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Photo: Eneas De Troya (CC BY 2.0)

Ohne wirtschaftliche Freiheit kann es keine politische Freiheit geben. Linke sehen das anders. Sie glauben, man könne wirtschaftliche Freiheit beschränken oder sogar unterbinden, und dennoch politische Freiheit zulassen. Damit wollen sie begründen, warum das System der Sowjetunion und der DDR nicht (mehr) ihr ideal ist. Junge Menschen sind dafür durchaus empfänglich. Haben doch die Marktwirtschaft und noch viel mehr der Kapitalismus ein schlechtes Image. Selbst als Liberaler vermeidet man den Begriff des Kapitalismus und verwendet lieber den der Marktwirtschaft, obwohl beide etwas Unterschiedliches bedeuten.

Die Marktwirtschaft ist die dezentrale Planung und Lenkung wirtschaftlicher Prozesse, die über die Märkte mit Hilfe des Preismechanismus koordiniert werden.  Prinzipiell sagt dies nichts darüber aus, wer die Akteure sind. Es können Einzelpersonen, private Unternehmen, staatliche Unternehmen oder Kommunen sein. Man kann sich theoretisch eine Marktwirtschaft vorstellen, die sehr dezentral nur durch staatliche Unternehmen betrieben wird, die miteinander im Wettbewerb stehen. In Deutschland existiert eine Marktwirtschaft, die ein Mischsystem aus unterschiedlichen Akteuren abbildet. Neben privaten Unternehmern und Unternehmen in vielen Wirtschaftsbereichen betreiben Kommunen Stadtwerke, Banken, Wasserwerke, Abfallunternehmen, Autowerkstätten, Gärtnereien.  Länder sind Eigentümer von Flughäfen, Binnenhäfen, Banken und Versicherungen. Der Bund baut Flugzeuge, betreibt Speditionen und Reisebüros. Alles könnten Private genauso gut, wahrscheinlich sogar besser und günstiger erledigen. Doch mit dem „Wieselwort“ Daseinsvorsorge lässt sich in Deutschland fast alles begründen.

Der Kapitalismus stellt die Frage, wem das Kapital, also beispielsweise die Unternehmen, gehören. Im Kapitalismus gehören sie privaten Personen und nicht dem Staat. Der Staat ist im Kapitalismus kein Mitspieler, sondern Schiedsrichter. Wer für privates Eigentum eintritt, ist daher sicherlich auch für die Marktwirtschaft, meint aber den Kapitalismus. Privates Eigentum hat gegenüber staatlichem Eigentum den Vorteil, dass mit eigenem Geld besser umgegangen wird als mit fremdem Geld. Daher schützen private Eigentümer ihr Vermögen besser als staatliche. Die Verwalter staatlichen Eigentums, meist Politiker, sind auf Zeit gewählt, in der Regel für vier oder fünf Jahre. Gehen sie mit staatlichem Eigentum falsch um, vernichten sie es sogar, dann werden sie eventuell nicht wiedergewählt. Sie haften aber nicht persönlich.

Voraussetzung für wirtschaftliche Freiheit ist das Privateigentum. Nur wenn man mit eigenem Kapital arbeiten kann und damit vom Staat nicht gehindert wird, die eigenen Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen, herrscht Freiheit. Dies gilt umgekehrt auch für den Konsumenten. Freiheit für ihn herrscht nur, wenn er die Produkte und Dienstleistungen seiner Wahl kaufen kann. Führt der Staat Devisenkontrollen ein, beschränkt er den Handel durch Einfuhrzölle und Quoten, dann wird nicht nur die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen beschränkt, sondern auch die persönliche Freiheit, so zu leben wie er oder sie es will. Das mag hierzulande nicht das große Problem sein. Doch schon Milton Friedman ließ dieses Argument nicht gelten: „Wer an die persönliche Freiheit glaubt, zählt keine Köpfe.“

Daher sollten diejenigen, die für Privateigentum eintreten, sich nicht scheuen, auch von Kapitalismus zu sprechen. Die Hoheit über die Begriffe darf man nicht den Gegnern der wirtschaftlichen Freiheit überlassen.

