Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus.
Das bedinungslose Grundeinkommen – kurz BGE – ist aktuell ein groß diskutiertes Projekt in der Arbeits- und Sozialpolitik. Das Konzept beinhaltet die regelmäßige Auszahlung eines festen Betrags an jeden Bürger. Bisher ist die empirische Datenlage zu den Folgen sehr dünn. Studien aus den USA aber zeigen aber auf, dass der Trend in Richtung Reduzierung des Arbeitsangebots geht.
Das bedingungslose Grundeinkommen sorgt in letzter Zeit für hitzige Diskussionen. Über ideologische Grenzen hinweg finden sich Befürworter und Gegner. Die Auswirkungen einer Einführung sind umstritten. Kritiker befürchten, dass die Menschen den Umfang ihrer Erwerbsarbeit einschränken und so die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens gefährden würden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wurde noch nie in einem größeren Maßstab in einem Land eingeführt. Experimentelle Ergebnisse, die Rückschlüsse darauf zulassen, wie Menschen auf ein bedingungsloses Grundeinkommen reagieren, sind deshalb leicht zu überschauen.
1.000 Euro für Alle
Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine regelmäßige Zahlung an alle Bürger, unabhängig von ihrer finanziellen Situation. Es würde durch Steuereinnahmen finanziert werden. Im Gespräch sind beispielsweise um die 1.000 Euro pro Monat für jeden Bundesbürger. Bei rund 81 Millionen deutschen Staatsbürgern wird ersichtlich, dass die Finanzierung dieses Transfers eine Herausforderung wäre.
Für ein bedingungsloses Grundeinkommen, das alle Transferzahlungen ersetzt, spricht unter anderem ein geringer bürokratischer Aufwand, da die Bedürftigkeit der Empfänger nicht geprüft werden müsste. Wie wahrscheinlich es ist, dass es zu einer Umsetzung ohne Ausnahmen von dieser Regel käme, die diesen Vorteil konterkarieren würden, betrachten wir hier nicht.
Schlechte Anreize konventioneller Sozialtransfers
Heutige Sozialtransfers sind dagegen bürokratisch aufwendig und haben in ihrer jetzigen Ausgestaltung einen weiteren gravierenden Nachteil. Nehmen die Empfänger mehr als nur eine Tätigkeit im Rahmen eines Minijobs auf, reduzieren sich die Zahlungen maßgeblich oder gar vollständig. Für die Empfänger wirkt die Reduktion der Transfers wie eine Steuer auf zusätzliches Einkommen – netto erhöhen sich ihre Einkommen nicht eins zu eins mit dem Zuverdienst. Die durch die Reduzierung der Transfers ausgelösten impliziten Steuern sind – auch durch die Beiträge zu den Sozialversicherungen – relativ hoch. Wer als Alleinstehender eine Arbeit aufnimmt statt ALG II zu beziehen und 1.500 Euro brutto verdient, ist einem impliziten Steuersatz von etwa 80 Prozent ausgesetzt. Der monetäre Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen, ist in solch einer Situation recht gering.
Das bedingungslose Grundeinkommen würde diese hohen impliziten Steuersätze für Geringverdiener umgehen. Jeder Euro Einkommen würde nach einem Vorschlag des Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar mit 50 Prozent besteuert werden. Wer eine Arbeit aufnimmt, bezöge weiterhin das bedingungslose Grundeinkommen und könnte zusätzlich über 50 Prozent des erzielten Einkommens verfügen.
Die negative Einkommensteuer
Die von Milton Friedmann im Jahr 1962 vorgeschlagene negative Einkommensteuer weist Ähnlichkeiten mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auf. Auch sie mindert das Problem schwacher Anreize, bezahlter Beschäftigung nachzugehen. Fällt das Einkommen einer Person unter einen gewissen Betrag, zahlt sie keine Steuern mehr, sondern erhält Zahlungen. Bei einem konstanten Grenzsteuersatz, der unter einer gewissen Einkommenschwelle negativ ausfällt, erhöht sich das Einkommen nach Steuern um immer den gleichen Teil des zusätzlichen Einkommens.
