Photo: Quinn Dombrowski from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Claus Vogt, Börsenbrief „Krisensicher investieren“.

Die Ministerien des Bundes und der Länder geben eine Menge Geld für Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit aus. Seitdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1977 entschieden hat, dass Öffentlichkeitsarbeit der Regierung nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern sogar notwendig sei, hat der Umfang der staatlichen Werbemaßnahmen spürbar zugenommen.

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine verantwortliche Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung voraus, dass der Einzelne von den zu entscheidenden Sachfragen, von den getroffenen Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschlagen genügend wisse, um sie beurteilen, billigen oder verwerfen zu können. In den Bereich zulässiger Öffentlichkeitsarbeit falle daher, dass die Regierung ihre Politik sowie künftig zu lösende Fragen darlege und erläutere.

Einschränkend hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung sachlich richtig sein müsse und keine offene oder versteckte Werbung für einzelne Parteien enthalten dürfe. Goldene Worte des Verfassungsgerichts. Aber ob die vielen Informationsmaßnahmen staatlicher Stellen ihr Geld wert sind oder sinnlos verpuffen, steht auf einem anderen Blatt. Mit zwei Werbekampagnen eines süddeutschen Bundeslandes hat sich vor kurzem der dortige Landesrechnungshof kritisch auseinandergesetzt.

Millionenschwere Kampagne zum Stromsparen              

Das Wirtschaftsministerium des betreffenden Bundeslandes führte in den Jahren 2012 und 2013 die Kampagne „Stromsparen rockt!“ durch. Mit dieser Kampagne sollten die Bürger für das Thema Energiesparen sensibilisiert werden. Von der ersten Planung im Oktober 2011 bis zum Abschluss der Kampagne im Mai 2013 wurde der Kostenansatz von 500.000 Euro auf 2,8 Millionen Euro erhöht. Den größten Informationsbedarf sah das Wirtschaftsministerium zunächst bei der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen. Später definierte es als primäre Zielgruppe Menschen im Alter von 40 Jahren und älter. Letztendlich wurden alle Bürger des Bundeslandes als Zielgruppe festgelegt. Den Erfolg der Werbemaßnahme sah das Wirtschaftsministerium darin, dass mehr als 64 Millionen „Kontakte“ durch die Kampagne generiert worden seien.

Der Rechnungshof fordert messbare Erfolgskriterien     

Der Rechnungshof hat dazu angemerkt, dass aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Transparenz bereits bei der Planung von Kampagnen messbare Ziele, eine klar definierte Zielgruppe sowie ein realistisches Budget festzulegen seien. Inwieweit die Bürger mit der Kampagne „Stromsparen rockt!“ somit tatsächlich für das Thema Energiesparen sensibilisiert werden konnten, bleibe mangels jeder Rückmeldungsinstrumente offen. Der Erfolg der Kampagne sei auch aufgrund der nicht näher definierten Zielgruppe schwer zu belegen. Ausgaben von 2,8 Millionen Euro erschienen dem Landesrechnungshof angesichts des nicht nachweisbaren Erfolgs der Kampagne fragwürdig.

Messeteilnahme statt „Roadshow“             

In den Jahren 2014 bis 2016 führte das Wirtschaftsministerium dann eine weitere Informationskampagne durch, und zwar über Energie-Infrastrukturprojekte sowie den Umbau der Energieversorgung. Vorgesehen war zunächst eine „Roadshow“, die im Jahr 2013 europaweit ausgeschrieben wurde. Laut Leistungsbeschreibung sollte ein Roadmobil eingesetzt werden, das in 25 kleineren und mittleren Städten Station machen sollte. Noch vor Zuschlagserteilung entschied das Wirtschaftsministerium, dass die „Roadshow“ nunmehr in Form von Messeteilnahmen mit einem modularen Messestand durchgeführt werden sollte. Das Vergabeverfahren wurde nicht aufgehoben, sondern der Zuschlag auf das ursprüngliche Angebot erteilt. Aufgrund der neuen Konzeption kam es zu einer Messeteilnahme in lediglich sechs Großstädten.

Erhebliche Kostensteigerung durch Änderung der Kampagne             

Das ursprüngliche Angebot auf die Ausschreibung für die „Roadshow“ lag bei rd. 1,25 Millionen Euro. Zwar wurden die Kosten des Hauptangebots annähernd eingehalten. Aufgrund der geänderten Konzeption kamen aber weitere Kosten gemäß „Nebenangebot“ (240.000 Euro) und für Messeflächen (220.000 Euro) sowie für zusätzliche Kommunikationsmittel (40.000 Euro) hinzu. Der Rechnungshof hat diese erhebliche Kostensteigerung beanstandet.

Auch hat er kritisiert, dass das Wirtschaftsministerium noch vor Abschluss des Vergabeverfahrens die wesentlichen Eckdaten der Kampagne verändert hat. Der neue Auftrag wies wesentlich andere Merkmale auf als der ursprüngliche. Trotzdem habe das Wirtschaftsministerium den Zuschlag auf das ursprüngliche Angebot erteilt. Überdies sei das ursprüngliche Ziel, die Kampagne in die Regionen zu tragen, wegen der Konzentration auf Messestandorte in Großstädten nicht erreicht worden.

