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Photo: Artem Maltsev from Unsplash (CC 0)

Wie von Zauberhand hat sich die Homöopathie eine einzigartige Sonderstellung im deutschen Gesundheitswesen erschaffen. Sie muss nicht wirken und nichts beweisen und ist trotzdem Teil des Systems – ein Fehler.

Hokuspokus Fidibus!

„Hiezu fügt man 100 Tropfen guten Weingeist und giebt dann dem, mit seinem Stöpsel zugepfropften Fläschgen, 100 starke Schüttelstöße mit der Hand gegen einen harten, aber elastischen Körper geführt.“ Hokuspokus Fidibus, drei Mal schwarzer Kater – Fertig ist der Trunk! – mag man da vollenden. Doch anders als man gemeinhin annehmen könnte, handelt es sich bei diesem Rezept nicht um einen Auszug aus dem altenglischen magischen Heilbuch „Lacnunga“. Stattdessen erklärt hier der 1843 verstorbene Vater der Homöopathie, Samuel Hahnemann, ein Grundprinzip zur Herstellung homöopathischer Mittel. Durch das beschriebene „Verschütteln“ sollen sich die guten Eigenschaften eines Giftes auf die Arznei übertragen, während die schlechten durch endloses Verdünnen verschwinden.

Ja, das ist skurril, aber wäre eigentlich nicht weiter von Belang. Würde die Homöopathie nicht eine absurde Sonderstellung im deutschen Gesundheitswesen genießen.

„Regulierung? Ja bitte!“ Die Homöopathie kauft sich den Anstrich „Arzneimittel“

Im vergangenen Jahr gaben die Deutschen 670 Millionen Euro für homöopathische Arzneien aus. Davon wurden 85 % privat bezahlt. Präparate für ca. 100 Millionen Euro wurden hingegen auf Rezept ausgegeben und damit teilweise von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. An sich wäre das in Zeiten, in denen Menschen Unsummen für Dinge wie Ziegen-Yoga ausgeben, nicht weiter problematisch. Wäre da nicht die unheilvolle Verquickung der homöopathischen Industrie mit dem Staat. So besteht für die allermeisten homöopathischen Erzeugnisse eine Registrierungs- und Apothekenpflicht. Allerdings mit einer wichtigen Sonderregel. Während Hersteller konventioneller Arzneimittel umfangreiche Wirksamkeitsnachweise erbringen müssen, entfällt diese Vorgabe für homöopathische Präparate.

Das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte prüft lediglich, ob die jeweiligen Präparate korrekt (also entsprechend der homöopathischen Vorgaben) hergestellt wurden und ob der Hersteller garantieren kann, dass die jeweilige Mischung nicht schädlich ist. Letzteres ist bei den allermeisten Präparaten dann auch nicht sonderlich schwer, schließlich enthalten Präparate schon ab der so genannten D24-Verdünnung in 50 Prozent der Fälle überhaupt kein einziges Molekül mehr des eigentlichen Wirkstoffes. Ein für die Hersteller recht aufwendiges und teures Verfahren zum Inverkehrbringen von kleinen Zuckerkügelchen. Doch trotzdem insistiert die Homöopathen-Lobby, die Registrierungspflichten beizubehalten.

Setzt sich eine ganze Industrie für mehr Bürokratie ein, sollte man auf der Stelle stutzen. Und tatsächlich helfen Apotheken- und Registrierungspflicht den homöopathischen Unternehmen nur. Denn obwohl nichts mehr drin ist, steht Arzneimittel drauf – und welcher Kunde hinterfragt das schon in einem Land, in dem alles und jedes aufs Genauste geprüft und reguliert ist. Und so verfällt neben gutgläubigen Patienten auch so mancher Schulmediziner dem Gedanken, dass da ja schon irgendwas dran sein müsse und verschreibt die kleinen Mittelchen. Man möchte ja auch kein zurückgebliebener Außenseiter sein …

Ein öffentliches Gesundheitswesen braucht allgemeinverbindliche und nachvollziehbare Regeln

Darüber hinaus schleicht sich die Homöopathie immer weiter in das öffentliche Gesundheitswesen. Universitäten bieten ihren Studenten Wahlkurse in Homöopathie an und gesetzliche Krankenkassen übernehmen freiwillig die Kosten homöopathischer Anwendungen auf Kosten der Solidargemeinschaft. Und das alles, obwohl die Studienlage eindeutig zeigt, dass homöopathische Präparate nicht besser wirken als jedes andere x-beliebige Placebo. Sicher, es gibt immer wieder Studien, die das Gegenteil behaupten. Doch sind diese fast ausschließlich tendenziös, von schlechter wissenschaftlicher Qualität und uneindeutig, wie eine große Metastudie aus dem Jahr 2005 belegt.

Ein so umfangreiches öffentliches Gesundheitswesen wie das deutsche ist vor allem eines: teuer. Da ist es umso wichtiger, dass wir dieser Institution allgemeinverbindliche und nachvollziehbare Regeln geben. Es geht dabei letztendlich um nichts anderes als die Gleichheit vor dem Gesetz. Es gibt diese umfangreichen und klar nachvollziehbaren Regeln, und sie stellen hohe Ansprüche an Anbieter medizinischer Leistungen und Präparate.

