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Photo: Alex Proimos from Flickr (CC BY-NC 2.0)

Warum spricht eigentlich kaum jemand über Interventionsspiralen? Warum es keine einfachen Lösungen auf großer Ebene gibt und was die Alternativen sind.

Wer A sagt, der muss auch B sagen, und C, und D, und E …

Was ist eigentlich die Aufgabe von Politikern? Von Abgeordneten, Regierungsmitgliedern und deren Mitarbeitern? Die meisten Menschen würden vermutlich antworten, dass „die Politik“ Probleme lösen soll. Probleme, zu deren Lösung die Gesellschaft ohne Zutun ihrer gewählten Vertreter und Regierungen nicht in der Lage seien. Oft handelt es sich dabei um Fälle von sogenanntem Marktversagen, in denen der freie Austausch der Individuen zu ineffizienten oder nicht erstrebenswerten Ergebnissen führe. Und so geht der politische Betrieb mit viel Tatendrang und vor allem voller Überzeugung, das Richtige zu tun, ans Werk; identifiziert und diskutiert Probleme, beschließt Lösungen. Indes ist „der Politiker als Problemlöser“ ein Zerrbild, dem eine maßlose Überschätzung des Menschen zu Grunde liegt. Denn frei nach Leonardo da Vinci: egal ob Mietendeckel, Mindestlohn oder Drogenkrieg – die meisten Probleme entstehen bei ihrer Lösung. Und zur Lösung dieser neuen Probleme werden auch immer neue Maßnahmen entwickelt, die ihrerseits wieder neue Probleme produzieren. Was wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Politiker klingt ist tatsächlich eine verhängnisvolle Interventionsspirale.

Die Interventionsspirale ist der Eintopf politökonomischer Probleme

Die politische Ökonomie beschäftigt sich mit dem Austausch zwischen Individuen und den formellen und informellen Regeln, die diesen Austausch koordinieren. Im Grunde ist jedes politische Problem eine Art abstraktes Beziehungsproblem der Menschen einer Gesellschaft. Die konkreten Ursachen dieser Probleme sind schier unbegrenzt. Doch zumeist lassen sie sich auf zwei grundlegende menschliche Schwächen zurückführen: (1) Wir überschätzen konsequent unsere eigenen kognitiven Fähigkeiten. Wir denken, alles zu wissen und alle Konsequenzen unseres Handels abschätzen zu können. Und (2) wir sind keine Engel, wir verhalten uns opportunistisch und ziehen häufig den kurzfristigen eigenen Vorteil dem langfristigen größeren oder gemeinschaftlichen Vorteil vor. Interventionsspiralen entstehen genau aus diesen zwei Gründen.

Unabsehbare Konsequenzen: Was der Mietendeckel und der War on Drugs gemeinsam haben

Zwei Beispiele: Wenn nun der Berliner Senat niedrigere Mieten durch den sogenannten Mietendeckel erzielen möchte oder die US-Regierung mit dem War on Drugs den Missbrauch von Drogen bekämpft, dann erscheint beides erst einmal als grundsätzliche geeignete Lösung eines Problems (unabhängig von der Bewertung des jeweiligen Sachverhalts als politisches Problem). Nun beeinflusst diese politische Regeländerung (Mieten werden gedeckelt, bestimmte Drogen sind verboten) aber auf einen Schlag zig- wenn nicht gar hunderte Millionen von Austauschbeziehungen. Und es ist eine ganz absurde Vorstellung, dass die Konstrukteure der Regeln alle Konsequenzen abschätzen könnten.

Große politische (Problemlösungs-)Projekte führen daher zu einer unendlichen Anzahl an Folgeproblemen. In Berlin wird der Senat in Zukunft vermutlich damit konfrontiert sein, dass sich nur noch staatlich subventioniertes Bauen lohnt, was das Wohnungsangebot weiter verknappt. Auf den Mietendeckel folgt also aller Voraussicht nach ein staatliches Wohnungsbauprogramm. Und so weiter und so fort. Einerseits geht so die Signalfunktion von Preisen vollständig verloren, sodass weder das Berliner Umland von einem Preisgefälle profitieren noch Unternehmer zum Neubau von Wohnungen angereizt werden. Andererseits muss ja auch der Staat seine Subventionen irgendwo hernehmen, sodass der gemeine Mieter am Ende trotzdem die Zeche zahlt, nur eben über Steuern und mit einem saftigen Verwaltungsaufschlag.

