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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Subventionen verzerren das Anreizsystem des Marktes und sollten deshalb so gering wie möglich gehalten werden. Doch wenn aus politischer Sicht kein Weg um Subventionen führt, sollten es eher selektive Steuersenkungen statt Finanzhilfen sein. Allgemeine Steuersenkungen bleiben jedoch der höchste Trumpf.

Privatpersonen und Unternehmen kamen 2015 in den Genuss von rund 170 Milliarden Euro an Subventionen. Etwas mehr als ein Drittel der Subventionen erfolgte dabei in Form selektiver Steuervergünstigungen. Hinsichtlich ihrer Wohlfahrtswirkungen sind diese ambivalent: Anders als die in der Regel schädlich wirkenden direkten Finanzhilfen können selektive Steuervergünstigungen langfristig zum Abbau eines überbordenden Staatshaushalts sowie der Steuerquote beitragen. Obwohl sie ebenso wie direkte Finanzhilfen Privilegiencharakter haben, sind Steuervergünstigungen daher Finanzhilfen vorzuziehen. Wann immer möglich, sollten jedoch allgemeine Steuersenkungen erwogen werden, die anders als selektive Vergünstigungen keine Allokationsverzerrung hervorrufen.

Subventionsstaat Deutschland

Der deutsche Staat subventioniert zahlreiche Wirtschaftssektoren und gesellschaftliche Gruppen. Laut Subventionsbericht der Bundesregierung machten Subventionen 2016 etwa 0,7 % des BIP aus. Diese Zahl dürfte allerdings zu niedrig gegriffen sein. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft kommt in seinem neuesten unabhängigen Subventionsbericht, der einen breiteren Subventionsbegriff verwendet, für das Jahr 2015 auf rund 6 % des BIP – das sind fast 170 Milliarden Euro.

Etwa 64 % der Subventionen werden in Form von direkten Finanzhilfen ausgeschüttet. Die restlichen 36 % erfolgen als selektive Steuervergünstigungen, in deren Genuss privilegierte Unternehmen und Privatpersonen gelangen.

Subventionen: So gering wie möglich halten

In der sozialen Marktwirtschaft sollten Subventionen grundsätzlich so gering wie möglich ausfallen, da sie stets mit Anreizverzerrungen verbunden sind, die Verhaltensänderungen hervorrufen und so die gesellschaftliche Wohlfahrt schmälern können. Gerechtfertigt sind sie nur dann, wenn ihre Kosten durch positive Konsequenzen mehr als aufgewogen werden – etwa durch die Verwirklichung wichtiger verteilungspolitischer Ziele oder um Marktversagen zu korrigieren.

Direkte Finanzhilfen werden häufig anders bewertet als selektive Steuererleichterungen. Unter Liberalen ist die von Milton Friedman formulierte Vorstellung verbreitet, dass „Steuersenkungen immer und unter allen Umständen wünschenswert“ sind. Viele Kommentatoren auf der linken Seite des politischen Spektrums halten selektive Steuervergünstigungen dagegen – anders als ebenfalls selektiv wirkende direkte Finanzhilfen – für ein grundsätzliches Problem.

Finanzhilfen und Steuererleichterungen: Wirkung auf den Staatshaushalt unterschiedlich

Die unterschiedliche Bewertung beider Subventionsformen mag verwundern, wirken diese aus ökonomischer Sicht in erster Annäherung doch gleich. Will der Staat Ressourcen von einer Gruppe zu einer anderen Gruppe umverteilen, so ist es zunächst irrelevant, ob die Subvention in Form einer direkten Finanzhilfe oder einer selektiven Steuervergünstigung erfolgt. In beiden Fällen wird einer speziellen Gruppe ein geldwertes Privileg verschafft, das durch eine höhere Belastung anderer Gruppen – über höhere Steuern und Schulden und/oder niedrigere Transfers – finanziert werden muss. Beide Formen der Subvention können darüber hinaus allokationsverzerrend wirken, wenn sie etwa lediglich Spezialinteressen bedienen.

Es ist jedoch zu erwarten, dass sich die präferierte Form der Subvention langfristig unterschiedlich auf den Staatshaushalt auswirkt. Zusätzliche direkte Finanzhilfen gehen in der Regel nicht mit Ausgabensenkungen gleicher Höhe an anderer Stelle einher und lassen tendenziell die Staatsausgaben sowie die Steuerlast wachsen. Zusätzliche selektive Steuervergünstigungen hingegen gehen in der Regel nicht mit zusätzlichen Steuereinnahmen gleicher Höhe an anderer Stelle einher und tragen so tendenziell zur Senkung der Staatsausgaben sowie der Steuerlast bei.

Allgemeine Steuersenkungen sind vorzuziehen

Niedrigere Steuereinnahmen sind begrüßenswert, denn sie gehen mit mehr direkter Kontrolle einzelner Mitgliedern der Gesellschaft über die Verwendung realer Ressourcen einher. Angesichts ihres Privilegiencharakters und der potenziell allokationsverzerrenden Wirkung sind selektive Steuervergünstigungen allerdings nur bedingt als Mittel zur Senkung der Steuerquote geeignet. Vorzuziehen wären stets allgemeine, gleichmäßig verteilte Steuersenkungen mit allokationsentzerrender Wirkung.

Beispiele Erbschaftsteuer und Pendlerpauschale

Die Erbschaftsteuer illustriert die ambivalente Rolle selektiver Steuervergünstigungen. Umfangreiche Ausnahmeregelungen für sogenannte Familienunternehmen verschaffen diesen ein Privileg und senken das Steueraufkommen und damit die Ausgaben des Staates. Die Ausnahmeregelungen bewirken darüber hinaus, dass Investments in Familienunternehmen relativ zu Investments in Nicht-Familienunternehmen, etwa Aktiengesellschaften in Streubesitz, attraktiver werden – eine Anreizverzerrung, die durch eine allgemeine Senkung der Erbschaftsteuer verringert werden könnte.

Auch die sogenannte Pendlerpauschale stellt eine selektive Steuervergünstigung dar. Für viele Arbeitnehmer ist sie ein Instrument zur Reduzierung der Steuerlast. Sie ist direkten Finanzhilfen zur Subvention des Berufsverkehrs vorzuziehen. Hinsichtlich der Wohn- und Arbeitsplatzwahl induziert sie jedoch Fehlanreize, die sich in auf Autobahnen verbrachter Lebenszeit, höherem Ressourcenverbrauch und der Notwendigkeit von Infrastruktur in entlegenen Wohnorten äußern. Würde die Pendlerpauschale durch eine aufkommensneutrale Einkommensteuersenkung ersetzt, könnten diese Fehlanreize vermieden werden.