Werbekampagnen sind Verschwendung von Steuergeldern       

Das Wirtschaftsministerium hat für beide Kampagnen mehr als 4,5 Millionen Euro ausgegeben. Zusammenfassend formuliert der Rechnungshof, mit der bei Rechnungshöfen üblichen Zurückhaltung, dass eine Aussage über den tatsächlichen Erfolg der Kampagnen nicht möglich sei. Das Wirtschaftsministerium des betreffenden Bundeslandes ist natürlich der Ansicht, es habe die Kampagnen professionell durchgeführt. Aus meiner Sicht handelt es sich bei den beschriebenen Werbemaßnahmen schlicht um eine Verschwendung von Steuergeldern.

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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre.

Unternehmen schätzen den Nutzen externer Beratung anscheinend höher ein als ihre Kosten. Es ist nicht offensichtlich, warum das nicht auch für Ministerien gelten sollte.

„Guter Rat ist teuer“ – dies zeigt sich auch bei der derzeitigen Diskussion um die Ausgaben für externe Berater verschiedener Bundesministerien. Neben fragwürdiger Vergabepraxen von Beratungsverträgen wird auch der Umfang und die damit verbundenen Kosten für externe Berater diskutiert. Dass die Dienstleistungen gut bezahlter externer Berater für Ministerien im Zuge der Debatte grundsätzlich in Frage gestellt werden, überrascht angesichts der wiederholten Nachfrage privater Unternehmen nach externer Beratung – der Umsatz der deutschen Beratungsbranche hat sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Unternehmen schätzen den Nutzen externer Beratung anscheinend höher ein als ihre Kosten. Es ist nicht offensichtlich, warum das nicht auch für Ministerien gelten sollte.

Fragwürdige Vergaben

Nach Daten der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Deutschen Bundestag summierten sich die Ausgaben der Regierung für Beraterverträge 2017 auf über 244 Millionen Euro. Spitzenreiter ist das Bundesministerium des Inneren mit gut 66 Millionen Euro, gefolgt vom Bundesfinanzministerium mit gut 62,5 Millionen Euro. Das viel gescholtene Verteidigungsministerium gibt an, weniger als 5 Million Euro für externe Berater ausgegeben zu haben. Allerdings kritisiert der Bundesrechnungshof, dass die Ausgaben für externe Berater im Verteidigungsministerium tatsächlich deutlich höher als offiziell berichtet seien.

Laut Bundesrechnungshof sei außerdem in vielen Fällen nicht geprüft wurden, ob der Einsatz externer Berater erforderlich sei. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass Beraterverträge ohne Ausschreibungen innerhalb eines „Buddy-Netzwerks“ vergeben wurden. Pikant: Im Jahr 2014 verpflichtete Verteidigungsministerien Ursula von der Leyen die McKinsey Partnerin Katrin Suder als Rüstungsstaatssekretärin. Inzwischen hat sie ihren Posten im Verteidigungsministerium aufgegeben.

Die unnötige Vergabe von Beraterverträgen ist ein potentieller Nachteil des Einsatzes von Beratern in Ministerien. Möglicherweise sind Ministerien anfälliger als Unternehmen, ihnen nahestehende externe Berater unnötigerweise zu beauftragen. Denn für die Mitarbeiter der Ministerien hat die Beauftragung keinerlei negative Konsequenzen und es gibt keinen Eigentümer, der wie im Falle von Unternehmen, einen finanziellen Anreiz hat, unnötigen Berateraufwand zu vermeiden.

Zu viel oder zu wenig externe Beratung?

Gegen den Einsatz von Beratern sprechen neben potentiellen Interessenkonflikten bei der Vergabepraxis auch hohe Kosten. So wurde im Zuge der Diskussion gefordert mehr Beamte einzustellen, um in Zukunft nicht mehr auf externe Berater zurückgreifen zu müssen. Statt Tagessätze von bis zu 1.700 Euro für externe Berater auszugeben, könnte eigenes Personal aufgestockt werden.

Die Tagessätze sind hoch und es besteht die Gefahr von opportunistischem Verhalten bei der Vergabe von Beraterverträgen. Daraus folgt jedoch nicht unbedingt, dass das Ausmaß der externen Beratung in Ministerien zurückgefahren werden sollte. Mit der Beschäftigung externer Berater gehen zwar Nachteile einher, aber auch Vorteile.

Externe Berater als neutrale Autorität

Externe Berater werden häufig engagiert, wenn den beauftragenden Organisationen bereits bekannt ist, wo der Schuh drückt und welche Änderungen nötig wären. Dies erscheint zunächst nicht einleuchtend. Doch häufig können die als notwendig identifizierten Veränderungen nicht umgesetzt werden, weil es Widerstände innerhalb der Organisation gibt. Der kommt vor allem von Gruppen innerhalb einer Organisation, die erwarten durch die Veränderung Nachteile zu erleiden – etwa in Form geringeren Einflusses, geringerer Bezahlung oder Jobsicherheit. Aber auch Gruppen, die wahrscheinlich nicht negativ betroffen sind, können sich gegen Neuerungen sperren. Denn Menschen neigen dazu, den Status-Quo vorzuziehen, schlicht weil es der gewohnte Zustand ist.

Externe Berater können dazu beitragen, diese internen Widerstände zu überwinden. Sie können als neutrale externe Autorität auftreten, die innerhalb der beratenen Organisation keiner Interessengruppe zuzuordnen ist. Auch wenn interne Spezialisten Probleme ebenso gut wie externe Berater analysieren und die gleichen Verbesserungsvorschläge machen, können sie sich häufig nicht überzeugend vom Vorwurf befreien, im Interesse einer speziellen Gruppe innerhalb der Organisation zu handeln. Externe Berater können also organisatorischen Wandel befördern, auch in Ministerien.

