Photo: EU2016 SK from Flickr (CC 1.0)

Sigmar Gabriel ist ein Mann starker Worte. Als 2014 bekannt wurde, dass amerikanische Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon in ihren europäischen Zentralen in Irland keine Unternehmenssteuern bezahlen, sprach er von einem asozialen Verhalten. Wer in Deutschland Gewinne erwirtschafte, müsse sie auch hier versteuern. Sonst fehle Geld für Infrastruktur und Bildung, so der Bundeswirtschaftsminister. Da kann man nur sagen: Gut gebrüllt Löwe. Man mag ihm kaum widersprechen. Doch muss er sich als Bundeswirtschaftsminister auch an seinen eigenen Maßstäben messen lassen. Und da hapert es beim Vorsitzenden der Arbeiterpartei SPD.

Eine der größten Industriebeteiligungen des Staates ist der Technologiekonzern Airbus. Der Bund hält über die Kreditanstalt für Wiederaufbau mehr als elf Prozent der Anteile. Mit fast 65 Milliarden Euro Umsatz und weltweit fast 140 000 Beschäftigten gehört das Unternehmen zu den ganz Großen. Die wesentlichen Produktionsstandorte des Konzerns sind in Bremen, Hamburg, München und im französischen Toulouse. Dort ist auch der Sitz der Konzernzentrale. Der rechtliche Sitz der Holding Airbus Group SE ist jedoch im niederländischen Leiden. Das ist wohl kein Zufall, denn die Niederlande gelten für Holdings als Steuerparadies. Dort gelingt es diesen, dank des dortigen Steuerrechts, trotz hoher Gewinne die Steuerlast auf Null zu drücken. So ist es wohl auch mit Airbus. Der Staat geht bei seinem eigenen Unternehmen nahezu leer aus, obwohl das Unternehmen 2015 einen Gewinn von fast 3,4 Milliarden Euro erzielt hat. Wer ist hier asozial, Herr Gabriel?

Das wird den heimischen Familienunternehmer oder den Handwerksmeister nicht freuen, wenn sie gleichzeitig in Deutschland in der Spitze als Unternehmen 30 Prozent und als Einzelunternehmer sogar rund 50 Prozent Steuern bezahlen. Reden und Handeln ist ein hohes Gut, auch in der Politik. Wenn Gabriel private Unternehmen als asozial bezeichnet, aber er selbst in seinem Zuständigkeitsbereich der Luft- und Raumfahrt zulässt, dass ein staatlich dominiertes Unternehmen selbst in eine Steueroase ausweicht, um sich dem Fiskus in Deutschland zu entziehen, dann ist das skandalös und ein Schlag in das Gesicht jedes Steuerpflichtigen in diesem Land. Es ist dieses Misstrauen in die Politik und ihre Handelnden, die zu Verdrossenheit und Frust führt. Politiker müssen sich an ihren eigenen Maßstäben messen lassen und nicht heute das sagen und morgen umgekehrt handeln. Diese Erosion des Vertrauens ist fatal.

Das ist unabhängig davon, dass die steuerliche Belastung für Bürger und Unternehmen in Deutschland zu hoch ist. Überall auf der Welt geht der Trend hin zu einer Entlastung der Steuerzahler. Donald Trump hat umfangreiche Steuerentlastungen für Unternehmen angekündigt. Der französische Präsidentschaftskandidat der Republikaner, François Fillon, hat im Falle seiner Wahl umfangreiche Steuersenkungen angekündigt und auch die britische Premierministerin Theresa May hat eine Senkung der Unternehmensteuern in Großbritannien angekündigt, um den dortigen Wirtschaftsstandort attraktiv zu machen.

Der Steuerwettbewerb nimmt international wieder Fahrt auf. Das ist richtig und notwendig, darf aber nicht bei der Unternehmensbesteuerung aufhören, sondern muss auch die Bürger insgesamt umfassen. Gründe für eine Entlastung gibt es genug. Allein in dieser Legislaturperiode hat der Staat über 100 Milliarden Euro zusätzlich an Steuern eingenommen. Es geht letztlich um die Frage, ob der Staat immer mehr Bürgern und Unternehmen von ihrer Schaffenskraft wegnimmt, um es anschließend in einen großen Trichter zu werfen, an dessen Ende der Staat nach viel Bürokratie und Leerlauf nach Gutsherrenart ein wenig davon wieder über Umverteilung an die Bürger zurückgibt. Daraus folgt: Es gibt keine Leistung des Staates, die nicht auf dem Verzicht der Bürger beruht.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 3. Dezember 2016.

