Photo: Hans-Peter Gauster from Unsplash (CC 0)

Von Nemir Ali, Student der Rechtswissenschaften.

Vom Acrylamid-Gehalt in Pommes bis hin zum Nikotinemissionsgrenzwert einer Zigarette – für all dies gibt es EU-Richtlinien oder Verordnungen, und regelmäßig kann man sich in Brüssel auf die nächste Medienschelte einstellen, wenn derartiges beschlossen wird. Dies zu regeln sei doch überflüssig, Brüssel verliere sich mal wieder ins „Klein-klein“, heißt es dann oft.

Doch stimmt das? In Art. 114 des „Lissaboner Vertrags“ (AEUV) wird der EU aufgegeben, sich um die Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu kümmern, um so den Binnenmarkt zu stärken. Dabei geht es um den Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen, also von solchen, die nicht in Zöllen oder Einfuhrgebühren bestehen, sondern in unterschiedlichen Standards für Produkte oder Dienstleistungen. Diese führen dazu, dass übernational agierende Unternehmen entweder für jedes Land unterschiedliche Produktvarianten entwickeln müssen oder nicht exportieren können. Beides kostet die Verbraucher Geld. Somit wird deutlich: Wer wirklich freien Handel will, der muss auch nichttarifäre Handelshemmnisse abbauen wollen. Und der Art. 114 AEUV hat mithin durchaus seine Berechtigung.

Die eigentliche Frage ist daher, ob nichttarifäre Handelshemmnisse nicht auch anders abgebaut werden können als durch Harmonisierung? Immerhin gilt für zentral festgelegte Standards dasselbe wie für alles andere, was zentral festgelegt wird: Je höher die Beschlussebene ist, desto mehr unterschiedliche Interessen müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Das kostet Zeit, ist bürgerfern, eine anschließende Reform ist umso schwieriger und Wettbewerb gibt es auch keinen mehr.

Hier werden von Liberalen in der Regel zwei Alternativen vorgeschlagen: Erstens überhaupt keine Standards oder zweitens die gegenseitige Anerkennung von Standards. Wer sich die aktuelle politische Lage in den meisten EU-Mitgliedstaaten ansieht, wird schnell feststellen, dass beides politisch wohl nicht umsetzbar ist.

Doch es gibt auch eine dritte Variante: Die Europäische Union legt wie bisher Standards für Produkte und Dienstleistungen fest, und alles, was diesen Standards genügt, darf im gesamten Binnenmarkt vertrieben werden. Allerdings können die Mitgliedstaaten (sowie ggf. die Regionalparlamente in den Mitgliedstaaten) von diesen Vorschriften nach unten hin abweichen. D.h. es können auf nationaler oder regionaler Ebene Produkte und Dienstleistungen zu niedrigeren Standards als denen der EU vertrieben werden, soweit dies vom entsprechenden Mitgliedstaat erlaubt wird. Woanders darf ein Vertrieb jedoch nicht stattfinden. Dagegen muss alles, was EU-Standards erfüllt, zwingend vertrieben werden dürfen, sprich die Mitgliedstaaten dürfen hier keine höheren Standards ansetzen. Bisherige Ausnahmeregelungen, die dies zulassen (z.B. die Art. 36 und 114 Abs. 4 AEUV) müssen dementsprechend abgeschafft werden. Damit für Verbraucher ersichtlich ist, welche Standards denn nun gewährleistet werden, empfiehlt es sich, zusätzlich ein EU-Gütesiegel – quasi eine Art Zertifikat für Produkte, die EU-Standards erfüllen – einzuführen.

Auf diese Weise ließe sich sowohl die Einheit des Binnenmarktes mit all seinen wirtschaftlichen Vorteilen wahren, als auch ein Gegengewicht bzw. 28 Gegengewichte zur Regulierungshoheit der EU schaffen. Die EU würde den Freihandel und damit die Freiheit (jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht) nur noch erweitern können und nicht, wie bisher, auch verringern können. Viele EU-Standards würden auf den Prüfstand kommen und die Kommission wäre gezwungen etwas gegen ausufernde Bürokratie zu unternehmen. Tut sie es nicht, dann tun es eben die Mitgliedstaaten.

Ist dies politisch jetzt ohne weiteres umsetzbar? Gewiss nicht. Sowohl von Grünen, Sozialdemokraten als auch vermutlich von vielen Konservativen werden die üblichen Einwände kommen, die vor einem „race to the bottom“ warnen oder von ihren Vorstellungen für das gute Leben so überzeugt sind, dass sie diese ohne jede Notwendigkeit den Bürgern eines Mitgliedstaates gegen deren demokratisch bekundeten Willen aufzwingen wollen. Doch wer vom Freihandel überzeugt ist und ab und an oder grundsätzlich Standards für notwendig befindet, dem sei hiermit eine gangbare Alternative aufgezeigt.

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