Photo: simpleinsomnia from Flickr (CC BY 2.0)

Es gehört zu den alljährlich wiederkehrenden Regierungsritualen, dass die Kanzlerin das Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage im Kanzleramt entgegennimmt. Das ist meist so interessant wie die Neujahrsansprache des jeweiligen Kanzlers selbst. In der wiederkehrenden Langeweile kann es schon mal passieren, dass die alte Ansprache auch die neue ist. Dieses Gefühl hatte man zuweilen auch beim Gutachten der Wirtschaftsweisen. Seine Halbwertzeit ist meist kurz und die Positionen darin bekannt. Vier Ökonomen stützen traditionell das Gutachten, einer – der gewerkschaftsnahe Peter Bofinger – distanzierte sich immer vom Mehrheitsvotum seiner Professorenkollegen. Die Welt dreht sich anschließend weiter und abends wird es dennoch schneller dunkel.

Doch dieses Mal überschreiben die Ökonomen ihr Gutachten mit „Zeit für Reformen“. Als wenn wir uns Anfang der 2000er Jahre befänden, als die Arbeitslosigkeit der 5-Millionengrenze entgegenging, das Wirtschaftswachstum lahmte und Deutschland der kranke Mann Europas war. Der Wunsch nach „Reformen“ war damals dem Zeitgeist geschuldet, heute ist der Wunsch danach fast schon aus der Zeit gefallen. Heute wird das Wort „Reform“ mit der „Stabilisierung des Rundfunkbeitrages“ oder dem „Verbot von Versandapotheken“ verballhornt. Damals hieß der Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, heute ist es Sigmar Gabriel. So ändern sich die Zeiten.

Echte Reformen jetzt wieder auf die Tagesordnung zu setzen, ist daher schon ein mutiges Unterfangen, weil es gegen den Zeitgeist gerichtet ist. Der Unterschied zu damals ist aber, dass die Probleme nicht mehr nur einzelstaatlicher Natur sind. Und genau das verkennen die Sachverständigen. Es sind nicht mehr nur die Strukturprobleme des Rentenversicherungssystems in Deutschland,  Frühverrentung und Überfrachtung des Systems durch immer neue Wohltaten. Auch nicht das Steuersystem, das Bürger zu Buchhaltern des Finanzamtes degradiert. Es ist auch nicht die Verkrustung der Marktwirtschaft durch Zugangsbeschränkungen und Abschottung, die eine schöpferische Zerstörung im Schumpeterschen Sinne nicht mehr zulässt, und damit neue, kreative Unternehmer verhindert. Und es ist erst recht nicht der zunehmende Paternalismus, der am Besten in der Aufforderung der Kanzlerin zum Ausdruck kommt, auf CDU-Weihnachtsfeiern auch mal ein schmissiges „Tamtatata oder Schneeflöckchen, Weißröckchen“ zu singen.

Es sind die globalen Herausforderungen, die Reformen notwendig machen. Die weltweite Geldschwemme der Notenbanken ist eine der größten Bedrohungen der Freiheit, der Marktwirtschaft und damit des Friedens. Weniges beeinflusst das Zusammenleben und das Wirtschaften auf der Welt so sehr. Und weniges kann alles so sehr zerstören. Doch darauf gehen die Professoren nur am Rande ein. Schade. Dabei führt die Manipulation der relativen Preise durch die Notenbanken zu einem Wettlauf um den schnellsten und entschiedensten Markteingriff. Doch diese Markteingriffe sind immer nur kurzfristige Vorteile, die zu Gegenreaktionen des Manipulierten führen. In diesem System wird der Manipulierte von heute zum Manipulierer von morgen.

Diese Kritik an den Notenbanken hatte bereits Ludwig von Mises Anfang des letzten Jahrhunderts formuliert. In dieser Woche kam auch die Deutsche Bank zur Gruppe der Häretiker hinzu. Wer hätte das noch vor wenigen Jahren gedacht? Waren es doch die Banken in Deutschland, die das goldene Kalb im Gewand der EZB anbeteten und lobpriesen. In bisher ungeahnter Schärfe haben die Deutschbanker vor den Auswirkungen der Politik der Europäischen Zentralbank gewarnt. Sie ersticke die Reformdynamik, füge den Sparern allein bis 2018 voraussichtlich zwei Billionen Euro Schaden zu und sie hindert Banken daran, notwendige Abschreibungen auf faule Kredite vornehmen zu müssen. Allein in Europa beziffert der Wirtschaftsprüfer KPMG dieses Volumen auf 1,2 Billionen Euro.

Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Den tut die Kanzlerin nicht. Sie will sich nicht von den Professoren die Butter vom Brot nehmen lassen und übt sich daher bei der Übergabe des Sachverständigengutachtens in Selbstsuggestion, indem sie ihnen zurief: “Ich denke, die Bundesregierung fühlt und denkt so, dass sie permanent Reformen angeht.“

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

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Die Europäische Zentralbank kommt wegen ihrer Politik immer mehr in die Kritik. In dieser Woche hat selbst die Deutsche Bank einen Schwenk gemacht und EZB-Chef Mario Draghi vorgeworfen, das Gegenteil dessen zu erreichen, was er ursprünglich beabsichtigt hatte. Mittlerweile dominierten die negativen Folgen. Die Reformanstrengungen in den Euro-Mitgliedstaaten würden erstickt, die Signalfunktion des Zinses gehe an den Anleihemärkten verloren, die EZB nehme immer mehr Risiken auf die eigene Bilanz, die Sparer müssten diese Politik mit Nullzinsen auf ihren Sparbüchern und in ihren Lebensversicherungen bezahlen und das Investitionskapital werde in falsche Projekte gelenkt, die dann Blasen an den Immobilien- und Aktienmärkten entstehen ließen.

Bislang kam diese Kritik an der EZB im Wesentlichen von den Sparkassen und Volksbanken. Sie sind besonders betroffen von der Zinsdrückerei der Notenbank. Ihre Margen brechen weg, ihr Kostenapparat ist durch die vielen Geschäftsstellen hoch und sie können nur sehr schlecht in andere Geschäftsmodelle ausweichen. Die Großbanken waren dagegen bislang eher zurückhaltend mit ihrer Kritik an der EZB, auch weil diese sie inzwischen direkt beaufsichtigt. Denjenigen zu kritisieren, der einem durch Aufsichtsmaßnahmen dann erheblich das Leben schwermachen kann, ist daher durchaus mutig. Insofern ist es wohl eher als Hilferuf zu verstehen, wenn die Deutsche Bank sich derart äußert.

Die Begründung und das Festhalten der EZB an dieser Politik ist einer falschen Annahme geschuldet. Es ist die Annahme, dass die Notenbank über die Geldpolitik Märkte stimulieren müsse, um Wachstum zu erzeugen. Traditionell geschieht dies durch die Zinspolitik der Notenbanken. Verbilligt die Zentralbank die Geldversorgung für die Banken, hofft sie, dass diese anschließend leichter Kredite vergeben und damit Investitionen und Arbeitsplätze entstehen. Doch die Pferde wollen nicht saufen. Die EZB hat den Ausleihzins faktisch beseitigt. Die Kreditvergabe der Banken im Euro-Club stockt dennoch. Die Banken halten ihr Pulver trocken. Sie haben viel zu viele faule Kredite in ihren Büchern, sodass sie erstmal keine neuen vergeben wollen. Schätzungen gehen dahin, dass fünf Prozent aller Kredite im Euroraum notleidend sind, das sind 1,2 Billionen Euro. In den Krisenländern Griechenland, Italien, Spanien und Portugal sind es deutlich über zehn Prozent. Das ist für einen Bankensektor eine enorme Belastung. Daher parken Banken lieber ihre Liquidität bei der Zentralbank. Diese reagierte darauf mit einem Strafzins, doch es nützt dennoch nichts. Mario Draghi befindet sich inmitten einer Interventionsspirale. Er muss immer größere Eingriffe in die Marktwirtschaft vornehmen, um einen Effekt zu erzielen oder einen negativen Effekt, der die Folge der vorigen Entscheidung war, zu heilen.

Dieses Phänomen der Interventionsspirale existiert nicht nur bei Notenbanken, sondern ist generell zentralistischen Systemen eigen. Dies hat etwas mit dem Wissen über die Entscheidungen des Einzelnen zu tun. Zentralistische Planungssysteme glauben zu wissen, was der Einzelne benötigt und wie er entscheidet. Irrt sich der oberste Planer, dann wird der Plan nachjustiert. Irrt er sich erneut, wird noch stärker eingegriffen. Die Schäden, die an anderer Stelle durch die Eingriffe entstehen, werden billigend in Kauf genommen, um das höhere Ziel zu erreichen. Zentralistische Planungssysteme sind nonzentralistischen Planungen daher unterlegen. Nonzentralistische Planung finden wir in der Marktwirtschaft. Dort entscheidet und verantwortet der Einzelne sein Handeln. Dies funktioniert deshalb so gut, weil dieser Prozess nicht zentral konstruiert ist, sondern dem natürlichen Zusammenleben entspricht.

