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Photo: Kecko from Flickr (CC BY 2.0)

Es gibt vielerlei, das verboten ist, oder wo der Ruf nach einem Verbot oder Gesetz immer wieder laut wird. Ein häufiger Denkfehler in dem Zusammenhang ist, dass man „legal“ mit „empfohlen“ verwechselt. Oder anders gesagt: Man muss nicht gleich alles verbieten, was einem nicht behagt.

Etwas vor dem Gesetz tun zu dürfen, heißt nicht, es auch tun zu müssen

Es gibt viele gute Gründe, sich für die Legalisierung von Marihuana einzusetzen. Zum Beispiel die Reduzierung von Kriminalität, die mit dem Verbot einhergeht. Aus einer Legalisierung oder zumindest Entkriminalisierung folgt jedoch nicht, dass von nun an der Konsum von Marihuana empfohlen wird. Man muss nicht damit rechnen, dass Menschen wie der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan oder der Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, die sich für ein Ende des Kriegs gegen die Drogen einsetzen, bald mit der Crack-Pfeife im Mund der Weltöffentlichkeit von bewusstseinserweiternden Substanzen vorschwärmen.

Wenn die NPD nicht verboten wird, ist das keine implizite Wahlempfehlung der Verfassungsrichter. Wer gegen ein Verbot sexistischer Werbung ist, möchte nicht notwendigerweise die Innenstadt mit nackten Frauen plakatiert sehen. Das Tragen der Burka zuzulassen impliziert nicht den Wunsch, möglichst viele Frauen möchten sich für diese Mode-Variante entscheiden. Und man kann das Rauchen in Kneipen erlauben, ohne den Wirten nahezulegen, diese Möglichkeit zu nutzen. Etwas vor dem Gesetz tun zu dürfen, heißt nicht, es auch tun zu müssen oder zumindest zu sollen.

Was ist eigentlich der Zweck von Gesetzen?

Auch wenn das so nie von den Befürwortern von Verboten formuliert wird: es schwingen häufig genau diese unterschwelligen Botschaften mit. Wenn man es nicht verbietet, werden Leute sich aufgerufen fühlen, es zu tun. Durch das Verbot dagegen wird bei vielen Menschen das Gefühl hervorgerufen, das Problem, das dadurch adressiert wird, sei nun unter Kontrolle. Fakt ist: Unter Kontrolle ist es oft genug nicht. Die Drogenpolitik ist vielleicht das krasseste Beispiel dafür, wie ein Verbot vor allem neue Probleme verursacht ohne die alten zu lösen. Aber auch harmlosere Interventionen wie die Mietpreisbremse oder Verbote, nachts Alkohol zu verkaufen, bringen in der Regel eher neue Probleme hervor ohne die bestehenden in den Griff zu bekommen.

Alles fängt an mit einem grundlegenden Missverständnis: Was ist eigentlich der Zweck von Gesetzen? Anders als viele Politiker es kommunizieren und anders als viele Bürger es empfinden, ist ihr Sinn nicht, die Verbindlichkeit von Vorlieben festzuschreiben. In einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wie dem unsrigen ist der Sinn von Gesetzen, die Freiheit der Bürger zu garantieren. Es widerspricht zutiefst dem Geist unseres Grundgesetzes und Gemeinwesens, persönliche Geschmacksurteile oder Meinungen mittels eines Gesetzes zum Maßstab für alle Bürger des Landes zu machen.

Dass das dennoch immer öfter passiert, führt eben auch zu dem Irrtum zu glauben, dass „legal“ gleichbedeutend mit „empfohlen“ sei. Wenn Gesetze und Verordnungen zunehmend zu einem (repressiven) Kommunikationsmittel über das gewünschte Verhalten werden, dann übermitteln sie eben nicht mehr bloß, was man nicht tun soll, sondern immer häufiger, was man tun soll. In letzter Konsequenz wird dann so viel geregelt, dass man davon ausgehen kann: Wenn etwas nicht verboten ist, sollte man es tun.