Externe Berater als moderne Tage(ssatz)löhner

Die Beauftragung externer Berater kann Kosten sparen. Anders als Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst werden externe Berater nicht langfristig an Ministerien gebunden.

Endet das Projekt der Berater, fallen auch keine Kosten mehr für das Ministerium an. Trotz hoher Tagessätze können externe Berater für Ministerien, ebenso wie für Unternehmen, günstiger sein als zusätzliche eigene Mitarbeiter. Das gilt insbesondere, wenn innerhalb eines kurzen Zeitraums ein hoher Arbeitsaufwand anfällt.

Externe Berater: Zugang zu IT-Know-how

Das Innenministerium ist derzeit für die Umsetzung von zwei großen IT-Projekten der Bundesregierung verantwortlich. Die Bundesregierung möchte zu einem ein sicheres Netz für Daten und Sprachkommunikation errichten und zum anderen die IT des Bundes stärker zentralisieren, um den Betrieb der digitalen Infrastruktur wirtschaftlicher und sicherer zu gestalten.

Bei diesen Projekten greift das Innenministerium durch Beratungsverträge verstärkt auf externe IT-Fachleute zurück, um den kurzfristig hohen Bedarf an Fachkräften zu decken. Wahrscheinlich ist das auch finanziell attraktiver, als zusätzliche IT-Fachkräfte lange zu binden.

Neben dem nur vorübergehenden Einsatz von Fachkräften ermöglicht die Beauftragung externer Berater Fachkräfte überhaupt für den Einsatz in Behörden zu gewinnen. Die Möglichkeiten der Ministerien sind begrenzt, IT-Fachleuten kompetitive Gehaltsangebote im Rahmen einer Festanstellung zu machen, ohne die Gehaltsordnung der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und der Beamten durcheinanderzuwirbeln.

Guter Rat zu teuer?

Die Beauftragung von externen Beratern durch Ministerien kann angebracht sein. Den relativ hohen Tagessätzen stehen nicht zu vernachlässigende Vorteile gegenüber, wie etwa eine hohe Flexibilität und langfristig geringere Personalaufwendungen.

Dabei obliegt es den Behörden natürlich, die Leistung der externen Berater zu evaluieren und überprüfbare Ziele mit ihnen zu vereinbaren. Dies scheint in der Vergangenheit zu häufig nicht der Fall gewesen zu sein, wie der Bundesrechnungshof bemängelt. Damit Ministerien verlässlicher in den Genuss der Vorteile durch externe Beratung kommen, sollten sie bei der Vergabe von Beraterverträgen strenger kontrolliert werden.

Vielleicht sollten sich die Ministerien auch bezüglich des Umgangs mit externen Beratern von Externen beraten lassen. Das könnte günstiger als eine „Inhouse-Lösung“ sein.

Erstmals erschienen bei IREF

Photo: Elihu Vedder from Wikimedia Commons (CC0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Wenngleich bisherige Studien nur bedingt Anlass zur Sorge um die Demokratie geben, ist eine gesunde Skepsis gegenüber dem überproportionalen Einfluss besonders wohlhabender Wählergruppen angebracht.

Angesichts wachsender Einkommens- und Vermögensungleichheit in vielen westlichen Demokratien sehen einige Sozialwissenschaftler die Demokratie in Gefahr. Haben Wohlhabende einen überproportionalen Einfluss auf politische Entscheidungen, der dem ideal gleicher Repräsentation aller Wähler zuwiderläuft? Wenngleich ein jüngerer Aufsatz dies hinsichtlich der USA medienwirksam bejahtund eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialesfür Deutschland zu einer ähnlich pessimistischen Einschätzung kommt, sind die Ergebnisse der „Responsiveness“-Forschung aufgrund methodischer und konzeptioneller Herausforderungen weniger eindeutig als gemeinhin angenommen. Allerdings gibt es belastbare Hinweise dafür, dass Superreiche stärker Einfluss auf politische Entscheidungen ausüben als durchschnittliche Wähler und diesen Einfluss bei Nischenthemen mit geringer öffentlicher Aufmerksamkeit zu ihrem persönlichen Vorteil einsetzen können.

An Vorschlägen zur Reform des demokratischen Systems zwecks gleichmäßigerer Repräsentation mangelt es nicht. So wird etwa die weitere Einschränkung privater Spenden an Parteien gefordert. Am vielversprechendsten ist es jedoch, die Möglichkeiten der Politik zur Privilegierung von Sonderinteressengruppen einzuschränken.

Gleiche Stimme, ungleicher Einfluss

Ein konstituierendes Element moderner Demokratien ist die gleiche Möglichkeit aller mündigen Bürger, bei Wahlen per Stimmabgabe Einfluss auf politische Entscheidungen auszuüben. Vermögens- und Einkommensunterschiede sollten keinen Einfluss auf das Stimmgewicht haben. Führten gleiche Chancen auf Einfluss auch zu tatsächlich gleicher Einflussnahme, würden sich politische Entscheidungen stark an den Präferenzen des Medianwählers orientieren, also an jenem Wähler, dessen Präferenzen im politischen Spektrum in der Mitte liegen.

