Photo: Martin Abegglen from Flickr (CC BY-SA 2.0)

„Helikoptergeld“ ist das neue Zauberwort. Es spukt seit geraumer Zeit durch die Finanzwelt. Gemeint ist damit, dass die Zentralbank an den Banken vorbei Kredite und damit neues Geld an die Wirtschaft oder die Bürger ausreicht, um damit Investitionen oder den Konsum anzuregen. Im übertragenen Sinne wirft also der Zentralbankchef aus dem Hubschrauber frische Geldscheine auf die Erdenbürger und schafft dadurch Wohlstand. Eine faszinierende Vorstellung. Deshalb ist sie bei Leuten, die dem Staat eine dominierende Rolle bei der Steuerung der Wirtschaft beimessen, besonders beliebt.

Jüngst hat Oskar Lafontaine diesen Vorschlag aufgegriffen. Seine Argumentation klingt auf den ersten Blick bestechend. Die Banken kommen ihrer Pflicht nicht nach, genügend Kredite an die Wirtschaft auszureichen und deshalb müsse die Notenbank diese Rolle notgedrungen übernehmen, um die Wachstumsschwäche zu überwinden. Das klingt ein wenig so, wie wenn ein Stromausfall durch einen Kurzschluss eintritt und der Elektriker sich daran macht, die Ursache zu suchen. Da wir dieses Kabel mal abgeklemmt, jenes mal angeschlossen und dann schaut man, was passiert. Ist die Ursache des Kurzschlusses festgestellt, wird das Kabel neu verlegt, die Fassung erneuert und das Problem ist gelöst.

Doch Wirtschaft ist kein Stromkreis und mangelndes Wachstum kein Kurzschluss. Mit Elektrotechnik kommt man hier nicht weiter. Wachstum setzt eine Menge mehr voraus, als frisches Geld, das einfach gedruckt wird. Denn wenn es so einfach wäre, könnte sich Mario Draghi vor die Opel-Werkstore in Rüsselsheim stellen und jedem Arbeiter beim Schichtwechsel einen 500-Euro-Schein in die Hand drücken, um die Konjunktur anzukurbeln. Das wäre absurd, aber in der Schuldenkrise kann selbst Absurdes bald Wirklichkeit werden.

Gelddrucken, um die Wirtschaft anzukurbeln, verkennt einen wesentlichen Zusammenhang, nämlich, dass der Konsumverzicht die Voraussetzung für Investitionen und diese wiederum die Voraussetzung für Wachstum sind. Ein Beispiel: Man stelle sich Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel vor. Mit einer Angel muss er jeden Tag Fische fangen, um zu überleben. Will er seine Situation verbessern und mehr Fische fangen, braucht er ein Netz. Kommt er auf die Idee, sich dieses Netz zu knüpfen, hat er keine Zeit mehr, mit der Angel Fische zu fangen. Er muss Fische sparen und dafür Konsumverzicht üben. Erst dann kann er seine Situation verbessern. Erst dann hat er Zeit, ein Netz zu knüpfen, das ihm anschließend erlaubt, mehr Fische in der gleichen Zeit zu fangen.

Was die Helikopter-Ökonomen und -Politiker wollen, ist ein Schlaraffenland, das Wohlstand ohne Anstrengung schafft. Doch dieses Schlaraffenland gibt es nicht. Es wäre so wie wenn Robinson Crusoe plötzlich ganz viele Fische angeschwemmt bekäme, von denen er sich wochenlang ernähren könnte. In der Zwischenzeit würde er dick und faul. Seine Fähigkeiten zu angeln, würde er peu á peu verlieren. Nach einigen Wochen wäre seine Situation schlechter als vorher.

Genau so ist es in der Euro-Schuldenkrise derzeit auch. Das billige Geld der Europäischen Zentralbank hat die Reformbereitschaft erlahmen lassen. Alle verlassen sich darauf, dass die EZB frisches Geld auf den Markt schmeißt. Noch kein Helikoptergeld, aber dennoch so viel billiges Geld, dass die Staatsausgaben mit Nullzinsen viel einfacher finanziert werden können. Deshalb ist es auch einfacher neue Schulden zu machen. Der neue Musterknabe in Europa, Spanien, ist ein gutes Beispiel. Seine Neuverschuldung lag im vergangenen Jahr mit 5,2 Prozent zur Wirtschaftsleistung weit über dem Maastricht-Kriterium von drei Prozent. Wenn die so weitermachen, wird Mario Draghi bald den Helikopter starten.

