Photo: Andrew Mason from Flickr ( CC BY 2.0).
Wenn derzeit in Brüssel, Berlin und Paris über einen Europäischen Währungsfonds, einen Euro-Finanzminister oder einen eigenen Euro-Haushalt diskutiert wird, dann geht es in erster Linie um eine Frage: Wer bekommt mehr Macht? Die EU-Kommission oder Wolfgang Schäuble? Denn hinter jedem Vorschlag stecken unterschiedliche Interessen. Die Kommission will die andauernde Schuldenkrise nutzen, um mehr Kompetenzen zu erlangen. Sie will einen Fuß in die Tür bekommen, um ihre Macht zu erweitern. Wolfgang Schäuble ist dies ein Dorn im Auge. Er will die EU-Kommission umgehen, weil er ihr nicht traut. Daher will er den Europäischen Stabilitätsmechanismus aus- und umbauen. Es ist ein langgehegter Plan von ihm. Bereits zu Beginn der Eurokrise 2010 schlug er einen Europäischen Währungsfonds vor, der mit Krediten in Schieflage geratenen Euro-Staaten helfen soll. Heraus kam der Europäische Stabilitätsmechanismus. Der ESM sollte die Beteiligung des IWF überflüssig machen. Schäuble wandte sich bereits zu Beginn der Euro-Schuldenkrise 2010 gegen den Zugriff des IWF auf die europäische Politik, weil er den mittelbaren Einfluss der USA fürchtete. Heute ist die Beteiligung des IWF an den Griechenland-Programmen lediglich ein Druckmittel, das ihm hilft, die eigenen Reihen in Berlin zu schließen und gleichzeitig der sozialistischen Regierung in Griechenland mit einem Stopp der nächsten Kreditrate zu drohen.
Für Schäuble besteht der wesentliche Vorteil des ESM darin, dass er nicht auf EU-Recht beruht, sondern auf einem intergouvernementalen Vertragswerk der Euro-Staaten untereinander. Hinzu kommt, dass Deutschland innerhalb des ESM ein faktisches Veto-Recht hat. Das EU-Parlament und die EU-Kommission sind in die Entscheidungen der ESM-Gremien nicht eingebunden. Schäuble mißtraut der Kommission. Nicht zu unrecht. Bei der Durchsetzung des verschärften Stabilitätspaktes versagt die Kommission auf ganzer Linie. Die Kommission läßt die Sünder laufen. Eigentlich ist die EU-Kommission nach den EU-Verträgen die Hüterin des Rechts. Doch tatsächlich biegt sie das Recht bis zur Unkenntlichkeit.
Dabei sollten mit automatischen Sanktionen gegen Defizitsünder die Lehren aus der Euro-Schuldenkrise 2010 gezogen werden. Eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild sollte jedes Land in seine Verfassung schreiben. Heute liegt der Schuldenstand in der Eurozone über 90 Prozent der Wirtschaftskraft und damit weit oberhalb des Maastricht-Kriteriums von 60 Prozent.
Doch trotz des berechtigten Misstrauens Schäubles gegen die Machtphantasien der Juncker-Kommission ist der Weg eines weiteren Ausbaus des ESM der falsche Weg. Schäubles Weg führt zwar nicht zu einer schnellen Vergemeinschaftung der Schulden, aber zu einer schrittweisen. Zwar kann er sich damit brüsten, die Vergemeinschaftung der Schulden durch Euro-Bonds verhindert zu haben, doch der Preis dafür sind weitere Zentralisierungsschritte an anderer Stelle. Junckers Investitionsplan gehört dazu, auch die drohende Zentralisierung der Einlagensicherung der Sparer, und erst recht die steigende Machtfülle der EZB im Dauerkrisenmodus.
Die Folge: Wo persönliche Haftung notwendig ist, wird die kollektive Verantwortungslosigkeit befördert. Wo Strukturreformen vor Ort notwendig wären, werden diese durch billiges Geld der EZB hinausgezögert. Und wo private Investitionen notwendig sind, werden diese durch Subventionen aus dem fernen Brüssel ersetzt. Als ob es in Spanien, Portugal und Griechenland nicht schon genug Autobahnen gäbe, über die niemand fährt.
Der politische Konstruktivismus ist sowohl in den Köpfen der EU-Kommission falsch, als auch in den Köpfen der Bundesregierung. Beides führt zu Verschwendung, Ineffizienz und Bürokratie, ohne dass dies dauerhaft den Wohlstand in den jeweiligen Ländern fördert. Die Wachstumsschwäche heute ist die Korrektur der künstlich erzeugten Wachstumsstärke von gestern. Das Wachstum in Südeuropa wurde zu Beginn der Euroeinführung durch billige Zinsen auf Sand gebaut und durch öffentliche Investitionsprogramme zusätzlich verzerrt. Das konnte und kann nicht gutgehen. Diese Fehllenkung von Kapital hat private Investitionen verdrängt, Preise steigen lassen und Korruption befördert.
Eine Agenda für die Eurozone müßte das Haftungsprinzip bei Staaten, Banken und Unternehmen wieder hart durchsetzen. Es wäre eine Rückkehr zum Maastricht-Vertrag, der eine Haftung für die Schulden eines anderen Landes ausschließt. So würde auf einen Schlag die Schuldenaufkaufprogramme der EZB beendet und Zinsdifferenzen wieder innerhalb des Euroraums ermöglicht. Der Europäische Stabilitätsmechanismus wäre dadurch obsolet. Ihn stattdessen dauerhaft zu institutionalisieren, bedeutet letztlich, dass die Schuldenvergemeinschaftung in der Euro-Zone immer weitergeht. Die Haftungsbegrenzung Deutschlands auf 190 Milliarden Euro ist daher nicht auf Dauer, sondern wird durch andere Instrumente immer weiter ergänzt. Mit der Durchsetzung des Haftungsprinzips müßte die Austrittsmöglichkeit aus dem Euro vertraglich geregelt werden, um damit einen atmenden Währungsraum zu schaffen. Wer sich nicht an die gemeinsamen Regeln halten will oder kann muss auch die Möglichkeit haben auszutreten.
Vielleicht müsste man auch eine Regelung verankern, die den Ausschluss von Mitgliedsstaaten aus der Währungsunion ermöglicht. Wer dauerhaft die Regeln verletzt, alle anderen im Währungsraum damit gefährdet, kann nicht erwarten, dass der Rest diesem Treiben dauerhaft zuschaut. Wahrscheinlich wäre dies die effektivste Schuldenbremse für alle. Sie würde nämlich auch diejenigen disziplinieren, die sich vom billigen Geld und der Verantwortungslosigkeit infizieren lassen. Letztlich ist der Währungsraum wie ein Club, der gemeinsame Regeln kennt. Wie in einem Verein können die Mitglieder nicht akzeptieren, wenn ein Mitglied die Grundsätze des Vereins dauerhaft verletzt. Geht es nicht freiwillig, dann wird es nach festgelegten Regeln ausgeschlossen. Das ist nicht unsolidarisch, sondern ganz im Gegenteil: es dient dem dauerhaften Erhalt der gemeinsamen Ziele.
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