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Photo: mararie from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Es ist viel darüber geschrieben, berichtet und verkündet worden, dass alle Beteiligten die notwendigen Lehren aus der Euro-Schuldenkrise in Europa gezogen hätten. Selbst gutmeinende Beobachter müssen jedoch konstatieren, dass sich nach zehn Jahren in der Praxis nicht viel geändert hat. Zwar sind neue Zuständigkeiten, neue Behörden, neue Regelungen geschaffen worden, doch dies alles scheint nur in der Theorie zu funktionieren. Am ersten Praxistest scheitert dies alles. Jüngst kann man das an der italienischen Krisenbank Monte dei Paschi verfolgen.

Die Bank mit Sitz im schönen Siena gilt als älteste Bank der Welt. Sie hat durch Misswirtschaft inzwischen Verluste von fast 15 Milliarden Euro angehäuft. Fast die Hälfte ihres Kreditportfolios ist notleidend und wird nicht mehr von den Kreditnehmern regelmäßig bedient. Normal wären zwei bis drei Prozent. Die Bank ist pleite. Ohne fremde Hilfe droht seit Längerem die Insolvenz. Fremde Hilfe, außer vom italienischen Staat, ist nicht in Sicht. In diesem Fall greift inzwischen ein neues Abwicklungsregime auf europäischer Ebene, das erst die Beteiligung der Anteilseigner und der Gläubiger vorsieht, bevor der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Dieser sogenannte Bail-In ist die Lehre aus der permanenten Erpressung in Schieflage geratener Banken gegenüber den Regierungen im Zuge der Finanzkrise seit 2007/2008. Der Grundgedanke dahinter ist, dass nur dann mit Risiken verantwortungsvoll umgegangen wird, wenn nicht nur in guten Zeiten die Gewinne, Boni und üppigen Gehälter vereinnahmt werden, sondern im Zweifel die Beteiligten auch haften, wenn es schiefgeht. Dieser Grundsatz der Marktwirtschaft muss auch wieder im Finanzsektor gelten.

Am Beispiel der Monte dei Paschi zeigt sich auch, dass es falsch war, die europäische Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank anzudocken. Die Interessen einer Notenbank, die auf Geldwertstabilität verpflichtet ist, und einer Bankenaufsicht, die im Zweifel auch die Abwicklung oder Schließung einer Bank anordnen muss, sind im Krisenfall zu unterschiedlich, als dass dies von einer Behörde bewältigt werden kann. Da helfen auch keine „chinesischen Mauern“ innerhalb der EZB, die verhindern sollen, dass die eine Seite im Haus sich mit der anderen Seite abstimmt. Beim ersten Praxistest der vielgelobten Bankenunion scheitert das neue Regime. Erst hat die EZB der Bank die Solvenz bescheinigt, anschließend hat der italienische Staat die staatliche Beihilfe beschlossen und bei der EU-Kommission beantragt und jetzt hat die Kommission diese genehmigt. Es ist zum Haareraufen! Und die Konsequenz aus der Brüsseler Entscheidung ist so weitreichend, dass einem angst und bange werden kann. Denn dieser Präzedenzfall wird als Blaupause für alle künftigen Rettungsmaßnahmen herhalten. Das ist jetzt schon so sicher wie das Amen in der Kirche. Mit der Banca Popolare di Vicenza steht nämlich bereits das nächste Finanzinstitut auf der Matte.

Die Summe der notleidenden Kredite italienischer Banken liegt inzwischen bei über 200 Milliarden Euro. Es ist der höchste Wert in der italienischen Nachkriegsgeschichte. 12,6 Prozent der ausgereichten Kredite sind inzwischen notleidend. Das ist auch der Grund, weshalb die italienische Wirtschaft nicht auf die Füße kommt. Die hohe Zahl notleidender Kredite lässt die Banken vorsichtig werden, neue Kreditengagements zu vergeben. Während in den ersten zehn Jahren des Euro das Kreditvolumen pro Jahr um 8,2 Prozent stieg, sinkt es aktuell. Italiens Wirtschaftskraft liegt daher immer noch über sieben Prozent unter dem Höchstwert 2008. Es ist ein dahinsiechender Korrekturprozess der Übertreibung der ersten zehn Jahre des Euro. Diese Korrektur ist aber notwendig. Je eher und je schneller sie stattfindet, desto weniger schmerzhaft ist sie.