Argumente nicht durch Vorschriften ersetzen

Wenig überraschend werden sich dennoch viele Menschen nicht daran halten. Wer wirklich etwas verändern will, muss einen anderen Weg als den der Gesetze wählen. Wenn zum Beispiel auch nur ein Teil der enormen Summen, die heute in Strafverfolgung wegen kleinerer Drogendelikte gesteckt werden, in Aufklärung über die Schädlichkeit von Rauschmitteln gesteckt würden, könnte man nachhaltiger Veränderungen bewirken – und das ohne die negativen Nebenwirkungen eines Gesetzes. Das Thema Rauchen ist da ein gutes Beispiel: Die stetig sinkende Zahl der Raucher hat wohl eher mit verstärkter Aufklärung und gewachsenem gesellschaftlichen Bewusstsein zu tun als mit den erst in der Folge eines veränderten Bewusstseins aufgetretenen Nichtraucherschutzgesetzen und abstoßenden Bildern auf Zigaretten-Packungen.

Es gibt sehr gute und überzeugende Argumente dafür, vieles nicht zu tun, was heute verboten, illegal und sanktioniert ist. Diese Argumente sind ein viel wirksameres Mittel, um nachhaltig und langfristig Menschen davon abzuhalten als Verbote und Gesetze. Wer ein Gesetz einführt, hat damit noch keinen Menschen überzeugt. Die Tendenz, über Gesetze die eigenen moralischen Urteile durchzusetzen, ist nicht nur wenig effizient. Sie erodiert auch über die Zeit hinweg unseren Rechtsstaat, indem sie ihn in einen Gesetzstaat transformiert. Gerade in einer Demokratie, die sich aus der Urteilsfähigkeit der Bürger heraus begründet, darf das Argument nicht durch die Vorschrift ersetzt werden.

Photo: Eli Christman from Flickr (CC BY 2.0)

Von Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus und dem Cato Institute in Washington D.C.

Noch vor einigen Monaten wurde die Präsidentschaftskandidatur Donald Trumps von der ganzen Welt belächelt. Der Immobilienmogul war mit seiner eigenen Reality Show nicht viel mehr als eine Kuriosität im amerikanischen Vorwahlkampf. Doch er hat das scheinbar Unmögliche geschafft: Er hat alle republikanischen Konkurrenten eindrucksvoll aus dem Rennen befördert und ist nun der Präsidentschaftskandidat der „Grand Old Party“. Man stelle sich einen rassistischen Robert Geiss vor, der Angela Merkel als CDU Spitzenkandidat ablösen würde.

Eine CNN Umfrage vom Anfang des Monats sieht Hillary Clinton klar in der Favoritenrolle in der kommenden Präsidentschaftswahl. Sie erhält 42 Prozent Zustimmung während Donald Trump mit nur 34 Prozent rechnen kann. Bemerkenswert ist, dass der Kandidat der Libertarian Party, Gary Johnson, mit ganzen 11 Prozent gelistet wird. Doch wenn es nach den Demoskopen gehen würde, wäre „Low Energy Bush“ Präsidentschaftskandidat der Republikaner geworden … In den wichtigen „Swing States“ Ohio, Florida und Pennsylvania liefern sich Trump und Clinton in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Clinton ist bei den Amerikanern äußerst unbeliebt. Selbst langjährige Demokraten können ihre Abneigung gegen die ehemalige First Lady kaum verbergen. Sie steht für die abgehobene Washingtoner Politikwelt, ohne jeden Realitätsbezug, ist opportunistisch und unglaubwürdig. Aus der Zeit als Außenministerin macht ihr außerdem eine E-Mail-Affäre zu schaffen. Das FBI ermittelt und die ganze Welt kann auf Wikileaks lesen, was die ehemalige Außenministerin Clinton alles so geschrieben hat. (Stöbern lohnt sich!)

Donald Trumps Erfolg ist zu einem großen Teil der Unzufriedenheit über genau diesen Politikertyp geschuldet. Trump ist der Anti-Clinton in jeglicher Hinsicht: Er spricht eine einfache Sprache und er kann Menschen begeistern. Er verkörpert, wenn auch auf eine etwas schräge Art und Weise, den „American Dream“. Er lässt sich, anders als „die da“ in Washington nicht durch Lobbyisten kaufen: Er hat selbst schon genug Geld.