Welche Konsumentscheidungen der Einzelne trifft, ob und wann er ein Auto kauft, abends zum Essen geht oder wie oft er in den Urlaub fährt, sind individuelle Entscheidungen, die bei jedem von uns anders sind. Und so ist es auch mit dem Unternehmer. Welche Investitionsentscheidungen, in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort er trifft, ist individuell und subjektiv. Dies kann nicht zentral geplant werden. Dieses Wissen hat niemand, erst recht nicht Mario Draghi.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 5. November 2016.

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Helfen, Rücksicht nehmen, ein guter Mensch sein – wer würde das nicht wollen? All das sind freilich individuelle Tugenden. Wenn Staat und Politik versuchen, uns dabei zu „unterstützen“, etwa durch den Kampf gegen „Hass-Sprache“, führt das oft zu gravierenden Folgen, die eigentlich keiner wollen kann.

Das Anbrechen des Hass-Zeitalters?

Nach dem Brexit machten plötzlich alarmierende Berichte die Runde, dass es einen sprunghaften Anstieg sogenannter Hass-Verbrechen gegenüber Ausländern gegeben habe. Der deutsche Justizminister wies kürzlich auf den besorgniserregenden Anstieg von „Hass-Reden“ in den sozialen Netzwerken um 176 Prozent hin und drohte den Betreibern der Netzwerke mit staatlichen Eingriffen. Beim Europarat ist eine eigene „Kommission gegen Rassismus und Intoleranz“ angesiedelt, die sich um die Erfassung und Bekämpfung von Hass-Verbrechen kümmert.

Diese Kommission hat viel zu tun, wenn sie die 47 Länder des Europarates beständig im Blick behalten möchte. Und vor allem, wenn sie die Balance halten möchte: Sie muss autokratisch regierte Länder wie Russland und Aserbaidschan ebenso in den Blick nehmen wie offene Demokratien wie Island und Portugal. Das führt dann zu so schwammigen Formulierungen wie der aus dem Jahr 2013 (!), dass in Deutschland „der rassistische und besonders der fremdenfeindliche Charakter in Teilen der öffentlichen Debatte … immer noch nicht ausreichend verdeutlicht“ werde. Was genau ist denn ein fremdenfeindlicher Charakter? Oder auch: wo findet sich konkret die „erhebliche (sic!) Diskriminierung von LGBT-Personen“? Und sind anonyme Bewerbungsverfahren bei der „Vergabe von Aufträgen, Darlehen, Zuschüssen und anderen Leistungen“ in irgendeiner Weise sinnvoll durchführbar? Man merkt bei der Lektüre der Berichte, dass hier eine Bürokratie am Werk ist, die nicht darauf ausgerichtet ist, sich selbst überflüssig zu machen, um es vorsichtig zu formulieren.

Schwammige Zahlen, unklare Begriffe

Natürlich gibt es abstoßende, gefährliche und zum Teil auch in erheblichem Ausmaß strafbare Diskriminierung gegenüber Menschen, die als andersartig empfunden werden. Und natürlich folgt auf böse Worte nicht selten auch die böse Tat. Jedes hasserfüllte Wort und jeder Faustschlag sind Verletzungen, die nie passieren sollten. Sobald aber mit Trends, Daten, Zahlen argumentiert wird, wird es sehr schnell unübersichtlich. Wenn man zum Beispiel versucht, herauszufinden, wie es zu dem von der Bundesregierung festgestellten Stand von 3084 „Hass-Postings“ in sozialen Netzwerken kommt, landet man im Nirgendwo. Man muss sich zufrieden geben mit der Aussage, dass es in der Statistik für politisch motivierte Kriminalität keine eigenständige Kategorie für Hasspostings gibt: „Die Fallzahlen wurden über eine Abfrage des Themenfeldes ‚Hasskriminalität‘ unter Eingrenzung auf das Tatmittel ‚Internet‘ ermittelt.“

