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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Über drei Jahre ist der gesetzliche Mindestlohn jetzt alt. Die ersten finanzwissenschaftlichen Analysen offenbaren, was weltweit aus der Mindestlohnforschung bekannt ist: Eine heftige Reaktion blieb aus, trotzdem gab es einen moderaten Stellenabbau beziehungsweise niedrigere Stellenschaffung.

Der flächendeckende Mindestlohn wurde am 1. Januar 2018 drei Jahre alt. Seiner Einführung ging eine kontroverse Debatte über die zu erwartende Beschäftigungswirkung voran. Das ifo-Institut etwa prophezeite den Verlust von bis zu 900.000 Arbeitsplätzen. Die damalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles dagegen versprach, dass 3,7 Millionen Menschen in den Genuss eines höheren Lohnes kommen würden. Zusätzliche Arbeitslosigkeit erwartete sie nicht.

Erste wissenschaftliche empirische Studien erlauben nun Rückschlüsse auf die kurzfristige Beschäftigungswirkung des Mindestlohns. Dieser hat demnach einen negativen, wenn auch quantitativ bescheiden ausfallenden Beschäftigungseffekt, wobei Minijobs stärker betroffen sind als reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Die neuen Erkenntnisse aus Deutschland passen zu den Ergebnissen der Mindestlohnforschung in anderen Ländern, die zeigen, dass eine Erhöhung des Mindestlohns um 10 % durchschnittlich zum Abbau von etwa 1 % der Arbeitsverhältnisse in der vom Mindestlohn betroffenen Gruppe führt. Angesichts der ersten deutschen und vielfältigen internationalen Forschungsergebnisse scheint die von der politischen Linken vorgeschlagene kurzfristige Anhebung des Mindestlohns um mehr als 30 % auf 12 € wenig attraktiv.

Einführung des Mindestlohns: Eine kontroverse Debatte

Wieso war die deutsche Mindestlohndebatte so kontrovers, wenn internationale Studien doch ein recht eindeutiges Bild zeichnen – nämlich schwache negative Beschäftigungseffekte? Viele Kommentatoren verwiesen auf die besondere Situation in Deutschland, welche Rückschlüsse auf Basis der Erfahrungen anderer Länder relativiere: Schon vor der Einführung des flächendeckenden Mindestlohns existierten in zahlreichen Industrien branchenspezifische Lohnuntergrenzen. Zudem ist vor allem außerhalb der wissenschaftlichen Forschung die Ansicht weit verbreitet, Deutschland leide an einer zu geringen Binnennachfrage und ein höherer Mindestlohn könne zu einer Ausweitung der Nachfrage nach Arbeit führen.

Doch auch wenn jedes Land gewiss spezifische Eigenheiten aufweist, gab es für Ökonomen keinen Grund für die Annahme, dass eine fundamentale Regelmäßigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gelten solle: Wenn der Preis einer Dienstleistung – in diesem Fall der erbrachten Arbeit – steigt, so wird sie weniger häufig nachgefragt. Unklar ist jedoch, wie stark der Nachfragerückgang ausfällt. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von der Preiselastizität der Arbeitsnachfrage.

Effekt des Mindestlohns: Messung anspruchsvoll

Ein weiterer Grund für die polarisierte Debatte liegt in der Schwierigkeit, die Arbeitsmarkteffekte des Mindestlohns verlässlich zu messen. Einfache Vorher-Nachher-Vergleiche bilden die tatsächlichen Effekte nicht ab, da sie nicht berücksichtigen, wie der Arbeitsmarkt heute aussähe, wäre es nicht zur Einführung des Mindestlohns gekommen. So kann die Beobachtung, dass die Arbeitslosigkeit nach 2015 weiter gesunken ist nicht als Beleg für ausbleibende unerwünschte Wirkungen des Mindestlohns herhalten- Vielmehr wurde ein negativer Beschäftigungseffekt des Mindestlohns möglicherweise von anderen gegenläufigen Entwicklungen überlagert.

Die Messung der Beschäftigungseffekte des Mindestlohns erweist sich deshalb als eine weitaus anspruchsvollere Herausforderung, als viele Kommentatoren dies in ihren Erfolgsmeldungen nach 2015 suggerierten. Aus diesem Grund suchen Arbeitsmarktforscher nach plausiblen Vergleichsgruppen, d.h. Individuen, Unternehmen oder Regionen, die in unterschiedlichem Maße vom Mindestlohn betroffen sind, sich aber in anderen arbeitsmarktrelevanten Eigenschaften ähneln. Das Ausmaß der Betroffenheit vom Mindestlohn einer solchen Vergleichsgruppe wird dabei als der „Biss“ des Mindestlohns bezeichnet.