Direkte Finanzhilfen abbauen

Allgemeine Steuersenkungen sind der Königsweg zur Senkung der Steuerquote, da sie im Gegensatz zu selektiven Steuererleichterungen eindeutig allokationsentzerrend wirken und einzelnen Gruppen keine Privilegien verschaffen. Doch auch selektive Vergünstigungen können einen Beitrag zum Abbau eines überbordenden Staatshaushalts leisten. Wo eine Abschaffung bestehender direkter Finanzhilfen nicht erzielt werden kann, ist folglich eine Umwandlung in entsprechende selektive Steuererleichterungen wünschenswert.

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo: Victor Ramos from Flickr (CC BY 2.0)

Donald Trump macht ernst und zettelt einen Handelskrieg mit Europa an. Anstatt wiederum erbost und genauso schädlich mit eigenem Protektionismus zu antworten, sollte sich die EU auf Ihre Wurzeln besinnen. Und diese liegen im Freihandel.

Lange haben die Regierungen und Wirtschaftsführer in Europa die Ankündigungen Donald Trumps nicht besonders ernst genommen. Noch beim Weltwirtschaftsforum in Davos umgarnten die Industriebosse den US-Präsidenten und schmeichelten ihm mit Investitionsankündigungen in den Vereinigten Staaten. Trump ist ein geschickter Verhandler und Taktierer. Er stellt Maximalforderungen in den Raum, weil er weiß, dass die europäischen Unternehmen auf den amerikanischen Markt nicht verzichten können. Sie werden sich arrangieren.

Jetzt lässt er seinen Ankündigungen Taten folgen. Mit Zöllen für Stahl- und Aluminiumimporte von 25 bzw. 10 Prozent will er die heimische Industrie schützen. Diese Unberechenbarkeit von Donald Trump macht ihn fast schon wieder berechenbar. Er bricht mit traditionellen Denkmustern, die einen republikanischen Präsidenten eher auf der Seite der Marktwirtschaft und des Freihandels sehen würden. Das aber macht er konsequent und ohne Rücksicht auf Verluste. Dass deshalb letztlich gute Leute aus seinem Umfeld von Bord gehen, nimmt er billigend in Kauf. Nicht erst seit den Tweets von Donald Trump, sondern bereits seit den Protestbewegungen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA, weht ein kalter Hauch des Protektionismus und der nationalen Abschottung über den Globus. Die Geister, die die Protestler seit Jahren rufen, kommen jetzt aus der Flasche.

Die Frage ist, wie die EU und Deutschland auf diese Provokationen reagieren sollen: Gleiches mit Gleichem vergelten und ebenfalls neue Schutzzölle erheben? Und falls ja, sollten die Europäer mit Pauschalbeschränkungen antworten oder lieber eine Politik der Nadelstiche verfolgen, indem sie dort ansetzen, wo es wichtigen republikanischen Abgeordneten und Senatoren besonders weh tut? Letzteres ist wohl die Strategie, die die EU-Kommission verfolgt. Nicht der Säbel, sondern das Florett. Angedacht sind Zölle auf Harley-Davidson-Motorräder, Jeans, Erdnussbutter, Orangensaft und Mais. Die Mischung scheint doch etwas willkürlich, aber das ist wohl systemimmanent. Denn Eingriffe des Staates in den freien Warenaustausch sind immer willkürlich. Sie hindern Einzelne, die Waren und Dienstleistungen miteinander auszutauschen, die sie präferieren. Das ist immer schlecht, weil es Menschen in ihrer Freiheit einschränkt.

So schlimm es ist, dass amerikanische Kunden künftig für Stahl und Aluminium mehr bezahlen müssen und gleichzeitig europäische Stahl- und Aluminiumhersteller in Europa unter Preisdruck geraten, weil die Angebotsmenge dort zunimmt, so völlig absurd ist es, welche Konsequenzen das in der Logik der EU-Kommission hat. Die Kommission plädiert als „Gegenmaßnahme“ dafür, dass Harley-Davidson-Fans plötzlich in Europa mehr für ihr Motorrad bezahlen müssen und der Orangensaft teurer wird. Und was hat Aluminium mit Orangensaft zu tun? Beide Waren miteinander zu verbinden, verschlimmbessert sogar die Situation. Erst kommen die heimischen Stahl- und Aluminium-Hersteller unter Preisdruck und zusätzlich müssen heimische Käufer mehr für Orangensaft bezahlen.

Und warum müssen Harley-Davidson-Fans darunter leiden, wenn an anderer Stelle falsche politische Entscheidungen getroffen werden? Welch absurde Logik! Vielleicht steckt hinter den von Jean-Claude Juncker empört angekündigten Gegenmaßnahmen aber auch etwas sehr Simples: die Haushaltssituation der EU. Denn sie vereinnahmt die Zölle und das ist nicht ganz unerheblich. 15,2 Prozent (20 Mrd. Euro in 2016) der Einnahmen der EU sind Zölle. Zölle sind faktisch die einzige Einnahmequelle, die die EU in ihrer Höhe beeinflussen kann. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Was wäre eine angemessene Reaktion auf die Schutzzölle der USA? Das genaue Gegenteil jeglicher neuer Handelsbeschränkungen, nämlich deren Beseitigung auf europäischer Ebene. Kurz: auf die Ankündigung von 10 Prozent Zoll für Aluminiumhersteller sollte die EU mit einem Abbau des zehnprozentigen Zolls auf Automobilimporte reagieren. Es würde amerikanische Autos in Europa billiger machen und damit die Konsumentenfreiheit erhöhen. Die heimischen Hersteller sollten diesen Wettbewerb selbstbewusst annehmen. Sie wollen sicherlich auch keine staatlichen Preisverzerrungen im eigenen Land.

Das wäre ein Bekenntnis zu Europa! Denn eine solche Reaktion stünde in einer großen europäischen Tradition. 1860 vereinbarten Großbritannien und Frankreich wohl das erste Freihandelsabkommen überhaupt. Darin verzichtete Großbritannien einseitig auf alle Importzölle französischer Waren. Frankreich war nicht ganz so schnell, sondern reduzierte seine Zölle lediglich in zwei Schritten. Es war der Beginn einer Freihandelsbewegung, die sich über Europa und letztlich über die ganze Welt verbreitete und die zum globalen Wohlstand entscheidend beigetragen hat. Es braucht also keinen Gleichklang, kein Zug um Zug oder “Tit for tat“. Es braucht nur die Erkenntnis, dass Schutzzölle in erster Linie den Bürgern im eigenen Land schaden, die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen erlahmen lassen und konsequenter Freihandel zutiefst europäisch ist. Wer hätte das gedacht?