Die Wandlung des schrägen und lauten Vorwahlkämpfers Trump zum Präsidentschaftskandidaten Trump hat längst begonnen. So vermeidet er es neuerdings, Mexikaner pauschal als Verbrecher und Vergewaltiger zu beleidigen. Auch die geplante Mauer zu Mexiko tritt zunehmend in den Hintergrund. Der 69-jährige Milliardär bewegt sich zunehmend auf die politische Mitte zu. Am Ende könnte er sogar Unterstützung aus dem Bernie Sanders-Lager gewinnen. Protektionistische Wirtschaftspolitik und der Frust über die Washingtoner Politikelite ist auch dort zuhause. Auch in gesellschaftlichen Fragen wurde Donald Trump in der Vergangenheit eine deutlich Demokraten-nahe Position nachgesagt. Sobald er seine Rhetorik des Vorwahlkampfs abgelegt hat, kann er beispielsweise mit den Themen Gleichberechtigung von Homosexuellen und Abtreibung in der Wählerschaft der Demokraten wildern.

Langsam dämmert es vielen, dass ein Präsident Trump nicht nur möglich ist, sondern auch zunehmend wahrscheinlicher wird. Clinton wird auf jeden Fall eine leichterer Gegner sein als viele hoffen. Das bringt uns zu dem eigentlichen Gegenspieler von „The Donald“: Thomas Jefferson. Der Gründungsvater und dritte Präsident der Vereinigten Staaten steht wie kein anderer für die Ideen der amerikanischen Unabhängigkeit und Verfassung. Am 4. Juli 1776 erklärte der zweite Kontinentalkongress die Unabhängigkeit von Großbritannien. Zusammen mit der amerikanischen Verfassung bildet die Unabhängigkeitserklärung das Fundament der Vereinigten Staaten von Amerika: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.“

Die ersten Zeilen der Unabhängigkeitserklärung sind nicht nur ein nettes Vorwort, sie fassen das moralische Selbstverständnis der Gründungsväter und Millionen Amerikaner zusammen. Nicht die Regierung verleiht den Menschen gewisse Rechte, sondern jeder Mensch ist von Natur aus mit unveräußerlichen natürlichen Rechten geboren. Diese Rechte auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück bedeuten, dass jeder sein Leben führen kann wie er es für richtig hält. Die Grenzen sind die natürlichen Rechte der Anderen. Um diese natürlichen Rechte zu sichern, konstituierten die Gründer den jungen Staat. Dieser erhält seine gerechte Legitimation durch die Zustimmung der Beherrschten. Regierungshandeln ist daher auf die Bereiche beschränkt, in welchen die Menschen der Regierung entsprechende Kompetenzen verliehen haben. Auch der Regierung und einem Präsidenten Trump sind im Verständnis der Gründungsväter der USA klare Machtgrenzen gesetzt.

Die legislativen Befugnisse werden in Artikel 1 der Verfassung dem Kongress zugesprochen: „All legislative Powers herein granted shall be vested in a Congress of the United States, which shall consist of a Senate and House of Representatives.“ Die Idee, dass die Menschen von Natur aus mit Rechten geboren wurden und nur gewisse Befugnisse an den Staat abgegeben haben, finden sich auch in diesem Satz wieder. So wird keine generelle Befugnis erteilt in dem vom „Power“ gesprochen wird, sondern nur die durch die Menschen abgetretenen „Powers“ werden dem Kongress übertragen. Die amerikanische Verfassung ist mit vielen „Checks and Balances“ ausgestattet. Die vom Kongress verabschiedeten Gesetze können durch den Präsidenten mit einem Veto blockiert werden. Das Veto kann durch eine „Supermajority“ ausgehebelt werden, wenn zwei Drittel beider Kammern des Kongresses es beschließen.