 

Studien für Deutschland seit 2015: Beschäftigungseffekt schwach und negativ

Eine der ersten zuverlässigen Analysen liefern Mario Bossler und Hans-Dieter Gerner (2016) vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mittels einer Differenz-von-Differenzen-Schätzung. Basierenden auf dem IAB-Betriebspanel, einem repräsentativen Survey deutscher Arbeitgeber, vergleichen die Autoren Betriebe vor und nach 2015 unter Berücksichtigung des Ausmaßes, in dem ein Betrieb vom Mindestlohn betroffen ist. Sie finden, dass es unter den betroffenen Betrieben zu einem Beschäftigungsrückgang von 1,9 % oder 60.000 Arbeitsplätzen kam – hauptsächlich aufgrund nicht erfolgter Neueinstellungen. In einem weiteren Paper findet Mario Bossler (2017), dass die voraussichtlich vom Mindestlohn betroffenen Arbeitgeber 2014 erwarteten, dass die Rate mit der sie zukünftig neue Beschäftigungsverhältnisse schaffen werden um 0,9 Prozentpunkte sank – eine Erwartung, die sich nach 2015 punktgenau bestätigt hat.

Alfred Garloff (2017) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist in der Bewertung der Arbeitsmarkteffekte des Mindestlohns zurückhaltender. In seiner Analyse verwendet er alters- und geschlechtsspezifische Daten der 141 Arbeitsmarktregionen Deutschlands und berechnet den „Biss“ des Mindestlohns für 1.410 Regionen-Altersgruppen-Geschlecht-Zellen. Er zeigt, dass in stärker betroffenen Zellen nach 2015 relativ mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und relativ weniger Minijobs geschaffen wurden – ein Indiz dafür, dass vom Mindestlohn betroffenen Minijobs teilweise in reguläre Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt wurden. Da jedoch mehr Minijobs verloren gegangen sind als sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen wurden, ist in stärker betroffenen Zellen zugleich die Arbeitslosigkeit gestiegen.

Sebastian Schmitz (2017) von der Freien Universität Berlin verwendet ein ähnliches Forschungsdesign wie Garloff, untersucht jedoch stärker aggregierte Regionaldaten in einer Längsschnittanalyse über fast 50 Jahre. Er findet keinen Effekt auf die reguläre Beschäftigung, schätzt jedoch, dass im Jahr 2015 zwischen 150.000 und 200.000 Minijobs aufgrund des Mindestlohns verloren gegangen sind.

Marco Caliendo et al. (2017), ein breites Forscherteam aus Berlin und Potsdam, greifen auf Individualdaten aus der Verdienststrukturerhebung (SES) der EU und dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) zurück. Wie in den vorgenannten Studien aggregieren sie diese Daten in Regionen auf und setzen deren Mindestlohnbetroffenheit und Arbeitsmarktentwicklung zueinander ins Verhältnis. Die Autoren finden, dass zwischen 2014 und 2015 ca. 180.000 Minijobs, also 2,4 % aller Minijobs, durch den Mindestlohn verloren gegangen sind. Bezüglich regulärer Arbeitsverhältnisse ergeben einige Schätzungen einen Rückgang um bis zu 0,3 % oder 78.000 Jobs. Doch in anderen Spezifikationen finden sie keinen Effekt.

Lutz Bellmann et al. (2017) zeigen auf Basis des IAB-Betriebspanels, dass von der Einführung des Mindestlohns betroffene Betriebe weniger in die Fortbildung ihrer mittel- und hochqualifizierten Mitarbeiter investieren. Dieser Befund liefert einen Hinweis darauf, dass Arbeitgeber angesichts des Mindestlohns Kosten sparen, indem sie andere explizite und implizite Lohnbestandteile senken.

Fazit: Mindestlohn mit unerwünschten Nebenwirkungen

Drei Jahre nach der Einführung des Mindestlohns ist eine erste wissenschaftlich zuverlässige Abschätzung der kurzfristigen Beschäftigungseffekte möglich. Bisherige Studien zeigen, dass sich weder das Horrorszenario von fast einer Million verlorenen Jobs, noch der Traum einer beschäftigungsneutralen Lohnanhebung bewahrheitet haben. Unterm Strich hat der Mindestlohn zu leichten Jobverlusten geführt: 150.000 bis 200.000 Minijobs sind verloren gegangen. Einige, doch bei weitem nicht alle dieser Job wurden in reguläre Arbeitsverhältnisse umgewandelt, sodass insgesamt ca. 60.000 Stellen abgebaut bzw. nicht neu geschaffen wurden.