Es gibt allerdings naheliegende Gründe, die erwarten lassen, dass formal gleiche Chancen auf Einfluss nicht in gleicher Einflussnahme münden: Verschiedene Menschen sind in unterschiedlichem Ausmaß an Politik interessiert und machen daher in unterschiedlichem Maße Gebrauch von ihrer Stimmmöglichkeit. Außerdem sind sie in unterschiedlichem Maße zu politischem Engagement bereit, das über die Stimmabgabe hinausgeht, und wollen unterschiedlich viele Ressourcen aufbringen, um andere Menschen von ihrer Meinung zu überzeugen. Derartiger ungleicher Einfluss ist grundsätzlich nicht problematisch, da er aus dem bewussten Verzicht auf Einfluss durch manche Wähler folgt.

Doch andere Quellen ungleichen Einflusses könnten problematischer sein: Was, wenn manche Menschen systematisch entgegen ihrer Interessen handeln? Was, wenn manche Menschen mehr Ressourcen aufbringen können, um die Meinung anderer zu beeinflussen? Und was, wenn gewählte Repräsentanten überproportional aus bestimmten Bevölkerungsgruppen stammen, deren Meinung zu berücksichtigen sie aufgrund ihrer Prägung eher gewillt sind?
Viele Zeitgenossen vermuten, dass Einkommens- und Vermögensunterschiede eine wichtige Ursache ungleich verteilten Einflusses sind: Wer über ein hohes Einkommen oder Vermögen verfügt, kauft sich Einfluss und erhöht damit sein Stimmgewicht.

Haben Wohlhabende andere Präferenzen?

Konsequenzen hat eine Überrepräsentation Wohlhabender nur, wenn deren Präferenzen systematisch von den Präferenzen weniger Wohlhabender abweichen. Bisher konnten nur wenige empirische Studien dieser Frage anhand repräsentativer Umfragen nachgehen. Problematisch ist, dass kleine Gruppen, etwa Superreiche, oft nicht erfasst werden. Weitere Probleme entstehen, weil oft nur Angaben über Einkommen, nicht aber über Vermögen erfasst werden. Darüber hinaus werden Präferenzen typischerweise genau zu jenen Themen erfragt, bei denen a priori stärkere Unterschiede entlang der Einkommensverteilung zu erwarten sind, während Konsensthemen in der Meinungsforschung verständlicherweise weniger Aufmerksamkeit erhalten.

Trotz dieser Einschränkungen gibt es einige belastbare Erkenntnisse. Sie zeigen, dass die Präferenz für eine liberalere Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik mit dem Einkommen steigt und Wohlhabende zu einer optimistischeren Bewertung der wirtschaftlichen Lageneigen. Eine Auswertung von rund 1.800 Umfragen seit den 1980ern zeigt, dass die Top-20%-Verdiener selbst bei Berücksichtigung von Bildungsunterschieden eine deutlich liberalere Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik wünschen als die unteren 20% der Einkommensverteilung. Besonders stark weichen die Präferenzen der nur schwer erfassbaren Superreichen ab, wie anhand eines Samples der 4% Top-Verdiener in den späten 70ern und anhand von 83 in Chicago lebender Vermögender im obersten Perzentilgezeigt werden konnte. Eine Untersuchung auf Basis von 252 Umfragen zwischen 1998 und 2013 legt nahe, dass ähnliche Präferenzunterschiede entlang der Einkommensverteilung auch für Deutschland bestehen.

Politik nur für die Reichen?

In einer vielzierten Studie aus dem Jahr 2014 werten Gillens und Page (2014) für 1.779 politische Entscheidungen in den USA zwischen 1981 und 2002 nach Einkommen differenzierte Meinungsumfragen aus. Sie vergleichen die Präferenzen von Angehörigen verschiedener Einkommensgruppen mit den tatsächlich umgesetzten Entscheidungen. Ihr Ergebnis: Medianverdiener üben im Gegensatz zu den Top-10%-Verdiener keinen starken Einfluss auf politische Entscheidungen aus. Daraus folgt nicht, dass die Politik stets gegen die Interessen des Medianverdieners entscheidet – doch „durchschnittliche Bürger kriegen nur dann, was sie wollen, wenn die ökonomische Elite es auch will.“

Während Gillens und Page (2014) weiterhin ein starkes Medienecho genießen, geriet das Studiendesign in die Kritik von Fachkollegen. Bashir (2015) zeigt, dass das verwendet ökonometrische Modell den Einfluss von Durchschnittsverdienern systematisch unterschätzt und keine Rückschlüsse hinsichtlich der Überrepräsentation verschiedener Einkommensgruppen erlaubt. Ens (2015) weist darauf hin, dass die Intensität von Präferenzen ebenfalls entlang der Einkommensverteilung variiert und deren Berücksichtigung im Studiendesign den Befund ungleicher Repräsentation weitgehend relativiert. Branham et al. (2016) zeigen, dass Durchschnittsverdiener und Wohlhabende im verwendeten Datensatz nahezu in allen Fragen übereinstimmen und Entscheidungen im Fall eines Dissens nahezu genauso oft zugunsten der Durchschnittsverdiener ausfallen wie zugunsten der Wohlhabenden. Gillens und Page (2016) widersprechen ihren Kritikern, stimmen aber dahingehend zu, dass weitere Forschung notwendig ist.