An dieser Entwicklung sieht man, dass die Politik der EZB, durch Anleihenkäufe und Nullzinspolitik die Erholung der Wirtschaft zu befördern, gescheitert ist. Sie war die Ursache für die heutige Überschuldung des italienischen Staates, seiner Banken und Wirtschaft. Es war süßes Gift, das die Abhängigkeit aller Marktteilnehmer vom billigen Geld nur noch größer gemacht hat. Diese Laxheit ist das Problem und die Änderung dieses Verhaltens die Lösung.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 3. Juni 2017.

Photo: Andrew Mason from Flickr ( CC BY 2.0).

Wenn derzeit in Brüssel, Berlin und Paris über einen Europäischen Währungsfonds, einen Euro-Finanzminister oder einen eigenen Euro-Haushalt diskutiert wird, dann geht es in erster Linie um eine Frage: Wer bekommt mehr Macht? Die EU-Kommission oder Wolfgang Schäuble? Denn hinter jedem Vorschlag stecken unterschiedliche Interessen. Die Kommission will die andauernde Schuldenkrise nutzen, um mehr Kompetenzen zu erlangen. Sie will einen Fuß in die Tür bekommen, um ihre Macht zu erweitern. Wolfgang Schäuble ist dies ein Dorn im Auge. Er will die EU-Kommission umgehen, weil er ihr nicht traut. Daher will er den Europäischen Stabilitätsmechanismus aus- und umbauen. Es ist ein langgehegter Plan von ihm. Bereits zu Beginn der Eurokrise 2010 schlug er einen Europäischen Währungsfonds vor, der mit Krediten in Schieflage geratenen Euro-Staaten helfen soll. Heraus kam der Europäische Stabilitätsmechanismus. Der ESM sollte die Beteiligung des IWF überflüssig machen. Schäuble wandte sich bereits zu Beginn der Euro-Schuldenkrise 2010 gegen den Zugriff des IWF auf die europäische Politik, weil er den mittelbaren Einfluss der USA fürchtete. Heute ist die Beteiligung des IWF an den Griechenland-Programmen lediglich ein Druckmittel, das ihm hilft, die eigenen Reihen in Berlin zu schließen und gleichzeitig der sozialistischen Regierung in Griechenland mit einem Stopp der nächsten Kreditrate zu drohen.

Für Schäuble besteht der wesentliche Vorteil des ESM darin, dass er nicht auf EU-Recht beruht, sondern auf einem intergouvernementalen Vertragswerk der Euro-Staaten untereinander. Hinzu kommt, dass Deutschland innerhalb des ESM ein faktisches Veto-Recht hat. Das EU-Parlament und die EU-Kommission sind in die Entscheidungen der ESM-Gremien nicht eingebunden. Schäuble mißtraut der Kommission. Nicht zu unrecht. Bei der Durchsetzung des verschärften Stabilitätspaktes versagt die Kommission auf ganzer Linie. Die Kommission läßt die Sünder laufen. Eigentlich ist die EU-Kommission nach den EU-Verträgen die Hüterin des Rechts. Doch tatsächlich biegt sie das Recht bis zur Unkenntlichkeit.

Dabei sollten mit automatischen Sanktionen gegen Defizitsünder die Lehren aus der Euro-Schuldenkrise 2010 gezogen werden. Eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild sollte jedes Land in seine Verfassung schreiben. Heute liegt der Schuldenstand in der Eurozone über 90 Prozent der Wirtschaftskraft und damit weit oberhalb des Maastricht-Kriteriums von 60 Prozent.