Auch wenn die bisherigen Beschäftigungseffekte des Mindestlohns nicht dramatisch ausfallen, sind diese arbeitsmarktpolitisch nicht unbedenklich und ließen sich verhindern, wenn der Mindestlohn durch stärkeres Aufstocken niedriger Löhne ersetzt würde. Zwar sind die schwachen negativen Beschäftigungseffekte angesichts der moderaten Höhe des Mindestlohns von 8,50 € bzw. 8,84 € seit 2017 nicht überraschend. Doch demonstrieren sie, dass die Teilnehmer auf dem deutschen Arbeitsmarkt auf gesetzliche Lohnuntergrenzen ähnlich reagieren, wie dies in anderen Ländern der Fall ist. Entsprechend würde eine deutliche Anhebung des Mindestlohns stärkere Beschäftigungseffekte hervorrufen. Gemäß der bisherigen Erfahrungen in Deutschland und anderen Ländern ließe die von der politischen Linken geforderte Anhebung um mehr als 30 % auf 12 € einen Beschäftigungsrückgang von etwa 3 % in der betroffenen Gruppe erwarten.

Zuerst erschienen bei IREF.

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Während sich alle Augen in dieser Woche auf das Treffen von Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel richteten, haben sich in dieser Woche in Meseberg auch Finanzminister Olaf Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire getroffen und über den Einstieg in eine europäische Arbeitslosenversicherung verständigt. Das ist bemerkenswert. Hatte man doch bislang den Eindruck, dass die Vergemeinschaftung von Risiken zunächst mal bei den Schulden (Europäischer Stabilitätsmechanismus) und den Sparguthaben (Europäische Einlagensicherung) haltmachen würde.

Doch weit gefehlt. Die Sozialversicherungen sind wohl als nächstes dran. Die gemeinsame Erklärung von Le Maire und Scholz spricht dabei eine sehr deutliche Sprache. Darin heißt es: „Im Hinblick auf die Stabilisierung der sozialen Sicherung in der Eurozone sollten die nationalen Systeme der Arbeitslosenversicherung während des gesamten Konjunkturzyklus einen ausgeglichenen Saldo aufweisen und in guten Zeiten Rücklagen bilden. In einer schweren Wirtschaftskrise könnten die nationalen Systeme durch einen Stabilisierungsfonds auf Ebene der Eurozone ergänzt werden. Der Fonds könnte den nationalen Sozialversicherungssystemen in einer Wirtschaftskrise, die mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten einhergeht, Geld leihen.“ Naheliegend ist dabei wohl ein Rückversicherungssystem als Übergang wie es bereits beim geplanten Europäischen Einlagensicherungssystem vorgesehen ist.

Die Erklärung der beiden Finanzminister klingt stark nach 1970er Wirtschaftspolitik. In schlechten Zeiten das Geld ausgeben, damit Konjunktur entsteht, die die Arbeitslosigkeit reduziert, um dann von den Mehreinnahmen das aufgelaufene Defizit zurückzuführen. Das hat historisch nie geklappt. 1972 sagte Helmut Schmidt einmal: „Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.“ Damit begründete er eine bis dahin ungeahnte Ausgaben- und Schuldenpolitik des Staates. Mitte der 1970er Jahre hatte der damalige Bundeskanzler dann beides. Dieser Irrglaube der Steuerbarkeit von Konjunkturverläufen hat bislang nirgends funktioniert. Die Finanzierung von Arbeitslosigkeit kann keine Arbeitsplätze schaffen. Auch die aktive Arbeitsmarktpolitik ist vielfach wirkungslos. Mitnahmeeffekte sind systemimmanent.

Natürlich ist die Zahl der Arbeitslosen in Europa, in der EU und insbesondere in der Euro-Zone zu hoch. Gerade die Jugendarbeitslosigkeit ist in Südeuropa besorgniserregend und führt vielerorts zu Perspektivlosigkeit. In Griechenland beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 45 Prozent, in Frankreich über 20 Prozent, in Italien über 33 Prozent und in Spanien sogar über 34 Prozent. Doch die Ursache dafür läßt sich nicht mit noch mehr Umverteilung in der EU lösen. Das Problem sind Markteintrittshürden für Geringqualifizierte. Das Arbeitsrecht privilegiert in diesen Ländern die Arbeitsplatzbesitzenden und diskriminiert diejenigen, die einen Arbeitsplatz suchen. Vielfach hohe Mindestlöhne verhindern die Einstellung von jungen Menschen und ein fehlendes duales Ausbildungssystem lassen ein „Training on the Job“ nicht zu.