Und der „War on Drugs“? Anstatt einen kontrollierbaren Markt für rauscherzeugende Substanzen zu schaffen, auf dem zumindest die Qualität von Rauschmitteln weitestgehend gesichert werden kann, schafft die Drogen-Prohibition den größten illegalen Markt der Welt. Statt vom verfassungsgebundenen Staat wird dieser Markt von gewalttätigen Mafias regiert, die nun abermals von staatlichen Behörden bekämpft werden. Und das vor allem im Ausland und unter Mithilfe von korrupten Regierungen und fragwürdigen Desposten. Das stürzt ganze Länder in Mittel- und Südamerika in Chaos und Gewalt. Wer hätte gedacht, dass der Kampf gegen Drogen in den USA zu einem der größten geopolitischen Probleme unserer Zeit wird?

Nicht selten enden Interventionsspiralen in einem Wettlauf um Privilegen

Doch nicht nur die (unvorhersehbaren) Konsequenzen politischer Regeländerungen treiben die Interventionsspirale an. Wie der österreichische Ökonom Ludwig von Mises feststellte, geschieht dies auch durch schlichte menschliche Begehrlichkeiten (wir sind eben alle keine Engel):

Der Interventionismus wird zu einem Wettlauf der einzelnen Interessenten und Interessengruppen um Privilegien. Die Regierung wird zu einem Weihnachtsmann, der Geschenke verteilt. Doch die Beschenkten müssen die Gaben, die sie empfangen, doppelt bezahlen. Dem Staate stehen keine anderen Mittel zum Schenken zur Verfügung als solche, die er dem Einkommen und dem Vermögen der Untertanen entnimmt.

Ludwig von Mises, Ominipotent Government, 1944; dt. Im Namen des Staats, Bonn 1978, S. 93.

In anderen Worten: Fangen wir einmal damit an, bestimmte Interessen über andere zu stellen oder scheinbar auszugleichen, geht der Wettbewerb um Privilegien erst so richtig los. Politiker wollen schließlich wiedergewählt werden und Interessengruppen das Beste für ihr Klientel herausholen. So öffnet beispielsweise der „ganz große Wurf“ Mietendeckel Tür und Tor für allerhand Sonderregelungen: sei es für bestimmte Neubauten, Immobilienbesitzer oder Genossenschaften. Sind deren Interessen erst einmal berücksichtigt, kommen Mieterbund und Co. um die Ecke und verlangen ihrerseits wieder einen Ausgleich. Die Politik wird zum Basar, auf dem von hier nach da nach dort munter umverteilt wird. Und am Ende stehen alle mit weniger da. Schließlich gibt es keine kostenlose Regulierung. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Regulierungen à la Mietendeckel den Markt effizienter machen, würden Durch- und Umsetzungskosten diesen Vorteil am Ende doch wieder aufwiegen.

Es gibt keine einfachen Lösungen auf großer Ebene

Was folgt daraus? Wer einfache Lösungen auf großer Ebene propagiert, der mag vielleicht hehre Absichten haben, aber dem sollten wir trotzdem kein Gehör schenken. Zu unabwägbar sind die Konsequenzen von großen Lösungen, zu weit öffnen sie das Tor für Folge und Folge-Folge-Interventionen und Klientelpolitik, die am Ende alle schlechter dastehen lassen.

Und die Alternative?

Erstens bedarf es eines ausgewogenen Blicks auf die Möglichkeiten von Markt und Staat. Aufgrund der menschlichen Schwächen können weder der Markt noch der Staat zu einhundert Prozent effiziente Lösungen hervorbringen. Die meisten Interventionsspiralen beginnen indes mit dem Vergleich eines vermeintlichen Marktversagens mit einer perfekten Staatslösung. Wer auf Basis dieses Vergleichs eine Entscheidung trifft, fällt dem sogenannten Nirvana-Trugschluss zum Opfer. Vergleicht man jedoch eine realistische staatliche Alternative mit allen ihren Schwächen mit dem Status Quo, so offenbart sich zumeist, dass ein Marktversagen einem Staatsversagen vorzuziehen ist.

