“ durchsetzen, das eine zentrale Einflussnahme der Regierung auf die Wirtschaft und deren Lenkung zum Ziel hat. Es ist das Gegenmodell zum klassischen Modell der Sozialen Marktwirtschaft, wie es Walter Eucken und andere konzipiert und Ludwig Erhard in die Tat umgesetzt hat. Ihre Vorstellung war ein Ordnungsrahmen, aber keine direkte Einmischung und Lenkung durch die Politik.
Das Ideal von damals wurde in Deutschland in der Praxis nie konsequent angewandt und durchgesetzt. Dazu muss man nur den jahrzehntelangen Einfluss der Politik bei Volkswagen betrachten. Gerade dort kann man jedoch die negativen Folgen der Verquickung von politischen und unternehmerischen Interessen sehr gut nachvollziehen. Wahrscheinlich haben die fortdauernden Probleme der Governance gerade mit der Verbindung der politischen Interessen der jeweiligen Landesregierung in Niedersachsen und der IG Metall zu tun, die gemeinsam faktisch eine beherrschende Stellung im Unternehmen haben.
Doch letztlich ist das Modell der Sozialen Marktwirtschaft dem Modell der Planification überlegen. Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Der wesentliche flexiblere Arbeitsmarkt in Deutschland nimmt mehr Menschen auf, die Jugendarbeitslosigkeit ist gering. Frankreich hat dagegen eine Rekordarbeitslosigkeit, insbesondere bei jungen Menschen. Die deutsche Wirtschaft hat die Krise 2008 längst überwunden, die französische ist noch weit unter dem Niveau der Vorkrisenjahre. Die Staatsquote im Nachbarland ist mit über 56 Prozent erdrückend hoch. All das soll nicht verklären, dass auch Deutschland große Strukturprobleme hat. Insbesondere die letzten Jahre wurden nicht genutzt, Reformen bei der steuerlichen Belastung, beim Bürokratieabbau und beim Zurückdrängen staatlichen Einflusses in Wirtschaft und Gesellschaft durchzuführen. Aber dennoch ist das hiesige Wirtschaftssystem, das die Individualität und Dezentralität der Marktwirtschaft betont, einem auf zentraler Steuerung beruhenden System überlegen.
Daher muss in Europa über das jeweilig überlegene Wirtschaftsmodell im Wettbewerb gerungen werden und eine deutsche Regierung sollte nicht vorschnell Positionen aufgeben. Es macht keinen Sinn, aus falscher Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten unseres Nachbarlandes, unser Wirtschaftsmodell infrage zu stellen.
Doch genau dies würde ein Euro-Finanzminister mit einem eigenen Budget bedeuten. Es wäre der Einstieg, oder besser gesagt, die konsequente Fortsetzung einer EU-Politik, die auf Planification setzt. Denn die Umverteilungsmechanismen aus EU-Struktur- und Kohäsionsfonds haben die derzeitige Lage in Frankreich und im Süden nicht verhindert, sondern wahrscheinlich befördert. Sie haben nämlich den Anpassungsdruck genommen. Sie haben Investitionsgelder abstrakt verteilt, deren Kontrolle meist nur unzureichend war und daher dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet haben. Dabei ist Griechenland, dass seit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft 1981 bis zum faktischen Staatsbankrott 2010 133 Milliarden Euro an Transfers erhalten hat, nur die Spitze des Eisbergs. Zu wirtschaftlichem Wohlstand insgesamt haben die Subventionen nichts beigetragen. Die EU hinkt stattdessen auch anderen Wirtschaftsregionen auf dieser Welt hinterher.
Diesen Weg noch intensiver fortzusetzen, wäre der vergebliche Versuch, gleiche Lebensverhältnisse in Europa durch noch mehr Transferzahlungen, noch mehr Subventionen und noch mehr öffentlicher Investitionslenkung zu erreichen. Doch die Folgen dieses falschen Weges wäre, den Wohlstand nicht nur in Frankreich weiter zu gefährden, sondern dann auch bei uns.
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