Dass wirtschaftliche Freiheit Voraussetzung für die politische und persönliche Freiheit ist, wird nicht jedem sofort klar. Daher braucht es auch Beispiele. Der Machtkampf in Venezuela ist so ein Beispiel. Noch im Mai 2018 haben sich Linke auch hierzulande mit Glückwunschbotschaften zur Wiederwahl von Nicolas Maduro als Präsident von Venezuela überschlagen. Trotz ökonomischem Niedergang glaubten viele an das Ideal eines neuen Sozialismus. Doch der neue ist der alte Sozialismus. Erst wird die wirtschaftliche Freiheit eingeschränkt und dann die politische. Die Enteignung von Unternehmen, die Hyperinflation, Höchstpreise für Nahrungsmittel haben das an Rohstoffen reiche Land an den Abgrund geführt. Für viele Menschen in Venezuela ist der wirtschaftliche Niedergang sehr politisch und auch sehr persönlich. Sie machen es am bisherigen Präsidenten Maduro fest, der die Politik Hugo Chavez konsequent fortgesetzt hat. Jetzt begehrt das Volk auf und der Parlamentspräsident erklärt sich zum neuen Präsidenten des Landes. Schade nur, dass es erst solche brutalen Begegnungen mit der Realität braucht, bis viele Menschen merken, dass die Freiheit unteilbar ist und der Kapitalismus das Fundament der Freiheit ist.

Photo: Garry Knight from Flickr (CC0 1.0)

Knappe Mehrheiten können oft weitreichende Folgen haben. Die Brexit-Entscheidung vom 23. Juni 2016 in Großbritannien hat solche Folgen – wahrscheinlich über Jahrzehnte hinweg. Damals stimmte eine knappe Mehrheit von 51,9 Prozent für den Austritt der Briten aus der Europäischen Union. 48,1 Prozent stimmten für den Verbleib. Rund 52 Prozent bestimmen also über 48 Prozent. Das nennt man Demokratie. Die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit wird allgemein akzeptiert, obwohl dieses Prinzip auch seine Grenzen kennt. Unser Grundgesetz kennt zahlreiche Grundrechte, die auch Minderheiten erlaubt, sich gegen den Mehrheitswillen zu behaupten. Die Gleichheit vor dem Gesetz (Artikel 3) gehört dazu. Die Glaubensfreiheit (Artikel 4) gehört ebenfalls dazu. Und natürlich schützt auch die Meinungsfreiheit (Artikel 5) die Minderheit vor der Mehrheit. Wer das Grundgesetz verändern will, braucht dazu eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat. Die Grundrechte sind jedoch unveräußerlich. Ihr Wesenskern kann nicht einmal von einer Zweidrittelmehrheit verändert werden. Die Ewigkeitsklausel im Grundgesetz verhindert dies.

Das einfache Mehrheitsprinzip hat viele Vorteile. Es ist praktisch und pragmatisch zugleich. Es sichert den unblutigen Machtübergang in einer Demokratie. Man kann nicht immer warten, bis alle zustimmen. Das ist das pragmatische Argument. Für Liberale ist das Prinzip der Einstimmigkeit dennoch eigentlich das freiheitlichste. Denn immer wird bei Mehrheitsentscheidungen in die Lebensentwürfe Einzelner auf der unterlegenen Seite eingegriffen.  Daher ist es nur recht und billig, wenn jeder Einzelne diesem Eingriff auch aktiv zustimmen muss.

Das Mehrheitsprinzip ist in der Demokratie dennoch eine allgemein akzeptierte Regel, die schnell Klarheit schafft. Doch ist das einfache Mehrheitsprinzip ausreichend, um sehr grundsätzliche Fragen zu klären? In Großbritannien werden 48 Prozent der Briten sehr fundamental in ihren Lebensentwürfen beeinträchtigt. Berufliche Perspektiven werden mit einem Schlag zerstört, unternehmerische Risiken entstehen urplötzlich, die existenzgefährdend sein können, und wo früher ein freier Personenverkehr zwischen der Republik Irland und Nordirland stattfand, drohen vielleicht bald wieder Schlagbäume, und die alten Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten in Irland könnten wieder aufbrechen.