Anders als bei einem bedingungslosen Grundeinkommen, hängen die Nettozahlungen oder -gutschriften im Rahmen einer negativen Einkommensteuer also vom erzielten Einkommen ab. Bezüglich der Wirkung auf das Einkommen von Erwerbspersonen gleichen sich bedingungsloses Grundeinkommen und negative Einkommensteuer jedoch.
Bedingungslose Transferszahlungen und Arbeitsverhalten: USA
Wir widmen uns hier nicht der Frage, ob der Empfang von Nettotransfers in Abwesenheit einer Bedürftigkeit gerechtfertigt ist, oder ob die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens tatsächlich mit der Abschaffung aller Transfers einhergehen würde, die auf Bedürftigkeitsprüfungen basieren. Wir wenden uns hier Studien zu, die Rückschlüsse darauf zulassen, wie sich bedingungslose Transferzahlungen auf das Arbeitsverhalten der Empfänger auswirken.
Das „New Jersey Graduated Work Incentive Experiment“ war eine randomisierte Kontrollstudie, die in den Jahren 1968 bis 1972 durchgeführt wurde. Zufällig ausgewählte Familien in städtischen Gebieten mit einem Einkommen unter 150 Prozent der Armutsgrenze erhielten Geldtransfers, deren Höhe vom von ihnen zusätzlich erzielten Einkommen abhing – wie im Rahmen einer negativen Einkommensteuer vorgesehen. Bei den Teilnehmern konnte nur ein geringer negativer Effekt auf das Arbeitsangebot festgestellt werden, der in der Regel unwesentlich von der Kontrollgruppe abwich, die keine Zahlung erhielt. Eine ergänzende Studie mit Fokus auf ländliche Regionen ergab, dass männliche Arbeitskräfte ihre Arbeitszeit im Vergleich zur Kontrollgruppe im Durchschnitt um 1 Prozent senkten und weibliche Teilnehmer ihre Arbeitszeit um 27 Prozent reduzierten. Allerdings konnte auch hier nicht ausgeschlossen werden, dass die Unterschiede nicht dem Zufall geschuldet sind. Hingegen ging die Beschäftigungsquote der teilnehmenden Frauen signifikant um 28 Prozent zurück.
Das „Seattle/Denver Income-Maintenance-Experiment“ war das bisher größte negative Einkommensteuerexperiment. Die Teilnehmer wurden in dreijährige und fünfjährige Auszahlungsperioden aufgeteilt. Menschen, die die Zahlung für drei Jahre erhielten reduzierten ihre Arbeitsstunden um bis zu 7,3 Prozent, während in der Fünf-Jahres-Gruppe Arbeitszeitreduzierungen von bis zu 13,5 Prozent festgestellt wurden. Die statistisch signifikanten Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Verkürzung der Arbeitszeit umso höher ausfällt, je länger der Zeitraum ist, in dem eine negative Einkommensteuer zur Anwendung kommt.
Weitere Experimente bisher ohne Erkenntnisgewinn
Im Jahr 2017 startete Finnland ein Grundeinkommensexperiment mit 2.000 Arbeitslosen. Für zwei Jahre erhalten die Teilnehmer eine bedingungslose monatliche Zahlung von 560 Euro. Diese Summe ist nicht ausreichend um alle anderen Transferzahlungen einzustellen. Da das Experiment noch nicht abgeschlossen ist, liegen noch keine Ergebnisse vor.
In Deutschland gibt es eine private Initiative, die monatliche Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro für ein Jahr verlost. Leider können von diesem Experiment auf Grund des sehr kurzen Zeitraums keine neuen belastbaren Erkenntnisse über die Veränderung des Arbeitsangebots erwartet werden.
Experimente in Schwellen- und Entwicklungsländern
Im Gegensatz zu den Experimenten in industrialisierten Ländern findet eine Studie über ein indisches Grundeinkommensexperiment aus dem Jahr 2014 einen positiven Beschäftigungseffekt. Die Zahlung lag unter dem Einkommensniveau, dass für eine Befriedigung der Grundbedürfnisse ausreichend wäre.
