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Von Robert Nef, Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts der Schweiz, Zürich, und Träger der Hayek-Medaille 2008.

In der Schweiz findet im Juni 2015 eine Volksabstimmung über eine Verfassungsinitiative statt, die auf Bundesebene Nachlässe von über 2 Millionen Franken mit einer nationalen Erbschaftsteuer belasten will. Die Erträge dieser Steuer sollen teilweise zur Sanierung der kollektiven Altersvorsorge (Alters- und Hinterlassenversicherung, AHV) verwendet werden. Betroffen von der Steuer wären 2 -3 Prozent der Bevölkerung.

Erbe, Eigentum, individuelles und gemeinsames Wohlergehen sind in vielfältigster Weise miteinander verbunden. Der Versuch diese komplexe Verknüpfung durch staatlichen Zwang, insbesondere durch Steuern entweder im Hinblick auf „mehr Gerechtigkeit“ und „mehr Zwangssolidarität“ zu beeinflussen, steht immer wieder zur Debatte. Oft steckt dahinter auch einfach der Wunsch nach erhöhten staatlichen Einnahmen durch zusätzliche Steuern, die deshalb politisch konsensfähig sind, weil sie eine Minderheit belasten und eine Mehrheit begünstigen. Allein schon dieser fatale Zusammenhang müsste diejenigen sensibilisieren, die vom Staat nicht vorrangig eine rücksichtslose Mittelbeschaffung im Hinblick auf populäre Umverteilung, sondern vielmehr den Respekt vor minimalen ethisch-moralischen Regeln erwarten – zu denen zählt auch der Schutz von Minderheiten vor der Gier von Mehrheiten und vor ungleichen Eingriffen ins Privateigentum gehört.Eine progressiv ausgestaltete Erbschaftsteuer ist in ihren Auswirkungen als populistischer „Fischzug“ auf das Vermögen der Reichen nichts anderes als eine asoziale Neidsteuer, die weder zur Verwirklichung der sozialpolitischen noch der finanzpolitischen Ziele einen nachhaltig positiven Beitrag leistet.

An erster Stelle ist bei normativen „wirtschaftlich“, „sozial“ oder „moralisch“ begründeten politischen Vorstössen der ideologische Hintergrund zu klären. Das hinter den Forderungen stehende Menschenbild und die zugrundegelegte Wirtschaftstheorie müssen transparent diskutiert werden können. Nicht alle Forderungen die „sozial“ genannt werden, sind es auch tatsächlich. Der auf zentral verwalteter Planwirtschaft abgestützte Staatssozialismus hat schliesslich zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Systeme geführt, der in seiner Auswirkung alles andere als sozial war. Er hat nicht nur im ökonomischen Bereich, sondern ganz allgemein eine soziale Wüste hinterlassen. Dies wird in der parteipolitischen Auseinandersetzung kaum mehr bestritten. Trotzdem steht viel sozialistisches Gedankengut immer wieder auf der politischen Traktandenliste und das mindestens teilweise Wegsteuern von Vermögen beim Ableben der Eigentümer durch Erbschaftsteuern ist eine weltweit populäre staatssozialistische Forderung. Erbschaften seien Einkommen ohne jede Gegenleistung, ein Zufall der Geburt, und damit grundsätzlich „unverdient“. Die Kategorie „verdient“ oder „unverdient“ ist keine ökonomische, sondern eine moralische, die, falls man daraus ein allgemeinverbindliches Verteilungskriterium machen würde, voraussetzt, dass es objektive Massstäbe für eine allgemeine Verteilungsgerechtigkeit gibt. Dies wird aber in einem Rechtsstaat, der Privateigentum und Privatautonomie garantiert, grundsätzlich in Frage gestellt. Eigentum gilt dann als „wohlerworben“, das heisst als rechtmässig, wenn es nicht durch Gewalt oder Betrug erlangt worden ist. Wieviel Leistung und welche Leistung, wieviel Glück und welche günstigen Konstellationen und selbst wieviel Spekulation dabei mit im Spiel war, ist letztlich nicht aufzuschlüsseln.