Photo: Cayce from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Apotheken, Hotels, Taxi-Unternehmen – die Liste der Branchen, die sich mit Hilfe staatlicher Eingriffe gegen Wettbewerb schützen, wird immer länger. Und mit jedem Eingriff entfernen wir uns weiter von einer der wichtigsten Ideen der Sozialen Marktwirtschaft: alle haben ein Recht auf Wohlstand.

Verbraucherschutz? Von wegen: Lobbyismus!

Es verging nur eine Schamfrist von einer Woche nachdem der Europäische Gerichtshof die Preisbindung von rezeptpflichtigen Medikamenten gekippt hatte. Dann brachte Gesundheitsminister Gröhe auch schon ein Verbot von Versandapotheken auf den Tisch. In vielen deutschen Städten wird diskutiert, die Vermietung der eigenen Wohnung über Anbieter wie Airbnb zu verbieten. In Berlin gibt es solch ein Verbot bereits: Bis zu 100.000 Euro Strafe können hier fällig werden, wenn man seine Wohnung temporär vermietet. Im März vergangenen Jahres wurde UberPop verboten, eine Art innerstädtische Mitfahrgelegenheit.

Irgendwelche hübschen Rechtfertigungen lassen sich immer finden, mit denen man die Bürger überzeugen kann, wie sinnvoll solche Maßnahmen seien: Der Apotheken-Versandhandel gefährde die flächendeckende Versorgung durch reale Apotheken. Wohnungsvermittler führen angeblich zu Wohnungsknappheit und steigenden Mieten, weil sie Wohnraum für Ferienwohnungen „zweckentfremden“. Und wenn Privatleute innerstädtische Personenbeförderung betreiben, sei nicht ausreichend Schutz und Sicherheit für die Mitfahrer gewährleistet. In den allermeisten Fällen sind diese Argumente nur Deko. Hauptsächlich geht es darum, bestehende Geschäftszweige und Anbieter vor unangenehmer Konkurrenz zu schützen.

Konsumenten und Angestellte sind die Verlierer

Während ausländische Konkurrenz durch Zölle und Importquoten in Schach gehalten wird, nutzen Politiker innerhalb eines Landes Regulierungen, Verbote, Subventionen, Strafen und Steuern, um etablierte Anbieter vor Neuankömmlingen in Schutz zu nehmen. Dabei geht es sicherlich nicht um die Kunden, denn die bezahlen aufgrund dieser staatlichen Sonderbehandlung höhere Preise. Oft geht es aber auch nicht einmal um diejenigen, die angeblich geschützt werden sollen. Beispiel Kohleabbau: Über fünfzig Jahre hinweg wurde dieser längst hoch unrentable Wirtschaftszweig durch Subventionen künstlich am Leben erhalten. Alle Bewohner Deutschlands haben das gleich doppelt mitbezahlt – durch ihre Steuern, mit denen die Subventionen finanziert wurden, und durch höhere Energiepreise.

Doch was ist mit den Kohlekumpeln? Ja, deren Arbeitsplätze waren vorübergehend gesichert – auf Abruf. Oder um es etwas anschaulicher zu formulieren: Sie konnten noch weitere Jahrzehnte ihre Gesundheit unter Tage ruinieren. Und noch ihre Kinder fanden einen Arbeitsplatz in einem Sektor, der längst schon dem Untergang geweiht war. Anstatt etwas Neues zu lernen und sich den Gegebenheiten anzupassen, wurden zehntausende von jungen Menschen einer Zombie-Wirtschaft zugeführt, um dann schließlich in die Arbeitslosigkeit gedrängt zu werden. Zugleich wurde dadurch verhindert, dass Innovation stattfindet, um möglicherweise erheblich sauberere Energieformen zu finden und neue Arbeitsmöglichkeiten zu erschaffen.