Doch auch dies bedeutet nicht, dass wir uns einfach mit ineffizienten Situationen abfinden sollten. Denn zweitens müssen wir den Blick über den Tellerrand hinauswerfen. Der Staat, sei es auf Landes- oder Bundesebene mag vielleicht die sichtbarste aller Ordnungen unseres täglichen Zusammenlebens sein, aber er ist eben doch nur eine unter vielen Ordnungen. Auf kleinster Ebene, sei es in der Nachbarschaft, der Wohnungsbaugenossenschaft oder im Stadtteil, lassen sich Lösungen finden, die viel weniger zu Interventionsspiralen neigen. Denn die niedrige Ebene bedeutet weniger unabsehbare Konsequenzen, weniger Interessen, die vereint werden müssen, und weniger weitreichende Konsequenzen, sollte eine Ordnung am Ende doch einmal nicht (nur) das gewünschte Ergebnis nach sich ziehen.

Das wäre doch mal einen Versuch wert.

Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Was hat die Werbung für Tabak und die Werbung für eine politische Partei gemeinsam? Beides kann Nebenwirkungen haben. Rauchen schadet der Gesundheit, und die Wahl einer falschen Partei kann die Lebensumstände des Einzelnen negativ beeinflussen. Eine Partei, die die Steuern auf den Grunderwerb erhöht, trägt dazu bei, dass sich viele Bürger kein Eigenheim mehr leisten können. Eine Partei, die eine schlechte Bildungspolitik macht, trägt dazu bei, dass Kinder in der Schule versauern und ihre Talente nicht ausleben können. Und eine Partei, die die Unternehmen mit Bürokratie quält, trägt dazu bei, dass mittelbar keine neuen Arbeitsplätze entstehen.

Dennoch käme keiner auf die Idee, die politische Werbung zu verbieten. Unsere Demokratie nimmt in Kauf, dass ein Wahlergebnis für den Einzelnen auch Nachteile haben kann. Die Mehrheit entscheidet letztlich über die Minderheit. Die Nachteile für die Minderheit werden akzeptiert, da die Erfahrungen mit der Demokratie gezeigt haben, dass damit am ehesten ein unblutiger Machtübergang von einer Regierung zur andern möglich ist.

Die Nebenwirkungen des Tabakkonsums veranlassen jetzt jedoch die Regierung, das Verbot der Zigarettenwerbung zu fordern. Zumindest die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler hat das vorgeschlagen: „Wie schwer man wieder davon loskommt, dürfte jeder, der, so wie ich, einmal geraucht hat, sehr genau wissen,“ ließ sich die Regierungsbeauftragte in der FAZ zitieren.

In einer Marktwirtschaft entscheiden letztlich die Konsumenten über den Kauf eines Produktes. Die Produzenten versuchen, unter anderem durch Werbung auf ihre Produkte aufmerksam zu machen. So lange der Verkauf eines Produktes legal ist, es also nicht gestohlen oder unter falschen Angaben verkauft wird, sollte keine Regierung in die individuellen Kaufentscheidungen des Einzelnen eingreifen dürfen. In einer Marktwirtschaft herrscht Konsumentensouveränität.

Im Obrigkeitsstaat hingegen herrscht Unmündigkeit. Die Regierung traut dort dem Einzelnen nicht zu, selbstständig über sein Leben, seine Gesundheit und sein Wohlergehen zu entscheiden. Hier glaubt die Regierung, den Konsumenten lenken und steuern zu müssen. Die Marktwirtschaft sei so unübersichtlich, dass der Konsument den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen würde. Den Durchblick müsse daher der „große Bruder“ von der Regierung für den Einzelnen schaffen. In dieser Denke gibt es kein individuelles Konsumentenverhalten mehr, sondern nur ein kollektives Interesse. Das Rauchen schadet der solidarischen Krankenversicherung. Die Raucherpausen im Betrieb reduzieren das Bruttoinlandsprodukt. Und das Rauchen verpestet die Gaststätten.