Der „Supreme Court“ hat eine entscheidende Rolle in der amerikanischen Verfassung. Er wacht darüber, dass der amerikanische Gesetzgeber und der Präsident ihre durch die Verfassung definierten Befugnisse nicht überschreiten. Die Richter werden zudem vom Präsidenten im Einvernehmen mit dem Kongress auf Lebenszeit ernannt. Anfang 2016 verstarb der oberste Richter Antonin Scalia. Der nächste Präsident wird durch die Wahl eines neuen Richters die Auslegung der Verfassung auf Jahrzehnte bestimmen können. Antonin Scalia galt als ein konservativer Richter, welcher die Verfassung nahe am Text und daher im Geist der Gründerväter auslegte. Derzeit sind vier Richter im Amt, die durch republikanische Präsidenten ernannt wurden, und ebenso viele, die durch demokratische Präsidenten ihren Posten erhielten. Die nächste Nominierung ist daher entscheidend für das Machtverhältnis im obersten Gericht.

Die Verfassung sieht vor, dass der Kongress mit seinen beiden Kammern das Machtzentrum der amerikanischen Demokratie sein soll. Dem Präsidenten bleibt nach der Ausführung der Beschlüsse des Kongresses nur das Feld der Außenpolitik. Insbesondere ist der Präsident der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und entscheidet über deren Einsatz, inklusive des Kernwaffenarsenals. Trump gibt sich als „Non-Interventionist“ und kritisiert die Außenpolitik von George W. Bush scharf, doch es bleibt zu befürchten, dass seine impulsive Art zu gefährlichen Situationen führen wird.

Seit dem Inkrafttreten der Verfassung hat sich das Machtgefüge zugunsten des Präsidenten verschoben. Vor allem Obama benutzt exekutive Anordnungen, um den regulären Gesetzgebungsprozess im Kongress zu umgehen. Man könnte hoffen, dass der Kongress seine Kompetenzen wieder zurückholen würde und die Macht der Exekutiven wieder einschränkt, wenn Donald Trump gewählt werden würde. Das wäre allerdings ein sehr optimistisches Szenario, denn es verkennt die tatsächliche Machtbalance zwischen der Exekutive und dem Kongress.

Die amerikanische Verfassung gibt dem Kongress die Möglichkeit, Donald Trump in die Schranken zu weisen. Sie kann der Unberechenbarkeit des Donald Trumps aber wohl nichts entgegensetzen. Die Gründungsdokumente sind beeindruckende Meilensteine der Freiheit, doch sie sind nicht „self-enforcing“. Das Wirken hängt von dem Respekt und dem tatsächlichen Leben der Verfassung ab. Wenn sich mehr Amerikaner der Bedeutung ihrer liberalen Gründungsdokumente vergegenwärtigen würden, könnte Druck auf den Kongress entstehen, seine ursprüngliche Verantwortung wieder zu übernehmen. Vor allem würde dann aber ein prinzipienloser Populist, der mit fast jeder Aussage die liberalen Grundwerte der Gründerväter mit Füßen tritt, erst gar nicht gewählt werden.

Photo: GLOBAL 2000/Christopher Glanzl from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die intellektuelle Elite der westlichen Welt ist in Schockstarre: Von Österreich bis zu den Philippinen, von den USA bis nach Sachsen-Anhalt haben Populisten plötzlich massiven Aufwind. Dieselben Eliten sind freilich nicht unschuldig daran: Wenn es ihnen passte, haben sie auch gerne das Instrument der Panikmache genutzt.

Die Skandalkultur der 70er und 80er Jahre

Populismus fällt nicht vom Himmel. Er wächst aus der Erde hervor. Und der Nährboden für dessen Gedeihen wird nicht selten von Menschen bereitet, die das gar nicht beabsichtigen. Populismus gedeiht durch undifferenzierte und mithin sehr eindimensionale Kommunikation, er nährt sich von irrationaler Angst und braucht Skandale, um groß zu werden. Eine erste Blütezeit der Skandalkultur waren die 70er und 80er Jahre. In Gang gebracht haben das ebenjene Vordenker aus dem intellektuellen Milieu, die heute entsetzt aufschreien. Die gesellschaftliche Macht der Zeit-Journalisten, Politologie-Professoren und Greenpeace-Aktivisten ist nicht zuletzt durch Skandalisierung und Panikmache entstanden. Und nun ist es wie bei Goethes Zauberlehrling: „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“