Photo: Unspalsh/Dan Watson

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Die gemeinsame Währungspoltik im Euroraum sorgt für einen einheitlichen Leitzins. Das führt zu großen Problemen, denn die Volkswirtschaften der Eurozone sind zu heterogen dafür. Während er für die einen zu niedirg ist, ächzen die anderen unter der Höhe des EZB-Zinses. Der sogenannte Taylor-Zins macht das Dilemma deutlich.

Seit Einführung des Euros im Jahr 1999 setzt die Europäische Zentralbank den Hauptrefinanzierungssatz für die gesamte Eurozone und legt damit fest, zu welchen Konditionen Geschäftsbanken bei ihr Kredite aufnehmen können. Da die Geschäftsbanken die ihnen gewährten Konditionen an ihre Kunden weitergeben, beeinflusst die EZB über den umgangssprachlich auch als Leitzins bezeichneten Hauptrefinanzierungssatz das Ausmaß der Kreditschöpfung und damit auch die konjunkturelle Entwicklung aller Länder der Eurozone.

Spätestens seit Beginn der Finanzkrise 2008 mehrt sich Kritik an der einheitlichen Zinssetzung der EZB. So halten viele deutsche Kommentatoren den Zinssatz für zu niedrig, während andere vor den negativen Folgen höherer Zinsen für die südeuropäischen Krisenstaaten warnen. Angesichts der Größe der Eurozone und der Verschiedenheit der in ihr zusammengefassten Volkswirtschaften ist es nicht überraschend, dass die einheitliche Geldpolitik zu keinem Zeitpunkt vollständig auf die Bedürfnisse aller Mitgliedsländer abgestimmt ist.

Die Taylor-Regel bietet eine Möglichkeit, um einzuschätzen, wie stark die Diskrepanz zwischen den geldpolitischen Bedürfnissen der Eurozonenstaaten ausfällt. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass Geldpolitik die Auswirkungen von Zinsänderungen sowohl auf die Inflationsrate als auch auf die konjunkturelle Entwicklung berücksichtigen sollte.

Berechnungen für einige Länder der Eurozone offenbaren starke Abweichungen zwischen dem landesspezifischen Taylor-Zinssatz und dem einheitlichen EZB-Leitzins. Auch 20 Jahre nach Gründung der EZB gibt es weiterhin wenig Anzeichen dafür, dass die Eurozone einen optimalen Währungsraum formt. Deshalb ist zu erwarten, dass der einheitliche Leitzins der EZB auch in Zukunft zu hohen Kosten für die betroffenen Volkswirtschaften führen wird – inklusive weiterer kreditinduzierter Booms und Busts.

Leitzins seit 1999: Von fast 5 % auf 0 %

Mit ihrer Geldpolitik verfolgt die EZB primär das Ziel, das Preisniveau in der Euro-Zone stabil zu halten – in der Praxis strebt sie eine Inflationsrate von 2 % an. Sofern sie die Preisniveaustabilität dabei nicht gefährdet, unterstützt die EZB laut AEU-Vertrag ferner die allgemeinen wirtschaftspolitischen Ziele der EU.

Der Hauptrefinanzierungssatz ist das wichtigste Instrument der EZB. Sie hat ihn seit Einführung des Euros 1999 vielfach angepasst. Lag er 1999 bei 3 %, stieg er im Laufe des Jahres 2000 auf ein Maximum von 4,75 %. Bis 2003 senkte die EZB den Satz auf 3 %, hob ihn anschließend bis Mitte 2008 aber wieder auf 4,25 % an. Seit Krisenausbruch sank der Hauptrefinanzierungssatz. 2016 erreichte er 0 %.

Optimale Sätze nach der Taylor-Regel

Ob die Geldpolitik der letzten Jahre für die Preisentwicklung und die konjunkturelle Lage in den Euro-Staaten angemessen war, wird kontrovers diskutiert. Eine Möglichkeit zur Einschätzung bietet die nach dem Ökonom John Taylor benannte Taylor-Regel. Laut dieser sollte die Zentralbank die Abweichung der aktuellen Inflationsrate von der erwünschten Inflationsrate sowie die konjunkturelle Situation berücksichtigen.

Wird mit π die aktuelle Inflationsrate, mit r der reale Gleichgewichtszins und mit y_gap die prozentuale Abweichung des realen Bruttoinlandprodukts von seinem langfristigen Potential – die sogenannte Outputlücke – bezeichnet, so lautet die Taylor-Regel in ihrer ursprünglichen Form:

i=π+r+0,5y_gap+0,5(π-2)
Die Taylor-Regel basiert auf der Erkenntnis, dass ein niedriger Leitzins stimulierend wirken kann. Niedrige Zinsen können Investitionen und den Konsum staatlicher sowie privater Akteure anregen und so zu steigenden Preisen beitragen. Je niedriger das derzeitige Outputniveau und je niedriger die aktuelle Inflationsrate, desto niedriger fällt der aus der Anwendung der Taylor-Regel resultierende Leitzins aus.

Abweichende Taylor-Zinsen für Euroländer

Mittels Daten des Internationalen Währungsfonds lässt sich der Taylor-Zinssatz für die Eurozonen-Länder berechnen. Als Indikator für den Gleichgewichtszins eines Landes verwenden wir das durchschnittliche Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts einzelner Länder zwischen 1980 und 2010.

Deutlich wird, dass der Hauptrefinanzierungssatz der EZB von 1999 bis zu Beginn der Krise 2009 nahe am für Deutschland optimalen Taylor-Zinssatz lag, wenngleich er ab 2004 auch aus deutscher Sicht zunehmend zu niedrig ausfiel.

2000er: Zu niedrige Zinsen für boomende Länder Südeuropas

Für einige Länder Südeuropas, in denen vor allem in den 2000er Jahren das Bruttoinlandsprodukt deutlich über dem langfristigen Potential und die Inflationsraten deutlich über dem Ziel von 2 % lagen, war der durch die EZB gesetzte Zins dauerhaft deutlich zu niedrig.

So wäre beispielsweise in Griechenland während der Boom-Jahre vor Ausbruch der Finanzkrise nach der Taylor-Regel ein deutlich höheres Zinsniveau angemessen gewesen – 2008 betrug die Differenz 8,6 Prozentpunkte. Die aus Sicht Griechenlands zu niedrigen Zinsen haben maßgeblich zur exzessiven Verschuldung beigetragen, die das Mittelmeerland bis heute belastet.

Wie in Griechenland dürften die relativ zum Taylor-Satz zu niedrigen Zinsen in den Vorkrisenjahren auch in Portugal, Spanien und Irland sowie in geringerem Maße in Frankreich und Italien zu exzessiver Kreditaufnahme durch private und/oder staatliche Akteure geführt haben.