Das Brexit-Votum zeigt, dass knappe Mehrheiten nicht immer friedensstiftend sind. Eigentlich war der Fehler des Brexit-Referendums nicht die Volksbefragung an sich. Denn über kurz oder lang hätte auch eine Mehrheit im Parlament dies beschließen können. Der Fehler des Referendums war das Quorum. Eine einfache Mehrheit kann für diese grundsätzliche Entscheidung nicht reichen. Noch 1975 stimmten 67 Prozent für einen Beitritt zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Schon dieses klare Votum hatte die Minderheit nicht beruhigt. Das eine Drittel, das damals gegen den Beitritt stimmte, war wahrscheinlich schon zu groß. Vielleicht wäre ein Dreiviertelquorum oder sogar ein Vierfünftelqourum besser gewesen, um Rechtsfrieden zu schaffen. Die Entscheidungen würden bei größeren Voten dann zwar länger dauern. Das muss aber nicht falsch sein. Eine Gesellschaft hätte länger Zeit, das Für und Wider zu diskutieren, die Folgen abzuschätzen und alle mitzunehmen.

Das Beispiel des Brexit-Referendums zeigt eines: Alles, was die Regierung May jetzt macht, kann eigentlich nur falsch sein und wird zu großen Verwerfungen führen. Setzt sie den verhandelten Kompromiss durch, dann schafft sie keine Akzeptanz bei denen, die für den Brexit gestimmt haben. Sie wollten aus der EU raus, wollten selbst über ihr Schicksal bestimmen und landen jetzt in einer Zollunion, deren Regeln sie nicht beeinflussen können, die sie aber dennoch befolgen müssen. Scheitert May im Parlament, dann kommt es zum ungeordneten Brexit und zu Neuwahlen. Die Folge dürfte sein, dass die Warenströme von heute auf morgen zum Erliegen kommen. Es hätte fatale Folgen für die Wirtschaft in Britannien und auf dem Kontinent. Und kommt es zu einem neuen Referendum, dann fühlen sich die Gewinner von 2016 hintergangen. Es gibt keine Auflösung des Konfliktes. Das ist das Dilemma der knappen Mehrheit. Sie hat keine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Deshalb ist jeder Kompromiss eine Einladung an die Gegner, erneut zu mobilisieren und den Kompromiss zu Fall zu bringen. Demokratie kann nur dann friedensstiftend sein, wenn grundlegende Fragen nicht mit 50 Prozent plus einer Stimme bestimmt werden, sondern mit einer qualifizierten Mehrheit, die so unumstritten ist, dass sie schon aufgrund ihrer großen Mehrheit zu Rechtsfrieden führt.

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Von Prof. Dr. Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig und Mitglied des Kuratoriums von Prometheus, und Clemens Schneider.

Zivilgesellschaftliche Akteure tragen wesentlich dazu bei, die freiheitliche Ordnung unseres Landes mit Leben zu füllen. Damit stehen sie aber auch in einer besonderen Verantwortung. Dies gilt besonders für jene, die sich mit Fragen aus dem unmittelbaren Wirkungsbereich des Staates beschäftigen, die Nichtregierungsorganisationen (NGO).

Viele dieser NGOs leisten wertvolle Arbeit: sie bieten eine Plattform für Engagement, ermöglichen effektive Hilfe vor Ort, schaffen Aufmerksamkeit für gemeinsamen Handlungsbedarf und stellen sicher, dass Unterstützung auch dort ankommt, wo die grobe Kelle des Staates nicht hinreicht. Entsprechend gut ist ihr öffentlicher Ruf. In einer jüngsten Befragung der Universität Leipzig rangierte das Vertrauen der deutschen Öffentlichkeit in internationale NGOs knapp hinter Polizei und Bundeswehr, noch vor Gewerkschaften oder mittelständischen Unternehmen.

Ihr Nimbus als selbstlose und konstruktive Helfer ist jedoch zugleich eine Art Kollektivgut. NGOs wird viel Grundvertrauen entgegengebracht, weil ihnen als nicht gewinnorientierten Organisationen eine durch Selbstlosigkeit bedingte Anständigkeit unterstellt wird. Dies kann fragwürdige Akteure dazu verleiten, sich am Reputationskapital des Sektors unschädlich zu halten. Und Bürger, Unternehmen, Politik und Medien können Gefahr laufen, allzu unkritisch gegenüber solchen NGOs zu agieren.