Alle bezahlen die Privilegien von wenigen

Was hat das nun alles mit Apothekern, Taxifahrern und Hoteliers zu tun? Wir begegnen hier demselben Phänomen. Einige wenige Anbieter werden vor Veränderung und Anpassung geschützt. Zumindest eine Zeit lang – denn es ist schon sehr deutlich absehbar, dass auch ihre Gewerbezweige früher oder später von der Innovation überrollt oder zumindest erheblich zurechtgestutzt werden. Wie die Kohle. Während nun diese paar fragilen Privilegien nur einer ziemlichen kleinen Gruppe zugutekommen, bezahlen alle anderen den Preis: Kunden, die nur noch ein eingeschränktes Angebot wahrnehmen können – und das auch nur zu überteuerten Preisen. Potentielle Anbieter, denen es verboten wird, ihre Ressourcen und Fähigkeiten anderen zur Verfügung zu stellen und somit für alle Beteiligten nutzbringend einzusetzen. Und auch die derzeitigen Angestellten der geschützten Firmen, denen Sicherheit und Perspektive vorgegaukelt werden.

Die einen reden von Miet-Haien und profitgierigen Konzernen. Man kann die Geschichte auch anders erzählen: Man kann von den Studenten berichten, die sich dank der Kombination aus Semesterferien und Airbnb etliche Wochenstunden Kellnern ersparen kann. Oder von der Kassiererin, die für sich und ihre Tochter einen gemeinsamen Urlaub finanzieren kann, weil sie nebenbei für UberPop fährt. Man kann auch auf das Rentnerehepaar hinweisen, das seine hohen Ausgaben für Medikamente durch die Rabatte beim Versandhandel etwas reduzieren kann. Das sind die Wohltaten, die durch den Schutz bestehender Anbieter verhindert werden.

Der neue Feudalismus bedroht die Soziale Marktwirtschaft

Wohlstand für alle wollten Ludwig Erhard und seine Mitstreiter im Nachkriegsdeutschland ermöglichen. Die alte Zeit des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik steckte ihnen noch in den Knochen. Damals hatten sich viele Unternehmen mit eifrigem Zutun des Staates zu Kartellen zusammengeschlossen, um die eigenen Gewinne zu maximieren – im Zweifel auch immer auf Kosten der Käufer und Konsumenten. Dazu sollte es nie wieder kommen. Walter Eucken, wohl der wichtigste Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, nannte diese Wirtschaftsform sehr treffend „neufeudal“, weil sie die Interessen einiger kleiner Gruppen auf Kosten der Allgemeinheit schützt.

Wir erleben derzeit ein beständiges Wachstum von Wirtschaftsformen, die es vielen Menschen auf unkomplizierte Weise ermöglichen, als Anbieter wie als Kunden ihre eigene Situation zu verbessern. Simultan wächst leider auch auf der Gegenseite der Druck, diese Menschen aus dem Markt herauszuhalten. Das gilt auf internationaler Ebene mit dem wachsenden Protektionismus ebenso wie innerhalb der einzelnen Länder mit restriktiven Maßnahmen gegenüber den verschiedenen Angeboten der sharing economy und der disruptiven Technologien. Auch in Deutschland verspielen wir damit das Erbe der Sozialen Marktwirtschaft, deren Ziel es war, Wohlstand für alle zu ermöglichen.

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Von  Prof. Dr. Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums im Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Business and Information Technology School (BiTS) in Berlin.

Rezzo Schlauch beklagt in seinem Causa-Beitrag den angeblichen Ausverkauf deutscher Industriejuwelen (KUKA, OSRAM) und warnt vor einem „naiven“ Freihandelsverständnis. Ohne staatliche Kontrolle gelange deutsche Technologie ungeschützt in die Hände chinesischer Investoren. Mit dieser Drohkulisse reiht er sich ein in die Wortführer des grassierenden Neoprotektionismus. Dieser wurzelt – wie schon seine Vorläufer – tief in nationalen Denkschablonen und appelliert an primitive Instinkte, um Einzelinteressen mit staatlichem Flankenschutz über das Gemeinwohl zu setzen. Nur der Anlass, nicht aber die Muster der Argumente sind neu. Dementsprechend reproduziert er eine Reihe längst überwunden geglaubter Irrtümer.