Photo: dierk schaefer from Flickr (CC BY 2.0)

Es gibt sie noch: die Helden der Gegenwart. Sieglinde Baumert ist so eine. 61 Tage saß sie in Erzwingungshaft, bis der MDR ein Einsehen hatte. Er zog seinen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zurück, so dass das Amtsgericht Bad Salzungen ihn aufhob. Die Rundfunkgebührenverweigerin hat keinen Fernseher, soll aber dennoch Zwangsgebühren von 17,50 Euro pro Monat bezahlen. Das sah sie nicht ein und ging deshalb lieber ins Gefängnis. Eigentlich soll die Erzwingungshaft, wie der Name schon sagt, eine Zahlung erzwingen, doch Sieglinde Baumert hat nicht gezahlt und wird wohl auch künftig nicht zahlen. Das nötigt einem Respekt ab. Über die Öffentlich-Rechtlichen sagt der Vorgang aber sehr viel aus. Ihnen ist jedes Mittel recht, selbst der Freiheitsentzug.

Sieglinde Baumert ist die Speerspitze einer Protestbewegung, die die Öffentlich-Rechtlichen eigentlich zum Nachdenken veranlassen sollte. 4,5 Millionen Beitragskonten waren 2014 auf einem „Mahnstatus“. Das sind rund 10 Prozent aller Beitragskonten. Für 2015 wurden wahrscheinlich 2,2 Millionen Vollstreckungsersuchen durch den „Beitragsservice“ von ARD und ZDF bei den Städten und Gemeinden beantragt. Die Konsequenz ist die Pfändung oder die Abnahme der Vermögensauskunft.

Was viele Zwangsbeitragszahler fassungslos macht, ist nicht zuletzt die Ausgabementalität der Sender. Jüngstes Beispiel ist das neue heute journal-Studio des ZDF. Nein, so etwas kostet nicht eine Million, auch nicht zwei Millionen, sondern gleich 30 Millionen Euro. Nicht der Neubau des gesamten ZDF auf dem Lerchenberg in Mainz, sondern nur ein Studio, das einmal am Tag für eine halbe Stunde genutzt wird. Vielleicht wird auch noch die eine oder andere heute-Sendung dort ausgestrahlt? Mag sein. Aber 30 Millionen Euro? Schon wird wieder über den Rundfunkbeitrag hinter den Kulissen gefeilscht. Beitragskontinuität ist das Stichwort. Zwar nimmt der „Beitragsservice“ sehr viel mehr Geld ein als geplant, dennoch soll es für die üppigen Pensionen zurückgelegt werden. Immerhin 8,3 Milliarden Euro pro Jahr kommen für 23 Fernsehkanäle und 63 Radiosender rein. Deutschland hat mit Abstand den teuersten und umfangreichsten öffentlichen Rundfunk der Welt. Dabei gibt es überhaupt keinen Mangel an Informationen. Allein 400 TV-Sender sind in Deutschland empfangbar. Das Internet hat eine Revolution an unabhängiger Information geschaffen.

Deshalb hat sich diese Art der Rundfunkfinanzierung überholt. Da können die Rundfunkanstalten noch so oft die Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus 1994 und 2007 rauskramen. Damals war es eine andere Welt. Die Digitalisierung fegt die traditionelle Informationsgewinnung per Tagesschau oder heute journal hinweg. Wieso sollen die Bürger dann mit einem Zwangsbeitrag dafür bezahlen müssen, dass immer weniger es sehen wollen, aber immer mehr bezahlt werden muss? Sie können ja nicht einmal über Programm und Ausgaben mitreden. Selbst so verstaubte Institutionen wie die Deutsche Rentenversicherung, die ebenfalls beitragsfinanziert ist, lässt ihre Zwangszahler mitreden – über Inhalte und Ausgaben. Nur bei ARD und ZDF landet man im Zweifel im Gefängnis. Damit bekommt die vom WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn so bezeichnete Rundfunkgebühr als „Demokratieabgabe“ eine ganz neue Bedeutung. Etwas überspitzt ausgedrückt: Wer gegen die Rundfunkgebühr ist, stellt sich gegen die Demokratie und muss deshalb ins Gefängnis. Aber wenigstens fallen dort für die Inhaftierten keine Zwangsbeiträge an, wenn sie früh morgens das Morgenmagazin anschauen. Was sollen sie dann auch sonst machen?

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Joseloya from Flickr (CC BY 2.0)

Von Norbert Häring, Journalist und Autor des Buches „Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen“.