Doch die deutschen Homöopathen haben es durch geschickte Lobbyarbeit, Scheinwissenschaftlichkeit und Selbstreferenz geschafft, sich so mancher Regel zu entziehen und trotzdem Teil des Systems zu sein. Das grenzt schon fast an Zauberei und trägt wesentlich zur wachsenden Bedeutung der Homöopathie bei. Welch ein Aufschrei würde aber durchs Land gehen, würde sich Volkswagen mittels eines eigenen Paragraphens einfach dem verbindlichen Abgastest entziehen? VW könnte dafür beispielsweise einige Studien renommierter Lungenärzte im hauseigenen VW-Magazin platzieren, die behaupten, dass VW-Abgase sich durch den Kontakt mit der Mundschleimhaut auflösen und deshalb nicht schädlich seien. Weit weg ist dies von der Argumentation der Homöopathen-Lobby jedenfalls nicht.

Besen, Besen! Seids gewesen.

Das Problem ist letztlich nicht, dass viele Menschen trotz fehlender Belege von der Homöopathie überzeugt sind. So kann die Homöopathie ja erwiesenermaßen die gleichen positiven Wirkungen erzielen wie simple Placebo-Präparate. Und in Zeiten, in denen der von der Gesundheitspolitik durchs Arztzimmer gehetzte Hausarzt gerade einmal sieben Minuten pro Patient erübrigen darf, will er seine Praxis irgendwie halten, da ist es auch nicht verwunderlich, dass es wohltuend ist, wenn sich ein Homöopath einmal 90 Minuten für den Patienten nehmen kann. Das alles rechtfertigt aber nicht die Sonderstellung der Homöopathie im deutschen Gesundheitswesen.

Sicherlich sollte niemandem der Zugang zu den kleinen Zauberkügelchen verwehrt werden – so lange im Ernstfall eine richtige Behandlung zugänglich ist. Hinterfragen sollten wir allerdings wie die Homöopathie-Lobby sich ihre Welt zurecht zaubert – und wie wir unser Gesundheitssystem so organisieren können, dass wir am Ende vielleicht ganz ohne Zauberei auskommen.

Photo: OTFW, Berlin from Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Hinsichtlich der Entscheidung über den öffentlichen Infrastrukturbau üben die Kommunen in Deutschland bereits einen relativ starken Einfluss. Maßgeblich ist allerdings, dass nicht nur die Bereitstellung, sondern auch die Finanzierungsgrundlagen dezentralisiert werden. Der gegenwärtige Fiskalföderalismus mit seiner stark auf Mischfinanzierung setzenden Kompetenzverwischung erweist sich als Hürde für effiziente öffentliche Investitionsentscheidungen.

Trotz des seit Jahren anhaltenden Konjunkturhochs vermuten viele Politiker, Journalisten und Kommentatoren, dass mit dem deutschen Wachstumsmodell etwas fundamental nicht stimmt: „Deutschland lebt von der Substanz!“, lautet eine über das gesamte politische Spektrum geteilte Befürchtung. Es mangele an Investitionen, insbesondere staatlicherseits. Brücken verfallen, das Internet ist zu langsam, es wird zu wenig in die Bildung des Nachwuchses investiert. Entsprechend beliebt sind Rufe nach „Mehr Investitionen!“ im Wahlkampf.

Ein Blick auf die langfristige Entwicklung der öffentlichen Nettoinvestitionen legt nahe, dass der öffentliche Kapitalstock seit der Jahrtausendwende kaum wächst und in einigen Jahren sogar geschrumpft ist. Aus einer niedrigen oder gar negativen öffentlichen Nettoinvestitionsquote kann allerdings nicht ohne weiteres abgeleitet werden, dass etwas im Argen läge. Statt die Steigerung der öffentlichen Investitionen zum obersten Ziel zu erklären, sollte der Abbau verbleibender politischer Investitionshemmnisse vorangetrieben, Investitionsentscheidungen und deren Finanzierung dezentralisiert und ein stärkerer Fokus auf die Rentabilitätsbewertung einzelner Investitionsvorhaben gelegt werden.

Investitionen ermöglichen Wachstum

Für den Wohlstand einer Gesellschaft sind Investitionen in den Kapitalstock entscheidend. Da Maschinen und Gebäude sowie Wissen und Fähigkeiten im Laufe der Zeit verschleißen bzw. veralten und folglich abgeschrieben werden müssen, dient ein Teil der Investitionen lediglich dem Erhalt des Kapitalstocks. Die in einer Periode stattfindenden Investitionen abzüglich des Kapitalverlusts werden als Nettoinvestitionen bezeichnet. Werden nur sogenannte Anlageinvestitionen betrachtet – also die lediglich der Vorratshaltung dienenden Investitionen ausgeklammert – so spricht man von Nettoanlageinvestitionen. Sind diese negativ, so geht mehr Kapital verloren als durch Investitionen geschaffen wird – eine Gesellschaft „lebt von der Substanz“.

Die Höhe der Nettoanlageinvestitionen ist kein unproblematischer Indikator. So weist das Bundesfinanzministerium darauf hin, dass rechnerische Abschreibungen als buchhalterische Größe nur bedingt dem Verschleiß von physischem Kapital und der Entwertung von Wissen entsprechen. Darüber hinaus wandelt sich die Definition von „Investition“ im Laufe der Zeit. Einen praktikableren Indikator für die Investitionstätigkeit gibt es jedoch nicht. In mittel- und langfristiger Perspektive nähern sich rechnerische Abschreibungen und tatsächlicher Kapitalverlust konzeptionell an.