Doch trotz des berechtigten Misstrauens Schäubles gegen die Machtphantasien der Juncker-Kommission ist der Weg eines weiteren Ausbaus des ESM der falsche Weg. Schäubles Weg führt zwar nicht zu einer schnellen Vergemeinschaftung der Schulden, aber zu einer schrittweisen. Zwar kann er sich damit brüsten, die Vergemeinschaftung der Schulden durch Euro-Bonds verhindert zu haben, doch der Preis dafür sind weitere Zentralisierungsschritte an anderer Stelle. Junckers Investitionsplan gehört dazu, auch die drohende Zentralisierung der Einlagensicherung der Sparer, und erst recht die steigende Machtfülle der EZB im Dauerkrisenmodus.

Die Folge: Wo persönliche Haftung notwendig ist, wird die kollektive Verantwortungslosigkeit befördert. Wo Strukturreformen vor Ort notwendig wären, werden diese durch billiges Geld der EZB hinausgezögert. Und wo private Investitionen notwendig sind, werden diese durch Subventionen aus dem fernen Brüssel ersetzt. Als ob es in Spanien, Portugal und Griechenland nicht schon genug Autobahnen gäbe, über die niemand fährt.

Der politische Konstruktivismus ist sowohl in den Köpfen der EU-Kommission falsch, als auch in den Köpfen der Bundesregierung. Beides führt zu Verschwendung, Ineffizienz und Bürokratie, ohne dass dies dauerhaft den Wohlstand in den jeweiligen Ländern fördert. Die Wachstumsschwäche heute ist die Korrektur der künstlich erzeugten Wachstumsstärke von gestern. Das Wachstum in Südeuropa wurde zu Beginn der Euroeinführung durch billige Zinsen auf Sand gebaut und durch öffentliche Investitionsprogramme zusätzlich verzerrt. Das konnte und kann nicht gutgehen. Diese Fehllenkung von Kapital hat private Investitionen verdrängt, Preise steigen lassen und Korruption befördert.

Eine Agenda für die Eurozone müßte das Haftungsprinzip bei Staaten, Banken und Unternehmen wieder hart durchsetzen. Es wäre eine Rückkehr zum Maastricht-Vertrag, der eine Haftung für die Schulden eines anderen Landes ausschließt. So würde auf einen Schlag die Schuldenaufkaufprogramme der EZB beendet und Zinsdifferenzen wieder innerhalb des Euroraums ermöglicht. Der Europäische Stabilitätsmechanismus wäre dadurch obsolet. Ihn stattdessen dauerhaft zu institutionalisieren, bedeutet letztlich, dass die Schuldenvergemeinschaftung in der Euro-Zone immer weitergeht. Die Haftungsbegrenzung Deutschlands auf 190 Milliarden Euro ist daher nicht auf Dauer, sondern wird durch andere Instrumente immer weiter ergänzt. Mit der Durchsetzung des Haftungsprinzips müßte die Austrittsmöglichkeit aus dem Euro vertraglich geregelt werden, um damit einen atmenden Währungsraum zu schaffen. Wer sich nicht an die gemeinsamen Regeln halten will oder kann muss auch die Möglichkeit haben auszutreten.