Erstens handelt es sich nicht um die Technologie eines diffusen deutschen Kollektivs, sondern um die Technologie von KUKA oder OSRAM oder anderen unternehmerischen Innovatoren. Das Recht auf die Verwertung dieser Technologie liegt exklusiv bei deren Eigentümern. Diese müssen – von militärischen Belangen einmal abgesehen – niemanden um Erlaubnis fragen, wie sie mit den Früchten ihrer Entwicklungsarbeit umgehen. Umgekehrt ist die Nichteinmischung der Wirtschaftspolitik kein Ausdruck von „Lethargie“ oder „Geschehen-Lassen“, sondern der Normalfall in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Intervention ist begründungsbedürftig, nicht das freie Spiel der Marktkräfte. Wenn alles, was keine ausdrückliche staatliche Erlaubnis erlangt, in die Nähe des Suspekten oder gar Schädlichen rückt, gerät die Eigentumsordnung in Gefahr.

Zweitens haben Unternehmen keinen Pass. Wie deutsch die „deutsche Industrie“ sein mag, ist eine ebenso offene wie belanglose Frage. Eigentümerstruktur, Mitarbeiterherkunft, Wertschöpfungsanteile oder Absatzschwerpunkte würden verwirrend andere Antworten nahelegen als der Standort der Zentrale. In Unternehmen schließen sich Menschen zusammen, die ein gemeinsames ökonomisches Ziel verbindet. Hierbei erscheinen Staatsgrenzen nie als Begründung, sondern allenfalls als Hemmnis wirtschaftlicher Entfaltung. Von „unserer“ Industrie zu sprechen, ist ein Relikt aus der Zeit des Stammesdenken und damit ein Appell an atavistische Reflexe. Im rationalen ökonomischen Diskurs sollte man sich davon freimachen.

Drittens kann von einem Ausverkauf keine Rede sein. Chinesische Investoren reißen sich auch nichts unter den Nagel. Bei Unternehmenskäufen kommt derjenige zum Zuge, der dem Verkäufer das beste Angebot macht. Stehen Unternehmen aus Deutschland zum Verkauf, können Investoren aus aller Welt mitbieten. Zum Geschäftsabschluss kommt es nur, wenn beide einen Vorteil darin sehen. Der Wert der zukünftigen Früchte, die die Nutzung der Technologien von KUKA, OSRAM & Co erwarten lassen, spiegelt sich im heutigen Kaufpreis. Je wertvoller die Technologie, desto höher der Preis, wobei der Käufer diesen Wert höher einschätzt als der Verkäufer. Auch das ist völlig normal und hängt mit den relevanten Alternativen beider Seiten zusammen. So kann der Anbieter offenbar mit den Verkaufserlösen mehr anfangen als mit der unveränderten Weiternutzung seiner Technologie. Möglicherweise fließen die Mittel sogar als Kapitalaufstockung in dasselbe Unternehmen und ermöglichen so erst die Skalierung des bisherigen Geschäftsmodells. Die politischen Warner vor grenzüberschreitenden Übernahmen müssten für sich in Anspruch nehmen, den Unternehmenswert besser einschätzen zu können als die Eigentümer selbst. Wenn marktferne Bürokraten sich für die besseren Unternehmer halten, sind die Ergebnisse meist ernüchternd. Bislang sind die Interventionisten den Nachweis überlegenen Wissens jedenfalls schuldig geblieben. Stattdessen gibt es eine lange Liste von Fehleinschätzungen, wenn Politiker „Zukunfts“-Technologien ausrufen. Sie reicht von der Atomkraft, über den Transrapid bis zur Photovoltaik. Ohne Subventionen hätte es diese kostspieligen Fehlschläge so nie gegeben. Das Scheitern der Photovoltaik räumt Rezzo Schlauch selbst ein – aber natürlich waren auch hier nur wieder die Chinesen schuld.