Doch die Struktur- und Konstruktionsprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung können nicht durch Konsumentscheidungen einzelner gelöst werden. Der Umgang mit Rauchern im Betrieb sollte die Unternehmensleitung mit den Arbeitnehmern selbst regeln. Und ob ein Gastwirt in seinem Restaurant oder seiner Kneipe Rauchen erlaubt oder nicht, sollte ihm persönlich überlassen bleiben. Der Konsument kann dann entscheiden, ob er dieses Angebot nutzen will oder nicht.

Das Verbot von Tabakwerbung wäre in der Welt des „großen Bruders“ nur der Anfang. Auch der übermäßige Konsum von Bier gefährdet sicherlich die Gesundheit. Der übermäßige Verzehr von Zucker beeinflusst vielleicht die durchschnittliche Lebenserwartung. Auch zu viele Kohlehydrate sollen zu Fettleibigkeit führen. Und das Autofahren gefährdet durch Schadstoffe unsere Umwelt. Wer so denkt, muss Werbung generell in Frage stellen. Er spielt sich dann aber als moralischer Oberlehrer auf, der unser Wirtschaftssystem grundlegend verändern will. Konsumenten sind keine Schafe, sondern müssen Selbstverantwortung übernehmen. Daran sollte eine Regierung ein Interesse haben. Werbeverbote passen nicht dazu.

Photo: Hermann Auinger from flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Der legendäre britische Premier Winston Churchill galt als Genussmensch. Er rauchte dicke Zigarren und war dem Whisky nicht abgeneigt. Auch sein Körpermaß entsprach nicht einem ausgewogenen Body-Maß-Index. Dennoch wurde er 90 Jahre alt. Seine Gesundheitsphilosophie soll er mit den Worten „no sports“ umschrieben haben. Heute ist mangelnde Bewegung von Kindern wahrscheinlich die Hauptursache für Übergewicht. Jetzt hat die neue britische Regierung dieser Entwicklung den Kampf angesagt. Dabei hat sie nicht die Stundenzahl des Sportunterrichts verdoppelt, sondern sie will ab 2018 eine Strafsteuer auf zuckerhaltige Getränke einführen. Wahrscheinlich wird es nicht lange dauern, bis auch in Deutschland ähnliche Initiativen ergriffen werden. Es wäre eine typische Reaktion einer Regierung. Es wird ein Problem erkannt und durch eine Lenkungssteuer, starke Regulierung oder sanftes Nudging bekämpft. So ist es schon bei Zigaretten, Alkohol und anderen Genussmitteln. Die Regierung spielt den Oberlehrer. Sehr häufig spielen dabei Sachargumente gar keine Rolle. Es geht nur um das Unterstreichen von Handlungsfähigkeit. Beim Zucker gibt die Faktenlage eine Diskriminierung ohnehin nicht her.

Zwar steigt der Zuckerverbrauch weltweit, dies hat jedoch eher mit dem wirtschaftlichen Aufholen der Entwicklungsländer und ihrem steigenden Konsum zu tun. So schätzt die OECD einen Pro-Kopf-Anstieg des Zuckerkonsums von 24,3 Kilogramm auf 26,7 Kilogramm im Jahr 2024. In der EU und in den USA geht der Pro-Kopf-Verbrauch an Zucker jedoch zurück. Wahrscheinlich ist die Kalorienaufnahme für steigendes Übergewicht verantwortlich. Das hat nicht zwingend etwas mit Zucker zu tun. Doch selbst die Kalorienaufnahme ist seit vielen Jahren konstant und daher liegt die steigende Fettleibigkeit von Kindern eher am Bewegungsmangel als an zu viel Zucker.

Doch wer ist dafür verantwortlich? Die Regierung, die Krankenkassen, die Süßwarenindustrie, die Zuckerrübenanbauer? Und welches objektive Gremium stellt die Verantwortlichen fest? Etwa eine Regierungsmehrheit im Parlament? Werden die Strafsteuern dann christdemokratisch, sozialdemokratisch, ökologisch oder liberal festgelegt?