Am Anfang der Skandalisierungskultur stand ein ehrenwertes Anliegen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde Vergangenheitsbewältigung nur sehr zaghaft betrieben. Wer die Auseinandersetzung mit der grauenhaften NS-Vergangenheit vorantreiben wollte, wie etwa der Staatsanwalt Fritz Bauer, musste laut werden. Oder zu etwas fraglichen Mitteln greifen wie Beate Klarsfeld mit ihrer Ohrfeige für Bundeskanzler Kiesinger. Politische Aktivisten der 70er Jahre übernahmen diese Techniken und rechtfertigten sie durch den Gebrauch des pauschalen Nazi-Etiketts. Überall sahen sie Nazis: in den Vorstandsetagen und im Bundestag, in den Kirchen und Kindergärten, in der Bundeswehr und bei den Energieversorgern. Man musste nur Faschismus drauf schreiben und schon wandelte sich jedes Hetzen, Niederbrüllen und Steinewerfen in eine Heldentat.

Zuwanderung statt Gentechnik

Ob Anti-Atomkraft- oder Friedens-Bewegung, ob Wale retten oder Gen-Gemüse verhindern: Immer gibt es einen guten Grund dafür, warum man laut sein darf, warum man Angst und Panik verbreitet, warum man es „denen da oben“ mal ordentlich zeigt. Man fühlt sich auf der richtigen Seite. Man steht in einer Tradition mit Sophie Scholl und Gandhi, Rosa Parks und Benno Ohnesorg. Auch in jüngster Zeit wird das Mittel „Skandal“ immer wieder angewandt: So etwa als Greenpeace die völlig unspektakulären „Geheim-Papiere“ zu TTIP „enthüllte“ oder mit dem jüngsten Hype um Glyphosat.

Muss man sich wundern, wenn all diese Methoden nun nicht mehr nur für die „richtigen“ Ziele wie Weltfrieden, Umweltrettung und eine gen- und atomfreie Erde eingesetzt werden? Jahrzehntelang haben linke Aktivisten vorgemacht, wie man Mücken zu Skandal-Elefanten macht und wie man Ängste nutzt, um politische Ziele durchzusetzen. Nun machen es eben rechte Aktivisten nach. Ersetze „Atom-Super-GAU“ durch „Niedergang der Kultur“, „Gentechnik“ durch „Zuwanderung“ und „Chlorhühnchen“ durch „Sexualkunde“ … Sogar die Selbststilisierung zum Helden kann man wiederfinden: Absurderweise vergleichen sich nicht selten rechte Aktivisten mit Figuren des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.

Vereinfachen und Polemisieren wie Campact, Greenpeace und Occupy

Trump, Hofer, Le Pen, Kaczynski und Orban sind nicht nur Produkte einer absteigenden Mittelklasse, die sich als Verlierer der Globalisierung empfinden. Sie sind auch gelehrige Schüler der 68er und ihrer Epigonen. Sie vereinfachen wie Campact, sie polemisieren wie Greenpeace und sie inszenieren sich als Stimme des Volkes wie die Occupy-Bewegung. Im Unterschied zu Goethes Zauberlehrling gibt es jedoch in dieser Situation keinen Hexenmeister, der den Scherbenhaufen wieder aufräumen könnte, den die Nachwuchs-Zauberer hinterlassen. Und es wird auch nicht so schnell gehen wie in der Goethe-Ballade: Es wird gemeinsamer und langfristiger Bemühungen bedürfen, um der populistischen Versuchung Herr zu werden.