Viertens ergibt sich ein Technologieverkauf immer wieder dadurch, dass sich die hochentwickelten Länder tendenziell auf Forschung und Entwicklung spezialisieren. Das kennzeichnet die komparativen Vorteile der westlichen Welt. Die Technologiepioniere entwickeln neue Produkte oder Verfahren, bringen sie zur Marktreife und verkaufen einige davon an weniger innovative Betreiber. Wollten die Entwickler auch überall noch den industriellen Betrieb bis zum Ende des Produktionslebenszyklus unter ihrer Regie behalten, wären bald kaum noch Ressourcen für echte Neuerungen frei, sondern blieben in der industriellen Anwendung bekannten Wissens gebunden. Werden die Erlöse aus dem Technologieverkauf in die nächste Generation von Innovationen investiert, wächst immer wieder Neues heran, was Interessenten aus aller Welt zum Tausch angeboten werden kann. Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, haben die Akteure in den Ländern selbst in der Hand (Bildung, Infrastruktur, Regulierung etc.). Statisch am Erreichten festzuhalten, bedeutet Stillstand. Nicht wenige, die sich den Anschein des Fortschrittsschützers geben, konservieren nur die Errungenschaften von gestern. Diese könnten aber morgen schon alt aussehen.

Fünftens sind grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse ein wichtiger Motor der weltweiten Wissensdiffusion, ohne die die globale Wohlstandsexplosion der letzten Jahrzehnte ausgeblieben wäre. Im Gegensatz zur Industriespionage als einer Form des Raubs werden dabei die marktwirtschaftlichen Anreize für die Innovatoren gewahrt.

Die Ansicht, chinesische Infrastrukturinvestoren hinterließen im Ausland vor allem verbrannte Erde, mutet ebenfalls seltsam an. Wäre es so, dann wird sich das auch für die chinesische Seite auf Dauer als Verlustbringer erweisen. Wer dumpt, zahlt drauf, solange sich Märkte nicht dauerhaft monopolisieren lassen. Und davon sind auch „die Chinesen“ weit entfernt. Dass deren Produktqualität oft nicht westlichen Standards entspricht, sagt überhaupt nichts über die Vorteilhaftigkeit der Projekte für die Zielländer aus und hat mit Dumping nichts zu tun. Das technisch Beste ist noch lange nicht das ökonomisch Beste. Qualität muss man sich leisten können. Welche Standards in Frage kommen, hängt vor allem vom bereits erreichten Wohlstand ab (das gilt auch für sogenannte Sozialstandards). In Entwicklungs- und Schwellenländern kann daher eine vermeintlich veraltete Technik ökonomisch genau das Richtige sein.

Handelspartner ­– makroökonomisch in ein nationales Silo gepfercht – erscheinen für manche Beobachter umso bedrohlicher, je größer sie sind. Da fällt es dann leicht, China zur Drohkulisse aufzubauen. In dieser Logik werden aus Handelspartnern Handelsgegner, bei denen der eine nur gewinnen kann, was der andere verliert. Die Vorstellung des Welthandels als eines globalen Nullsummenspiels ist der Dauerbrenner des Merkantilismus. Diesem Irrglauben aus der ökonomischen Mottenkiste können auch heute viele nicht widerstehen. So sei der Handel mit Maschinen nur solange vorteilhaft, wie „Deutschland“ (gemeint sind Unternehmen in Deutschland) mehr exportiert als importiert. Dahinter steht die simple Übertragung der Sicht eines Exportunternehmens auf die gesamte Volkswirtschaft. Diese besteht aber nicht nur aus Exportunternehmen, sondern auch aus Konsumenten. Und deren Versorgung ist der finale Zweck des Wirtschaftens. Nur an diesem Zweck lassen sich Gemeinwohleffekte festmachen, nicht an den Partikularinteressen eines Wirtschaftszweiges.

Freier Austausch von Gütern und Kapital sind das Ideal einer offenen Weltwirtschaftsordnung. Zölle, Subventionen und unzählige nicht-tarifäre Regulierungen aus dem Arsenal des Protektionismus verzerren den Wettbewerb und schädigen alle Beteiligten. Wer sich abschottet, schadet sich und anderen, weil er die weltweiten Tauschvorteile verringert. Der chinesischen Führung ist hier manches vorzuwerfen. Die Antwort darauf kann aber nicht sein, die globalen Kooperationsfelder zur Strafe noch weiter einzuengen. Das Ergebnis dieser Sandkastenlogik wäre eine endlose Sanktionsspirale, durch die ökonomische Aktivität wieder innerhalb von Staatsgrenzen eingesperrt wird. Dies zu vermeiden ist nicht naiv, sondern klug. Kleine Länder sind das beste Beispiel dafür. Weil sie klein sind, fehlt ihnen das Gewicht für ökonomische Drohgebärden. Reich sind sie oft trotzdem und zwar immer dann, wenn sie sich für die übrige Welt öffnen.