Viele dieser Probleme haben historische und kulturelle Wurzeln. Umverteilung zu Lasten derer, die es anders und vielleicht auch besser machen, hilft da wenig. Auch noch mehr öffentliche Investitionen durch die EU oder über ein Eurozonen-Budget zu finanzieren, ist dabei wenig hilfreich. Der jetzt von Angela Merkel als Deal für das Entgegenkommen Macrons in der Flüchtlingspolitik zugestandene Schlechtwetterfonds im „niedrigen zweistelligen Milliardenbereich“ ist bestenfalls ein Placebo. Wahrscheinlich richtet er aber mehr Schaden als Nutzen an. Wenn bei schlechter Wirtschaftslage Euro-Staaten über diesen Fonds „gepampert“ werden, dann sind auch hier den Mitnahmeeffekten Tür und Tor geöffnet.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und ihren Produkten kann nicht durch staatliche Investitionen erreicht werden. Hier sind andere Dinge viel Wesentlicher. Dazu gehört eine Eigentumsordnung, die Investoren aus dem eigenen Land und von außen einlädt, dauerhaft am Standort zu investieren. Dazu gehört ein Arbeitsrecht, das durchlässig ist und jungen Menschen Chancen gibt. Und es gehört eine Administration des Staates dazu, die möglichst frei von Korruption und Bevorteilung ist. Dies erfordert die Gleichheit vor dem Recht und den Staat als Dienstleister der Bürger. Gerade davon sind wir auch im eigenen Land Lichtjahre entfernt. Wenn Merkel und Macron die EU zukunftssicher machen wollen, sind das die Baustellen, an denen gearbeitet werden müsste.

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.

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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Eine Vollzeitbeschäftigung könnte für ALG II-Empfänger durch eine niedrigere Anrechnungsquote maßgeblich attraktiver gemacht werden. Ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro pro Monat würden die Staatseinnahmen durch Sozialabgaben und Einkommensteuer den ALG II-Anspruch des aufstockenden Erwerbstätigen übersteigen.

Ein Ziel des 2005 eingeführten Arbeitslosengeldes II war es Beschäftigung attraktiver zu machen. Allerdings machen die Hinzuverdienstregelungen zum Arbeitslosengeld II eine niedrig entlohnte Beschäftigung in Vollzeit noch heute relativ unattraktiv. So hat ein alleinlebender Erwerbstätiger in Vollzeit, der 160 Stunden im Monat zum Mindestlohn von 8,84 Euro arbeitet, nur etwa 300 Euro mehr zur Verfügung als ein erwerbsloser ALG II-Empfänger. Daraus ergibt sich eine Zunahme des verfügbaren Einkommens von 1,88 Euro pro Arbeitsstunde. Das ist nicht sonderlich viel. Der Hinzuverdienst zum Arbeitslosengeld sollte attraktiver werden. So könnte zum Beispiel ein deutlich kleinerer Anteil des Erwerbseinkommens auf das ALG II angerechnet werden. Dadurch hätten ALG II-Empfänger einen stärkeren Anreiz, auch zu relativ niedrigen Löhnen wieder ins Erwerbsleben zurückzukehren.

Hohe Anrechnung von Einkommen auf ALG II

Das Arbeitslosengeld II sollte laut Bundeskanzler Gerhard Schröder „fordern und fördern“ . War auf der einen Seite das Ziel, ein soziokulturelles Existenzminimum zu garantieren, sollte auf der anderen Seite ein starker Anreiz zur Aufnahme einer Beschäftigung bestehen. Die recht hohe Anrechnung von Einkommen auf das Arbeitslosengeld konterkariert dieses Ziel jedoch.

Nach einem Freibetrag von 100 Euro pro Monat werden Einkommen bis 1.000 Euro zu 80 % angerechnet. Zwischen 1.000 und 1.200 Euro werden 90 % und ab 1.200 Euro wird das volle Einkommen auf das Arbeitslosengeld angerechnet. Für Hilfsbedürftige mit Kind beträgt die Obergrenze 1.500 Euro. Die relativ starke Kürzung der staatlichen Unterstützung bei Erwerbstätigkeit schwächt den Anreiz, einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen, wie das Beispiel eines kinderlosen Singles zeigt.

Minijob, Midijob und normaler Job

Zur Kalkulation des ALG II-Anspruchs ist eine Schätzung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung nötig. Für einen alleinlebenden ALG II-Bezieher gelten etwa 45 Quadratmeter als „angemessener Wohnraum“. Wir gehen von einer Nettokaltmiete von 7 Euro pro Quadratmeter aus. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Kaltmiete für eine 65 m² Wohnung betrug in Deutschland 2016 6,50 Euro pro Quadratmeter. Laut Deutschem Mieterbund betrugen im Jahr 2014 die Betriebskosten durchschnittlich 2,17 Euro/Quadratmeter. Die angenommene Warmmiete inklusive aller Kosten beträgt so 413 Euro pro Monat.