Nach 2009: Zu niedrige Zinsen für Irland und Deutschland

Im Krisenjahr 2009 hätte Deutschland gemäß der Taylor-Regel kurzfristig eine stärkere Zinssenkung benötigt, doch seit 2010 liegt der Zins niedriger als die Taylor-Regel empfiehlt – 2011 betrug die Differenz 4 Prozentpunkte. Der Taylor-Regel folgend liegt das Zinsniveau aus griechischer Sicht hingegen seit 2012 zu hoch – für Griechenland wäre ein negativer Nominalzinssatz angemessen.

Heute befinden wir uns folglich noch immer in einer Situation, in der der einheitliche Leitzins der EZB vom länderspezifischen Taylor-Zins abweicht. Derzeit gehören Deutschland und Irland gemäß der Taylor-Regel zu den Ländern für die der Zins der EZB deutlich zu niedrig ist.

Krisenanfälligkeit bleibt

Langfristige Untersuchungen zeigen, dass niedrige Leitzinsen zu den zentralen Ursachen für durch übermäßiges Kreditwachstum ausgelöste Wirtschaftskrisen gehören. Der zwangsläufig für alle Länder der Eurozone einheitliche Leitzins der EZB hat also das Potential, in Ländern, für die er zu niedrig ist, kreditinduzierte Krisen hervorzurufen. Gleichzeitig hemmt er in jenen Ländern die wirtschaftliche Aktivität, für die der Zins zu hoch ausfällt. Fast 20 Jahre nach Gründung der EZB ist eine einheitliche Geldpolitik für die gesamte Eurozone auch aus diesen Gründen weiterhin nicht sonderlich attraktiv.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Rich Dahlgren from Unsplash (CC 0)

Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Es war zu erwarten, dass das Projekt einer europäischen Einlagensicherung nach der Bundestagswahl wiederbelebt werden würde. Auch Wolfgang Schäuble war ja schon vor der Wahl für diese Ideen aufgeschlossen gewesen. Er hatte lediglich darauf bestanden, dass die Zeit noch nicht reif sei und dass dafür eine Vertragsänderung nötig sei. Nun hat Peter Altmaier als geschäftsführender Finanzminister und ehemaliger Kommissionsbeamter das Entscheidungsverfahren in Gang gebracht. Er will einen „Fahrplan“ aufstellen. Bis zum Sommer wollen die Finanzminister der Eurozone die Bedingungen festlegen, unter denen die Einlagensicherung beginnen kann und soll. Vier Kriterien sollen darüber Aufschluss geben, ob oder inwieweit die Risiken der Banken in allen Euroländern auf ein vergleichbares Niveau gesunken sind: 1. die notleidenden Kredite, 2. die von den Banken gehaltenen Staatsanleihen, 3. die Angleichung des Insolvenzrechts, 4. die Umsetzung der Bail-in-Vorschriften. Diese vier Konvergenzkriterien sollen näher definiert und dann angewendet werden.

Mangel an Risikovorsorge

Es besteht weithin Einigkeit, dass das Insolvenzrisiko der Banken in Europa heute vor allem vom Umfang der notleidenden Kredite abhängt. In dieser Hinsicht bestehen auch die größten Unterschiede. Notleidende Kredite sind kein Problem für die Einlagensicherung, soweit die Banken sie offen ausweisen und eine angemessene Wertberichtigung und Risikovorsorge vornehmen. Aber das ist oft nicht der Fall. Diejenigen, die die Kredite vergeben haben, sind versucht, Geld nachzuschießen, damit der eigentlich insolvente Kreditnehmer seinen Schuldendienst weiter leisten kann und der eigene Fehler nicht offenbar wird. Solche faulen Kredite wird die europäische Bankenaufsicht nur in den seltensten Fällen entdecken. Man könnte sie anhand gesamtwirtschaftlicher Indikatoren wie Insolvenzquote, Rückgang der Immobilienpreise und Auslastung der Sachkapazitäten schätzen. Aber Peter Altmaier weiß selbst am besten, dass das politisch nicht durchsetzbar ist. Das Problem der verdeckten faulen Kredite ist schlicht nicht lösbar. Das sollte zu denken geben.

Wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt, einen faulen Kredit als notleidend auszuweisen, hat die Bank ein Interesse daran, eine zu geringe Wertberichtigung und Risikovorsorge vorzunehmen, denn die Risikovorsorge geht zu Lasten des Eigenkapitals. Mit kreativer Buchführung ist zu rechnen. Deshalb ist der Umfang der als notleidend ausgewiesenen Kredite ein Indikator der nicht abgedeckten Bankrisiken und sollte sich in den Beitragsätzen der Einlagenversicherung maßgeblich niederschlagen.

Um effizient zu sein müsste die Einlagensicherung Beitragssätze vorsehen, die einigermaßen risikogerecht sind. Wahrscheinlich würde das Insolvenzrisiko so – oder ähnlich – berechnet werden, wie es der Einheitliche Abwicklungsausschuss der Eurozone bereits für seinen Bankenabwicklungsfonds tut. Deshalb ist von erheblichem Interesse, inwieweit das Ausmaß der als notleidend ausgewiesenen Kredite in der Risikokomponente berücksichtigt wird, die der Abwicklungsausschuss bei der Berechnung seiner Beitragssätze zugrunde legt.

Risiken berechnen

Die Risikokomponente – ein Multiplikator – wird als gewichteter Durchschnitt von im Regelfall elf Indikatoren berechnet. Dabei geht es um Kapitalquoten, Liquiditätsquoten, Verschuldungsquoten, Handelsbestände, außerbilanzielle Positionen, Derivate usw. Die notleidenden Kredite sind nicht darunter. Einige wenige Indikatoren – z. B. die Kapitalquoten – hängen zwar unter anderem von den Wertberichtigungen und der Risikovorsorge ab, aber eher schwach und geringer als von anderen Einflüssen. Ihr Gewicht ist nicht sehr groß.

Es kommt hinzu, dass die Spannweite des Risikomultiplikators künstlich beschränkt wird. Der größtmögliche Wert wird mit 1,5, der geringstmögliche mit 0,8 festgesetzt. Das bedeutet, dass die Risikokomponente für die Banken der höchsten Risikoklasse noch nicht einmal doppelt so groß sein darf wie für die niedrigste Risikoklasse. In der Einlagensicherung der USA (FDIC) kann die höchste Risikokomponente dagegen das 18-fache der niedrigsten betragen. 2017 betrug der Anteil der als notleidend ausgewiesenen Kredite an der gesamten Kreditsumme 47 Prozent in Griechenland, 34 Prozent in Zypern, 18 Prozent in Portugal, 14 Prozent in Slowenien und 12 Prozent in Irland und Italien – aber nur zwei Prozent in Deutschland. Im Durchschnitt der Eurozone liegt der Anteil bei 5,15 Prozent – also ebenfalls deutlich höher als in Deutschland. Vergleicht man die einzelnen Banken in der Eurozone, so ist die Spanne zwischen den riskantesten und den stabilsten noch viel größer. Damit ist klar: die soliden Banken subventionieren von vorneherein die unsoliden.