Denn klar ist auch: NGOs besitzen diskursive Macht, die sich in politische und materielle Macht übersetzen kann. Umso wichtiger ist, dass genau hinschaut wird, bei oder mit wem man sich engagiert. Nicht alle Praktiken aller NGOs können nämlich als unbedenklich bezeichnet werden. Drei wesentliche Merkmale von NGOs sollen hier in den Blick genommen werden, von denen einzelne Akteure abweichen:

– NGOs setzen auf freiwillige Kooperation und Überzeugungsarbeit statt auf Zwang, wie ihn staatliche Stellen ausüben.

– NGOs belasten nicht die Steuerzahler, sondern finanzieren sich durch freiwillige Zuwendungen.

– NGOs stärken das Sozialkapital einer Gesellschaft, indem sie Menschen zusammenführen und Brücken zwischen gesellschaftlichen Gruppen bauen.

In der Praxis finden sich NGOs, die wenig von Kooperation oder Überzeugungsarbeit halten. Seit einigen Jahren wird das Verbandsklagerecht zu einem immer häufiger genutzten Mittel, um politische Ziele durchzusetzen. Der Gesetzgeber beschreibt diese Tätigkeit, die ihm die Möglichkeit bietet, Aufsichtspflichten an NGOs „outzusourcen“, als „Mitwirkung“. Durch diese institutionelle Kooptation gerät freilich deren Status als „Nichtregierungsorganisation“ ins Wanken.

Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist der „Verband Sozialer Wettbewerb“. Im Jahr 2016 wurde er in 1.826 Fällen aktiv. Dessen Arbeit hat dazu geführt, dass einer Brauerei untersagt wurde, ihr Bier als „bekömmlich“ zu bewerben, oder dass rein pflanzliche Produkte wie Sojamilch oder Tofukäse nicht mehr als Käse oder Milch bezeichnet werden dürfen. Anders als Organisationen wie „Foodwatch“ begleitet der Verband diese Tätigkeit auch nicht mit Öffentlichkeitsarbeit, so dass ein aufklärerischer Charakter völlig fehlt.

Viele politische NGOs lehnen die Annahme von staatlichen Mitteln grundsätzlich ab, etwa „Campact“. Andere nutzen dagegen gerne die Möglichkeiten, die üppig gefüllte öffentliche Fördertöpfe bieten. Etwa die Organisation „WEED“, die „zu einer globalen Energiewende sowie gerechteren weltwirtschaftlichen Beziehungen beitragen“ möchte. Im Jahr 2017 verzeichnet sie Einnahmen von 373.964 €, davon kamen mindestens 220.113 € (58 %) aus öffentlicher Hand. Zwischen 2008 und 2012 erhielt WEED von der EU Fördergelder in Höhe von 1.487.919 € bei einem Etat von 2.476.837 € im selben Zeitraum (60%).

Die „Deutsche Umwelthilfe“ erzielt einen erheblichen Teil ihres jährlichen Budgets durch staatliche Förderung und durch Gelder, die unter staatlicher Mitwirkung eingesammelt wurden: Zwischen 2011 und 2015 kamen 35 bis 42 % ihres siebenstelligen Jahresbudgets aus Fördermitteln. Kontinuierlich steigt der Anteil der Einnahmen aus Verbandsklagen: 2011 machten sie 19 % aus, 2012 waren sie auf 24 % gestiegen, und seit 2014 betragen sie gut 30 % des Budgets.

Wenn NGOs so eng mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten oder in erheblichem Maße von öffentlicher Finanzierung abhängen, stellt sich die Frage, wieviel „N“ eigentlich noch im NGO steckt. Besonders problematisch erscheinen jene Organisationen, die vom Nimbus des Gemeinwohls zehrend eine knallharte politische Agenda verfolgen, die auf demokratischem Wege schwer durchsetzbar wäre.

Dafür werden Mittel eingesetzt, die im zivilisierten Diskurs der freiheitlichen Demokratie nichts verloren haben: Populismus, Unterstellungen, Beleidigungen und Verdrehungen der Wahrheit. Behauptungen wie „Freihandel tötet“; die von „Campact“ vertretene Aussage, CETA sei ein „Angriff auf die Demokratie“; die Drohung mit einem „Al Qaida für die Tiere“, die ein führender PETA-Mitarbeiter aussprach; oder Aussagen aus dem Jahresbericht der „Deutschen Umwelthilfe“, wo von Staatsversagen, rechtsfreien Räumen und einer von der Industrie gesteuerten Regierung die Rede ist. Wer die Ursachen für Diskursverrohung, gesellschaftliche Spaltung und „kreativen“ Umgang mit Fakten sucht, wird auch bei einigen NGOs fündig. Brücken werden hier weniger gebaut als verbrannt.