In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage aus dem Bundestag zum Thema „politisch motivierte Kriminalität“ kommt dann zum Vorschein, dass es sich in etwa drei Vierteln der Fälle um Volksverhetzung handeln soll. Der Bundesrichter Thomas Fischer formuliert dazu pointiert: „Man könnte ja eigentlich sagen: Beleidigung ist strafbar; üble Nachrede und Verleumdung sind strafbar; Volksverhetzung, Bedrohung, Gewaltverherrlichung sind strafbar, Befürwortung von Straftaten ist strafbar: Also wo um Himmels willen soll da jetzt noch eine ‚Lücke‘ sein? Wie viele ‚Hater‘ konnten denn aufgrund des bestehenden Rechts nicht zu Strafe oder Schadensersatz verurteilt werden? Was soll das überhaupt für ein merkwürdiger Tatbestand sein, ‚Hass‘ zu formulieren?“

Die Opfer-Inflation

Gegen Hass zu sein, ist gut. Aber was ist Hass? 62.518 Hassverbrechen wurden von der britischen Polizei 2015/16 aufgenommen, rund Zehntausend mehr als im Vorjahr, fast 80 Prozent davon mit rassistischem Hintergrund. Was Hass ist, definiert hier aber nicht der Gesetzgeber, sondern derjenige, der das vorgebliche Verbrechen meldet. Definiert wird ein Hass-Verbrechen in den Leitlinien der britischen Polizei nämlich allein durch die Wahrnehmung des Opfers oder des Zeugen. Die Meldung kann über ein einfaches Online-Formular erfolgen, das man anonym und ohne Beweise oder Belege vorzuweisen benutzen kann. Kein Wunder, dass die Statistik Amok läuft …

Wir erleben derzeit einen weltweiten Trend zur Viktimisierung: In den USA tobt an den Universitäten die Debatte um sogenannte „safe spaces“, wo sich Studenten frei von jeder Diskriminierung aufhalten können sollten – und liefert beständig Wasser auf die Mühlen der Trump-Unterstützer. In vielen westlichen Staaten inszenieren sich Rechtspopulisten als Opfer eines Mainstreams, der ihre Meinungsfreiheit beschneide. Muslime beanspruchen für sich, die „neuen Juden“ zu sein. Es scheint ein Wettbewerb darum zu bestehen, wer nun mehr diskriminiert werde – gerade so, als befänden wir uns in einem repressiven Gesellschaftsumfeld wie dem Herrschaftsgebiet der Taliban.

Persönliche Verantwortung nicht verstaatlichen

Dieser inflationäre Gebrauch des Opfer-Konzepts führt zu anderen Folgen als denjenigen, die viele sich wünschen, die etwas gegen Diskriminierung tun wollen. Es führt etwa zu einem sich gegenseitig aufschaukelnden Konflikt: Wenn sich der hypersensible Akademiker beständig über die „falsche“ Sprache beschwert, führt das bei der rabiaten Kleinunternehmerin zu Gegenreflexen und so beginnt eine Spirale der Eskalation. Wenn man durch anonyme Meldeformulare Opfern von verbaler oder tätlicher Gewalt einen möglichst leichten Zugang zu Schutz und Gerechtigkeit ermöglichen möchte, führt das zum Missbrauch dieser Gelegenheit. Durch diese Opfer-Inflation auf allen Seiten wird der Begriff entwertet – was sich ja bereits im Sprachgebrauch von Jugendlichen niederschlägt, die demjenigen, dessen Bierflasche grade zu Boden gefallen ist, zurufen: „Du Opfer!“ Wirklichen Opfern ist dadurch nicht geholfen.

Der Schutz unserer Mitmenschen vor Übergriffen, vor Hass und Gewalt, auf welcher Seite sie auch immer stehen mögen, ist in Fällen klarer Gewaltanwendung natürlich Sache der Strafverfolgungsbehörden. Sie ist aber ganz oft auch Sache jedes Einzelnen – gerade in jenen Grauzonen, die als „Hass-Rede“ bezeichnet werden. Indem Politiker uns diese Verantwortung abnehmen, schwächen sie das Anliegen und die Gesellschaft als Ganze. Wir dürfen unsere persönliche Verantwortung nicht verstaatlichen. Es ist Aufgabe jedes einzelnen von uns, einzuschreiten, wenn jemand beschimpft oder diskriminiert wird. Es ist unsere Aufgabe, unsere Kinder so zu erziehen, dass sie im Modus des Respekts denken, reden und handeln. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu werben, dass der soziale Druck wächst auf diejenigen, die aus Hass reden und handeln. Nur so kann eine nachhaltige Veränderung geschehen zum Besten aller. Alles andere ist Augenwischerei.