Erstmals erschienen in der Rubrik Causa im Tagesspiegel.

Photo: Satish Krishnamurthy from Flickr (CC BY 2.0)

Bargeld ist gedruckte Freiheit. Wem das zu erhaben klingt, muss aktuell nur nach Indien schauen. Die dortige Regierung hat die 500- und 1.000-Rupienscheine für ungültig erklärt, um so die Schwarzarbeit zu bekämpfen. Beide Scheine sind die gängigsten Noten auf dem Subkontinent. Seitdem versuchen Millionen von Bürgern, ihre alten Scheine umzutauschen und loszuwerden. Die Notenbank kommt mit der Bargeldproduktion der neuen Geldscheine nicht hinterher. Chaos und Panik herrschen.

Das indische Beispiel ist exemplarisch für das Problem unseres Geldsystems. Es basiert auf zwei Säulen: Die eine Säule ist das staatliche Geldmonopol. Das basiert auf dem Grundsatz, dass der Staat das gesetzliche Zahlungsmittel definiert und nur er Geld produzieren und in Umlauf bringen darf. Dem ist nur schwer auszuweichen. Alle Bürger sind Gefangene ihres Währungsraumes. Die Bürger sind im Alltag daher darauf angewiesen, dass sie jederzeit ihre Geldscheine für den Zahlungsverkehr verwenden können. Es gilt der Grundsatz von Treu und Glaube, dass Bargeld jederzeit umgetauscht werden kann. Der Staat sichert diesen Grundsatz mit seiner Autorität. Gibt es aus irgendeinem Grund Zweifel an der Geldversorgung, dann bricht leicht Panik aus. Bei Banken kommt es zum „Run“. Die Bürger versuchen, ihr Geld möglichst schnell in andere, noch gültige Geldschein umzutauschen oder generell Bargeld zu horten. Im Extremfall bricht das Wirtschaftssystem zusammen, bis der Staat durch eine Währungsreform mit neuem staatlichen Geld einen Neuanfang wagt.

Die zweite Säule unseres Geldsystems ist deren mangelnde Deckung mit einem realen Wert. Die Geldproduktion ist nicht an Gold, oder einen anderen Sachwert gebunden. Sondern sie wird zum einen durch die Zentralbanken als Bargeld gedruckt, deren Menge und Versorgung diese zentral plant und steuert. Und zum anderen als Giralgeld durch die Kreditvergabe der Banken dezentral produziert. Auf letzteres hat die Zentralbank nur indirekt Einfluss. Sie kann die Menge und die Qualität in der Regel nur mittelbar über ihre Geldpolitik steuern. Beides, Bar- und Giralgeld, werden aus dem Nichts produziert. Das Verhältnis Bargeld zu Giralgeld beträgt bei uns eins zu neun. Das ungleiche Verhältnis ist gleichzeitig das Problem bei einem Bankrun. Wollten alle Kunden einer Bank das Geld, das auf ihrem Konto als Giralgeld gebucht wurde, als Bargeld abheben, dann wäre diese Bargeldmenge nicht einmal ansatzweise vorhanden. Deshalb ist in einem ungedeckten Geldsystem der Bankrun das eigentliche Problem. Erkennen die Geldhalter diesen „Schwindel“, kommt es zur Panik. Der schnellste Windhund profitiert, der lahme Dackel schaut in die Röhre. Wer zuerst sein Konto leert, ist daher im Vorteil.