Umso wichtiger ist die Erkenntnis, dass NGOs – wenngleich weder profitorientiert noch Teil des Staates – erhebliche Macht besitzen. Macht bedarf stets auch der Kontrolle – sei es durch gemeinsame Verhaltensregeln und Aufsichtsorgane, sei es durch eine kritische(re) mediale Berichterstattung, sei es durch eine differenzierte Wachsamkeit der Bürger: NGOs könnten beispielsweise Obergrenzen für öffentliche Finanzierung definieren. Eine „Oxfam“-Studie bedarf derselben skeptischen Prüfung wie eine des Deutschen Arbeitgeberverbandes. Und nicht nur Akteuren am rechten Rand des politischen Spektrums muss im Falle „alternativer Fakten“ und Sprachverrohung entgegentreten werden.

Veröffentlicht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 8. November 2018.

 Photo: Victor Kallenbach from Unsplash (CC 0)

Ist der Bundestag mit 709 Abgeordneten zu groß? Eigentlich sieht der Deutsche Bundestag eine Sitzzahl von 598 vor. 299 Wahlkreismandate werden über eine relative Mehrheitswahl im jeweiligen Wahlkreis vergeben und 299 Mandate über eine bundesweite Verhältniswahl nach Landeslisten der Parteien verteilt. Jeder Wähler hat zwei Stimmen. Die erste Stimme ist für den Wahlkreis, die zweite Stimme ist die Stimme für eine Partei und deren Repräsentanz im Parlament. Erreicht eine Partei mehr Wahlkreismandate als ihr über die zweite Stimme relativ im Parlament an Sitzen zusteht, gibt es Überhangmandate. Die Zusammensetzung des Bundestages entspricht dadurch nicht mehr dem Zweitstimmenergebnis. Seitdem das Bundesverfassungsgericht die hohe Anzahl der Überhangmandaten 2012 als verfassungswidrig erklärt hat, hat der Gesetzgeber einen Vollausgleich durch so genannte Ausgleichsmandate beschlossen.

Dabei muss die Anzahl der Mandate so weit erhöht werden, bis der Vorteil der Überhangmandate bei der Zusammensetzung des Parlaments verschwindet. Dies führte bereits 2013 dazu, dass der Bundestag 631 Abgeordnete hatte. 5 Überhangmandate führten dabei zu 28 Ausgleichsmandaten. Vier Jahre später waren es bereits 709. 49 Überhangmandate mussten mit 62 Mandaten ausgeglichen werden. Dies Entwicklung setzt sich in der aktuellen Sonntagsfrage fort.

Wer die aktuelle Umfrage von INSA vom 23.10.2018 betrachtet und dies als Maßstab für die Zusammensetzung des nächsten Bundestages heranzieht, ist bereits bei 831 Mitgliedern. Und sollten CDU/CSU bei der nächsten Bundestagswahl, nicht wie in der INSA-Umfrage prognostiziert, 26 sondern bei gleichen Bedingungen nur noch 20 Prozent erreichen, dann würde das Parlament auf 1002 Mitglieder anwachsen. Die Entwicklung ist also auch ein Spiegelbild der zurückgehenden Wahlerfolge von Union und SPD. Sie würden zwar noch viele Direktmandate gewinnen, stürzen aber bei der Zweitstimme ab.

Ein Parlament, das möglicherweise doppelt so groß ist, wie es der Gesetzgeber eigentlich vorgesehen hat, stößt zwangsläufig an seine Grenzen. Nicht nur was die Arbeitsfähigkeit und die Ausgaben betrifft. Auch ist die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Regierung dann nur noch schwer möglich. Aber entscheidend ist die öffentliche Akzeptanz des Deutschen Bundestages. Ein Parlament mit 800 oder 900 Abgeordneten würde dem Vorwurf der Reformunfähigkeit des politischen Systems Vorschub leisten. Es hat dem Deutschen Bundestag bislang nicht gutgetan, dass in der letzten Legislaturperiode keine Reform gelungen ist. Und auch in dieser Legislaturperiode tut sich derzeit wenig. Das ist bedauerlich, denn diese Untätigkeit trägt zur Politikverdrossenheit in der Gesellschaft bei.