Vielleicht müsste man auch eine Regelung verankern, die den Ausschluss von Mitgliedsstaaten aus der Währungsunion ermöglicht. Wer dauerhaft die Regeln verletzt, alle anderen im Währungsraum damit gefährdet, kann nicht erwarten, dass der Rest diesem Treiben dauerhaft zuschaut. Wahrscheinlich wäre dies die effektivste Schuldenbremse für alle. Sie würde nämlich auch diejenigen disziplinieren, die sich vom billigen Geld und der Verantwortungslosigkeit infizieren lassen. Letztlich ist der Währungsraum wie ein Club, der gemeinsame Regeln kennt. Wie in einem Verein können die Mitglieder nicht akzeptieren, wenn ein Mitglied die Grundsätze des Vereins dauerhaft verletzt. Geht es nicht freiwillig, dann wird es nach festgelegten Regeln ausgeschlossen. Das ist nicht unsolidarisch, sondern ganz im Gegenteil: es dient dem dauerhaften Erhalt der gemeinsamen Ziele.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

Photo: Hans Splinter from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Seit bald sechs Jahren ist der Italiener Mario Draghi Präsident der Europäischen Zentralbank. Seine Amtszeit läuft noch bis 2019. Doch schon jetzt wird eine Diskussion darüber geführt, wer seine Nachfolge antreten soll. Der Bundesbankpräsident Jens Weidmann gilt als einer der Favoriten. Er wäre sicherlich eine sehr gute Wahl, weil er sich einen kritischen Blick auf die EZB-Geldpolitik bewahrt hat und den mangelnden Reformwillen der Südstaaten immer wieder kritisiert. Jüngst fiel er dadurch auf, dass er der EU-Kommission Prinzipienlosigkeit vorwarf. Diese Klarheit und der Durchblick sprechen für ihn. Er steht damit in einer guten Tradition. Auch sein Vorgänger Axel Weber war und ist ein Kritiker der EZB-Politik. Auch er galt als potentieller Nachfolger des damaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet. Auch er vertrat im EZB-Rat eine Minderheitenmeinung. Und auch bei ihm hatte die Öffentlichkeit lange Zeit den Eindruck, die Bundesregierung und insbesondere Angela Merkel unterstützen ihn bei der Kandidatur. Letztlich ließ Angela Merkel ihren Kandidaten während der Euro-Krise 2011 fallen, was Weber zum Rücktritt als Bundesbankpräsidenten veranlasste.

Ob Weidmann bessere Karten hat als Weber ist fraglich. Zwar ist er näher an Angela Merkel dran als sein Vorgänger. Immerhin war Weidmann zuvor Abteilungsleiter im Kanzleramt und „Sherpa“ Merkels für G8- und G20-Treffen. Aber die Dominanz Merkels und Deutschlands in der Europapolitik ist vielen ein Dorn im Auge. Schon bringt die französische Seite ihren Notenbankgouverneur Francois Villeroy de Galhau ins Gespräch.

Letztlich geht es um die Entscheidung, ob eher ein Präsident gewählt wird, der die Politik des billigen Geldes fortsetzt, oder jemand, der die Abhängigkeit von der Nullzinspolitik und den Schuldenaufkaufprogrammen beendet. Es sind zwei völlig unterschiedliche Konzepte. Die Vertreter der einen „Philosophie“ sind die Tauben, die niedrige Zinsen befürworten, um Wirtschaftswachstum anzuregen und den hohen Schuldenstand von Staaten, Banken, Unternehmen und privaten Haushalten finanzieren zu können. Sie glauben, dass man so aus der Krise herauswachsen kann. Die anderen sind die Falken: sie wollen jetzt den Einstieg aus dem Ausstieg des billigen Geldes einleiten. Auch sie sehen die Gefahren, die durch die Insolvenzen von Staaten und Banken entstehen könnten. Sie glauben aber, dass die Gefahren der fortgesetzten Zinsmanipulation noch größer sind