 

 

Der Bedarf eines Erwerbslosen von etwa 822 Euro ergibt sich aus dem ALG II-Regelsatz in Höhe von 409 Euro und den Kosten für Wohnen und Heizen. Bei einem Bruttoeinkommen von bis zu 450 Euro nehmen wir einen Minijob und bei einem Bruttoeinkommen von bis zu 850 Euro einen Midijob an. Während Minijobs nach Wahl von den Sozialversicherungsbeiträgen gänzlich befreit sind, kommt bei Midijobs eine Gleitzonenregelung zur Anwendung, die die Last durch Sozialbeiträge reduziert. Ab einem Bruttoverdienst von 850 Euro pro Monat liegt eine normale Beschäftigung vor, bei der die Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe anfallen.

Arbeitslosigkeit zu Vollzeit: Impliziter Stundenlohn 1,88 Euro

Relativ lohnenswert ist die Aufnahme einer Beschäftigung im Minijobbereich. Arbeitet beispielsweise ein ALG II-Empfänger 12 Stunden im Monat zum Mindestlohn von 8,84 Euro und verdient somit 106 Euro im Monat, verfügt er am Ende des Monats nach der Miete über etwa 101 Euro mehr als ohne Arbeit. Er arbeitet für etwa 8,42 Euro pro Stunde.

Deutlich anders hingegen sieht es bei einer Vollzeitbeschäftigung zum Mindestlohn aus: Bei 160 Stunden Arbeit im Monat ergibt sich ein Bruttoeinkommen von 1.414 Euro, wovon 1.052 Euro netto verbleiben. Der ALG II-Anspruch beträgt nun allerdings nur noch 70 Euro. Insgesamt hat ein zum Mindestlohn Vollzeitbeschäftigter nach der Mietzahlung nur etwa 300 Euro mehr im Monat zur Verfügung als ein Erwerbsloser: Bei 160 Stunden Arbeit im Monat ergibt dies einen impliziten Stundenlohn von 1,88 Euro.

Ehepaare: Nicht mehr Mittel zwischen 1.200 und 2.000 Euro brutto

Ein ähnliches Bild ergibt sich für ein verheiratetes und kinderloses Paar, wenn beide ALG II beziehen. Wir nehmen an, das Paar lebe auf 60 Quadratmetern. Zudem gehen wir weiterhin von den oben erwähnten durchschnittlichen Mietkosten pro Quadratmeter aus. Die nachstehende Grafik verdeutlicht, wie sich das verfügbare Einkommen des Paares nach der Miete verändert, wenn ein Ehepartner eine Erwerbstätigkeit aufnimmt.

 

 

Bei Ehepartnern ergibt sich ein ALG II-Bedarf von 1.286 Euro pro Monat aus den Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 550 Euro und 90 % des Regelsatzes pro Person – zusammen 736 Euro. Auch in diesem Fall ist vor allem die Aufnahme eines Minijobs finanziell attraktiv. Aufgrund der vollständigen Anrechnung des Einkommens ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro verändert sich das verfügbare Einkommen nach Miete zwischen einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro bis 2.000 Euro für das Paar gar nicht, obwohl das Nettoeinkommen weiter steigt. Eine Vollzeitbeschäftigung eines Ehepartners zu Löhnen von bis zu 12,50 Euro pro Stunde ist somit recht unattraktiv.

Alternative: Anrechnung von nur 50%

Um eine Vollzeitbeschäftigung zu niedrigen Löhnen attraktiver zu machen, könnte ein geringerer Teil des Einkommens auf das ALG II angerechnet werden, zum Beispiel nur 50%.

Wir gehen hier zudem weiterhin von einem Grundbedarf von 822 Euro aus.

 

Steuern und Sozialabgaben bleiben unberührt: Ein Beschäftigter in Vollzeit, der zum Mindestlohn arbeitet, verdient 1.414 Euro brutto und 1.052 Euro pro Monat netto. Bei 50-prozentiger Anrechnung ohne Freibetrag werden jedoch statt 752 Euro nur 345 Euro angerechnet, woraus sich ein ALG II-Anspruch von 477 Euro ergibt, von dem die Miete gedeckt ist. Im Vergleich zur Erwerbslosigkeit verfügt ein Beschäftigter in Vollzeit über 757 Euro mehr und verdient somit implizit 4,42 Euro pro Stunde. Das mag zwar nicht nach sonderlich viel klingen, ist aber eine Steigerung des impliziten Lohnsatzes im Vergleich zur jetzigen Gesetzeslage von mehr als 100 %. Die Aufnahme eine Vollzeitbeschäftigung würde dadurch deutlich attraktiver werden.