Sicherlich ist das Wahlrecht ein vermintes Gelände. Es hat historisch schon oft zu Verwerfungen im Regierungssystem geführt. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Regierungswechsel der FDP in NRW im Jahr 1956. Als Bundeskanzler Konrad Adenauer ein Grabenwahlrecht einführen wollte, wechselte die FDP in Nordrhein-Westfalen von einer CDU-geführten zu einer SPD-geführten Regierung und vereitelte den Plan dadurch mittelbar in der großen Koalition in Bonn. Damals wollte Adenauer, dass die Direktmandate nicht auf die Verhältniswahl (Zweitstimmenergebnis) angerechnet werden. Es hätte die FDP bei gleichem Ergebnis halbiert und der Union die absolute Mehrheit beschert. Mit dem Regierungswechsel in Düsseldorf war das Ansinnen Adenauers tot, aber gleichzeitig auch der Beginn einer sozialliberalen Ära auf Bundesebene eingeleitet.

Zahlreiche Veränderungen sind im Wahlrecht denkbar. Doch wer nicht das gleiche Schicksal der 1950er Jahren erleben will, sollte behutsam an das Wahlrecht herangehen. Denn das Wahlsystem ist nicht beliebig veränderbar. Es folgt einer Tradition und höchstrichterlicher Rechtsprechung. Daher wäre der Gesetzgeber klug beraten, am bisherigen System von Erst- und Zweitstimme festzuhalten. Folgt man diesem Gedanken, dann böte sich eine Reduktion der gesetzlichen Mitgliederzahl von 598 Abgeordneten an. So könnte das Parlament in zwei Schritten von 498 auf 398 reduziert werden. Dies würde bedeuten, dass die Wahlkreise von 299 auf 249 und dann 199 reduziert werden. Gleichzeitig würden auch die Listenmandate entsprechend reduziert.  Die Reduzierung der Wahlkreise um ein Drittel würde dazu führen, dass ein Wahlkreis im Durchschnitt nicht mehr einen Bevölkerungsanteil von 275.000 Einwohnern repräsentieren, sondern rund 410.000. Dies wäre innerhalb der Bundeswahlgesetzes zulässig, da so immer noch die Ländergrenzen eingehalten werden könnten und die Wahlkreise ein zusammenhängendes Gebiet umfassen würden. Sicherlich wären die Wahlkreise dann in vielen Teilen Deutschlands landkreisübergreifend. Doch das ist heute schon in vielen Regionen Süd- und Ostdeutschlands so. Größere Wahlkreise wären der Preis für eine Reform. Er wäre aber tragbar, weil es dafür eine Mehrheit im Parlament geben könnte. Eine Diskussion darüber muss jetzt endlich beginnen.

Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Wer über Wettbewerb schreibt, scheint irgendwie aus der Zeit gefallen. Wettbewerb klingt so hart und ungerecht. Manche verlieren im Wettbewerb und bleiben auf der Strecke. Wieder andere sind überaus erfolgreich und sammeln Reichtümer ungeahnter Ausmaße an. Deshalb wird dem Wettbewerb oft auch ein Adjektiv vorangestellt. Er dürfe nicht „ruinös“, müsse „gerecht“ und „fair“ sein. Dafür müsse der Staat sorgen, wird vielfach verlangt. Wenn jemand sogar dem politischen Wettbewerb das Wort redet und den zwischenstaatlichen Wettbewerb nicht geißelt, sondern gutheißt, dann ist das bestimmt einer dieser Manchesterliberalen – ein Ewiggestriger. Denn so einer redet bestimmt Steueroasen und Sozialdumping das Wort. Kurzum: die soziale Kälte sprießt so einem aus allen Adern.

Roland Vaubel würde dies wahrscheinlich als Ehrenbeschreibung für sich gelten lassen. Er ist zwar kein Ewiggestriger. Aber sicherlich ein klassischer Liberaler, der seinen gut begründeten Überzeugungen auch dann noch folgt, wenn die allgemeine Stimmung gegen seine Thesen gerichtet ist.