Will man dieses Problem angehen, dann gibt es mehrere Möglichkeiten: Die aktuell vorherrschende ist die Regulierung. Banken werden streng beaufsichtigt. Deren Kreditvergabe wird bürokratisch überwacht, damit diese und die daraus entstehende Giralgeldproduktion möglichst im Einklang mit der wirtschaftlichen Entwicklung stattfinden. Überhitzungen der Wirtschaft will die Notenbank durch eine Verschärfung der Regulierung entgegenwirken. Auf eine wirtschaftliche Schwäche reagiert die Notenbank mit einer Reduktion der Regulierung. Will man einen Bankrun verhindern, dann erfordert dies eine intensive Steuerung des Prozesses. Dennoch gibt es immer wieder unvorhergesehene Ereignisse, die schwere Wirtschaft- und Finanzkrisen auslösen. Ein „schwarzer Schwan“, also ein Ereignis das unvorhergesehen von außen auf ein Finanzsystem oder einen Wirtschaftsraum einbricht, kann schon per Definition nicht vorhergesehen und daher auch nicht gesteuert werden.

Eine weitere Möglichkeit ist, die autonome Geldschöpfung durch Kredite über die Geschäftsbanken zu unterbinden. Diese Idee geht auf den Ökonomen Irving Fisher zurück, der bereits Anfang des letzten Jahrhunderts ein Geldsystem vorschlug, bei dem ausschließlich die Zentralbanken die Menge des Bar- und Giralgeldes bestimmen. Banken müssen in diesem System 100 Prozent des Geldes ihrer Kreditvergabe bei der Zentralbank hinterlegen. Die Notenbank steuert direkt die Menge des Geldes. Fishers Modell ist staatstragend und setzt den Glauben an zentrale Steuerung und deren Verlässlichkeit und Regelgebundenheit voraus. In Krisenzeiten ist das jedoch nicht zu erwarten. Daher eignet es sich wohl nur als Übergangsmodell.

Eine weitere Möglichkeit ist der Geldwettbewerb. Diese Idee geht auf den Ökonomen Friedrich August von Hayek zurück. Der Wirtschaftsnobelpreisträger schlug 1976 vor, das Geld dem Wettbewerb auszusetzen – so wie Brötchen und Wurst auch. Wenn auch die private Geldproduktion zugelassen würde und jeder jederzeit schlechteres in besseres Geld tauschen könnte, würde niemand das schlechtere Geld halten wollen, sondern zusehen, dass er es möglichst schnell umtauscht. Durch den Wettbewerb würde sich evolutorisch gutes Geld entwickeln. Für manchen mag dieser Vorschlag utopisch klingen. Aber Geld ist eine private Erfindung. Der Staat hat sich im Laufe der Geschichte das Geldmonopol erst angeeignet, um leichter den Staatsapparat durch Verschuldung und Inflation finanzieren zu können. Kriege und der Hofstaat waren dadurch leichter und länger zu finanzieren.

Hayeks Idee des Geldwettbewerbs beruht auf seiner Skepsis gegenüber der zentralen Steuerung von Prozessen, an denen viele Akteure beteiligt sind. Er war überzeugt, dass niemand das umfassende Wissen von Millionen von Menschen in sich vereinen kann, wie die richtige Versorgung des Einzelnen mit Gütern aussehen kann. Deshalb kann auch niemand dies zentral planen. Es sei eine Anmaßung von Wissen, die sich der Staat hier zu eigen mache. Daraus leitete er ab: „Die Hauptaufgabe des Wettbewerbs ist es, zu zeigen welche Pläne falsch sind.“ Darin steckt auch der Gedanke, dass es in einer Wirtschaftsordnung besser ist, wenn ein Scheitern dezentral im Kleinen stattfindet als wenn ein zentraler Irrtum im Großen möglich ist, dem keiner ausweichen kann.

Erstmals erschienen in Tichys Einblick.

Photo: fleetingpix from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die größte gesellschaftliche Herausforderung ist derzeit der wachsende Protektionismus auf der Welt. Darin kommen Abschottungshaltung und Kleingeistigkeit zum Ausdruck. Die Anti-TTIP und Anti-Ceta-Bewegungen zeigen das ebenso wie die Botschaften der Parteien am linken und rechten Rand. Hier wird mit Umwelt-und Verbraucherschutz argumentiert und dort mit der Sicherung von Arbeitsplätzen. Auf beiden Seiten wird mit Angst Politik gemacht. Doch Angst ist meist ein schlechter Ratgeber.