Investitionsquote in Deutschland niedrig aber positiv

Um die Höhe der Nettoanlageinvestitionen über die Zeit und Länder hinweg einordnen zu können, werden sie gewöhnlich ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt. Langfristig ist die Nettoanlageinvestitionsquote in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich gesunken. Daran hat auch ein kurzlebiger Anstieg im Zuge der Wiedervereinigung in den 90er Jahren nichts geändert. Hinsichtlich dieses Trends unterscheidet sich Deutschland nicht von vergleichbaren Ländern. Direkt nach der Jahrtausendwende sank die Quote zwar stärker als in vergleichbaren Ländern, unter anderem, da viele Länder in der Eurozone einen nicht nachhaltigen Bauinvestitionsboom erlebten. Diese Lücke wurde jedoch in den Jahren der Eurokrise geschlossen. Der weiterhin Jahr für Jahr wachsenden Kapitalstocks relativiert die Befürchtung, man „lebe von der Substanz“.

Dass die Investitionstätigkeit in entwickelten Volkswirtschaften mit geringem Bevölkerungswachstum abnimmt, überrascht nicht. Denn die „low hanging fruits“ der Investitionen in den Kapitalstock mit sehr hoher Rendite wurden bereits geerntet.

Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass der langfristige Fall der Investitionsquote den Bedeutungsverlust kapitalintensiver Industrieproduktion zugunsten humankapitalintensiver Dienstleistungsproduktion widerspiegelt. Investitionen in das Wissen und die Fertigkeiten der Menschen werden relativ zum physischen Kapitalstock immer wichtiger, doch deren statistische Erfassung ist komplizierter. Wenngleich die Politik bessere Rahmenbedingungen für private Investitionstätigkeit schaffen könnte, geht ein Teil der „Investitionsschwäche“ möglicherweise auf die wünschenswerte Anpassung der deutschen Volkswirtschaft an sich verändernde Produktionsbedingungen zurück.

Staatliche Investitionen netto negativ

Anders als die Gesamtanlageinvestitionen fallen die Anlageinvestitionen des öffentlichen Sektors seit der Jahrtausendwende netto negativ aus – wenn auch nicht die ganze Volkswirtschaft, so lebt der deutsche Staat möglicherweise von der Substanz. Zwar ist ein Vergleich mit den 90er Jahren aufgrund der hohen öffentlichen Investitionen im Zuge der Wiedervereinigung problematisch, doch auch im internationalen Vergleich fallen die öffentlichen Investitionen Deutschlands auffällig niedrig aus.

Getrieben wird der Abbau des öffentlichen Kapitalstocks durch den Verlust von Anlagekapital in Form von Nichtwohnbauten – darunter fällt hauptsächlich die öffentliche Verkehrsinfrastruktur. Der öffentliche Kapitalstock an Ausrüstungen (etwa Maschinen und Fahrzeuge), geistigem Eigentum und Wohnbauten wächst dagegen Jahr für Jahr, wenn auch langsam.

Ein Teil der sinkenden öffentlichen Investitionen spiegelt lediglich den langfristigen Wandel der Wirtschaftsstruktur wider, der auch den Privatsektor betrifft, und ist daher nicht per se problematisch. Darüber hinaus sinkt die staatliche Anlageinvestitionsquote aufgrund der Ausgliederung staatlich bereitgestellter Angebote an öffentliche Träger und Einrichtungen, die formal dem Privatsektor zugerechnet werden. Weiterhin ist ein Teil der sinkenden öffentlichen Investitionen vermutlich dem Rückzug des Staates aus einigen Bereichen geschuldet, die heute durch Private bzw. öffentlich-private Partnerschaften bedient werden. In dem Maße, in dem Privatisierungen sinnvollerweise Investitionstätigkeit aus dem öffentlichen in den Privatsektor übertragen, ist der Rückgang der öffentlichen Investitionsquote begrüßenswert.

Die negative Nettoanlageinvestitionsquote des Staates der letzten Jahre wird durch geringe Investitionen in die kommunale physische Infrastruktur getrieben. Bund und Länder investieren mehr als ihnen verlustig geht. Aber der Stock an kommunal gehaltenem Kapital wird abgebaut. Der technische Fortschritt fällt im Bereich der physischen Infrastruktur seit Jahrzehnten deutlich geringer aus als in Branchen, die vordringlich von privaten Investitionen geprägt werden, etwa im IT-Bereich. Das lässt eine relative niedrige Investitionstätigkeit des Staates wünschenswert erscheinen.

Sind die öffentlichen Investitionen zu niedrig?

Da der öffentliche Sektor nie für einen Großteil der Investitionen verantwortlich war, ist die Diagnose eines grundsätzlichen Lebens von der Substanz hinsichtlich der Gesamtwirtschaft übertrieben. Dennoch veranlassen die niedrigen öffentlichen Investitionen viele Beobachter zur Sorge. Sie fürchten nicht nur die abnehmende Qualität öffentlich bereitgestellter Angebote, sondern negative Auswirkungen auf die private Investitionstätigkeit. Tatsächlich stellen öffentliche Investitionen in einigen Branchen wie der Bildung, dem Schienennetz oder der Gesundheitsinfrastruktur eine Voraussetzung für anschließende private Investitionen dar – entweder, weil der Staat einen komparativen Vorteil in der Bereitstellung der betreffenden Kapitalgüter besitzt oder weil er die Bereitstellung durch Private verbietet bzw. erschwert.

Öffentliche Investitionen dezentralisieren

Wenig sinnvoll erscheint angesichts der zahlreichen auf die Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand einwirkenden Faktoren eine hauptsächlich an der Höhe der Investitionsquote orientierte Diskussion. Weder lässt sich eine „optimale“ öffentliche Investitionsquote theoretisch bestimmen, noch sind historische oder internationale Vergleiche besonders informativ. Zielführender ist eine Diskussion über die Frage, inwiefern sich die staatliche Investitionstätigkeit tatsächlich an den Präferenzen der Bürger orientiert. Auf freien Märkten stehen die Anbieter von Gütern und Dienstleistungen im Wettbewerb miteinander, sodass sich jene durchsetzen, die knappe Ressourcen am effizientesten nutzen – auch hinsichtlich ihrer Investitionsentscheidungen.