Rat und Parlament haben die Risikoindikatoren des europäischen Abwicklungsfonds ausgewählt. Die Kommission hat die Gewichte und die Spanne im Rahmen einer delegierten Verordnung (2015/63) mit einfacher Mehrheit festgelegt. Sie kann die Gewichte und die Spanne auch mit einfacher Mehrheit ändern. Sie könnte zum Beispiel die Spanne weiter komprimieren, um die Banken in den exponiertesten Ländern (auf Kosten der anderen) noch stärker zu entlasten. Der Rat kann die Delegation nur mit qualifizierter Mehrheit widerrufen (Art. 290 Abs.2 AEUV). Das Übereinkommen über den Abwicklungsfonds (Rat 8457/14) kann zwar bei einer grundlegenden Änderung der Umstände gekündigt werden, aber über die Frage, ob sich die Umstände durch die Novellierung  grundlegend geändert haben, würde der Gerichtshof der Europäischen Union entscheiden (Art. 9 des Übereinkommens). Für die Banken der stabileren Länder und ihre Kunden – die Sparer – lauert hier ein beachtliches Risiko.

Wenn die Beitragssätze nicht risikogerecht sind, womit auch in der europäischen Einlagenversicherung zu rechnen ist, werden die Anreize der Banken verzerrt: sie gehen zu hohe Risiken ein. Wenn der Beitragstopf der Einlagensicherung – wie der Abwicklungsfonds – erst allmählich aufgefüllt wird, womit ebenfalls zu rechnen ist, besteht außerdem ein Anreiz, die Restrukturierung der maroden Banken aufzuschieben, bis der Topf sein endgültiges Volumen erreicht hat und die Kosten der Insolvenzen in größtmöglichem Umfang auf die anderen Euroländer abgewälzt werden können. Beides erhöht die Gefahren.

Abwicklungsfonds und Einlagensicherung werden damit begründet, dass die Risiken in einer größeren Versicherung stärker diversifiziert werden können. Aber es gibt – wie wir sehen – in diesem Fall gewichtigere Gründe, die gegen eine größere Versicherung sprechen. Auch im Markt ist nicht unbedingt die größte Versicherung die beste. Fast immer können sich mehrere Versicherungen halten. Nationale Einlagensicherungen gibt es bereits. Zentralisierung kann schaden.

Frühe Warnung

Schon 2012 haben 279 Wirtschaftsprofessoren davor gewarnt, die Haftungsunion auf den Bankensektor auszudehnen. Die Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU und SPD haben die europäische Einlagensicherung am 04.11.15 in einem gemeinsamen Entschließungsantrag strikt abgelehnt. Ihre Parteifreunde im Europäischen Parlament hat das allerdings nicht davon abgehalten, im März 2016 für das Projekt zu stimmen.

Letzten Monat hat eine Gruppe von vierzehn französischen und deutschen Wirtschaftsprofessoren in einer gemeinsamen Erklärung dafür geworben, die europäische Einlagensicherung im Rahmen eines Verhandlungspakets zu beschließen, das auch zwei sinnvolle Reformen enthält: auch für Staaten soll es eine Insolvenzordnung geben, und auch Staatsanleihen sollen von den Banken in gewissem Umfang mit Eigenkapital hinterlegt werden. Diese beiden Reformen würden allen beteiligten Ländern nützen. Sie stellen daher nicht einen Nachteil dar, für den die schwächeren Volkswirtschaften entschädigt werden müssten – zum Beispiel, indem die anderen in einer gemeinsamen Einlagensicherung Haftung übernehmen. Das Paket der Professorengruppe ist daher kein Tauschgeschäft.  Außerdem darf man in der Einlagensicherung nicht nur das Verteilungsproblem sehen. Eine Zwangsversicherung, deren Beitragssätze bei weitem nicht risikogerecht sind, ist ineffizient und gehört daher in kein wie auch immer geartetes Verhandlungspaket.

Dieser Beitrag ist am 03.03.2018 in der Börsen-Zeitung erschienen.

Photo: Daniel von Appen from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Helge Gondesen, Rechtsanwalt.

Seit Einführung des flächendeckenden Zwangsbeitrages zur Finanzierung des staatlich organisierten Rundfunks im Jahr 2013 wehrt sich die Bevölkerung mit unzähligen Klagen. Diese richten sich gegen die Zahlung, ihre Höhe, die Art der Erhebung, die Frage, ob es sich um eine Steuer handelt, die Zahlungsmodalitäten, die Verwendung bzw. Verschwendung der Mittel etc. Das zugrundeliegende Problem ist jedoch das Betreiben der Öffentlichen selbst. Wenn man ein Recht des Staates anerkennt, ein System des öffentlichen Rundfunks zu betreiben –wie „staatsfern“ organisiert auch immer– dann muss der Staat auch die Mittel aufbringen dürfen, um diesen zu finanzieren. Wem ist gedient, wenn der Zwangsbeitrag abgeschafft, aber die Steuern entsprechend erhöht und das Ganze einfach aus allgemeinen Steuermitteln finanziert wird? Deshalb drängt sich auf zu betrachten, ob der Staat überhaupt berechtigt ist, einen quasi-staatlichen Rundfunk in dem vorhandenen Ausmaß zu betreiben und dessen Finanzierung durch die Bevölkerung zu erzwingen.

Eine deutliche Einschränkung des Umfangs der Öffentlichen oder sogar die Abschaffung in seiner gegenwärtig bestehenden Form haben in der letzten Zeit viele Stimmen gefordert. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium von 2014 („Öffentlich-rechtliche Medien, Aufgaben und Finanzierung“) hat eine Rückführung auf ein Subsidiaritätsprinzip gefordert. Der bayerische Ministerpräsident hat 2016 („ein nationaler Sender reicht“) und der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt 2017 („das Öffentlich-Rechtliche ist Westfernsehen geblieben“) das System kritisiert. Die wenigen freien Wettbewerber fühlen sich in ihrer Existenz bedrängt, z.B. die RTL-Chefin Schäferkordt („Die Marktverzerrung muss endlich eingedämmt werden“). Ein von Prof. Dr. Haucap und anderen im Auftrag von Prometheus – Das Freiheitsinstitut erstelltes Gutachten aus dem Jahr 2015 stellt fest: „Deutschland hat den größten und teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Welt“ Dieser strebt nach weiterer „Expansion und aktiver Verdrängung privater Inhalte“. Das Vertrauen der Bundesbürger in die öffentlich-rechtlichen Medien ist im vergangenen Jahr weiter gesunken. Wie aus einer neuen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL hervorgeht, haben nur noch 28 % (nach 36% im Vorjahr) der Befragten Vertrauen in das Fernsehen.