Photo: Daughterville Festival – Stefan Malz from Flickr (CC BY 2.0)

Von Justus Lenz, Leiter Haushaltspolitik bei Die Familienunternehmer/Die Jungen Unternehmer

Um die wirtschaftliche Bildung an deutschen Schulen ist es in der Regel leider schlecht bestellt. Wirtschaft als Schulfach gibt es nur in einigen wenigen Bundesländern und dann meist als Mischfach wie Wirtschaft und Recht. In der Regel kommen Schüler nur am Rande mit wirtschaftlichen Themen in Berührung, in so verschiedenen Fächern wie Erdkunde oder Geschichte. Die Vermutung liegt nah, dass die fachfremden Lehrer wirtschaftliche Themen eher wenig durchdrungen haben und zudem eher marktskeptisch geprägt sind.

Ob Lehrer im Unterricht auf ihre Schüler ideologisch einwirken, ist zwar schwer nachprüfbar. Gut untersucht werden kann jedoch, ob die Jugendlichen schon in Schulbüchern mit falschen Fakten, Emotionalisierungen und tendenziösen Behauptungen beeinflusst werden. Schulbuchstudien zeigen leider, dass genau dies der Fall ist.

Wirtschaftswachstum und Wohlstand bringen beispielsweise Arbeitslosigkeit – jedenfalls wenn man dem Schulbuch Terra Erdkunde 9/10 Niedersachsen glaubt. Hier heißt es:

„Ständiges Wirtschaftswachstum und damit wachsender Wohlstand haben aber (…) in zunehmendem Maße auch Arbeitslosigkeit zur Folge“ (2007, Seite 58).

Die Behauptung dieses sachlich falschen Zusammenhangs ist an sich schon schlimm genug. Geradezu zynisch wirkt die Aussage jedoch, da sie im Kontext Entwicklungspolitik getroffen wird. Der Schulbuchautor weist darauf hin, dass Wirtschaftswachstum folglich kein erstrebenswertes Ziel für Entwicklungsländer sei. Der Wohlstand und überhaupt die ganze Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung von Industrieländern werden als wenig nachahmenswertes Modell dargestellt – wobei sich natürlich die Frage aufdrängt was denn die Alternativen seien. Hier aber werden die Schüler ohne konkrete Antworten allein gelassen.

Es gibt weitere Beispiele von tendenziösen Passagen in Schulbüchern. So heißt es im Schulbuch „Die Reise in die Vergangenheit 3“:

„Für den Unternehmer waren die Maschinen wertvoller als die Arbeiter.“ (2007, S. 168).

Zum Glück gibt es auch Beispiele dafür, dass wirtschaftliche Themen in Schulbüchern objektiv dargestellt werden. So zeigt eine qualitative Studie von Hamburger WeltWirtschaftsInstitut und Universität Erfurt sogar, dass die Darstellung wirtschaftlicher Themen in ökonomienahen Fächern (z. B. Politik und Wirtschaft) überwiegend objektiv ist.[i] Eine marktkritische und zum Teil ideologische Färbung lässt sich dagegen jedoch leider in vielen Schulbüchern ökonomieferner Fächer wie Erdkunde und Geschichte feststellen, wenn sich die Schulbuchautoren in das Feld ökonomischer Zusammenhänge begeben. Auch eine empirische Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft bestätigt die teilweise sehr unsachliche Darstellung wirtschaftlicher Zusammenhänge in Schulbüchern.[ii]

Diese Ergebnisse machen deutlich, dass es noch viel Verbesserungspotential gibt, das angesichts der Bedeutung der Ökonomie als Grundlage für gesellschaftliche Entwicklungen und politische Entscheidungen genutzt werden sollte. Hier sind natürlich zunächst die Schulbuchverlage gefragt. Die Ergebnisse legen aber auch nahe, dass ein eigenständiges Schulfach Wirtschaft in allen Bundesländern an allen weiterführenden Schulen eingeführt werden sollte. Die ökonomische Bildung ist viel zu wichtig, als dass wir sie fachfremden Lehrern überlassen können.

[i]           Justus Lenz, Die Darstellung von Marktwirtschaft und Unternehmertum in Schulbüchern in Deutschland und in der deutschsprachigen Schweiz, Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, 2010.

[ii]              Helmut E. Klein, Unternehmer und Soziale Marktwirtschaft in Lehrplan und Schulbuch – Der Beitrag gesellschaftswissenschaftlicher Schulbücher zur Ökonomischen Bildung, Institut der Deutschen Wirtschaft, 2011.