Politiker haben dagegen nur einen schwachen Anreiz, ihre Investitionstätigkeit zu optimieren, da öffentliche Angebote in der Regel monopolistisch bereitgestellt werden und die Bürger nur begrenzte Möglichkeiten haben, ihre Präferenzen durch Wahlen oder den Umzug in einen anderen Staat kundzutun. Wo immer möglich, sollte die Verantwortung für Investitionsentscheidungen daher untergeordneten Gebietskörperschaften übertragen werden um die Feedbackmöglichkeiten der Bürger zu erweitern.

Hinsichtlich der Entscheidung über den öffentlichen Infrastrukturbau üben die Kommunen in Deutschland bereits einen relativ starken Einfluss. Maßgeblich ist allerdings, dass nicht nur die Bereitstellung, sondern auch die Finanzierungsgrundlagen dezentralisiert werden. Der gegenwärtige Fiskalföderalismus mit seiner stark auf Mischfinanzierung setzenden Kompetenzverwischung erweist sich als Hürde für effiziente öffentliche Investitionsentscheidungen. Hinsichtlich schwer zu dezentralisierender öffentlicher Angebote, etwa der Fernstraßen, wäre ein stärkerer Fokus auf die Rentabilität einzelner Vorhaben wünschenswert, statt auf das gesamte Investitionsvolumen.

Erstmals erschienen bei IREF

Photo: Cha già José from flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Sprachhürden und niedrige oder auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gefragte Qualifikationen stellen für die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge ein grundsätzliches und politisch nur bedingt lösbares Problem dar. Doch darüber hinaus stehen der Politik zahlreiche Optionen zur Verfügung, die das Potenzial haben, die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen zur Erfolgsgeschichte zu machen.

Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen: Eine Erfolgsgeschichte?

Seit 2015 wurden in Deutschland knapp 1,46 Millionen Asyl-Neuanträge gestellt. Zwar sind die Neuantragszahlen seit 2015 und 2016 deutlich gesunken, doch die Nachwirkungen der Asylmigration stellen die deutsche Gesellschaft vor Herausforderungen. Zu den größten Herausforderungen gehört die Integration der relativ jungen und geringqualifizierten Migranten in den Arbeitsmarkt.

Aktuelle Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit zeigen: Über 300.000 Flüchtlinge befanden sich im Juni mittlerweile in einem Beschäftigungsverhältnis – eine vermeintliche Erfolgsmeldung, die basierend auf den Daten für Mai breit rezipiert wurde. Setzt man die Beschäftigtenzahl ins Verhältnis zur Gesamtzahl der in Deutschland lebenden arbeitsfähigen Flüchtlinge, wird allerdings deutlich, dass die Beschäftigungsquote im Juni nur 27,8 Prozent betrug. Damit die Integration der Flüchtlinge zu einer echten Erfolgsgeschichte wird, sollte sich die Politik auf den Abbau von Eintrittsbarrieren zum Arbeitsmarkt konzentrieren.

Absolute Beschäftigtenzahl nicht aussagekräftig

Seit August 2014 weist die Bundesagentur für Arbeit monatlich den Beschäftigungsstand von in Deutschland lebenden Menschen aus den acht maßgeblichen Herkunftsländern von Flüchtlingen Syrien, Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan und Somalia aus. Nicht alle Menschen aus diesen Ländern sind Flüchtlinge und nicht alle Flüchtlinge kommen aus diesen Ländern, doch in Ermangelung genauerer Erhebungen bildet diese Gruppe die beste Approximation der gesamten Flüchtlingspopulation in Deutschland. Wie vielerorts berichtet wurde, weisen die Zahlen für den Mai 2018 rund 307.000 beschäftigte Flüchtlinge aus – 100.000 mehr als ein Jahr zuvor.

Isoliert betrachtet sind diese Zahlen jedoch wenig aussagekräftig. Um besser bewerten zu können, ob über 300.000 beschäftigte Flüchtlinge eine Erfolgsmeldung ist, können die Zahlen ins Verhältnis zur Gesamtzahl aller arbeitsfähiger Flüchtlinge in Deutschland gesetzt werden. Die resultierende Kennziffer, die Beschäftigungsquote, erlaubt den Vergleich über die Zeit und mit anderen Bevölkerungsgruppen, etwa Ausländern allgemein und der Gesamtbevölkerung. Um den Erfolg der Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik zu bewerten, sind solche relativen Angaben hilfreicher als absolute Zahlen.

Beschäftigungsquote wächst, aber langsam

Wird die Anzahl beschäftigter Flüchtlinge in Relation zu allen in Deutschland lebenden Flüchtlingen im Alter zwischen 15 und 64 gesetzt, fällt das Ergebnis recht ernüchternd aus. Nur 27,8 Prozent der Flüchtlinge waren im Juni 2018 beschäftigt. Dagegen waren im Juni 49,4 Prozent aller in Deutschland lebenden Ausländer und 66,9 Prozent der Gesamtarbeitsbevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 beschäftigt.

Die Fluchtmigration nach Deutschland nahm Mitte 2015 deutlich zu und erreichte gegen Ende des Jahres ihren Höhepunkt. Angesichts der hohen monatlichen Zuzugszahlen überrascht es nicht, dass die Beschäftigungsquote zunächst stark zurückging. Im April 2016 erreichte sie mit 14,5 Prozent ihren Tiefpunkt. Seitdem stieg sie kontinuierlich und lag im Mai nahe dem Niveau von Ende 2014 (rund 30 Prozent).