Was sagt unsere Verfassung?

In Deutschland muss jedes von den Parlamenten erlassene Gesetz und jeder Staatsvertrag zwischen den Ländern mit der Verfassung vereinbar sein. Wenn die gesetzlichen Grundlagen der Öffentlichen gegen das Grundgesetz oder die Menschenrechte verstoßen, sind sie nichtig. Lässt man die Äußerungen und Urteile der Richter und die Meinungen der sonstigen Vertreter des Staates einmal unbeachtet und betrachtet nur den Wortlaut der Verfassung und der dazugehörigen Menschenrechte, zeigt der neutrale juristische Befund: Der Betrieb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung ist verfassungswidrig und damit unzulässig.

Rundfunk ist das Verbreiten geistiger Botschaften mit technischen Mitteln an eine unbestimmte Anzahl von Empfängern. Der Inhalt ist beliebig. Dies können Botschaften aller Art sein, z.B. Tatsachenbehauptungen oder Meinungen, Ideologien, Satire und Unterhaltung, die durch Sprache oder Text, Töne oder Bilder vermittelt werden. Eine von staatlichen Stellen nicht behinderte Verbreitung geistiger Botschaften wird von allen Seiten als ein unverzichtbares Merkmal freiheitlicher, rechtsstaatlicher Gesellschaften angesehen, auch (in Lippenbekenntnissen) von den Befürwortern staatlicher Reglementierung und staatlichen Zwangs. Die besten Ideen und Konzepte für die Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft  können sich nur in einen freien Austausch der Informationen, Erkenntnisse und Meinungen durchsetzen. Deshalb drängt es sich auf, dass eine Behinderung des freien Austausches und der Verbreitung geistiger Botschaften für den Bestand und dauerhaften Erfolg einer Gesellschaft schädlich sein muss. Aus diesem Grund ist gegenüber jeder Art von Einmischung in den freien Austausch, insbesondere einer Behinderung, Reglementierung oder Organisierung der Verbreitung geistiger Botschaften durch den Staat, äußerste Zurückhaltung geboten. Die letzten 2000 Jahre europäischer Geschichte haben dies immer wieder bestätigt.

Nicht zuletzt deshalb haben, unter dem noch unverblassten Eindruck absolutistischer, keine andere Meinung duldender Diktaturen und insbesondere der Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus die UNO in ihrer allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948, das deutsche Grundgesetz von 1949 (GG) sowie die Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 (EMRK) die freie, ungehinderte Verbreitung geistiger Botschaften in den Rang eines unveräußerlichen Menschenrechtes bzw. in Verfassungsrang erhoben, zur Abwehr staatlicher Einmischung.

Die Universal Declaration of Human Rights der UNO von 1948 besagt in Article 19: „ Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit ein Meinungen zu vertreten ohne Einmischung und … Informationen und Ideen durch jedwedes Medium zu übermitteln.“

In Art. 5 Abs. 1 GG heisst es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt“.

Und Art. 10 Abs.1 EMRK lautet in dem neben dem französischen Wortlaut allein verbindlichen englischen Text: „Jeder hat das Recht sich frei auszudrücken. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, Information und Ideen zu übermitteln ohne Einmischung staatlicher Stellen.“

Von staatlicher Einmischung, Leitung oder Organisierung der freien Verbreitung von Meinungen durch technische Hilfsmittel ist in keiner dieser Rechtsgrundlagen die Rede. Im Gegenteil, die UN Menschenrechtskonvention und die EMRK verbieten ausdrücklich jede Art von staatlicher Einmischung. Das Grundgesetz garantiert die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk. Auch hier findet sich kein Wort von staatlicher Einmischung.

Dieses Grund- und Menschenrecht wird durch die Öffentlichen in rechtlicher und in tatsächlich-wirtschaftlicher Hinsicht stark eingeschränkt. In rechtlicher Hinsicht durch unzulässige Zulassungsvoraussetzungen. In tatsächlicher Hinsicht durch explosionsartig gewachsenes, permanentes Senden auf immer mehr Kanälen mit der Wirkung, ein wirtschaftliches Betreiben von Rundfunk durch Privatpersonen weitestmöglich zu verhindern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat im TV, aber auch im Radio, in den letzten Jahren sein Programm drastisch erhöht und versucht mit gegenwärtig rund 100 Sendern, jede auch noch so kleine thematische Nische zu besetzen.

Der heutige Umfang der Öffentlichen führt faktisch dazu, Private bei der Verbreitung ihrer Inhalte deutlich zu behindern. Die vom Grundgesetz und den Menschenrechten garantierte Freiheit der Verbreitung von Meinungen ist nachhaltig nur möglich, wenn eine wirtschaftliche Tragfähigkeit hergestellt werden kann. Und gerade dies behindern die Öffentlichen durch ihr Agieren praktisch mit allen Mitteln und unter Einsatz unbegrenzt fließender Einnahmen aus Zwangszahlungen. Nicht zuletzt deshalb gibt es freies, privates Fernsehen mit Breitenwirkung in Deutschland, vereinfacht ausgedrückt, nur von zwei Rundfunkbetreibern: die RTL-Gruppe und  ProSieben/Sat1. Daneben gibt nur noch eine Handvoll nicht breitenwirksamer Nischenanbieter.

Die ins Gigantische ausgeuferten Öffentlichen haben demgegenüber ein in der Welt unvergleichbares Ausmaß angenommen, wie das o.g. Gutachten von Prof. Dr. Haucap u.a. deutlich macht. Sie behindern durch ihre bloße Existenz die Meinungsäußerungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Mit Zynismus stellt die „Bundeszentrale für politische Bildung“ fest, der private Rundfunk „befindet sich in einer schwierigen Wettbewerbssituation“.

Der Konzentrationsdruck und die Programmgestaltung der Privaten wird maßgeblich durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen verursacht und determiniert. Wenn ein privat veranstaltetes Sendeformat wirtschaftlich interessant wird, wird es häufig von den staatlich privilegierten Kollegen kopiert. Auf diese Weise wird den Privaten ein Marktanteil von der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz weggenommen mit dem Effekt, dass die privaten Veranstalter sich aus den wirtschaftlich nicht mehr tragfähigen Sendungen wieder zurückziehen müssen. Deshalb suchen die Privaten sich immer entlegenere, absurdere Nischen in diesem wirtschaftlichen Überlebenskampf. Eine Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk, wie sie Art. 10 EMRK und Art. 5 GG garantieren, ist in Deutschland nur ohne den staatlich privilegierten Rundfunk in seiner gegenwärtigen Form möglich.