Nein, Lenkungssteuern sind falsch, sie wollen den Bürger erziehen und sein individuelles Verhalten verändern. Das steht keiner Regierung, keinem Parlament und keiner politischen Mehrheit zu. Denn wo soll diese Bevormundung enden, etwa bei der wöchentlichen Zuteilung von Genussmitteln wie bei George Orwells „1984“? Gegen dieses moderne Jakobinertum sollten wir uns schon in den Anfängen wehren. Freiheit setzt Verantwortung voraus, auch beim Konsum. Es ist aber eine individuelle Verantwortung, sie kann nicht kollektiviert werden, sonst stirbt die Freiheit.

Photo: Kecko from Flickr (CC BY 2.0)

Es gibt vielerlei, das verboten ist, oder wo der Ruf nach einem Verbot oder Gesetz immer wieder laut wird. Ein häufiger Denkfehler in dem Zusammenhang ist, dass man „legal“ mit „empfohlen“ verwechselt. Oder anders gesagt: Man muss nicht gleich alles verbieten, was einem nicht behagt.

Etwas vor dem Gesetz tun zu dürfen, heißt nicht, es auch tun zu müssen

Es gibt viele gute Gründe, sich für die Legalisierung von Marihuana einzusetzen. Zum Beispiel die Reduzierung von Kriminalität, die mit dem Verbot einhergeht. Aus einer Legalisierung oder zumindest Entkriminalisierung folgt jedoch nicht, dass von nun an der Konsum von Marihuana empfohlen wird. Man muss nicht damit rechnen, dass Menschen wie der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan oder der Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, die sich für ein Ende des Kriegs gegen die Drogen einsetzen, bald mit der Crack-Pfeife im Mund der Weltöffentlichkeit von bewusstseinserweiternden Substanzen vorschwärmen.

Wenn die NPD nicht verboten wird, ist das keine implizite Wahlempfehlung der Verfassungsrichter. Wer gegen ein Verbot sexistischer Werbung ist, möchte nicht notwendigerweise die Innenstadt mit nackten Frauen plakatiert sehen. Das Tragen der Burka zuzulassen impliziert nicht den Wunsch, möglichst viele Frauen möchten sich für diese Mode-Variante entscheiden. Und man kann das Rauchen in Kneipen erlauben, ohne den Wirten nahezulegen, diese Möglichkeit zu nutzen. Etwas vor dem Gesetz tun zu dürfen, heißt nicht, es auch tun zu müssen oder zumindest zu sollen.

Was ist eigentlich der Zweck von Gesetzen?

Auch wenn das so nie von den Befürwortern von Verboten formuliert wird: es schwingen häufig genau diese unterschwelligen Botschaften mit. Wenn man es nicht verbietet, werden Leute sich aufgerufen fühlen, es zu tun. Durch das Verbot dagegen wird bei vielen Menschen das Gefühl hervorgerufen, das Problem, das dadurch adressiert wird, sei nun unter Kontrolle. Fakt ist: Unter Kontrolle ist es oft genug nicht. Die Drogenpolitik ist vielleicht das krasseste Beispiel dafür, wie ein Verbot vor allem neue Probleme verursacht ohne die alten zu lösen. Aber auch harmlosere Interventionen wie die Mietpreisbremse oder Verbote, nachts Alkohol zu verkaufen, bringen in der Regel eher neue Probleme hervor ohne die bestehenden in den Griff zu bekommen.

Alles fängt an mit einem grundlegenden Missverständnis: Was ist eigentlich der Zweck von Gesetzen? Anders als viele Politiker es kommunizieren und anders als viele Bürger es empfinden, ist ihr Sinn nicht, die Verbindlichkeit von Vorlieben festzuschreiben. In einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wie dem unsrigen ist der Sinn von Gesetzen, die Freiheit der Bürger zu garantieren. Es widerspricht zutiefst dem Geist unseres Grundgesetzes und Gemeinwesens, persönliche Geschmacksurteile oder Meinungen mittels eines Gesetzes zum Maßstab für alle Bürger des Landes zu machen.