Die Frage der Gewaltsamkeit stellt sich im Fall der Erbschaftsteuer eher gegenüber dem Staat, der ja Vermögensbestandteile zwangsweise enteignet und dabei in private Vermögensverhältnisse eingreift. Dieser Zwang ist zwar in einem demokratischen Rechtsstaat durch Mehrheiten legitimiert. Die Tatsache, dass aber bei umverteilenden Steuern und speziell bei einer stark progressiv konzipierten Erbschaftsteuer stets eine potentielle Mehrheit von Empfängern eine Minderheit von Pflichtigen fremdbestimmen kann, stellt diese Legitimität grundsätzlich in ein schiefes Licht. Zudem wird eine ungerechte Steuer nicht dadurch gerechter, dass sie nur eine Minderheit trifft.

Das Argument, die Steuer betreffe ja nur eine kleine Minderheit, ist besonders zynisch und auch im Hinblick auf die Zukunft gefährlich. Bewilligt eine Mehrheit diesen Zugriff auf grosse Erbschaften, sind zwei Entwicklungen vorauszusehen: Einmal werden die Erträge im gleichen Ausmass schwinden, wie sich jene legalen Ausweichmöglichkeiten etablieren, die wir von andern Ländern mit hoher progressiver Erbschaftsteuer kennen.

Der deutsche Ökonom Lars P. Feld hält die Erbschaftsteuer vor allem wegen der legalen Vermeidungsmöglichkeiten für ungerecht. In einem Interview nennt er sie „die grösste Dummensteuer, die wir in Deutschland haben“, denn sie treffe denjenigen eher, der ein Vermögen von zwei Millionen Euro vererbt und seine Steuererklärung nicht gestalten könne, als jemanden, der ein Erbe von 100 Millionen übertragen wolle. Die Verhinderung der gezielten Weitergabe grosser Vermögen an die nächste Generation zu Lebzeiten ist weder möglich noch erwünscht. Solche Eingriffe verletzen die Eigentumsgarantie und sie sind auch gar nicht praktikabel. Was nicht funktioniert, kann auch nicht gerecht sein.

Der voraussehbare finanzielle Misserfolg nach einer Einführung der „Erbschaftsteuer für Superreiche“ muss dazu führen, dass man beim Ausbleiben der für die Sanierung der AHV erhofften Erträge sukzessive den Zugriff auch auf kleinere Erbschaften ins Auge fasst. Der Kreis der Betroffenen würde dann immer weiter gezogen. Das sollten sich vor allem jene gut überlegen, die eine Befürwortung der Vorlage erwägen, weil sie ja persönlich unterhalb der jetzigen Limite liegen. Wenn der Dammbruch zugunsten einer nationalen Erbschaftsteuer einmal erfolgt ist, wird es schwer sein, diese Entwicklung politisch zu bremsen. Einmal mehr muss hier an den politischen Grundsatz „Wehret den Anfängen“ erinnert werden.

Das Vererben von Vermögen ist eine Transaktion, die durch den Tod eines Menschen ausgelöst wird. Der Tod ist ein natürliches und letztlich nicht zu verheimlichendes Ereignis, das vom Staat als Steuerquelle schon früh entdeckt worden ist. Da die Erben ohne messbare Gegenleistung zu Vermögen kommen, wird die Erbschaftsteuer auch von vielen Liberalen mindestens als „relativ gerechtes“ Instrument der intergenerationellen Umverteilung empfunden.