Sozialhilfequote auf hohem Niveau

Spiegelbildlich zur geringen Beschäftigungsquote verhält sich die Arbeitslosenquote, die hier als Anteil der Arbeitslosen an der Summe aus Arbeitslosen und Arbeitenden (also ohne Nicht-Arbeitssuchende) gebildet wird. Für Flüchtlinge lag sie im Juni bei 38,1 Prozent und damit auf vergleichbarem Niveau wie schon 2014. Die Arbeitslosenquote fiel unter den in Deutschland lebenden Ausländern mit 12,6 Prozent und unter der Gesamtbevölkerung mit 5,9 Prozent deutlich geringer aus.

Ein großer Teil der arbeitslosen Flüchtlinge erhält nach Anerkennung des Asylantrags bzw. Duldungsbescheid Sozialhilfeleistungen nach SGB II. Auch Kinder, nicht erwerbsfähige Personen sowie Personen mit geringem Arbeitseinkommen („Aufstocker“) können Anrecht auf solche Leistungen haben. Die SGB-II-Quote misst den Anteil der SGB II-Leistungsempfänger an der Bevölkerung unter 65 Jahren. Im Mai 2018 lag diese unter Flüchtlingen bei 64,7 Prozent. Im gleichen Monat betrug sie für in Deutschland lebende Ausländer 21 Prozent und für die Gesamtbevölkerung etwa 9,2 Prozent.

Zwar spiegelt die seit 2016 deutlich gestiegene SGB-II-Quote unter Flüchtlingen vor allem den allmählichen Übergang von Asylleistungen zu SGB-II-Leistungen wider und signalisiert nicht zwingend Mehrbelastungen für die Steuerzahler. Doch fiel die SGB-II-Quote im Mai dieses Jahres weitaus höher aus als noch Ende 2014 (rund 45 Prozent) und stagniert seit Mitte 2017 – ein weiterer Hinweis darauf, dass sich unter den seit 2015 eingewanderten Flüchtlingen überproportional viele Personen befinden, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt bisher nicht Fuß fassen konnten bzw. noch nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten.

Erfolgsmeldung?

Rechtfertigt die Annäherung der Beschäftigungs- und Arbeitslosenquote an den Status quo ante eine Erfolgsmeldung? Der Vergleich zwischen den 2018 und den 2014 beobachteten Werten ist schwierig, da sich die zugrundeliegenden Populationen wahrscheinlich hinsichtlich der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer in Deutschland unterscheiden – und damit auch hinsichtlich der Arbeitsmarktchancen.

Angesichts der hohen Zuzugszahlen 2015 und 2016 liegt die Vermutung nahe, dass die durchschnittliche Aufenthaltsdauer eines Flüchtlings heute geringer ist als 2014. Eine im Aggregat ähnlich hohe Arbeitsmarktbeteiligung wie vor Anstieg der Flüchtlingszahlen spricht daher für eine relativ erfolgreiche Integration der neueren Zuzugskohorten.

Angesichts der heute deutlich günstigeren Konjunktur und des Abbaus mancher Arbeitsmarkthürden wäre zwei Jahre nach dem Höhepunkt der Asylmigration hingegen eine höhere Beschäftigungsquote zu erwarten gewesen, zumal diese in den letzten zwei Jahren auch unter Ausländern allgemein sowie in der Gesamtarbeitsbevölkerung gestiegen ist. Das spricht für eine relativ misslungene Arbeitsmarktintegration der neu zugezogenen Flüchtlinge. Das legen auch Untersuchungen aus 2017 im Rahmen der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe nahe, die zeigen, dass sich die seit 2013 eingewanderten Flüchtlinge langsamer in den Arbeitsmarkt integrieren als vor 2013 eingewanderte Flüchtlinge oder sonstige Zuwanderer.

Arbeitsmarktreformen dringend nötig

Der Vergleich von Beschäftigungsquoten über die Zeit ist aussagekräftiger als der Vergleich absoluter Beschäftigtenzahlen, doch er erlaubt ebenso wenig ein abschließendes Urteil über die Arbeitsmarktintegration der neu hinzugezogenen Flüchtlinge. Unabhängig von der Frage des Arbeitsmarkterfolgs jüngerer Zuzugskohorten relativ zu den vor 2014 zugezogenen Flüchtlingen sollte eine Beschäftigungsquote von 27,8 Prozent jedoch keinen Anlass zur Entwarnung geben. Vielmehr verdeutlicht die niedrige Quote, dass Arbeitsmarktintegration der aktuellen Flüchtlingskohorten weiterhin viel zu wünschen übrig lässt. Sollte der derzeitige Arbeitsmarktboom abebben, droht vielen Flüchtlingen dauerhafte Arbeits- und Perspektivenlosigkeit.

Sprachhürden und niedrige oder auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gefragte Qualifikationen stellen für die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge ein grundsätzliches und politisch nur bedingt lösbares Problem dar. Doch darüber hinaus stehen der Politik zahlreiche Optionen zur Verfügung, die das Potenzial haben, die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen zur Erfolgsgeschichte zu machen. Dafür muss es jedoch möglich sein, dem häufig niedrigen Qualifikationsniveau der Flüchtlinge entsprechend Jobs mit niedriger monetärer oder nicht-monetärer Entlohnung entstehen zu lassen. So bieten sich etwa die selektive Aussetzung von Mindestlohn und Kündigungsschutz für Flüchtlinge sowie die Kürzung des ALG-II-Satzes bei großzügigeren Hinzuverdienstregeln an.

Erstmals erschienen bei IREF

Photo by StockSnap on pixabay (CC O)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre. 