Mario Draghi hatte sich 2011 vor seiner Kandidatur als Falke präsentiert. Damals lobte er in einem Interview in der FAZ die deutsche Stabilitätskultur, die die Deutsche Bundesbank über viele Jahrzehnte repräsentiert habe. Er hielt die Maastricht-Kriterien hoch und die Unabhängigkeit der Notenbank. Er wollte den Deutschen die Angst nehmen, dass ein EZB-Präsident aus Italien die Regeln schleifen und den Euro in eine mediterrane Tradition überführen würde. Heute müssen wir feststellen, dass er diese Rolle nur gespielt hat. Tatsächlich ist Mario Draghi eine Taube im Falkenkleid. Er hat dafür gesorgt, dass die EZB Schulden in noch nie dagewesener Dimension aufkauft. Am Ende ihres Anleihenaufkaufprogrammes wird die EZB dafür 2.300 Milliarden Euro aus dem Nichts geschaffen haben. Alles was nicht niet- und nagelfest ist, wird von der EZB gekauft, um mittelbar die Zinsen zu drücken. Die Märkte sind in vielen Bereichen inzwischen leergefegt. Wenn es so weitergeht, kauft die EZB bald auch alte Fahrräder und gibt dafür neues Papiergeld heraus.

Jens Weidmann war im EZB-Rat nicht der einzige, der dies von Anfang an kritisiert hat. Auch sein estnischer Kollege Ardo Hannson gehörte dazu. Man müsse die Frage stellen, ob die EZB eine verbotene Staatsfinanzierung betreibe, sagte er 2014 der Süddeutschen Zeitung. Der Harvard-Absolvent hat 2001 die Estnische Krone an die DM und 2002 dann an den Euro gekoppelt. Er hat gezeigt, dass er ein Falke ist. Er kommt aus einem Land mit vorbildlicher Fiskalpolitik und echtem Reformgeist. Hansson wäre ein guter Kandidat für die Draghi-Nachfolge. Je eher desto besser.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

Photo: Harvey Barrison from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Wenn man die Berichterstattung in den Medien verfolgt, dann kann man den Eindruck gewinnen, der Brexit sei lediglich für die Briten ein Problem, das sie obendrein noch selbst verschuldet haben. Ein wenig Schadenfreude kommt hier zum Ausdruck. Das restliche Europa beschäftigt sich daher lieber mit den Krisen in der Türkei oder Griechenland.

Die Wahlen zum britischen Unterhaus am 8. Juni spielen dagegen nur am Rande der politischen Diskussion eine Rolle. Wahrscheinlich werden die Tories um Premierministerin Theresa May die Wahl gewinnen. Danach haben die Vertragsparteien noch rund acht Monate Zeit, um die anschließenden Verhandlungen über die Ausstiegsmodalitäten und die künftige Zusammenarbeit der EU mit Großbritannien zu regeln. Ein fast unmögliches Unterfangen. Dabei ist die Zusammenarbeit mit Großbritannien von größter ökonomischer Bedeutung für uns alle. Unternehmen aus der EU exportieren nach Großbritannien Waren und Dienstleistungen im Wert von 290 Milliarden Euro und importieren von dort Güter im Wert von 176 Milliarden Euro. Das sind ebenso viele Exporte wie in die USA, obwohl Großbritannien nur einen Bruchteil der Wirtschaftskraft und der Bevölkerung vorweisen kann.

Der Bedeutung dieser Handelsbeziehungen wird die öffentliche Diskussion nicht gerecht. Hierzulande hat man sogar den Eindruck, dass wir vom Brexit profitieren und die Briten Verluste erleiden. Der Großraum Frankfurt freut sich schon auf die Ansiedlung von Regulierungsbehörden im Finanzsektor, die derzeit in London angesiedelt sind. Die dann folgende Nachfrage nach Wohnungen in der Bankenmetropole lässt ein weiteres Ansteigen der Immobilienpreise vermuten.