Frühere Studien zeichnen gemischtes Bild

Ältere Studien stehen nur teilweise in Einklang mit den Befunden von Gillen und Page (2014): Bartels (2008) und Hayes (2012) finden, dass das Abstimmungsverhalten von US-Senatoren den Präferenzen wohlhabender Wähler entspricht, nicht aber jenen der weniger wohlhabenden. Brunner et al (2013) ziehen diese Befunde in Zweifel und zeigen, dass sich Demokratische und Republikanische Senatoren hinsichtlich ihrer Empfänglichkeit für die Präferenzen weniger Wohlhabender stark unterscheiden und die starke Korrelation zwischen Einkommen und Parteipräferenz den Befund ungleichen Einflusses verschiedener Einkommensgruppen nahezu vollständig erklärt. Zu einem ähnlichen Schluss kommt Tausanovitch (2014). Flavin (2012) vergleicht US-Staaten hinsichtlich ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik und zeigt, dass Unterschiede zwischen den Staaten durch die Präferenzen wohlhabender Wähler erklärt werden können. Rigby und Wright (2013) konzentrieren sich auf den Programmformierungsprozess der politischen Parteien in den USA und zeigen, dass die Präferenzen ärmerer Wähler unterproportional abgebildet werden.

Für Deutschland existieren nur wenige vergleichbare Studien. Elsässer et al (2016) finden hinsichtlich 252 politischer Entscheidungen in Deutschland zwischen 1998 und 2013, dass die Präferenzen Wohlhabenderer überproportional abgebildet werden. Auf Basis von Umfragedaten für 30 Demokratien, darunter Deutschland, schätzt Bartels (2017), dass Wohlfahrtsausgaben 10-15 % unter dem Niveau liegen, das bei gleichmäßiger Berücksichtigung aller Präferenzen zu erwarten wäre. Hahn (2018) bildet politische Präferenzen mehrdimensional ab und findet für 19 Länder und 60 Wahlen zwischen 2003 und 2017 keine überproportionale Repräsentation von Wohlhabenden.

Ungleicher Einfluss vorteilhaft für weniger Wohlhabende?

Die aktuelle Fachdiskussion illustriert, wie schwierig es ist, die ungleiche Repräsentation verschiedener Einkommens- und Vermögensschichten empirisch nachzuweisen. Darüber hinaus ergeben sich konzeptionelle Probleme. So weisen Tyler Cowen und Matthew Yglesias darauf hin, dass Wähler in Meinungsumfragen oft widersprüchliche Präferenzen angeben – beispielsweise wenn sie sowohl niedrigere Preise als auch Protektionismus wünschen. Aufgabe der Politik ist es, einen Kompromiss zwischen solchen widersprüchlichen Präferenzen zu finden.

Bryan Caplan argumentiert, dass ein stärkerer Einfluss wohlhabenderer Wähler nicht von Nachteil für weniger Wohlhabende sein muss. Dafür spricht der Befund, dass Wähler selten auf Basis ihres wirtschaftlichen Eigeninteresses abstimmen, sondern Wahlen hauptsächlich als Möglichkeit begreifen, ihre Vorstellung von einer besseren Welt zu verwirklichen. Anhand repräsentativer Umfragedaten zeigt Caplan (2002), dass wohlhabende Wähler sowohl über Fakten, als auch über Wirkungszusammenhänge besser informiert sind als weniger wohlhabende Wähler. Aus diesem Grund wäre ein stärkerer Einfluss wohlhabender Gruppen eine gute Nachricht für die weniger Begüterten.

Entpolitisierung gegen Interessenpolitik

Wenngleich bisherige Studien also nur bedingt Anlass zur Sorge um die Demokratie geben, ist eine gesunde Skepsis gegenüber dem überproportionalen Einfluss besonders wohlhabender Wählergruppen angebracht. Während wenig dafür spricht, dass bestimmte Einkommens- und Vermögensgruppen eine systematische „Klassenpolitik“ in ihrem Gruppeninteresse anstreben, ist der Einsatz besonders einflussreicher Individuen und ihrer Lobbygruppen für spezifische, dem Eigeninteresse entspringende Anliegen wohldokumentiert. Das gilt insbesondere für Politikbereiche, die außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung stehen und in denen sich Kosten weit streuen lassen.

Beispielsweise illustriert eine wachsende Literatur den hohen Wert politischer Kontakte für Firmeneigner, etwa im Fall des ehemaligen US-Finanzministers Timothy Geithner, dessen Ernennung 2008 den Aktienkurs genau jener Firmen hochschnellen lies, zu denen er während vorangehender Tätigkeiten Kontakte aufgebaut hatte. Auch in der aktuellen Diskussion um die Regulierung des Bankensektors spielen die Sonderinteressen besonders hoher Einkommensgruppen eine zweifelhalte Rolle und bieten eine Erklärung dafür, weshalb an Banken nicht deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen gestellt werden.

Es ist indes unwahrscheinlich, dass konventionelle Vorschläge wie die Einschränkung von Parteispenden die zugrundeliegenden Einflusskanäle unterbinden können. Wirksamer ist es, die Entscheidungskompetenzen der Politik einzuschränken und in den verbliebenen Politikbereichen auf eine stärkere Regelbindung zu pochen.

Erstmals erschienen bei IREF

Photo: Mika Tapani from Unsplash (CC 0)

Von Marc Jacob, Betriebswirt, tätig im Bereich der Unternehmensfinanzierung.