Was sagt das Bundesverfassungsgericht?

Das Bundesverfassungsgericht hat die Entwicklung des deutschen öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunks zum weltweit teuersten und größten öffentlichen Rundfunk bis heute zustimmend begleitet. Es musste sich in mehr als 50 Jahren wiederholt mit dessen Berechtigung befassen. Mehrere Generationen von Richtern haben dabei im Laufe der Zeit widersprüchliche und logisch nicht nachvollziehbare Ansichten vertreten. Ein klares und eindeutiges Bild ist dem Ganzen bis heute nicht zu entnehmen:

1961 hat das BVerfG den Versuch Kanzler Adenauers zunächst abgewehrt, zusätzlich zur 1950 gegründeten ARD einen weiteren öffentlich-rechtlichen TV-Sender einzurichten. Die Zuständigkeit für das Fernsehen läge bei den Ländern. Grundsätzlich war das Gericht damals aber der Meinung, der Staat sei dazu aufgerufen Fernsehen zu veranstalten. Im Gegensatz zur Presse, bestehe beim Fernsehen eine „Sondersituation“. „Aus technischen Gründen“ und mit Rücksicht auf den „außergewöhnlich großen finanziellen Aufwand“ nahm das Gericht an, die Zahl der Träger solcher Veranstaltungen müsse zwangsläufig verhältnismäßig klein bleiben. Das Gericht erkannte damals noch, dass Art. 5 GG ein individuelles Grundrecht des Bürgers gegen den Staat auf Respektierung seiner Freiheitssphäre zur Meinungsäußerung enthält (BVerfGE 12, 259f). Die technische Sondersituation rechtfertige jedoch eine staatliche Organisierung des Rundfunks.  Da technisch nicht viele Einzelne Rundfunk betreiben konnten, erlaubte das Gericht eine seiner Ansicht nach erforderliche Notlösung: der Staat organisiert den Rundfunk und sorgt dafür, dass die im Volk vorhandene Pluralität der Meinungen und Kulturen sich innerhalb des Rundfunks widerspiegelt.

Es ist offensichtlich, dass diese “Sondersituation” heute nicht mehr vorliegt. Durch Satellitenübertragung und Kabelfernsehen und das Internet ist es möglich, Tausende von Rundfunksendern zu betreiben. Den Wegfall der technischen Gründe, mit denen der öffentliche Rundfunk einst gerechtfertigt wurde und damit den Wegfall seiner Existenzberechtigung hat das o.g. Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen vom Oktober 2014 ausführlich dargestellt.

Als in den 80er Jahren Privatpersonen erstmals zur Veranstaltung von Fernsehen zugelassen wurden, lag nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die „Sondersituation“ unverändert vor. Technisch sei man auf terrestrisch verbreitete Programme angewiesen. Zusätzlich erfanden die Verfassungsrichter einen vermeintlichen „klassischen“ Auftrag des Staates zur Veranstaltung von Fernsehen. Zwar garantiere das Grundgesetz (auch) privaten Rundfunk, aber die öffentlich-rechtlichen Anstalten hätten eine Bestandsgarantie, weil nur sie praktisch alle Menschen erreichen könnten. Der Staat müsse die „unerlässliche Grundversorgung“ sicherstellen. Das Grundgesetz erteile dem Staat den Auftrag, die Bevölkerung bei der Meinungsbildung (!) zu unterstützen. Statt von dem Recht zur freien Verbreitung der Meinung spricht das Verfassungsgericht hier nur noch von einem Recht auf Bildung der Meinung. Der Staat müsse für die Meinungsbildung der Bevölkerung sorgen. Eine gewisse Ablehnung gegenüber dem Menschenrecht und Grundrecht der freien Meinungsverbreitung und der Urteilsfähigkeit der Bevölkerung lässt sich herauslesen, wenn das Gericht ausführt: „Private sind zu umfassender und wahrheitsgemäßer Information verpflichtet“ und zugleich: „Private können der Aufgabe umfassender Information nicht gerecht werden“. Rundfunkfreiheit ist nach dieser Auffassung nicht ein Recht der Bevölkerung gegenüber dem Staat, wie alle anderen Grundrechte, sondern das Recht und die Pflicht des Staates, die Bevölkerung mit „umfassenden“ und „wahrheitsgemäßen“ Informationen zu versorgen. Diese „Grundversorgung“ dürfe keinesfalls der Bevölkerung selbst (den „Privaten“) vorbehalten sein.

Ganz im Gegensatz zu dieser erstaunlichen Meinung des höchsten deutschen Gerichts haben die obengenannten Rechtsquellen dieses Problem klar erkannt und befassen sich nicht mit Fragen von „Wahrheit“ oder „umfassenden Informationen“, sondern garantieren die freie Äußerung und Verbreitung jedweder Art von Meinungen. Auch die „falsche“ Meinung oder die umstrittene Meinung, die „unvernünftige“ Meinung sind durch die Menschenrechte und das Grundgesetz geschützt und dürfen frei verbreitet werden. Gerade die isolierten, die eigenwilligen, die von der Mehrheit nicht nachvollziehbaren Ideen und Meinungsäußerungen des Menschen dienen nicht nur dem Individualinteresse, sondern der Gesellschaft insgesamt. Fast aller Fortschritt, aller Wohlstand, alle Technik in der Gesellschaft wurde von selbstbestimmten Individuen geschaffen, sehr oft gerade von solchen, die in ihren Ideen ganz erheblich abgewichen sind von dem, was allgemein für „vernünftig“ gehalten wurde.

In den 90er Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht das Problem des staatlich organisierten Rundfunks zeitweilig erkannt:  Es müsse sichergestellt sein, dass der Staat im Fernsehen keinen „bestimmenden Einfluss“ ausüben kann. Dies müsse „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ vorbehalten sein. Der Auftrag zur Grundversorgung bestehe nur unter den „gegenwärtigen Bedingungen“. Kurz darauf haben die Richter jedoch erneut eine Wende vollzogen und nunmehr geurteilt, der Rundfunk dürfe nicht allein den gesellschaftlichen Kräften überlassen werden. Es bleibt die Frage offen: wem denn dann, wenn nicht der Bevölkerung?