Die aufgebauten Rentenansprüche zeigen, dass die meisten Menschen in Deutschland erfolgreich für ihr Alter sparen. Vermögen außerhalb der Renten sind nicht nur Einkommensgrundlage im Alter, sondern geben Menschen auch Flexibilität und Eigenverantwortung. Es sollte ihnen leichter gemacht werden, Selbiges selbstbestimmt aufzubauen und zu verwalten.

Der Median des Nettovermögens deutscher Haushalte lag 2014 bei 60.400 Euro, wie die Deutsche Bundesbank berichtet. Wird – wie einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung – der Versuch unternommen, die Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einzuberechnen, nimmt das Nettovermögen der Haushalte in der Mitte und am unteren Ende der Vermögensverteilung relativ stark zu. Doch Rentenansprüche bringen im Vergleich zu anderen Vermögensformen bedeutende Nachteile mit sich. So können sie beispielsweise nicht als Eigenkapital beim Hauskauf eingesetzt werden. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn auch abhängig Beschäftigte die Möglichkeit hätten, über einen Großteil ihres Vermögens frei zu verfügen. Eine Reduzierung der verpflichtenden Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung auf ein Minimum wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung. Menschen hätten dadurch mehr Raum für die Altersvorsorge mittels flexibel verwendbarer Vermögensformen.

Vermögensverteilung in Deutschland

Die Studie des DIW aus dem Jahr 2017 bietet einen aktuellen Einblick in die Vermögensverteilung in Deutschland. Die Forscher verwendeten Daten des Sozioökonomischen Panels aus den Jahren 2012 und 2013. Das durchschnittliche Nettovermögen der 10 Prozent der Haushalte, die am wenigsten Vermögen besaßen, betrug demnach inklusive privater und betrieblicher Renten und ohne gesetzliche Rentenansprüche durchschnittlich 6.670 Euro. Die Haushalte mit dem höchsten Vermögen besaßen netto im Durchschnitt 945.809 Euro.

 

Vermögensverteilung inklusive Renten- und Pensionsansprüchen

Die Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung machen vor allem für weniger Vermögende einen bedeutenden Teil ihres gesamten Vermögens aus. Dies zeigt sich, wenn die gesetzlichen Renten- und Pensionsansprüche mit in die Vermögensstatistik einbezogen werden. Das Median-Nettovermögen steigt auf über 169.000 Euro und die Vermögensverteilung wird gleicher.

 

Für das unterste Dezil erhöht sich das Nettovermögen um über 100.000 Euro. Auch im zehnten Vermögensdezil erhöhen sich die Nettovermögen, wenn die Renten- und Pensionsansprüche miteinbezogen werden, allerdings fällt der relative Anstieg hier geringer aus, weil die Rentenansprüche einen kleineren Anteil am Vermögen ausmachen. Dass Personen mit den höchsten Vermögen in Deutschland im Sozioökonomischen Panel nicht erfasst werden, ist für unsere Betrachtung nicht bedeutend, weil wir primär interessiert sind an der Auswirkung der Berücksichtigung der Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung und weniger an der Vermögensverteilung per se.

Rentenansprüche: Vermögen zweiter Klasse

Auf den ersten Blick scheint es keinen großen Unterschied zwischen verschiedenen Formen der Altersvorsorge zu geben. Vorsorgende Menschen verzichten heute darauf, einen Teil ihres Einkommens für Konsum auszugeben, um in der Zukunft mehr konsumieren zu können.

Doch die Unterschiede zwischen Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung – sowie zum großen Teil auch Vermögen aus der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge – und anderen fungibleren Vermögenswerten sind enorm. Anders als beispielsweise bei einem Guthaben bei einer Bank, Aktien oder einem Eigenheim kann der Sparer bei Rentenansprüchen nicht stets auf sein Vermögen zugreifen. Zugang zum eigenen Vermögen zu haben, ist jedoch an sich wertvoll, denn nur dann kann es in vielen Situationen eingesetzt werden.

Anders als klassische Vermögensformen können Rentenansprüche weder als Sicherheit für ein Kredit dienen, noch vererbt oder verschenkt werden. Sie können zudem nicht als finanzieller Puffer in schlechten Zeiten dienen. Sie können nicht zur Hilfe für Freunde und Verwandte eingesetzt werden. Sie können nicht den altersgerechten Umbau der Wohnung erleichtern oder die Gründung einer Unternehmung finanzieren.

Rentenansprüche ersetzen klassisches Vermögen nicht

Anstatt die Mehrheit der Bevölkerung dazu zu verpflichten, den Großteil ihres gesamten Vermögens in Form eines imperfekten Substituts für klassisches Vermögen zu halten, wären Maßnahmen wünschenswert, die allen den Aufbau klassischen Vermögens erleichtern. Die derzeitige weitreichende Verpflichtung, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, nimmt den Menschen die Möglichkeit, das volle Potential ihrer Ersparnisse zu nutzen.

Deutlich attraktiver wäre es, die Verpflichtung, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, auf ein Minimum zu beschränken. Dadurch wäre die Mindestsicherung im Alter sichergestellt. Über die Mindestsicherung hinaus könnten Menschen zusätzlich vielseitig einsetzbares Vermögen aufbauen und die Sparform wählen, die am besten zu ihrer Lebensplanung passt. Dies würde die Nachteile, die aus den nur unflexibel einsetzbaren Rentenansprüchen resultieren, reduzieren und mehr Gestaltungsspielraum beim Aufbau von Vermögen lassen.

Vermögen für alle

Die aufgebauten Rentenansprüche zeigen, dass die meisten Menschen in Deutschland erfolgreich für ihr Alter sparen. Die relativ niedrigen sonstigen Vermögen sind daher zum Teil auf die umfangreiche Verpflichtung zurückzuführen, Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung zu tätigen.