Auch glauben viele, dass der Bankenstandort Frankfurt durch die Verlagerung des Europageschäfts von Großbanken von London nach Frankfurt profitiert. Das mag in Teilen der Fall sein. Dieses zurückgebliebene Verständnis von Wirtschaften ist dennoch grundfalsch. Die Unterbrechung oder Störung von grenzüberschreitendem Handel schadet auf beiden Seiten. Natürlich gibt es einzelne Gewinner. Aber deren Gewinne gehen zu Lasten des Wohlstandes aller. Der ungehinderte Austausch von Waren und Dienstleistungen ist die Erfolgsgeschichte des Freihandels. Was zwischen Wales und Schottland an Warenaustausch möglich ist, sollte nicht am Ärmelkanal enden. Wieso auch? Am Ende ist der Konsument, der Bezieher von Waren und Dienstleistungen, der Souverän. Er entscheidet nach seinen Präferenzen, ob er Waren aus Wales, Flandern oder Hessen kauft. Und diese Arbeitsteilung, die innerhalb von einzelnen Ländern ohne Klage für gut und richtig gehalten wird, sollte nicht an den Außengrenzen dieser Länder haltmachen. Warum auch? Nicht ein Dritter, der Staat oder die EU, sollte darüber entscheiden, was andere an Waren kaufen dürfen, sondern nur derjenige, der sie bestellt und bezahlt.

Deshalb sollte auf beiden Seiten des Kanals die oberste Priorität darauf gelegt werden, für schnelle Planungssicherheit zu sorgen. Denn nichts stört die Investitionsbereitschaft von Unternehmen so sehr wie die Unsicherheit über politische Rahmenbedingungen in der Zukunft. Investitionen werden daher aufgeschoben oder an andere Standorte verlagert. Vielleicht ist der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums eine gute Brücke. Als Übergangslösung haben die Wissenschaftler in dieser Woche vorgeschlagen, Großbritannien solle vorübergehend der Freihandelszone EFTA (Norwegen, Island, Lichtenstein und Schweiz) beitreten, um so einen Zugang zum Europäischen Wirtschaftsraum, der die EU-Staaten und die EFTA-Staaten umfasst, zu erhalten. Erst danach solle über ein bilaterales Abkommen mit der EU verhandelt werden. Dadurch würde auf der einen Seite Planungssicherheit geschaffen und ein gleitender Ausstieg ermöglicht. Am Ende würden beide Seiten und Millionen von Bürgern in der EU und in Großbritannien davon profitieren.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 20. Mai 2017.

Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Die Brexit-Verhandlungen stehen unter keinem guten Stern. Die Vertreter der Rest-EU sind beleidigt und spielen mit den Muskeln. Alle innerhalb der Rest-EU und außerhalb sollen sehen, wozu es führt, wenn man aus dem gemeinsamen Haus auszieht und die Familie verlässt. Nur Mühsal, Beschwerlichkeiten und Unglück! Die Briten sollen die Folgen ihrer Undankbarkeit ruhig spüren. Die Leitlinien, die der Europäische Rat vor wenigen Tagen verabschiedete, sind ein Dokument dafür. Sie sind eine Machtdemonstration. Siebenundzwanzig gegen einen. Ein Nicht-Mitgliedsstaat, der nicht dieselben Pflichten übernimmt wie ein Mitgliedstaat, kann nicht dieselben Rechte haben und dieselben Vorteile genießen wie ein Mitgliedstaat. Allein diese Formulierung in den Grundsätzen der Leitlinien zeigt schon die Überheblichkeit der Rest-EU. Bis jetzt hat die britische Regierung nicht behauptet, sie wolle die gleichen Rechte und Vorteile genießen wie die restlichen Mitglieder. Ganz im Gegenteil setzt die Regierung May das um, was das britische Volk im Referendum knapp, aber dennoch klar ausgesprochen hat: den Austritt aus der Europäischen Union. Sie wollen also ausdrücklich nicht mehr das wesentliche Recht der Mitgliedschaft ausüben, das Stimmrecht.