Gefragt sind bei diesen Bemühungen alle diejenigen, die sich in stärkerem Maße politisch engagieren: Politiker selbst, aber vielleicht noch viel mehr Journalisten, Mitarbeiter von NGOs und Aktivisten. Die Hauptaufgabe besteht darin, das Diskussionsklima wieder herunter zu kühlen. Wer sich Sorgen macht wegen des rechten Populismus, der muss auch auf der linken Seite abrüsten. Hört auf damit, TTIP zu dämonisieren, ungleiche Einkommensverteilung zu skandalisieren, Sorge vor zu vielen Zuwanderern als faschistoid zu bezeichnen und allenthalben Machenschaften und Geheimniskrämerei der Großkonzerne oder des Establishments zu wittern! Schon vor fast sechzig Jahren schrieb der am Mittwoch verstorbene Historiker Fritz Stern über „Kulturpessimismus als politische Gefahr“. Wenn wir nicht gegensteuern, könnte wirklich das „Zeitalter der Angst“ anbrechen, vor dem er noch im Januar warnte.

Photo: Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Der viel zu früh verstorbene Außenminister Guido Westerwelle hat einmal in einer Auseinandersetzung, an der ich nicht ganz unbeteiligt war, über Europa gesagt: „Europa hat seinen Preis. Aber es hat auch einen Wert.“ Damit wollte er in der Auseinandersetzung um die Griechenlandhilfen und den Mitgliederentscheid in der eigenen Partei deutlich machen, dass man das europäische Projekt nicht nur auf das Fiskalische reduzieren könne. Damals empfand ich es als etwas unfair, mir eine solche Reduzierung zu unterstellen. Dennoch ist an diesem Satz etwas dran. Er drückt aus, dass für viele, mich eingeschlossen, die europäische Einigung mehr ist als die Umverteilung von Norden nach Süden oder Subventionen für die Landwirtschaft. Sie ist tatsächlich ein Friedensprojekt. Ein Friedensprojekt, das durch Kooperation entsteht. Doch dieses Friedensprojekt ist derzeit akut in Gefahr, weil es an Ideen fehlt, wie es weitergehen soll.

Insbesondere in unserem Land kümmert man sich nicht um die weitere Entwicklung der Europäischen Union. Die deutsche Regierung ist Getriebene in der Euro-Schuldenkrise, in der Flüchtlings- und Migrationskrise, muss der Brexit-Diskussion hilflos zusehen und hat kein Konzept gegen den schleichenden Zentralisierungsprozess in der EU. Auch in den Parteien und in anderen gesellschaftlichen Gruppen findet eine Debatte nicht oder nur unzureichend statt. Das ist nicht nur bedauerlich, es ist auch gefährlich, weil ein Rückfall in die Nationalstaatlichkeit nicht die Antwort auf das Versagen der Europäischen Union in der Euro-Schuldenkrise und der Flüchtlings- und Migrationskrise sein darf.

Wie könnte die Zukunft Europas aussehen, wo könnte es hingehen? Zunächst sollte sich die Europäische Union nicht anmaßen, für ganz Europa zu sprechen. Die Mitgliedsstaaten der EU sind lediglich ein Teil Europas. Aber die Schweiz, Norwegen und andere gehören ebenfalls dazu. Sie sind auch Teil der europäischen Kultur. Gerade die Schweiz ist sogar ein Leuchtturm an Freiheit, Wohlstand und Demokratie in Europa. Zweitens: Der Binnenmarkt ist das verbindende Element der europäischen Idee. Die europäischen Grundfreiheiten, dass Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital ohne Schranken Grenzen überwinden können, ist eine unschätzbare Errungenschaft. Sie zu erhalten, muss oberste Priorität für alle EU-Mitglieder sein.

Und natürlich gibt es – drittens – auch Aufgaben, die die Europäische Union viel besser erledigen kann als ein Nationalstaat. Wenn es um den Abbau von Handelsschranken gegenüber anderen Staaten und Wirtschaftsräumen geht, dann kann dies die EU prinzipiell besser als ein kleines Land wie Österreich oder Luxemburg. Die EU müsste Grenzen für Waren und Dienstleistungen auch von außerhalb der EU öffnen, möglichst ohne Vorbedingungen. Viertens müssen die EU-Institutionen auf Konsens beruhen. Ein Konsens kann nicht durch die Mehrheit oder durch das Schaffen von Fakten erzwungen werden. Die Euro- und Migrationskrise sind dafür negative Beispiele, wo Lösungsversuche auch deshalb nicht akzeptiert werden, weil sie erzwungen wurden.