Jetzt hat dieser Roland Vaubel, inzwischen emeritierte Professor für Volkswirtschaft in Mannheim, das Buch „Zwischenstaatlicher politischer Wettbewerb“ vorgelegt, dass das Wettbewerbsprinzip auf vielerlei politische Felder überträgt. In 17 Aufsätzen setzt er sich damit auseinander. Er beschäftigt sich historisch, ideengeschichtlich, theoretisch und anhand konkreter Beispiele mit dem politischen Wettbewerb – insbesondere in Europa. Schon zu Beginn beschreibt er den politischen Wettbewerb als das Erfolgsgeheimnis der Demokratie. Sie eröffnet den Bürgern Wahlmöglichkeiten. Ohne Alternativen gäbe es keine politische Partizipation. Je lebhafter der Wettbewerb zwischen den Politikern, desto stärker sei ihr Anreiz, sich an den Wünschen der Bürger zu orientieren.

Vaubel ist ein Anhänger von Friedrich August von Hayek, der den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren bezeichnet hat, und ihn sogar auf das Geldwesen übertragen wollte. Der Währungswettbewerb schütze die Bürger vor hoher Inflation, denn durch Wettbewerb könnten die Geldnutzer in stabilere Währungen abwandern. Historisch ist dies durchaus belegt. Fürsten und Könige wurden im Mittelalter durch den Geldwettbewerb in Europa in ihrer Manipulation des Gold- und Silbergehalts ihrer Münzen gehemmt, da Kaufleute in ganz Europa möglichst gutes Geld vorhalten wollten. Der Systemwettbewerb in Europa zwischen Staat und Kirche hat historisch zu einer Machtbalance geführt, die die Freiheit des Einzelnen gestärkt hat. Vaubel erinnert daran, dass zum Ende des Mittelalters der Orient und China ökonomisch auf Augenhöhe mit Europa waren. Der anschließende Rückfall dieser Regionen begründet er mit dem mangelnden Wettbewerb und dem Zentralismus dieser Regionen. Entscheidungen werden mal richtig und mal falsch getroffen. In einem zentralistisch organisierten Staat treffen falsche Entscheidungen der Politik dann aber viel mehr. Ein permanent Entdeckungsverfahren kann daher nicht stattfinden.

Anschaulich ist Vaubels Beispiel der europäischen Musik als Ausdruck des Wettbewerbs. Wie konnte die europäische Musik des Barock, der Klassik und der Romantik diesen Siegeszug auf der ganzen Welt erreichen? Auch hier bemüht Vaubel das Wettbewerbsprinzip. Im kleinräumigen Europa konnten die Herrscher ihre Untertanen nicht beliebig ausbeuten und unterdrücken. Kaufleute, religiöse Minderheiten und eben auch Musiker und Komponisten konnten sich ihren Staat und ihren Wohnort aussuchen. Je kleiner der Staat, je mehr Staaten es gab, desto geringer waren die Ausweichkosten. Die wichtigsten Förderer in der Zeit des Barock waren die Fürstenhöfe und Kirchen. Sie konkurrierten um die besten Musiker und Komponisten ihrer Zeit. Zu Zeiten des Barock sind gerade in den besonders dezentral organisierten Ländern Italien und Deutschland die größten Komponisten hervorgegangen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg existierten in Deutschland 300 eigenständige Fürstenhöfe. Dieser Umstand ermöglichte auch einen Innovationsschub. Die Fürsten des Barock waren für neue Stilentwicklungen offen, sie profilierten sich sogar damit. Der kritische Vergleich und der Entdeckungsmechanismus führten zu einem dynamischen Wettbewerb, und zu einer Verbreitung in die bürgerlichen Kreise hinein. All das hatte auch eine erhebliche ökonomische Bedeutung.

Roland Vaubel ist ein tolles Buch gelungen, das gerade dem liberal gesinnten Nachwuchs wärmstens empfohlen ist. Glauben doch viele, selbst unter Liberalen, dass Kleinstaaterei der Inbegriff des Rückschritts sei. Dies ist jedoch eine polemische Umdeutung des Begriffs. Eigentlich war dies eine entscheidende Grundlage für Rechtsstaat, Marktwirtschaft und Demokratie in unserem Land.