Telebörse-Moderator Raimund Brichta setzt mit bewundernswerter Konsequenz seinen Versuch fort, dem Finanzamt zur Bezahlung seiner Steuerschulden die Geldscheine aufzudrängen, die der Staat zum einzigen gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt hat. Doch dem Staat ist das eigene Geld, Euro-Banknoten, nicht gut genug. Er will nur Bankengeld. Ein Stück aus dem Tollhaus.

Auszug (Der volle Text und Links zu früheren Folgen stehen hier):

„… Inzwischen habe ich mich durch Paragrafen und juristische Kommentare gewühlt. Die Quintessenz: Es besteht nach wie vor ein Annahmezwang für Banknoten und Münzen. Das heißt, jeder hat sie als Bezahlung zu akzeptieren – es sei denn, etwas anderes ist vereinbart. Ich kann mich jedoch nicht erinnern, mit dem Finanzamt etwas anderes vereinbart zu haben.

Finanzämter wie meines versuchen sich zwar gerne damit herauszureden, dass die Finanzkassen für die Übergabe von Bargeld geschlossen wurden. Man müsse deshalb bargeldlos bezahlen. Das stimmt aber nicht, denn die Abgabenordnung – das ist eine Art Steuergrundgesetz – hat dafür eine Lösung parat: Sie sieht vor, dass in diesem Fall eine Bank oder Sparkasse am Ort des Finanzamts ermächtigt wird, für die Finanzkasse Bargeld gegen Quittung anzunehmen. Dies sollte auch der Regelfall sein, wie das Finanzgericht Münster erst vor Kurzem festgestellt hat (Az. 7 V 2897/15 AO).

So weit die Theorie. Die Praxis sieht leider anders aus: Meine Sparkasse weigert sich schlichtweg, mehr als tausend Euro Bargeld fürs Finanzamt anzunehmen. Das Geldwäschegesetz verbiete dies, sagen mir die Sparkassenmitarbeiter. Ich kann in diesem Gesetz zwar beim besten Willen kein solches Verbot entdecken, aber vielleicht übersehe ich etwas? Schauen Sie dort doch auch einmal nach! Und wenn Sie fündig werden, lassen Sie es mich bitte wissen. Nebenbei: Wer käme eigentlich auf die Idee, ausgerechnet beim Finanzamt Geld zu waschen?

Mir gelang es im vergangenen Jahr nur einmal, Geld fürs Finanzamt bei der Sparkasse einzuzahlen. Und das auch nur durch einen Trick des Kassierers. Der tat ausnahmsweise so, als ob das Konto des Finanzamts mein Konto wäre. Aufs eigene Konto darf man nämlich mehr als tausend Euro einzahlen. Da ich aber nachweislich nicht Inhaber des Finanzamtskontos bin – obwohl ich es gerne wäre -, war der Kassierer zu dieser Trickserei kein zweites Mal bereit.

Trotzdem hatte ich neulich noch einmal Glück: Das Finanzamt wollte diesmal weniger als tausend Euro haben. In diesem Fall nahm die Sparkasse mein Geld an, ließ sich dafür aber mit einer ‚Bareinzahlungsgebühr‘ von sechs Euro belohnen. Da ich nicht gewillt war, fürs Zahlen mit gesetzlichen Zahlungsmitteln auch noch zu zahlen, zog ich die sechs Euro kurzerhand von dem Betrag ab, der fürs Finanzamt bestimmt war. Das Bargeld-Heckmeck geht schließlich nicht zu meinen Lasten.

Vermutlich werden sich die Beamten dies jedoch nicht gefallen lassen, so dass ich mit weiterem Ärger rechne. Umso mehr, als mein nächster Bargeldversuch ansteht – mit einer Steuerzahlung, die über tausend Euro liegen wird. Vorsorglich …“

Erstmals erschienen auf Norbert Härings Blog.

Photo: Bankenverband from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Der Überwachungsstaat ist präsenter denn je: Videokameras allenthalben, Vorratsdaten-Speicherung, Email- und Telefonüberwachung. Wen da schon ein ungutes Gefühl beschleicht, der möge sich warm anziehen: Die neue Stufe besteht nämlich in der Verbindung aus Big Data und Paternalismus …

Betreutes Wohnen für alle

Den Nachtwächterstaat kennt man nur noch aus den Schauermärchen längst vergangener Tage. Der Homo Oeconomicus ist ohnehin schon vor Jahrzehnten mit dem Bannfluch belegt worden. Und selbst der mündige Verbraucher ist inzwischen im Deutschen Historischen Museum eingemottet worden – irgendwo zwischen Wirtschaftswunder und Sexueller Revolution. Als wahrhaft aufgeklärte Menschen wissen wir, dass wir so sehr durch Umstände getrieben, durch Herkunft geprägt und durch fremde Mächte manipuliert sind, dass Freiheit und Selbstbestimmung doch eigentlich nur Illusionen sind. Fragen Sie mal Ihren Hirnforscher oder Neurologen!