Vollzeitjobs lohnenswerter machen

Die Möglichkeit zum sogenannten „Aufstocken“ von relativ niedrigen Einkommen besteht schon heute. Die hohe Anrechnung des Erwerbseinkommens auf das ALG II gibt jedoch vor allem einen Anreiz zu einer Beschäftigung in nur teilweise sozialversicherungspflichtiger Teilzeit. Eine Vollzeitbeschäftigung könnte für ALG II-Empfänger durch eine niedrigere Anrechnungsquote maßgeblich attraktiver gemacht werden. Die Kosten einer Anrechnung von nur 50 % des Einkommens wären dabei überschaubar. Ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro pro Monat würden die Staatseinnahmen durch Sozialabgaben und Einkommensteuer den ALG II-Anspruch des aufstockenden Erwerbstätigen übersteigen, während durch seine Tätigkeit zusätzliche Güter und Dienstleistungen entstünden.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Wikimedia Commons

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Immer wieder liest man, Unternehmen würden Geringqualifizierten zu niedrige Löhne zahlen. Diese Wahrnehmung passt jedoch nicht zu den Beschäftigungsdaten. Profitierten gewinnorientierte Unternehmen ganz besonders stark von der Beschäftigung Geringqualifizierter, sollten sie in Abschwungphasen weniger von Arbeitslosigkeit betroffen sein als andere Gruppen von Beschäftigten. Sie werden jedoch tendenzielle eher entlassen.

In der Debatte um den Mindestlohn schwingt häufig die weit verbreitete Ansicht mit, Unternehmen würden von der Beschäftigung von Niedrigqualifizierten zu niedrigen Löhnen ganz besonders stark profitieren. Obwohl weit verbreitet, passt diese Wahrnehmung nicht zu den Beschäftigungsdaten – so auch in Deutschland. In Rezessionen verlieren relativ niedrig Qualifizierte und schlecht entlohnte Arbeitnehmer häufiger ihre Arbeit als Besserqualifizierte. Profitierten gewinnorientierte Unternehmen ganz besonders stark von der Beschäftigung Geringqualifizierter, sollten sie in Abschwungphasen weniger von Arbeitslosigkeit betroffen sein als andere Gruppen von Beschäftigten. Gewinnorientierte Unternehmen haben keinen Anreiz, gerade jene Mitarbeiter freizusetzen, von deren Beschäftigung sie am meisten profitieren. Aus der Entwicklung qualifikationsspezifischer Arbeitslosenraten in Krisenzeiten lässt sich jedoch vielmehr schließen, dass Unternehmen relativ stärker von der Beschäftigung Hochqualifizierter profitieren.

Eher entlassen trotz hohen Deckungsbeitrags?

Immer wieder liest man, Unternehmen würden Geringqualifizierten zu niedrige Löhne zahlen. Impliziert wird dabei, dass Geringqualifizierte relativ zu ihrem Beitrag zum Output der Unternehmen besonders niedrig entlohnt werden.

Erzielten Unternehmen durch die Beschäftigung von Geringqualifizierten einen besonders hohen Deckungsbeitrag, sollten Geringqualifizierte in Rezessionen zuletzt entlassen werden. Sie werden jedoch tendenziell eher entlassen. Auf diesen Widerspruch wies im vergangenen Jahr der US-Ökonom Tyler Cowen hin. Auch für Deutschland gilt, dass Geringqualifizierte in Rezessionszeiten eher ihre Beschäftigung verlieren als Besserqualifizierte.

Beschäftigungsverlust in Rezessionen: Geringqualifizierte stärker betroffen

Fünf Rezessionsjahre sind für Deutschland seit 1975 zu verzeichnen. Während sich 1975 und 1982 die erste und zweite Ölkrise negativ auf das BIP Deutschlands auswirkten, schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland am Ende des Einheitsbooms im Jahr 1993. Nach der leichten Rezession 2003 sank das BIP zuletzt nach der Finanzkrise im Jahre 2009.

Das bei der Bundesagentur für Arbeit ansässige Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung stellt für den Zeitraum von 1975 bis 2014 qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten bereit. Es werden die Arbeitslosenquoten für Menschen ohne Ausbildung, mit beruflicher Ausbildung und mit Universitätsabschluss unterschieden. Die Arbeitslosenquote von Menschen ohne Ausbildung war stets deutlich höher als die der anderen Gruppen. Zwar wuchs diese Differenz seit 1975 erheblich, es gelang jedoch auch immer mehr Menschen einen Berufsabschluss zu erwerben.

Hier wird die Beschäftigungsentwicklung der verschiedenen Qualifikationsgruppen in den Rezessionen von 1982, 1993, 2003 und 2009 betrachtet. Der Anstieg der Arbeitslosenrate einer Beschäftigungsgruppe während eines Rezessionsjahres wurde dabei ins Verhältnis zur Beschäftigungsquote dieser Gruppe im Vorjahr gesetzt. Die so ermittelte Quote zeigt folglich an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass ein Beschäftigter einer Qualifikationsgruppe im Zuge einer Rezession seine Arbeit verlor. Dadurch wird berücksichtigt, dass die Arbeitslosenquote der Geringqualifizierten stets höher war.