Die angestrebte Liberalisierung und Reformierung des Taxi- und Fahrdienstmarkts durch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer erntet nun einen stärkeren Gegenwind – doch sie muss kommen, damit Deutschland in der Verkehrspolitik nicht im letzten Jahrhundert stecken bleibt. Die Weigerungen der SPD der Reform zuzustimmen zeigen dabei wie die Politik in der Vergangenheit lebt.

Deutschland bleibt im Jahr 2019 auf der Stelle stehen und entwickelt sich nicht weiter. Anstatt Innovation und Digitalisierung zu fördern, betreibt die Bundesregierung eine reaktionäre Politik; das zeigt sich nirgends mehr als im Bereich der Verkehrspolitik. Der Innovationsgeist der deutschen Politik in der Verkehrspolitik lässt sich anhand eines Zitats von Henry Ford gut beschreiben: „Wenn ich die Menschen vor der Erfindung des Automobils gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie „schnellere Pferde“ gesagt.“ Während andere Länder Innovation fördern, versucht die Bundesregierung den Status-Quo zu erhalten.

Verkehrsminister Andreas Scheuer versucht mit einer neuen Initiative eines der Probleme in der Verkehrspolitik nun anzugehen – das Taxi-Monopol. Während Deutschland in dem Bereich noch im Jahr 1970 festzustecken scheint, haben andere Länder, insbesondere die USA, den Bereich radikal liberalisiert und dabei den Aufstieg von privaten Fahrdienstvermittlern wie Uber ermöglicht. Das Resultat ist: mehr Transparenz und mehr Service für den Kunden.

So sorgte der Aufstieg von Uber, Lyft und Co. in den USA dafür, dass Taxis vollkommen aus dem Verkehrsbild verschwunden sind. Für die Kunden hatte dies zur Folge, dass sie in den Genuss von günstigeren Fahrten, freundlicherem Service und einer erhöhten Sicherheit kommen konnten. Durch die Mischung aus ÖPNV, Car-Sharing und Uber können Amerikaner in Städten wie Washington oder San Francisco vollkommen auf das private Auto verzichten. Die Deutschen müssen auf diesen Genuss jedoch noch weiter warten, was insbesondere an einer sich mit allen Händen wehrenden Taxi-Lobby liegt.

Die Taxi-Lobby kämpft mit einer Desinformationskampagne gegen die Interessen des Bürgers

Diese Taxi-Lobby zeigt bei dieser Debatte ihr wahres Gesicht. Nachdem Taxi-Unternehmen in den letzten Jahrzehnten Kunden mit überhöhten Preisen, intransparenten Routen und schlechtem Service ausnehmen konnten, sehen sie sich nun mit erheblichem Gegenwind konfrontiert. Dies liegt zum einen daran, dass der Sektor sich jeglicher Reform versperrte, aber zum anderen daran, dass die Digitalisierung verschlafen wurde. Die Lobby versucht jedoch Politik und Kunden mit einer Desinformationskampagne gegen die Reform aufzubringen.

Dabei liegt die verbitterte Weigerung der Taxi-Unternehmen, einer Liberalisierung ihres Sektors zuzustimmen, an der fehlenden Bereitschaft der Unternehmen zur Konkurrenz. Durch ein Jahrzehnte existierendes Monopol ergab sich ein Reformstau, der nun endlich gelöst werden muss. Taxi-Unternehmen konnten sich in der Vergangenheit jeglichen Verbesserungen für den Kunden verweigern, da keine Alternative verfügbar war. Doch mit dem Aufstieg von digitalen Fahrdienstleistern hatte die Alternativlosigkeit ein jähes Ende gefunden.

Viele Politiker sitzen jedoch der Mär der Taxi-Lobby auf, dass Uber für eine Zunahme des Autoverkehrs sorgen könnte und damit die schon angespannte Lage in Deutschlands Innenstädten nochmals verschlechtern könnte. Dabei wird jedoch nicht erwähnt, dass Uber, anders als die deutsche Taxi-Industrie, an innovativen Mobilitätskonzepten arbeitet, insbesondere am sog. Pooling, bei welchem mehrere Verkehrsteilnehmer sich ein Fahrzeug teilen. Damit wird u.a. vermieden, dass Fahrzeuge sinnlos auf Fahrgäste warten und damit den Verkehr blockieren, wie es Taxis in deutschen Innenstädten tagtäglich tun. Zum anderen sorgt dies auch dafür, dass weniger Parkplätze in den Innenstädten blockiert werden, da mehr Bürger auf das eigene Auto verzichten könnten.

Es ist heuchlerisch von der deutschen Politik, dass auf der einen Seite neue Mobilitätskonzepte gefordert werden und auf der anderen Seite Taxi-Unternehmen künstlich geschützt werden. Dabei hat schon die Liberalisierung des Fernbusmarkts gezeigt, welches Potenzial die Wirtschaft entfalten kann, wenn sie eine gewisse, gesetzlich definierte Freiheit bekommt.

Die Zeiten des Taxis sind vorbei – auch wenn die Reform nicht kommt

Sollte die Reform nicht kommen, so werden Taxis trotzdem für die längste Zeit unser Stadtbild geprägt haben. Durch die aufkommende Digitalisierung des Sektors in Kombination mit dem Fortschritt im Bereich des Autonomen Fahrens wird der Beruf des Taxifahrers langfristig wegfallen. Das liegt auch daran, dass Vorgaben wie die Rückkehrpflicht schlicht veraltet sind.