Vermögen außerhalb von Rentenansprüchen ist nicht nur Einkommensgrundlage im Alter, sondern kann für viele Zwecke eingesetzt werden: als Sicherheit für einen Kredit, als Notgroschen für Ernstfälle und als Startkapital für eine Selbständigkeit. Klassiches Vermögen gibt Menschen Flexibilität. Es sollte ihnen leichter gemacht werden, Selbiges eigenverantwortlich aufzubauen.

 

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo: Annie Spratt from Unsplash ( CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Politische Eingriffe, die als Nebenwirkung die Entwicklung der Produktivität hemmen, sollen oft relativ Mittellose gegenüber relativ Wohlhabenden besserstellen. Unter dem ausbleibendem Wachstum leiden in der langen Frist fast alle. Im Mittelpunkt sollte also nicht die Frage stehen, wie der Kuchen verteilt werden soll, sondern wie er größer wird.

Vor gut 30 Jahren fragte der Wirtschaftshistoriker David Landes: „Warum sind wir so reich und die anderen so arm?“ Mit „den anderen“ sind nicht nur Menschen in Entwicklungsländern gemeint, sondern auch unsere eigenen Vorfahren. Ein durchschnittlicher Deutscher hat heute ein etwa sechsmal so hohes Einkommen wie ein durchschnittlicher Deutscher vor 100 Jahren oder ein durchschnittlicher Kubaner heute. Die Antwort auf die Frage nach der Quelle unseres historisch beispiellosen Reichtums lautet: Weil wir so produktiv sind. In der langen Frist wird unser Wohlstand hauptsächlich durch unsere Produktivität bestimmt, also durch unsere Möglichkeiten, Produktionsfaktoren in Konsumgüter zu verwandeln.

Seit geraumer Zeit nimmt das Produktivitätswachstum in der westlichen Welt ab. Zwar herrscht unter Ökonomen keine einheitliche Meinung über die dominanten Gründe, doch unstrittig ist, dass der Politik eine tragende Rolle zukommt. Durch ihre Steuer-, Geld- und Regulierungspolitik kann sie Produktivitätssteigerungen begünstigen oder mögliche Produktivitätssteigerungen zunichtemachen. Viele jüngere politische Maßnahmen in Deutschland stehen dem Ziel eines langfristig höheren Wohlstands im Weg, so z.B. die Niedrigzinspolitik der EZB, technologiefeindliche Regulierungen und höhere Steuern auf Zinserträge. All diese Maßnahmen erfüllen kurzfristige Umverteilungsziele, schaden jedoch langfristig der Produktivitätszunahme. Damit erfolgen sie nicht nur auf Kosten derer, die die Umverteilungspolitik heute finanzieren, sondern auch auf Kosten zukünftiger Generationen.

Was ist Produktivität?

Produktivität ist die Effizienz mit der Menschen, Unternehmen und Volkswirtschaften Produktionsfaktoren – also beispielsweise Arbeitskraft, Maschinen und Energie – kombinieren und in Konsumgüter verwandeln. Je mehr wir aus einer gegeben Ausstattung an Produktionsfaktoren machen können, desto produktiver sind wir. Ökonomen bezeichnen dieses Effizienzmaß auch als totale Faktorproduktivität.

Von besonderem Interesse, weil durch die Politik beeinflussbar, ist die Arbeitsproduktivität, also die Effizienz des Einsatzes von Arbeitskraft. Studien zeigen, dass die Arbeitsproduktivität weltweit massiv variiert. So erwirtschaftete ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in Deutschland 2016 pro Stunde etwa 68 US-Dollar, während sein mexikanischer Kollege in der selben Zeit nur 20 US-Dollar erwirtschaften konnte. Produktivitätssteigerungen erlauben es uns, bei konstantem Faktoreinsatz mehr Güter oder Güter besserer Qualität herzustellen. Zudem stellen in gut funktionierenden Marktwirtschaften Arbeitsteilung, Spezialisierung, Kooperation und Wettbewerb zwischen Unternehmen sicher, dass alle Menschen von Produktivitätssteigerungen profitieren.

 

Politik beeinflusst Produktivitätswachstum

Menschen sind unterschiedlich reich, weil sie unterschiedlich produktiv sind. Doch welche Faktoren rufen Unterschiede in der Arbeitsproduktivität hervor? Ein Teil der Produktivitätsunterschiede wird durch individuelle Unterschiede im Ausbildungsniveau – Ökonomen sprechen vom Humankapital – und arbeitsrelevanten Verhaltensweisen, etwa der Konzentration während der Arbeitszeit, erklärt. Ein gut ausgebildeter und hochkonzentrierter Arbeiter ist produktiver als ein schlecht ausgebildeter oder schlecht konzentrierter Arbeiter – unabhängig von allen sonstigen Umständen, wie etwa dem Arbeitsort.

Doch maßgeblich wird unsere Arbeitsproduktivität auch durch Faktoren bestimmt, die der Einzelne nicht unter Kontrolle hat: Wir sind umso produktiver bei der Arbeit, je mehr andere Produktionsfaktoren – etwa Maschinen oder Energie – wir zur Verfügung haben. Unternehmen und Länder mit einem größeren Kapitalstock, relativ zur Arbeiterschaft, weisen eine höhere Arbeitsproduktivität auf. Wichtig sind darüber hinaus die Bedingungen, die beeinflussen, wie Produktionsfaktoren koordiniert und verwendet werden: Herrscht Rechtssicherheit? Sind Institutionen kooperationsfördernd? Begünstigen Marktstrukturen Kooperation und Wettbewerb? Setzt sich gute Managementpraxis durch?