Im Zuge jeder Rezession war die Wahrscheinlichkeit arbeitslos zu werden für Beschäftigte ohne Ausbildung am höchsten. Während in der Rezession 1982 3,3 % der Beschäftigten ohne Ausbildung ihre Arbeit verloren, wurden nur 1,9 % der Beschäftigten mit beruflicher Ausbildung und gar nur 0,9 % der beschäftigten Universitätsabsolventen arbeitslos. In der zweiten hier betrachteten Rezession im Jahr 1993 war der Unterschied zwischen Personen ohne Ausbildung und Personen mit Hochschulausbildung noch gravierender. Interessant ist, dass der rezessionsbedingte Beschäftigungsverlust für Mittel- und Hochqualifizierte seit 1975 abnimmt, während er für Personen ohne Ausbildung stark schwankt.

Größter Gewinnbeitrag durch Hochqualifizierte?

Es ist zu erwarten, dass gewinnorientierte Unternehmen sich in einer Rezession zuerst von den Mitarbeitern trennen, die in Relation zu den durch sie entstehenden Personalkosten, inklusive allen durch Entlassungen und Einstellungen entstehenden Transaktionskosten, den kleinsten Beitrag zum Gewinn des Unternehmens leisten.

Die Entwicklung der qualifikationsspezifischen Quoten des Beschäftigungsverlustes deutet darauf hin, dass Menschen ohne Ausbildung für Unternehmen tendenziell geringere relative Deckungsbeiträge erwirtschaften. Denn ihr Beschäftigungsrückgang ist in Krisenzeiten am deutlichsten. Die Beschäftigungsentwicklung Hochqualifizierter weist dagegen darauf hin, dass ihr relativer Deckungsbeitrag am höchsten ist. Zudem suggeriert die Entwicklung seit der Rezession 1982, dass die relative Attraktivität der Beschäftigung Hochqualifizierter über die vergangenen Jahrzehnte gestiegen ist und spiegelt möglicherweise wider, dass eine sehr gute Ausbildung für ein erfolgreiches Erwerbsleben heute wichtiger ist als in der Vergangenheit.

Hohe Gewinnmargen durch Beschäftigung Geringqualifizierter?

Neben betriebsbedingten Kündigungen weiterhin aktiver Unternehmen trägt während einer Rezession auch die vollständige Aufgabe von Unternehmen zu höheren Arbeitslosenquoten bei. Erwirtschafteten Unternehmen, die gerade hauptsächlich Niedrigqualifizierte zu niedrigen Löhnen beschäftigen, besonders hohe Gewinnmargen, sollten sie besser durch Krisenzeiten kommen als andere Unternehmen. Die höheren Gewinnmargen in normalen Zeiten würden diesen Unternehmen helfen, die Durststrecke zu überstehen. Die Daten des IAB geben keinen Aufschluss darüber, aus welchen Gründen sich die Arbeitslosenquoten verändern. Sie legen jedoch eher nahe, dass relativ viele Unternehmen von Insolvenzen betroffen sind, die relativ viele Niedrigqualifizierte beschäftigen – und das spricht eher für überdurchschnittlich niedrige Gewinnmargen in diesen Unternehmen.

Mindestlohn kann Situation für Geringqualifizierte verschärfen

Geht während einer Rezession die Nachfrage nach den Produkten eines Unternehmens zurück, fährt es früher oder später die Produktion zurück. Während Unternehmen in der Vergangenheit mit einem Mix von Preis- und Mengenanpassungen in Form von niedrigeren Löhnen für weniger Beschäftigte auf Rezessionen reagieren konnten, wird heute eine Preisanpassung unter 8,50 Euro durch den Mindestlohn verhindert. Der Mindestlohn könnte so zukünftig dazu beitragen, dass Geringqualifizierte noch stärker von steigender Arbeitslosigkeit in Zeiten von Rezessionen betroffen sein werden. Der Mindestlohn schiebt Lohnanpassungen nach unten einen Riegel vor und macht damit aus Sicht der Unternehmen das Instrument der Mengenanpassung in Form von Stellenabbau relativ attraktiver.

Beschäftigung erleichtern

Die Entwicklung qualifikationsspezifischer Arbeitslosenquoten in Jahren der Rezession spricht nicht dafür, dass Unternehmen in Deutschland ganz besonders von der Beschäftigung Niedrigqualifizierter zu niedrigen Löhnen profitieren. Die These, Niedrigqualifizierte sorgen für relative hohe Deckungsbeiträge für Unternehmen, passt zwar gut zu Vorbehalten gegenüber Unternehmen, aber nicht zu den beobachteten Beschäftigungsdaten. Das weit verbreitete Bild der auf dem Rücken von Niedrigqualifizierten hohe Gewinne erzielenden Unternehmen Bedarf einer Korrektur.