Nicht nur die Freihandelsabkommen mit anderen Wirtschaftsräumen werden zunehmend bekämpft. Auch der Umgang mancher Europäer mit Großbritannien nach der Brexit-Entscheidung war ein Beleg für den wachsenden Protektionismus. Wenn der scheidende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz den Briten vor der Brexit-Entscheidung drohte, es gebe in der EU nur alles oder nichts, dann hat er seinen Teil zum Brexit-Votum aktiv beigetragen. Die EU und ihr Binnenmarkt ist für viele Länder aus Afrika und den Schwellenländern wie eine Wagenburg: Nur mit Zöllen und Eintrittsgeldern kommt man mit seinen Waren und Dienstleistungen hinein. Eigentlich müsste die EU ein Vorbild für Freihandel nicht nur im Inneren sein, sondern auch nach außen. Das wäre endlich mal eine positive Botschaft der EU, wo sie zudem einseitig und rasch Handlungsfähigkeit beweisen könnte. Sie müsste – und könnte! – ihre Grenzen einseitig öffnen und so als positives Beispiel wirken, damit andere auf dieser Welt eingeladen werden, gleiches zu tun.

Leider hat die große Idee des Freihandels in Deutschland und Europa keine Lobby. Das war schon einmal so: Vor 180 Jahren herrschte in ganz Europa Protektionismus und Nationalismus. Dem haben sich Leute wie Richard Cobden, Frederic Bastiat, John Prince-Smith und später auch Hermann Schulze-Delitsch und Eugen Richter entgegengestellt. Sie haben eine Graswurzelbewegung in Gang gesetzt, die angefangen in Großbritannien über Frankreich und Deutschland den Freihandel in die ganze Welt getragen haben. Sie waren für Freihandel, weil er gerade den Armen und Benachteiligten half und die Hungersnot der damaligen Zeit bekämpfte. Und sie waren für Freihandel, weil er ein Garant des Friedens ist. Richard Cobden sagte über den Freihandel: „der Freihandel wird unweigerlich, indem er die wechselseitige Abhängigkeit der Länder untereinander sichert, den Regierungen die Macht entreißen, ihre Völker in den Krieg zu stürzen.“ Freihandel ist Friedenspolitik.

Die heutigen Gegner des Freihandels sind bestens vernetzt und stellen bald sogar den US-Präsidenten. Diese Entwicklung muss Freunden der Freiheit Sorge bereiten. Trump hat bereits angekündigt, dass er am ersten Tag seiner Präsidentschaft das Transpazifische Handelsabkommen TTP kündigen wird. TTIP liegt damit ebenfalls erstmal auf Eis. Ob CETA von allen Parlamenten in Europa ratifiziert wird, muss sich erst noch zeigen. Das heißt konkret zum Beispiel: Von links wie von rechts wird bis zum Schluss gekämpft, um schlechtere Abgaswerte für Autos in Europa zu verteidigen.

Mit Trumps Präsidentschaft wird ein Trend gesetzt, dessen Wirkung wir erst in einigen Jahren spüren werden – weltweit gesellen sich immer mehr Politiker dem Abschottungslager bei. Es braucht eigentlich wieder eine Graswurzelbewegung im Cobdenschen Sinne, die gegen diesen Trend ankämpft. Der Freihandel braucht eine Lobby, eine Stimme, die klar und unverwechselbar für die Marktwirtschaft und den friedlichen Austausch von Waren und Dienstleistungen streitet. Wo ist diese Lobby? Außer einigen Anzeigen in den Gazetten ist Funkstille im Land des Exportweltmeisters.

Selbst die Kritiker dieser Freihandelsabkommen, die aus der marktwirtschaftlichen Ecke kommen, müssten doch erkennen, dass die Alternative nicht heißen wird: ein Freihandelsabkommen auf einer Seite Papier oder TTIP beziehungsweise CETA auf vielen tausend Seiten. Nein, die Alternative wird heißen: entweder TTIP oder CETA auf der einen Seite oder Zölle, Markteintrittsbarrieren und Abschottung auf der anderen Seite. Die Alternative heißt: ein Zugewinn an Freiheit oder neue Mauern, Zäune und Wirtschaftskriege.