Taxis sind ein Anachronismus aus einer anderen Epoche. Zu fordern, dass diese Jobs in heutiger Form erhalten bleiben, gleicht der Forderung das Auto zu verbieten, da es den Beruf des Hufschmieds verdrängt. Ein Beruf, welcher nur erhalten bleibt, weil die Politik Innovationen verhindert, hat jedoch nur eine Galgenfrist. Besonders für den Standort Deutschland ist ein solches Anreizsystem tödlich und sendet die falschen Signale.

Ziel muss es nun sein, den Taxi-Sektor so schnell wie möglich zu reformieren. Das Taxi Monopol muss fallen und neue Fahrdienstleister in allen Bereichen Deutschlands erlaubt werden. Wir brauchen einen Wirtschaftsstandort, der effizient und stark ist. Diese Reform ist keine, die nur an Wirtschaftsinteressen ausgerichtet ist, sondern ist eine Reform, die einzig und allein darauf ausgelegt ist, dass die Bürgerinnen und Bürger ein günstiges und effizientes System der Personenbeförderung bekommen.

Fahrdienstleister wie Uber und Lyft sind am Ende nicht befreit von Kritik, doch sie müssen Teil einer effizienteren und ökologischen Verkehrswende sein, die die deutsche Verkehrspolitik fit für das 21 Jahrhundert macht. Das Taxi-Monopol ist ein Anachronismus aus dem letzten Jahrhundert, welches nicht in eine Zukunft passt, in der die Energiewende erfolgreich gemeistert wird. Der Verkehrsminister muss nun zeigen, dass die Zukunft von Deutschland wichtiger ist als die Interessen von Lobbyisten und Taxi-Unternehmen.

Photo: Asim Bijarani from flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre.

Die Grenzwerte für neuzugelassene Fahrzeuge garantieren nicht, dass die Reduktionsziele der EU für den Verkehrsbereich eingehalten werden. Der Individualverkehr sollte in den bestehenden CO2-Zertifikate Handel miteinbezogen werden.

Grenzwerte sind derzeit in aller Munde. Auch zum Ziel der Reduktion von CO2-Emissionen kommen Grenzwerte zum Einsatz. So wird die Europäische Union die CO2-Grenzwerte für neu zugelassene Fahrzeuge schrittweise verschärfen, um die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor bis 2050 um 60 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren. Ressourcenschonender könnten die Emissionsziele durch eine Ausweitung des erfolgreichen europäischen Emissionshandels auf den Verkehr – und andere Sektoren – erreicht werden.

In der EU gingen die Treibhausgasemissionen durch die Verbrennung von Kraftstoff im Straßenverkehr seit 1990 nicht zurück, sondern stiegen um 22 Prozent. In anderen Sektoren sind im gleichen Zeitraum die Emissionen gefallen. In der Industrie ist das Emissionsvolumen seit 1990 um knapp 28 Prozent zurückgegangen. Hier hat sich seit 2005 eine alternative Maßnahme zu Grenzwerten bewährt. Große Teile der energieintensiven Industrie sind seitdem in den europaweiten Emissionszertifikatehandel eingebunden.

Wie funktionieren fahrzeugbezogene Grenzwerte?

In Europa müssen Hersteller von Fahrzeugen sicherstellen, dass neu produzierte Fahrzeuge im Durchschnitt die herstellerspezifischen CO2-Zielvorgaben nicht überschreiten. Diese Zielvorgabe ist herstellerspezifisch und setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Zum einen gibt es einen Sockelbetrag, das sogenannte EU-Flottenziel. Dies entspricht der europaweiten Zielvorgabe für die durchschnittlichen CO2-Emissionen neu zugelassener Fahrzeuge pro 100 Kilometer. Zum anderen werden von dem Sockelbetrag Abschläge abgezogen oder Aufschläge hinzuaddiert. Diese Auf- und Abschläge sind abhängig vom durchschnittlichen Gewicht der Fahrzeuge eines Herstellers im Verhältnis zum durchschnittlichen Gewicht aller Neufahrzeuge der vergangenen Jahre. Sind die Autos eines Herstellers schwerer als der Durchschnitt, dürfen die Autos mehr CO2 ausstoßen. Hersteller schwerer Fahrzeuge unterliegen daher weniger strengen Vorgaben als Hersteller leichter Fahrzeuge.

Grenzwerte garantieren keinen Emissionsabbau

Die Grenzwerte für neuzugelassene Fahrzeuge garantieren nicht, dass die Reduktionsziele der EU für den Verkehrsbereich eingehalten werden. Zum einen emittieren auch ältere Fahrzeuge CO2. Diese sind von jüngeren strengeren Grenzwerten nicht betroffen. Zum anderen senken die Grenzwerte nur den CO2 Ausstoß pro 100 Kilometer. Für den Gesamtausstoß sind jedoch nicht allein die Emissionen pro 100 Kilometer ausschlaggebend, sondern auch die gefahrenen Kilometer.

Die Grenzwerte begünstigen den Bau von Neufahrzeugen, die weniger CO2 emittieren. Dies kann vor allem durch effizientere Motoren erreicht werden. Effizientere Motoren können allerdings die Kunden dazu bewegen, mehr Kilometer mit ihrem Fahrzeug zu fahren oder gleich zu einem PS-stärkeren Fahrzeug zu greifen. Der Gesamteffekt einer durch Grenzwerte begünstigten Steigerung der Effizienz kann gar zu einem insgesamt höherem Energieverbrauch und zusätzlichen Emissionen führen – ein als Jevons’ Paradoxon bekanntes Phänomen.

