Photo: Harvey Barrison from Flickr (CC BY-SA 2.0)
Wenn man die Berichterstattung in den Medien verfolgt, dann kann man den Eindruck gewinnen, der Brexit sei lediglich für die Briten ein Problem, das sie obendrein noch selbst verschuldet haben. Ein wenig Schadenfreude kommt hier zum Ausdruck. Das restliche Europa beschäftigt sich daher lieber mit den Krisen in der Türkei oder Griechenland.
Die Wahlen zum britischen Unterhaus am 8. Juni spielen dagegen nur am Rande der politischen Diskussion eine Rolle. Wahrscheinlich werden die Tories um Premierministerin Theresa May die Wahl gewinnen. Danach haben die Vertragsparteien noch rund acht Monate Zeit, um die anschließenden Verhandlungen über die Ausstiegsmodalitäten und die künftige Zusammenarbeit der EU mit Großbritannien zu regeln. Ein fast unmögliches Unterfangen. Dabei ist die Zusammenarbeit mit Großbritannien von größter ökonomischer Bedeutung für uns alle. Unternehmen aus der EU exportieren nach Großbritannien Waren und Dienstleistungen im Wert von 290 Milliarden Euro und importieren von dort Güter im Wert von 176 Milliarden Euro. Das sind ebenso viele Exporte wie in die USA, obwohl Großbritannien nur einen Bruchteil der Wirtschaftskraft und der Bevölkerung vorweisen kann.
Der Bedeutung dieser Handelsbeziehungen wird die öffentliche Diskussion nicht gerecht. Hierzulande hat man sogar den Eindruck, dass wir vom Brexit profitieren und die Briten Verluste erleiden. Der Großraum Frankfurt freut sich schon auf die Ansiedlung von Regulierungsbehörden im Finanzsektor, die derzeit in London angesiedelt sind. Die dann folgende Nachfrage nach Wohnungen in der Bankenmetropole lässt ein weiteres Ansteigen der Immobilienpreise vermuten.
Auch glauben viele, dass der Bankenstandort Frankfurt durch die Verlagerung des Europageschäfts von Großbanken von London nach Frankfurt profitiert. Das mag in Teilen der Fall sein. Dieses zurückgebliebene Verständnis von Wirtschaften ist dennoch grundfalsch. Die Unterbrechung oder Störung von grenzüberschreitendem Handel schadet auf beiden Seiten. Natürlich gibt es einzelne Gewinner. Aber deren Gewinne gehen zu Lasten des Wohlstandes aller. Der ungehinderte Austausch von Waren und Dienstleistungen ist die Erfolgsgeschichte des Freihandels. Was zwischen Wales und Schottland an Warenaustausch möglich ist, sollte nicht am Ärmelkanal enden. Wieso auch? Am Ende ist der Konsument, der Bezieher von Waren und Dienstleistungen, der Souverän. Er entscheidet nach seinen Präferenzen, ob er Waren aus Wales, Flandern oder Hessen kauft. Und diese Arbeitsteilung, die innerhalb von einzelnen Ländern ohne Klage für gut und richtig gehalten wird, sollte nicht an den Außengrenzen dieser Länder haltmachen. Warum auch? Nicht ein Dritter, der Staat oder die EU, sollte darüber entscheiden, was andere an Waren kaufen dürfen, sondern nur derjenige, der sie bestellt und bezahlt.
Deshalb sollte auf beiden Seiten des Kanals die oberste Priorität darauf gelegt werden, für schnelle Planungssicherheit zu sorgen. Denn nichts stört die Investitionsbereitschaft von Unternehmen so sehr wie die Unsicherheit über politische Rahmenbedingungen in der Zukunft. Investitionen werden daher aufgeschoben oder an andere Standorte verlagert. Vielleicht ist der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums eine gute Brücke. Als Übergangslösung haben die Wissenschaftler in dieser Woche vorgeschlagen, Großbritannien solle vorübergehend der Freihandelszone EFTA (Norwegen, Island, Lichtenstein und Schweiz) beitreten, um so einen Zugang zum Europäischen Wirtschaftsraum, der die EU-Staaten und die EFTA-Staaten umfasst, zu erhalten. Erst danach solle über ein bilaterales Abkommen mit der EU verhandelt werden. Dadurch würde auf der einen Seite Planungssicherheit geschaffen und ein gleitender Ausstieg ermöglicht. Am Ende würden beide Seiten und Millionen von Bürgern in der EU und in Großbritannien davon profitieren.
Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 20. Mai 2017.
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