Die Arbeitsproduktivität eines Individuums hängt also maßgeblich davon ab, in welchem Unternehmen oder Land es arbeitet. So kann ein peruanischer Arbeitnehmer allein dadurch, dass er seinen Job in den USA statt in seiner Heimat ausführt, fast viermal so viel verdienen – weil er viermal so produktiv ist.

Nur wenige dieser Faktoren sind von politischen Einflüssen zumindest mittelfristig unberührt, etwa das Klima, die langfristigen Folgen historischer Zufälle, Traditionen und kulturelle Eigenheiten. Auf viele Determinanten der Arbeitsproduktivität hat die Politik dagegen maßgeblichen Einfluss, etwa durch die Geld- und Steuerpolitik oder Regulierungsaktivitäten. Einer Regierung, der das Wohlergehen ihrer Bürger am Herzen liegt, sollte viel daran gelegen sein, Produktivitätssteigerungen zu ermöglichen. Gemessen an diesem Anspruch sind viele aktuelle politische Maßnahmen in Deutschland kritisch zu bewerten. Drei Beispiele:

Niedrigzinsen stützen unproduktive Firmen

Seit geraumer hält die Europäische Zentralbank die Leitzinsen auf historisch niedrigem Niveau. Die Niedrigzinspolitik soll schwächere Volkswirtschaften in Europas Süden stützen und zur allgemeinen Belebung der Wirtschaft beitragen. Wenngleich diese Politik für manche Volkswirtschaften im Süden angemessen sein mag, hat sie für Deutschland negative Folgen. Sie hält Unternehmen, die sich im Umgang mit knappen Ressourcen als relativ unproduktiv erwiesen haben, künstlich solvent und verhindert deren Marktaustritt. Unproduktiven Unternehmen werden so zulasten ihrer produktiveren Wettbewerber künstlich beatmet, was unmittelbar die Produktivität der Industrie verringert.

Regulierung behindert neue Geschäftsmodelle

Technologischer Fortschritt führt in vielen Branchen zu Umwälzungen. Einige Unternehmen treten aus dem Markt aus und andere Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen nehmen ihren Platz ein. Um diesen Prozess zu verhindern, setzen Interessengruppen aus betroffenen Unternehmen und ihren Stakeholdern einiges in Gang: Taxifahrer kämpfen gegen Uber, Hoteliers gegen Airbnb und staatlich finanzierte Medien gegen neue dezentrale Medien. Die Politik zeigt sich verständnisvoll: So sind Airbnb und Uber in zahlreichen deutschen Großstädten verboten oder eingeschränkt und die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender dürfen sich auch bei sinkenden Einschaltquoten und abnehmender Relevanz klassischer Offline-Medien über ein wachsendes Budget freuen.

Was manchen Zeitgenossen als sympathische Maßnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Betroffenen erscheint, hat langfristig deutliche Produktivitätseinbußen zur Folge. In den kommenden Jahrzehnten werden zahlreiche Branchen enorme Produktivitätsgewinne durch den Einsatz künstlicher Intelligenz erleben. Dieser Prozess wird unweigerlich dazu führen, dass einige heutige Berufe und Arbeitsfelder wegfallen sowie neue Berufe und Arbeitsfelder entstehen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik nicht den erprobten Weg geht und Produktivitätsgewinne durch Steuern und Verbote verhindert.

Abgeltungsteuer Adé: Investitionen weniger attraktiv

Steuerpolitik ist Anreizpolitik. Die Besteuerung einer Handlung führt in der Regel dazu, dass diese Handlung seltener erfolgt. So führt die Abschaffung der Abgeltungssteuer auf Zinserträge dazu, dass Investoren ihre Zinseinnahmen zukünftig wieder mit ihrem persönlichen Einkommensteuersatz versteuern müssen – bei vielen Investoren dürfte der über dem bisherigen Steuersatz von 25 % liegen – und so betroffene Kapitalinvestments weniger attraktiv werden.

Investitionen in den Kapitalstock sind jedoch von entscheidender Bedeutung für die zukünftige Arbeitsproduktivität. Selbst jene, die von der kurzfristigen Höherbesteuerung von Kapitalerträgen heute profitieren mögen, werden langfristig unter dem geringen Produktivitätswachstum leiden.

Produktivitätsentwicklung in den Fokus rücken

Weshalb bewerten viele Menschen die Wichtigkeit produktivitätssteigernder Investitionen vergleichsweise niedrig? Ein Grund könnte darin liegen, dass sie langfristige Zinseszinseffekte oft unterschätzen. So wie der Wert eines Assets exponentiell steigt, wenn dessen jährlicher Zinsgewinn dem Anlagekapital hinzugefügt wird, nimmt das Einkommen der Menschen in einer Region bei einer konstanten Wachstumsrate exponentiell zu.

Politische Eingriffe, die als Nebenwirkung die Entwicklung der Produktivität hemmen, sollen oft relativ Mittellose gegenüber relativ Wohlhabenden besserstellen. Doch selbst wenn die Verfolgung derartiger Ziele als wünschenswert erachtet wird, sollten die negativen Folgen für die Produktivitätsentwicklung ernstgenommen werden. Schon nach 30 Jahren ist eine jährlich um 2 statt 3 % wachsende Volkswirtschaft um knapp ein Viertel ärmer. Unter ausbleibendem Wachstum leiden in der langen Frist fast alle, darunter auch viele, die kurzfristig von Umverteilungsmaßnahmen profitieren.

 

Zuerst erschienen bei IREF.