Einige Jahre später ignorierte das Gericht immer noch die mittlerweile offensichtliche technische Revolution durch Kabelfernsehen, Satellitenfernsehen und insbesondere das Internet. Die 1961 konstatierte, technische „Sondersituation“, die 1986 vertretene Meinung, mit einem echten Markt könne auf absehbare Zeit nicht gerechnet werden, und die 1991 für maßgebend gehaltenen „gegenwärtigen Bedingungen“ waren sämtlich entfallen. In einem Urteil vom Februar 1998 geht das Gericht unbeirrt und unverändert von „beschränkten Übertragungskapazitäten“ aus. Der öffentliche Rundfunk wird gerechtfertigt und ein angeblich von der Verfassung vorgegebenes „duales System“ postuliert. Das höchste deutsche Gericht hat geradezu in Umkehrung der Grundrechte ein Grundrecht des Staates gegen die Bürger auf Veranstaltung eines mit dem Geld der Bürger finanzierten stattlich organisierten Rundfunks erfunden und das Recht der Bürger auf eine Freiheit der Meinungsbildung reduziert. Das Recht der Bürger auf freie Verbreitung ihrer Meinungen wird in den einschlägigen Urteilen nur theoretisch anerkannt. Die dafür erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen und technischen und tatsächlichen Voraussetzungen werden der Bevölkerung vorenthalten und weitgehend dem Staat zugewiesen.

Das Grundrecht bzw. Menschenrecht verbürgt nicht nur die Freiheit zur Verbreitung geistiger Botschaften durch Presse oder Rundfunk, sondern auch die Freiheit zur Ablehnung bzw. Nicht-zur-Kenntnisnahme entsprechender Botschaften. Es darf niemand gezwungen werden, die Presse zu lesen oder Rundfunk zu empfangen. Die Umdeutung der Freiheit zur Ablehnung von Presse und/oder Rundfunk in einen Zwang zur Inanspruchnahme bzw. Finanzierung derselben ist abwegig. Es sollte jedem Einzelnen überlassen sein, ob und wie er Meinungen äußert, sich bildet oder Informationen bezieht oder weitergibt.

Wir leben im Informationszeitalter. Fast jeder trägt ein kleines Wunderwerk der Technik bei sich welches sofortigen, jederzeitigen Zugang zu privaten und öffentlichen Informationen, Archiven und Bibliotheken, Unternehmen, Banken und staatlichen Institutionen rund um den Globus vermittelt. Millionen Seiten mit Nachrichten, Meinungen, Unterhaltungs- und Konsumangeboten buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Durch Internet, Kabel und Satellitenübertragung haben wir Zugang zu Medien überall auf der Welt, wann immer wir wollen. In diesem Umfeld, wo jeder ohne Schwierigkeiten Informationsgeber und Informationsempfänger für jeden sein kann, sollte man meinen, der Staat könne sich aus den Medien langsam zurückziehen und sie den Bürgern überlassen. Aber weit gefehlt! Statt sich zurückzunehmen wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk offensiv ausgebaut. Der Ruf der Öffentlichen nach mehr Geld ist grenzenlos und nur beschränkt durch die (vermutete) Tragfähigkeit der Bevölkerung. Diverse Skandale aus der letzten Zeit haben den im Grunde zwangsläufigen Missbrauch der Struktur offengelegt.

Und was sagt der Hüter unserer Verfassung dazu? Anstatt die genannten Umstände aufzugreifen, haben die Verfassungsrichter die unter den gegebenen Verhältnissen existierenden Programme vergleichen lassen und mit bedauerlichem Zynismus das Sendeangebot der Öffentlichen mit der Feststellung gerechtfertigt, Vergleiche der Angebote öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten und „Privater“ zeigten „deutliche Unterschiede“ aus denen sich ergäbe, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nötig sei.

Vor unser aller Augen wird, finanziert mit Zwangsgebühren und Werbeeinnahmen, ein gnadenloser Konkurrenzkampf gegen private Meinungsäußerung durch privaten Rundfunk geführt. Einen ähnlichen Kampf führt das öffentlich-rechtliche Fernsehen mittlerweile auch gegen die Presse. Der BGH hat vor kurzem zur Tagesschau-App festgestellt, dass ARD und NDR unlauteren Wettbewerb betreiben.

Nach dem theoretischen Konzept des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtfertigung der Öffentlichen sollen die Personen, die die Macht im Staat innehaben, mit diesem Rundfunk eine Organisation schaffen, die ihnen potentiell gefährlich werden und evtl. durch Berichterstattung zum Verlust ihrer Macht beitragen kann. Und diese Organisation sollen die Machthaber „staatsfern“ strukturieren, damit sie selbst keinen bestimmenden Einfluss in dieser Organisation haben. Mit anderen Worten: es wird von ihnen erwartet, ihren eigenen fundamentalen Interessen entgegenzuwirken. Dass dies nicht funktionieren kann, ist offensichtlich und wird auch deutlich in dem Minderheitsvotum eines Richters zum Urteil vom März 2014 zum Ausdruck gebracht.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte:

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte sich bereits mit staatlich organisiertem bzw. beeinflusstem Rundfunk zu befassen. Er hat wiederholt betont, dass Artikel 10 EMRK nicht nur den Inhalt von Informationen und Ideen schützt, sondern auch die Mittel ihrer Verbreitung. Danach ist die unbehinderte Meinungsäußerungsfreiheit der Bürger grundlegende Bedingung für den Fortbestand demokratischer Gesellschaften und die Entwicklung jedes Individuums (vgl. Europäischer Rat Veröffentlichungen, Band 18, Meinungsäußerungsfreiheit in Europa, Dezember 2005, S.7).

Im November 1993 hat der EGMR im Fall „Informationsverein Lentia und andere“ entschieden, dass die Freiheit der Weitergabe von Meinungen durch Rundfunk nicht durch faktische Monopolisierung oder wirtschaftliche Behinderung seitens staatlicher Systeme eingeschränkt werden darf. Die Restriktionen durch staatliche Organisierung vermeintlicher Qualität und Ausgewogenheit der Programme („quality and balance of programme output“) durch Aufsichtsgremien („supervisory powers over the media“) ist wegen der technischen Entwicklung der vergangenen Dekaden nicht zu rechtfertigen und ein Verstoß gegen Art. 10. Diese Auffassung hat der EGMR nochmals bestätigt in der Entscheidung Telesystem Tyrol Kabeltelevision vom 9. Juni 1997 (ebenda, Fn.153). Eine Entscheidung zum deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk steht noch aus.

Es ist zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht unserem Land und unserer Freiheit einen Dienst erweist und den Öffentlichen endlich Grenzen aufzeigt. Sonst muss erneut der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte feststellen, dass Deutschland rechtsstaatliche Defizite aufweist.