Dass das dennoch immer öfter passiert, führt eben auch zu dem Irrtum zu glauben, dass „legal“ gleichbedeutend mit „empfohlen“ sei. Wenn Gesetze und Verordnungen zunehmend zu einem (repressiven) Kommunikationsmittel über das gewünschte Verhalten werden, dann übermitteln sie eben nicht mehr bloß, was man nicht tun soll, sondern immer häufiger, was man tun soll. In letzter Konsequenz wird dann so viel geregelt, dass man davon ausgehen kann: Wenn etwas nicht verboten ist, sollte man es tun.

Argumente nicht durch Vorschriften ersetzen

Wenig überraschend werden sich dennoch viele Menschen nicht daran halten. Wer wirklich etwas verändern will, muss einen anderen Weg als den der Gesetze wählen. Wenn zum Beispiel auch nur ein Teil der enormen Summen, die heute in Strafverfolgung wegen kleinerer Drogendelikte gesteckt werden, in Aufklärung über die Schädlichkeit von Rauschmitteln gesteckt würden, könnte man nachhaltiger Veränderungen bewirken – und das ohne die negativen Nebenwirkungen eines Gesetzes. Das Thema Rauchen ist da ein gutes Beispiel: Die stetig sinkende Zahl der Raucher hat wohl eher mit verstärkter Aufklärung und gewachsenem gesellschaftlichen Bewusstsein zu tun als mit den erst in der Folge eines veränderten Bewusstseins aufgetretenen Nichtraucherschutzgesetzen und abstoßenden Bildern auf Zigaretten-Packungen.

Es gibt sehr gute und überzeugende Argumente dafür, vieles nicht zu tun, was heute verboten, illegal und sanktioniert ist. Diese Argumente sind ein viel wirksameres Mittel, um nachhaltig und langfristig Menschen davon abzuhalten als Verbote und Gesetze. Wer ein Gesetz einführt, hat damit noch keinen Menschen überzeugt. Die Tendenz, über Gesetze die eigenen moralischen Urteile durchzusetzen, ist nicht nur wenig effizient. Sie erodiert auch über die Zeit hinweg unseren Rechtsstaat, indem sie ihn in einen Gesetzstaat transformiert. Gerade in einer Demokratie, die sich aus der Urteilsfähigkeit der Bürger heraus begründet, darf das Argument nicht durch die Vorschrift ersetzt werden.

Photo: GH Cheng from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Durchschnittlich verabschiedet der Bundestag jeden Monat über zehn Gesetze. Wo ein Problem auftaucht, wird sofort der Ruf nach einem Gesetz laut. Dabei sind Gesetze, Verordnungen und Steuern oft selbst Quelle des Problems.

Terror-Komplize Raucher

„Wir rauchen für das organisierte Verbrechen“. Mit dem Bild eines freundlichen älteren Ehepaares und unter diesem charmanten Motto wirbt Philip Morris gerade dafür, keine geschmuggelten oder gefälschten Zigaretten zu kaufen. Klar, die preiswertere Schmuggelware verdirbt massiv das Geschäft. Insofern ist es verständlich, dass Philip Morris diesen Schwarzmarkt unterbinden möchte. Auch die Begründungen sind zum Teil sehr plausibel: Die Zigaretten sind oft minderwertig. Vom Erlös profitieren kriminelle Vereinigungen, Mafia, Terroristen. Nicht ganz so plausibel, aber im Notfall noch vertretbar, ist ihre Argumentation: „Dadurch entgehen dem deutschen Staat jedes Jahr etwa 1,5 Milliarden Euro an Einnahmen für öffentliche Sicherheit und Gesundheit.“

Aber haben sich die Damen und Herren von Philip Morris wirklich den richtigen Gegner ausgewählt? Ist das Problem tatsächlich der Konsument, der einen geringeren Preis zahlen möchte? Vielleicht sollte man den Blick einmal in die andere Richtung lenken: 2 Euro, so die Website zu der Kampagne, würde eine Schachtel „illegaler“ Zigaretten kosten. Zwischen 1,35 € und 1,50 € Umsatz einer „legalen“ Schachtel gehen laut der Website statista.com an die Zigarettenhersteller. Qualitativ hochwertige Markenzigaretten könnten also offenbar günstiger als Schmuggelware verkauft werden, ohne dass Philip Morris irgendwelche Einbußen hinnehmen müsste.