Das ökonomische und soziale Grundproblem der Erbschaftsteuer besteht darin, dass sie gegenüber einem weltweit anthropologisch in der Familie tief verankerten Ziel, nämlich, dass es der nächsten Generation einmal gleich gut oder besser gehen soll, falsche Anreize setzt. Sie bestraft das generationenübergreifende Vorsorgen und Sparen und die Grundidee, dass das Erbe nicht zum Verbrauch sondern zur schrittweisen Wohlstandsvermehrung und zum sozialen Ausgleich von Glück und Unglück innerhalb einer langfristig ausgerichteten natürlichen Gemeinschaft dient. Das fürsorgliche private Sparen im Hinblick auf grössere Zeiträume und die treuhänderische Weitergabe innerhalb der jeweils „Nächsten“ soll durch die demotivierende, zwangsweise anonymisierende Umverteilung der Politik ersetzt werden. Die auf kollektivem Zwang beruhende Politik erhält so gegenüber der auf Tradition und Kultur beruhenden Familie den Vorrang. Der Staat macht aber erfahrungsgemäss nur zu oft das Gegenteil der vernünftigen Familie. Er lebt gerne auf Pump, er verschuldet sich zu Lasten der kommenden Generationen, um sich kurzfristig populär zu machen. Soll nun jene Organisation namens Familie, die sich in der Regel ökonomisch und sozial vernünftig und nachhaltig verhält, von jener Organisation namens Staat, die sich häufig verschwenderisch, sozial schädlich und ökonomisch demotivierend verhält, zwangsweise zur Kasse gebeten werden? Das ist ein zivilisatorischer, ökonomischer und sozialer Rückschritt.

Erstveröffentlichung in „Finanz und Wirtschaft“ am 8. April 2015.

Photo: U.S. Army Corps of Engineers Europe District

Ach, die Schweizer … Wie kann man nur so bescheuert sein, seine eigene Exportwirtschaft durch die Aufgabe der festen Bildung der eigenen Währung an den Euro so dermaßen zu schwächen? Jetzt geben die von heute auf morgen diese Vorteile einfach auf. So hört man es allenthalben in Deutschland.

Doch es wird sich zeigen, dass dieser Schritt richtig war. Er sichert die Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität der Eidgenossenschaft. Nicht die Aufgabe der Bindung war der Fehler, sondern die Entscheidung der Schweizer Notenbank vor 3 Jahren, den Franken bei 1,20 je Euro zu fixieren.

Doch wird die Entkoppelung der Schweizer schaden? Ich meine: Nein. Im Gegenteil, es wird die Schweizer Wirtschaft mittelfristig noch wettbewerbsfähiger und noch produktiver machen. Kürzlich erzählte mir ein Bekannter, was er in einem Schweizer Unternehmen am Montag nach der Entscheidung vom 15. Januar erlebt hatte. Früh morgens traf sich die Mitarbeiterkommission, die in der Schweiz die Interessen der Belegschaft im Unternehmen wahrnimmt, und schlug noch am gleichen Tag der Geschäftsführung folgendes vor: Erstens: Die Wochenarbeitszeit soll von 40 auf 42 Stunden erhöht werden. Zweitens: Die Löhne und Gehälter werden um 5 Prozent reduziert. Und drittens: Das alles soll zum 1. Februar dieses Jahres in Kraft treten. Die einzige Sorge der Mitarbeitervertretung war, ob bei einer zu großen Lohnkürzung zu viele Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und sich nach einem neuen Job umsehen würden.

Man stelle sich dies einmal in der real existierenden Bundesrepublik vor: Die IG Metall schlägt freiwillig eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit und eine Lohnkürzung vor, die innerhalb von 2 Wochen umgesetzt wird. Undenkbar! Wahrscheinlich würde es so ablaufen: Erstens: Monatelange Verhandlungen zwischen IG Metall und dem Unternehmen würden von regelmäßigen Streiks begleitet. Zweitens: Arbeitsministerin Andrea Nahles erklärt ihre Solidarität mit den Streikenden und appelliert an die soziale Verantwortung des Unternehmens. Drittens: Die Ruhrnachrichten in Castrop-Rauxel schalten Sonderseiten und die SG Wattenscheid 09 trägt Trauerflor. Viertens: Das Arbeitsamt federt mit einer Auffanggesellschaft die zu erwartenden Entlassungen sozialverträglich ab. Und fünftens: Nach harten Verhandlungen tritt ein fauler Kompromiss zum 1.1.2016 in Kraft.

Zurück zur Wirklichkeit: Wenn die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft vom möglichst geringen Außenwert der eigenen Währung abhängen würde, wäre Simbabwe heute Exportweltmeister. Wieder einmal gilt: Mehr Schweiz wagen!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „eigentümlich frei“, Nr. 150.

Photo: Pranavian from Flickr