Fünftens: Nur als atmende Organisation hat die EU eine Zukunft. Nicht der Einheitsbrei ist die Antwort auf die Probleme, sondern die freiwillige vertiefte Zusammenarbeit, die Differenzierung statt der Zentralisierung, das Rückholrecht statt eines Dogmas der „ever closer union“. Sechstens: Das Wettbewerbsprinzip muss auf die Währungen, die Sozialsysteme und auch auf das Recht ausgeweitet werden. Warum kann ein griechisches Unternehmen in Athen nicht einfach das Arbeitsrecht Großbritanniens oder Deutschlands anwenden? So entstünde ein Systemwettbewerb, der den Einzelnen aus der Abhängigkeit seiner staatlichen Bürokratie und deren Unvermögen vor Ort befreien kann.

Siebtens: Die Marktwirtschaft ist die Wirtschaftsordnung in der EU. Dazu passen weder ein Juncker-Plan, noch ein EU-Finanzminister oder andere Spielarten der Planification. Achtens: In der Europäischen Union muss das Primat von Recht und Freiheit statt eines Primats der Politik gelten. Nicht der Einzelfall sollte geregelt werden. Vielmehr ist es die Aufgabe der Parlamente, allgemeine, abstrakte und für alle gleiche Regeln zu schaffen. Neuntens: Haftung und Verantwortung müssen in der Europäischen Union wieder zusammengeführt werden. Wer als Staat, Unternehmen oder Bürger über seine Verhältnisse lebt, muss selbst die Verantwortung dafür übernehmen. Wenn ein Mitgliedsstaat den Sozialstaat unverhältnismäßig ausbaut, die Verschuldung hochtreibt und alle Wachstumspfade kappt, muss dieser die Folgen selbst tragen und darf sie nicht auf andere Mitgliedsstaaten auslagern oder über die Zentalbank sozialisieren. Wer mitmacht, muss im Zweifel selbst haften. Daraus folgt zehntens: Die Europäische Union muss als Konföderation organisiert werden, statt den EU-Zentralstaat zu erzwingen.

Der Deutsch-Brite Ralf Dahrendorf sah bereits in den 1970er Jahren die Europäische Einigung auf dem falschen Weg. Er sagte damals: „Europa (er meinte die EU) muss Rechtsstaat und Demokratie (ich würde sagen: individuelle Freiheit) verkörpern, pflegen und garantieren: sonst ist es der Mühe nicht wert.“

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Toleranz ist derzeit in vielen politischen Debatten rund um den Globus ein zentrales Thema. Die Entdeckung der Toleranz war die Grundlage für das Entstehen unserer freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens. Sie ist nicht verhandelbar.

Allgemeines Prinzip, nicht nur Anspruch einer Minderheit

Die Forderung, dass einem Toleranz entgegengebracht werden möge, ist uralt. Sokrates hat sie erhoben, auch die Christen und Juden des Altertums haben darauf gepocht. Und in der Zeit der Reformation erwarteten Katholiken und Protestanten gleichermaßen Toleranz, wo auch immer sie gerade in der Minderheit waren. Aber erst im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts entwickelte sich langsam die Vorstellung, dass Toleranz mehr ist als die Duldung, die man für sich selbst einfordert. In Gemeinwesen wie dem Königreich Polen-Litauen, den Vereinigten Niederlanden oder den Kolonien Großbritanniens auf dem Boden der heutigen USA wurde erstmals das Prinzip angewandt, dass Toleranz als allgemeines Prinzip zu gelten habe, nicht nur als Anspruch einer Minderheit.

Bezeichnenderweise sind diese Gemeinwesen auch die wichtigsten Vorläufer heutiger demokratischer Staaten. Hier entstanden die grundlegenden Verfassungsprinzipien, nach denen die moderne Demokratie sich organisiert. Zugleich waren diese Gemeinwesen auch besonders innovativ und ökonomisch erfolgreich. Die theoretische und oft auch praktische Grundlage des Toleranz-Gedankens lieferten Vordenker wie der französische Gelehrte Sebastian Castellio, die Staatstheoretiker Hugo Grotius und John Locke und die Gründer der ersten amerikanischen Kolonien Roger Williams, Thomas Hooker und William Penn. Erstmals verwirklicht wurde Toleranz in Polen ab dem Jahr 1573, wo durch die „Konföderation von Warschau“ orthodoxen und protestantischen Christen jeder Konfession dieselben Rechte zugestanden wurden wie Katholiken.