Vor dem Hintergrund, dass das Experiment und damit die Auszahlung nur zwei Jahre dauerten, nutzten die Empfänger des bedingungslosen Grundeinkommens die zusätzlichen Einnahmen vornehmlich, um ihre Lebensbedingungen langfristig zu verbessern und investierten in ihren Kapitalstock. So wurden vor allem neue Nutztiere angeschafft und die effizientere Bewirtschaftung des Haushalts vorangetrieben. Einige Haushalte bauten eine eigene Wasserversorgung oder zusammen mit Nachbarn einen gemeinsamen Wasseranschluss. Dies entlastete vor allem Frauen, die zuvor an öffentlichen Brunnen das Wasser für die Familie holen mussten. So stellten die Forscher fest, dass vor allem Frauen mehr Zeit darauf aufwenden konnten, um zusätzliches Einkommen zu erzielen.
Insgesamt erhöhten gut 21 Prozent der Haushalte, die in dem Untersuchungszeitraum ein bedingungsloses Grundeinkommen erhielten, ihr Einkommen durch eine Ausweitung des Umfangs ihrer Erwerbsarbeit, während dies nur für 9 Prozent der Haushalte in der Kontrollgruppe zutraf.
Ein Experiment, das in Namibia ohne Kontrollgruppe durchgeführt wurde, weist ähnlich wie das indische Projekt darauf hin, dass die Menschen die zusätzlichen Mittel nutzten, um sich wirtschaftlich produktiver betätigen zu können. Die Autoren schreiben: „Dieser Befund widerspricht den Behauptungen der Kritiker, dass das bedingungslose Grundeinkommen zu Faulheit und Abhängigkeit führen würde.“
Die Studienteilnehmer in Namibia und Indien hatten gemein, dass sie in Gesellschaften leben, in denen die Arbeitsteilung weniger ausgeprägt ist als in industrialisierten Ländern. Sie waren zu einem Gutteil auf Subsistenzwirtschaft angewiesen. Die empirischen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die zu einem Gutteil auf Subsistenzwirtschaft angewiesenen Haushalte die Transferzahlungen vor allem nutzten, um ihre Arbeit durch Investitionen in ihren Kapitalstock produktiver zu machen. Das mag helfen, die beobachteten Effekte zu erklären. Werden die Früchte der Arbeit reichhaltiger, wird es attraktiver, mehr zu arbeiten.
Finanzierung auf wackligen Füßen?
Individuen in hochgradig arbeitsteilig organisierten Gesellschaften haben leichten Zugang zu Krediten und würden Transferzahlungen vermutlich nicht zum Ausbau ihres Kapitalstocks nutzen, um sich produktiver in Erwerbsarbeit üben zu können. Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens in relativ reichen Gesellschaften schwebt derartiges zumeist auch nicht vor. Ganz im Gegenteil, Menschen sollen ja gerade frei davon werden, auf dem Markt Erwerbseinkommen erzielen zu müssen. Die Erfahrungen mit bedingungslosen Grundeinkommen in Entwicklungsländern sind auch aus diesen Gründen für entwickelte Länder nicht allzu aussagekräftig.
Die Erkenntnisse aus Nordamerika scheinen besser geeignet zu sein, um die potentiellen Arbeitsangebotseffekte eines bedingungslosen Grundeinkommens abzuschätzen. Diese Studien kommen zu dem Schluss, dass das Arbeitsangebot mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eher abnimmt. Je länger die erwartete Auszahlungsperiode ist, desto stärker ist dieser Effekt.
Dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen ab einer gewissen Höhe das Arbeitsangebot reduziert, steht außer Frage. Wie viele Menschen würden noch arbeiten, wenn es monatlich 5.000 Euro betrüge? Angesichts der bisher noch spärlichen empirischen Literatur zu Effekten bedingungsloser Transferzahlungen sollten alle Aussagen bezüglich der Wirkung eines moderaten bedingungslosen Grundeinkommens auf das Arbeitsangebotsverhalten allerdings mit Vorsicht genossen werden.
Zuerst erschienen bei IREF.