Steuern zu ungenau

Sollen die CO2-Minderungsziele erreicht werden, ist es nicht zielführend, nur den CO2-Ausstoß pro 100 Kilometer für Neufahrzeuge zu verringern. Vielmehr sollten die tatsächlichen Emissionen aller Fahrzeuge in den Fokus rücken.

Dafür bieten sich zwei Instrumente an. Erstens kann eine Steuer auf Kraftstoffe, wie die Energiesteuer, dafür sorgen, dass Alt- wie Neufahrzeuge weniger Emissionen verursachen. Die Steuer verteuert die Betriebskosten pro gefahrenem Kilometer und regt so an, weniger Kilometer zurückzulegen und Fahrzeuge nachzufragen, die weniger Kraftstoff verbrauchen.

Zwar kann die Steuer die Gesamtemissionen zuverlässiger senken als Grenzwerte für Neufahrzeuge, aber die Erreichung gesetzter Ziele kann sie nicht garantieren. Die Höhe der Steuer, die dafür sorgen würde, dass ein zuvor festgelegter Zielwert erreicht wird, ist nicht bekannt.

Mit dem Zertifikatehandel sicher zum Ziel

Die zweite Alternative, ein Zertifikatehandel, garantiert dagegen ein festgelegtes Emissionsniveau. Denn anders als bei Grenzwerten und Steuern, bei denen die jeweils richtige Höhe entscheidend ist, ist für einen Zertifikatehandel die einzig notwendige Größe die Menge an CO2, die insgesamt ausgestoßen werden darf.

Ist ein Sektor in den Zertifikatehandel einbezogenen, müssen für jeden Ausstoß von CO2 entsprechend Zertifikate erworben werden. Konkret könnte kein Liter Benzin oder Diesel mehr verbrannt werden, ohne dass die Verbrennungserlaubnis in Form eines erworbenen Zertifikats vorliegt, wenn der Verkehr mit in den Zertifikatehandel einbezogen wäre. Da die Gesamtzahl der CO2-Zertifikate fix ist, lässt eine höhere Nachfrage nach Zertifikaten nicht die Menge an Zertifikaten steigen, sondern den Preis der Zertifikate.

Weniger Aufwand, weniger CO2

Die Zertifikatslösung würde nicht nur die Emissionsmenge garantieren, sondern zudem zu CO2 Einsparungen dort führen, wo es am kostengünstigsten ist. Müssen die Betroffenen für die Freisetzung von Abgasen Zertifikate kaufen, stehen sie vor der Frage, ob sie ein Zertifikat kaufen und Treibhausgase emittieren oder ob es günstiger ist, die Emissionen zu vermeiden und kein Zertifikat zu kaufen. Dies führt dazu, dass diejenigen sich für den Kauf eines Zertifikats entscheiden, für die die Vermeidung der Emissionen mit relativ hohen Kosten verbunden ist. Dagegen werden an anderer Stelle mit geringeren Kosten Emissionen vermieden und entsprechend keine Zertifikate erworben.

ETS-Handel nutzen

Die Menge der jährlich zur Verfügung stehenden Zertifikate kann schrittweise gesenkt werden. So sinkt die Zertifikatsmenge im EU-weiten Emissionshandelssystem ETS bis 2020 jährlich um durchschnittlich 1,74 Prozent. Ab dem Jahr 2021 steigt die durchschnittliche jährliche Reduktion auf 2 Prozent.

Der Verkehrssektor könnte in den existierenden Emissionshandel integriert werden, indem Raffinerien und Kraftstoffimporteure für die von ihnen verkauften Kraftstoffe Zertifikate erwerben müssten. Autofahrer müssten sich nicht um den Kauf der Zertifikate bemühen. Die Preise der Zertifikate würden die Kraftstoffpreise an Tankstellen beeinflussen und so auf das Verhalten der Autofahrer einwirken. Die KFZ- und Energiesteuer könnten im Gegenzug abgeschafft werden.

Emissionshandel ausweiten

Grenzwerte für Neufahrzeuge haben bisher die von der EU anvisierten Ziele nicht erreicht. Eine Verschärfung der Grenzwerte erhöht gewiss die Kosten für Neufahrzeuge, doch ob diese dazu in der Lage sind, die selbstgesteckten CO2-Minderungsziele zu erreichen, ist fraglich. Eine vielversprechendere Alternative steht zur Verfügung.

Durch eine Ausweitung des Zertifikatehandels könnten Emissionsziele günstiger und damit ressourcenschonend erreicht werden. Neben dem Verkehr könnten weitere Sektoren in den Zertifikatehandel integriert werden, in denen Menschen bisher ebenfalls vor allem durch Grenzwerte und Regeln zur CO2-Minderung angehalten werden. Eine Ausweitung des Zertifikatehandels auf die Gebäudewärme würde es erlauben, günstiger als bisher durch beispielsweise Dämmvorschriften CO2-Minderungsziele einzuhalten. Wie im Verkehrssektor könnten die Produzenten sowie Importeure von Heizöl und Gas dazu verpflichtet werden, CO2-Zertifikate zu erwerben.

Erstmals erschienen bei IREF