Ein adäquates Mittel, um unsere defizitäre Vernunft auf die rechte Bahn zu bringen, will uns das Konzept des Nudging an die Hand geben. Mittels kleiner Stupser werden wir angeregt, das zu tun, wonach uns ja eigentlich der Sinn steht – oder stehen sollte. Wenn da nur nicht die Umstände, die Faulheit, die Ignoranz im Wege stünden. Nudging ist so ein bisschen wie betreutes Wohnen. Das gewohnte Umfeld bleibt erhalten, man fühlt sich wie zuhause. Aber irgendjemand passt immer auf, dass man keine Dummheiten anstellt. Diese mit mehr Kompetenz und Weitsicht ausgestatteten Betreuer sind die Politiker und Bürokraten.

Personalisiertes Nudging

Das Nudging steckt allerdings noch ein wenig in den Kinderschuhen. Es berücksichtigt zum Beispiel nicht, dass nicht alle Menschen gleich sind. Das neue Verbraucherleitbild des Verbraucherschutzministeriums geht auf diese Problematik ein, nachdem es den mündigen Verbraucher in die ewigen Jagdgründe verbannt hat. Drei Verbrauchertypen tauchen da auf: Der verletzliche Verbraucher: im Prinzip Cindy aus Marzahn. Der vertrauende Verbraucher: das sind Sie und ich. Normale Menschen, die wissen, dass zu viel Cola ungesund ist, aber dann doch alles glauben, was auf der Packung steht. Und schließlich der verantwortliche Verbraucher: also die Leute, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als sich über Zusatzstoffe, Vertragsklauseln und die neuesten Skandale zu informieren.

So weit, so gut: Immerhin haben wir schon einmal ein wenig Differenzierung in die Verbraucherschutzpolitik hineingebracht. Aber da ist noch sehr viel Raum nach oben! Was wäre das doch für eine schöne neue Welt, in der Sie Ihre persönlichen, maßgeschneiderten Nudges hätten! Schließlich machen Sie ja andere Fehler und haben andere Schwächen als Ihr Nachbar oder Ihre Vorgesetzte. Wäre es nicht hilfreich, wenn wir an Stelle eines anonymen und kalten Verbraucherschutzes einen ganz persönlichen Monika-Schutz, Christoph-Schutz und Cindy-Schutz hätten? Soll keiner sagen, hier würden alle Menschen pauschal gleichgemacht. Nein, Nudging kann auch ganz nah am Menschen stattfinden.

Eine Dystopie auf dem Weg zur Realisierung

Der Instrumentenkasten für dieses neue Nudging liegt in Big Data. Was Facebook, Google und Amazon mit der personalisierten Werbung schon heute machen, kann morgen auch Mutter Staat zu Ihrem Wohl tun. Natürlich mit dem wesentlichen Unterschied, dass Politiker, Büro- und Technokraten nicht an ihrem persönlichen Profit interessiert sind, sondern am Wohl aller Bürger, ja an Ihrem persönlichen Wohl! Mit Hilfe der Auswertung Ihrer Daten können Nudges für Sie persönlich entwickelt werden. Ihr Drang zum riskanten Investieren oder zur falschen Ernährung kann so ganz individuell bekämpft werden. Der Staat ist dann kein abgehobener und kalter Vater Staat mehr, er ist ein zugewandter, an Ihnen persönlich interessierter Mutter Staat, der Sie an der Hand nimmt und auf den Weg der Tugend zurückführt.

Diese Dystopie ist leider schon näher an Ihrer Verwirklichung als man meinen könnte. Was klingt wie aus einer aktualisierten Neuauflage von Orwell oder Huxley, spielt in der akademischen Welt tatsächlich schon eine gewichtige Rolle. So forscht etwa der IT-Wissenschaftler Alex Pentland schon seit Jahren am renommierten Massachusetts Institute of Technology an derlei Techniken, ebenso wie die Professoren Barry Nalebuff und Ian Ayres aus Yale und Oren Bar-Gill aus Harvard. Es kann erfahrungsgemäß nicht mehr lange dauern bis diese „guten Ideen“ auch in Politik umgesetzt werden. Zur Disposition steht dann nicht mehr nur der mündige Bürger. In einem solchen Nanny-Staat 2.0 sind auch die Gleichheit vor dem Gesetz, die Privatsphäre und die individuelle Freiheit und Verantwortung in ernsthafter Gefahr.