Das Austrittsschreiben der britischen Premierministerin Theresa May vom 29. März war ein Wendepunkt im Verhandlungspoker. Bis dahin hatte May vieles richtig gemacht und war im Vorteil. Sie hatte die Agenda und das Tempo bestimmt. Ex-Parlamentspräsident Schulz und EU-Kommissionspräsident Juncker hatten schon einen Tag nach der Brexit-Entscheidung am 23. Juni 2016 gefordert, Großbritannien müsse unmittelbar den Austrittsantrag stellen. Das hat May nicht sonderlich beeindruckt. Sie hat sich ein dreiviertel Jahr für den Antrag Zeit gelassen. Bis dahin konnte sie sich vorbereiten. Erst mit dem Austrittsantrag kommen die 27-Mitgliedsstaaten in den Vorteil. Jetzt bestimmen sie die Agenda. Schon stellt die EU den treulosen Briten Scheidungskosten von 100 Mrd. Euro in Aussicht, um erstmal eine Hausnummer in den Raum zu stellen. Gleichzeitig betont sie, dass erst über die Austrittsmodalitäten verhandelt werden muss, bevor über die künftige Zusammenarbeit verhandelt werden kann.

Der EU spielt dabei in die Hände, dass die Zeit sehr knapp ist, um ein Abkommen mit Großbritannien zu schließen. Zwei Jahre nach dem Austrittsantrag finden die Europäischen Verträge auf Großbritannien keine Anwendung mehr. Sollte bis dahin kein Abkommen erzielt werden, das vom Parlament der Europäischen Union und vom Europäischen Rat beschlossen werden muss, hat Großbritannien ein Problem.

Wahrscheinlich ist es nicht wirklich möglich, in so einer kurzen Zeit ein Abkommen zu erzielen. Selbst wenn die EU einer einmaligen Verlängerung der Verhandlungen um weitere zwei Jahre zustimmt, ist die Zeit sehr kurz. Das Erpressungspotential der EU ist daher die Zeit. Theresa May kann dem nicht viel entgegensetzen. Ihr kurzfristiger Schachzug war es, Neuwahlen für den 8. Juni anzusetzen. Bis dahin kann sie mit Nadelstichen auch der EU wehtun. Und genau das macht May jetzt. Solange das britische Parlament nicht neu gewählt ist, verhindert sie durch ihr Veto Beschlüsse im Europäischen Rat. Damit erhöht sie ihrerseits den Druck auf die übrigen Verhandlungspartner. Doch wenn die eigentlichen Austrittsverhandlungen erst nach der Parlamentswahl beginnen, bleibt nur noch rund ein Jahr Zeit.

Dieses Fingerhakeln lässt für die kommenden Monate nicht viel Hoffnungen auf eine gütliche Einigung aufkommen. Die Strategie der EU gegenüber Großbritannien mag funktionieren. Sie mag auch die anderen Mitglieder in der EU, die ebenfalls mit Brüssel unzufrieden sind, disziplinieren. Ein Friedens- und Freiheitsprojekt sieht aber anders aus. Attraktivität und Anziehungskraft kann man nicht durch Zwang und Druck erzielen, sondern nur durch innere Souveränität, Gelassenheit und Einsicht. Daran fehlt es den Handelnden in Brüssel und Berlin offensichtlich. Sie glauben, dass zu große Zugeständnisse an die Briten zu weiteren Absetzbewegungen innerhalb der EU führen würden. Dabei schadet der harte Brexit nicht nur den Briten, sondern auch den übrigen Staaten der EU. 290 Milliarden Euro exportieren Unternehmen aus der EU nach Großbritannien und 175 Milliarden umgekehrt. Viel zu viele Bürger und Unternehmen in Europa sind darauf angewiesen, dass sich beide Seiten verständigen. Jean-Claude Juncker hat dazu gerade ein Weißbuch „Zukunft Europas“ vorgelegt und darin einen der Gründerväter Robert Schuman zitiert: „Europa wird nicht von heute auf morgen und nicht aus einem Guss entstehen. Vielmehr werden greifbare Erfolge eine zunächst faktische Solidarität erzeugen.“ An diesen Gründergeist sollte er sich erstmal selbst orientieren.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 6. Mai 2017