Photo: Dr Les from Flickr (CC BY 2.0)

Das CETA-Abkommen kommt doch noch. Alle Freihandelsgegner haben zu früh gejubelt. Dennoch ist die EU am Scheideweg. Die Handelnden in Brüssel und insbesondere in Berlin sind selbst schuld am Schlamassel. Denn es war lange unklar, ob CETA ein gemischtes Abkommen ist oder nicht, ob es also der Zustimmung der Mitgliedsstaaten bedarf.

Die EU-Kommission vertrat Anfang Juni noch die Auffassung, dass Freihandelsabkommen ausschließlich in die Zuständigkeit der EU falle und die Zustimmung der nationalen und regionalen Parlamente nicht erforderlich sei. Die Kommission hatte dafür gute Gründe. Zur ausschließlichen Zuständigkeit der EU gehört eindeutig die gemeinsame Handelspolitik (Artikel 3, Absatz 1 e AEUV) und die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss internationaler Übereinkünfte (Artikel 3, Absatz 2 AEUV). Klarer geht es nicht.

Doch die EU ist keine Rechtsgemeinschaft, weil die Mitgliedsstaaten sich nicht an gemeinsam geschaffenes Regeln halten und die Kommission ihre Aufgabe als Hüterin der Verträge nicht wahrnimmt. Daher ist das Beinahe-Scheitern von CETA eigentlich nicht Campact oder all den CETA-Gegnern anzulasten, sondern den Regierungen der Mitgliedsstaaten. Sie hatten buchstäblich die Hosen voll. Mit der Brexitentscheidung am 23. Juni in Großbritannien brach Panik aus in den Regierungszentralen in Berlin, Paris und anderswo. Sie vertraten plötzlich die Rechtsauffassung, dass eine Zustimmung des Europa-Parlaments und der 28 Parlamente der Mitgliedsstaaten nunmehr notwendig sei. Damit war die Lunte für das Scheitern gelegt. Erst jetzt konnte ein Regionalparlament, wie in der Wallonie, das nicht einmal ein Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert, den Rest erpressen.

Die fortgesetzten Vertragsbrüche im Kleinen wie im Großen sind wie Sargnägel für die EU. Die Nichtahndung der Verschuldungsgrenzen des Maastrichter-Vertrages in den 2000er Jahren bis heute haben dazu geführt, dass die Schuldenlast in den Mitgliedsstaaten immer weiter ansteigen konnte. Der Bail-Out Griechenlands war ein erneuter Rechtsbruch, der aber eine Folge der vorigen Rechtsbrüche der Maastrichter Schuldenkriterien war. Dass der Fiskalpakt heute keine Rolle mehr spielt, obwohl er eigentlich die Lehre aus dem griechischen Bail-Out sein sollte, beweist dies erneut. Dass Frankreich und Italien in der EU anders behandelt werden als Griechenland, Portugal oder Zypern, zeigt, dass europäisches Recht nicht für alle gleich gilt. Es werden Unterschiede zwischen Klein und Groß gemacht. Das schürt Missgunst und Ressentiments bei den kleinen Mitgliedsstaaten. Daher muss man sich nicht über die Wallonie wundern, sondern sich im Kanzleramt und im Élysée-Palast selbst an die Nase fassen. Und auch die einseitige Aussetzung des Dubliner Abkommens durch Angela Merkel im Sommer letzten Jahres war ein Brechen gemeinsamer Regeln. Gleichzeitig mischt sich die Kommission in Bereiche ein, die wiederum in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fällt. Es ist ein Kampf um Zuständigkeiten, der zwischen Kommission und Mitgliedsstaaten geführt wird.

Die Ursache für die fortgesetzten Rechtsbrüche ist der unzureichende institutionelle Rahmen der EU. Sie ist nicht ausreichend demokratisch und sie ist nicht ausreichend rechtstaatlich. Das Prinzip der Gewaltenteilung existiert nicht. Die Kommission setzt Recht, kontrolliert und sanktioniert es. Das Parlament der EU kontrolliert die Kommission nicht, sondern will mit der Kommission gemeinsam lediglich mehr Zuständigkeiten von den Mitgliedsstaaten erhalten. Ihr Widerpart ist der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs. Er ist keine zweite Kammer, wie der Bundesrat oder der Senat in den USA. Der Rat kann daher auch keine eigenen Gesetzentwürfe vorlegen. Dieses Recht ist der Kommission vorbehalten, die es zur Ausweitung ihrer Kompetenzfülle missbraucht. Wann endlich beginnt in der EU eine systematische Diskussion über diese Konstruktionsfehler? Viele meinen, es sei schon zu spät. Doch Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.