Photo: Crosa from Flickr

Man könnte ihn als eine Lappalie abtun – den Kampf gegen die Plastiktüte. Doch er sagt mehr über den Zustand der Marktwirtschaft oder der Europäische Union aus als jede Euro-Schuldendiskussion. Bei letzterem geht es um so viel Geld, dass der Abstraktionsgrad inzwischen so hoch ist, dass es keiner mehr versteht. Anders bei der Plastiktüte. Hier kann jeder mitreden.

Erst wird ein vermeintliches Problem in Brüssel erkannt. Es lautet: Zufolge EU-Kommission sind mehr als 8 Milliarden Plastiktüten in der EU im Jahr 2010 zu Abfall geworden. 2010 soll jeder EU-Bürger geschätzt 198 Plastiktüten genutzt haben, 90% davon leichte Tüten.

Dann wird eine Richtlinie beschlossen – die Lösung: Entweder die Mitgliedsstaaten ergreifen Maßnahmen, die sicherstellen, dass der jährliche Verbrauch im Durchschnitt nicht mehr als 90 Plastiktüten pro Person bis Ende 2019 und nicht mehr als 40 Tüten pro Person bis 2025 beträgt. Oder sie stellen sicher, dass Plastiktüten bis Ende 2018 in den Läden nicht mehr kostenfrei abgegeben werden.

Anschließend klopfen sich alle Beteiligten auf die Schulter. Wieder einmal haben wir die Umwelt gerettet und Europa wieder ein Stückchen mehr zusammengerückt. Doch hat auf diese Problemlösung der Kontinent gewartet? Wohl kaum.

Ich weiß nicht, wie viele Plastiktüten Sie so in der Woche ins Meer schmeißen oder im Wald verbuddeln, aber bei mir hält es sich in Grenzen. Ich gebe meine Plastiktüten in den gelben Müll, dort wird er verwertet und hoffentlich zu neuen Tüten verarbeitet, oder sie tragen dazu bei, dass neue Tüten durch die Verbrennungsenergie hergestellt werden können. Vielleicht ist es ein Problem in Griechenland oder Süditalien, wo die Müllentsorgung auch mal Pause macht, weil die Müllabfuhr streikt oder die Mafia Chaos produziert. Aber in unseren Breitengraden ist es kein Problem, zumindest keines, das europaweit geregelt werden muss.

Denn, wo ist der Binnenmarkt betroffen, wo wird ein Marktteilnehmer diskriminiert und am Marktzugang gehindert? Bislang habe ich sehr selten Plastiktüten im Ausland gekauft und bei mir zu Hause entsorgt oder umgekehrt. Es gibt keine Grund für die EU, in die Vertragsfreiheit von Einzelnen einzugreifen. Es gibt übrigens auch gar keinen Grund für die deutsche Regierung, die Vertragsfreiheit der Bürger im eigenen Land einzuschränken. Warum reguliert sie Plastiktüten und nicht Klorollenverpackungen, diese sind auch aus Kunststoff? Der Gesetzgeber regelt den Einzelfall, wo allgemeine, abstrakte und für alle gleiche Regeln notwendig wären. Doch nicht mehr nur in Deutschland, sondern nunmehr werden auch so Kinkerlitzchen in der ganzen EU geregelt.

In besonderer Weise erschreckt einen, dass die Nannyisierung die Gesellschaft insgesamt erfasst hat. Jetzt will eine Umfrage festgestellt haben, dass 81 Prozent der Befragten es gut heißen, dass Kunden in Geschäften für Plastiktüten bezahlen sollen. Und 53 Prozent meinen, dass Plastiktüten in Geschäften generell verboten werden sollten. Der Tugendterror der breiten Mehrheit indoktriniert die Minderheit. Da wundert einen nicht, dass der Einzelhandelsverband vorauseilend in einer „freiwilligen Vereinbarung“ mit dem Bundesumweltministerium geregelt hat, dass in Kürze 60 Prozent der Tüten bezahlt werden müssen.

Bislang habe ich immer geglaubt, dass die Plastiktüte beim Obsthändler auf dem Wochenmarkt auch von mir bezahlt wurde. Dass der Verkäufer für die Tüten draufzahlt, war mir bislang neu. Oh Herr, lass Hirn regnen.

 Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.