Wenn Steuern wie Gesetze wirken

Könnten günstiger verkauft werden … Der hohe Preis, der Mafia, Terroristen und andere finstere Gestalten dazu motiviert, ihre billigen Zigaretten auf den Schwarzmarkt zu werfen, entsteht nämlich vor allem durch den hohen Steueranteil von derzeit ungefähr 72 % des Preises pro Schachtel. Ohne Tabaksteuer, nur mit Mehrwertsteuer, würde die Packung momentan 1,78 € kosten. Mit einer Abschaffung der Tabaksteuer wäre der Schwarzmarkt wohl binnen kürzester Zeit verschwunden. Ein Preis von 5,40 € pro Schachtel hingegen ist wie ein Konjunkturprogramm für Kriminelle. Anstatt „Wir rauchen für das organisierte Verbrechen“ sollte es heißen: „Wir besteuern für das organisierte Verbrechen“.

Die Tabaksteuer ist ein klassisches Beispiel für eine Lenkungssteuer oder auch Strafsteuer. Sie wird nicht erhoben, um allgemein Staatsaufgaben zu finanzieren, sondern um die Bürger zu einem bestimmten wünschenswerten Verhalten zu motivieren bzw. sie für vermeintlich schädliches Verhalten zu bestrafen. Damit ist diese Steuer mithin ein in Abgabenleistungen ausgedrücktes Gesetz. Die Tabaksteuer ist nun leider nur eines von hunderten von Beispielen, bei denen staatliche Stellen durch Gesetze und Steuern Probleme eher verschärfen als sie in den Griff zu bekommen. Der französische Ökonom Frédéric Bastiat machte bereits vor über 150 Jahren die scharfsichtige Beobachtung:

„Im Bereich der Ökonomie ruft eine Handlung, eine Gewohnheit, eine Einrichtung, ein Gesetz nicht nur eine einzige Wirkung hervor sondern eine Reihe von Wirkungen. Von diesen Wirkungen ist nur die erste direkt, sie zeigt sich gleichzeitig mit ihrer Ursache, man sieht sie. Die anderen entwickeln sich erst nach und nach, man sieht sie nicht… Dies ist der ganze Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Ökonomen: Der eine klebt an der sichtbaren Wirkung, der andere berücksichtigt sowohl die Wirkung, die man sieht, als auch diejenige, die man vorhersehen muss. Aber dieser Unterschied ist enorm, denn es ist fast immer so, dass die unmittelbare Folge günstig ist und die letztendlichen Folgen unheilvoll und umgekehrt.“

Strafsteuern abschaffen!

Philip Morris hat Recht mit seinem Anliegen: Konsumenten sollten nicht minderwertige Produkte kaufen. Ganz besonders nicht, wenn sich dadurch Verbrecher finanzieren. Aber solange Steuern den eigentlichen Preis so in die Höhe treiben, ist die Versuchung für den Konsumenten doch sehr hoch, moralische und gesundheitliche Bedenken beiseite zu schieben. Wenn Philip Morris sowohl Verluste durch „illegale“ Zigaretten vermeiden will als auch noch den Sumpf dieses Schwarzmarktes trockenlegen möchte, sollten sie sich lieber für die Abschaffung der Tabaksteuer einsetzen.

Das Problem: mit einer Kampagne gegen die Tabaksteuer macht man sich wohl eher weniger Freunde. Und genau das ist die Wurzel des Übels. Teure Zigaretten, so die weitverbreitete Vorstellung, bedeuten weniger Raucher. Würde mit der Abschaffung der Tabaksteuer der Schachtelpreis von 5,40 € um zwei Drittel auf 1,80 € sinken, so die Horrorvorstellung, dürfte auch der Anteil der Raucher proportional steigen. Unabhängig davon, ob das eintrifft, muss in einem Rechtsstaat aber doch eigentlich ein anderes Prinzip gelten: das der Selbstverantwortung. Menschen sollten sich genau überlegen, ob sie rauchen – nicht, weil es teuer ist, sondern weil es ungesund sein kann. Strafsteuern sind nie ein angemessenes Mittel: Zum einen bewirken sie selten das Ziel, unter dem sie erlassen werden. Vor allem aber sind sie unzulässige Eingriffe in die Autonomie der Individuen.