Absage an eine autoritäre Steuerung von Gewissen, Gemeinwesen und Markt

Ohne diese Vorarbeit der Generationen vor uns wäre die Idee einer Demokratie undenkbar, in der alle Menschen die Möglichkeit haben, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Aus dem Prinzip der unterschiedslosen Toleranz für jeden entwickelte sich der Grundsatz der Meinungsfreiheit. Wenn man schon in religiösen Fragen seinen eigenen Vorstellungen folgen können sollte, war es ja nur konsequent, diese Möglichkeit auf alle Bereiche des menschlichen Lebens auszuweiten. Wenn es in religiösen Fragen niemanden geben sollte, der über die Wahrheit befinden kann, um wieviel weniger kann das in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen der Fall sein.

Mit dem Toleranz-Gedanken geht die Vorstellung einher, dass es niemanden gibt, der im Besitz der Wahrheit ist. Dass Erkenntnisse und Lösungen gefunden werden müssen in einem Dialogprozess, an dem viele beteiligt sind. Dass es essentiell ist, auf die Einsichten anderer zugreifen zu können, auf diese Weise zu lernen und sich zu verbessern. Politische Lösungen werden in diesem Weltbild nicht mehr von einem Herrscher von Gottes Gnaden bestimmt, sondern im Austausch der Meinungen gefunden und immer wieder verändert und angepasst. Diese Form der Kommunikation liegt nicht nur der Demokratie zugrunde, sondern auch der Marktwirtschaft, die auch darauf baut, dass Lösungen am besten dezentral gefunden werden. Die Absage an eine autoritäre Steuerung von Gewissen, Gemeinwesen und Markt – kurz Toleranz – hat sich über die letzten Jahrhunderte als das erfolgreichste Modell erwiesen.

Der Fremde als Gefahr und der Wettbewerb als Bedrohung

Der größte Feind der Toleranz ist die Angst. Bedeutet Toleranz doch den Verzicht auf Kontrolle und Steuerung. Man lässt zu, dass sich Dinge in eine Richtung entwickeln könnten, die einem selbst nicht behagt. Die Angst, die daraus entsteht, bringt die Sehnsucht hervor, die Dinge im Griff zu behalten. Sie ist mithin der Nährboden für den Ruf nach Planung: in der Gesellschaft wie in der Wirtschaft. Das ist der Rückfall in das Stammesdenken längst vergangener Zeiten. Hier wird der Fremde als Gefahr wahrgenommen und der Wettbewerb als Bedrohung der eigenen Stellung. Toleranz braucht mutige Menschen mit der Bereitschaft, sich dem Wettbewerb und dem Unbekannten auszusetzen.

Der islamistische Terror, die fragile Situation, in der sich die Weltwirtschaft derzeit befindet, die Millionen, die sich derzeit auf der Flucht befinden – es gibt genug Gründe zur Wachsamkeit und dafür, sich sehr ernsthaft Gedanken über Lösungen zu machen. Für die Menschen in den Ländern Osteuropas, in den USA, in Frankreich und Großbritannien und auch hier bei uns in Deutschland sollte bei all diesen Herausforderungen Mut das Leitmotiv und der Toleranz-Gedanke der Maßstab sein. Denn sie sind die Wurzel der Demokratie, der Marktwirtschaft und des freiheitlichen Gemeinwesens. Diese waren über die Jahrhunderte so erfolgreich, weil mutige Menschen sie verteidigt haben. Weil Menschen die Größe aufgebracht haben, nicht nur für sich selbst und ihre Gruppe ein Recht zu beanspruchen, sondern es jedem zu gewähren. Toleranz ist einer der wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zur Zivilisation der Freiheit. Wir dürfen nicht wieder dahinter zurück!