Vielmehr deuten die Daten darauf hin, dass Unternehmen von der Beschäftigung Hochqualifizierter relativ stärker profitieren. Geringqualifizierten und ihren potentiellen Arbeitgebern sollte deshalb der Abschluss und die Aufrechterhaltung von Arbeitsverhältnissen erleichtert und nicht erschwert werden, wie es beispielsweise durch den Mindestlohn geschieht. Anstatt die Beschäftigung Niedrigqualifizierter mittels des Mindestlohns mit einer Steuer zu belegen, wäre es der Unterstützung aller Geringverdiener dienlich, staatliche Lohnzuschüsse für sie bereitzustellen und somit ihre Beschäftigung zu subventionieren.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Wikimedia Commons (CC-BY-SA-3.9-migrated)

In Großbritannien kippt die Stimmung. Labour-Chef Jeremy Corbyn hat lange rumgeeiert und sich jetzt für eine weichen Brexit ausgesprochen. Vielleicht hat er meinen „Weckruf für eine weichen Brexit“ vom 9. Juni gelesen. Man sollte die Hoffnung nie aufgeben – selbst bei Sozialisten!

Nach der Wahlschlappe von Theresa May bei der Unterhauswahl im Juni und dem Verlust ihrer absoluten Mehrheit war klar, dass diese „Klatsche“ nicht ohne Folgen für die britischen Brexit-Verhandlungen sein konnten. Die Premierministerin ist weiterhin stark unter Druck und es ist nicht ausgemacht, ob sie die nächsten Monate politisch überlebt.

Schon hat Außenminister Boris Johnson Zugeständnisse bei den Scheidungskosten angekündigt. Fast könnte man glauben, die EU sei in der Vorderhand und könne den Briten den Takt diktieren. Zumindest kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die EU-Kommission besser vorbereitet ist. Nach wie vor will die EU-Kommission an Großbritannien ein Exempel statuieren. Nie wieder soll ein Mitgliedsstaat es wagen auszutreten. Gerade in Richtung Polen, Tschechien und Ungarn soll dies wirken. Ob dies die Zentrifugalkraft durch den wachsenden EU-Zentralismus beseitigt, muss bezweifelt werden. Als Kitt und Lockmittel wirken dann letztlich nur noch die Gelder, die aus Brüssel verteilt werden.

Schon schlägt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Verschärfung der Entsenderichtlinie vor, um den französischen Arbeitsmarkt gegen Arbeitnehmer und Unternehmen aus Osteuropa zu schützen. Er will die Entsendung auf maximal 12 Monate begrenzen. Mitarbeiter von entsendeten Firmen sollen nicht mehr nur den Mindestlohn des Landes erhalten, wo sie vorübergehend arbeiten, sondern den vergleichbaren Lohn. Wer jemals in der EU vom Abbau von Handelshemmnissen fabuliert hat, sollte künftig lieber still sein. Wer den Binnenmarkt, seine wohlstandsschaffende Wirkung auf die Märkte von Dienstleistungen und Waren jemals verstanden hat, sollte nicht weiter Hand an die ohnehin viel zu bürokratische Entsenderichtlinie und insbesondere ihre Umsetzung in die nationalen Gesetze anlegen.

Schon heute muss jedes Unternehmen, das im Nachbarland vorübergehend tätig ist, weil es eine Maschine aufbaut oder diese wartet, einen Wust an Bürokratie bewältigen, den mittelständische Firmen nicht ohne fremde Hilfe stemmen können. Damit wir die Wirkung eines gemeinsamen Marktes durchkreuzt. Es wäre so, als wenn ein Unternehmen aus Niedersachsen, das in Bayern eine Werkzeugmaschine installiert, vorher über das dortige Wirtschaftsministerium um Erlaubnis fragen muss. So weit sind wir innerdeutsch zum Glück noch nicht. Aber zwischen Frankreich und Deutschland, zwischen Deutschland und Österreich läuft es genau so. Macron will „Frankreich first“ durchsetzen und schadet damit dem eigenen Land. Wenn Unternehmen den Lohn des Einsatzlandes bezahlen müssen, dann wird es noch komplizierter. Woher soll ein Mittelständler aus Ostwestfalen mit 150 Mitarbeitern das Wissen hernehmen? Soll er extra dafür jemanden einstellen oder Anwälte damit beauftragen?

Erschreckend ist, dass die große Koalition und die Regierung in Berlin Macron beispringen. Auch sie wollen den deutschen Arbeitsmarkt abschotten und abriegeln. Sie sagen es nicht so, sondern kommen mit Schlagwörtern wie Dumpinglohn und unfairer Konkurrenz daher. Doch wo hört das auf? Ist es fair, dass Skoda seine Autos auf einem niedrigeren Lohnniveau in Tschechien produziert als VW in Wolfsburg. Müsste nicht Skoda, wenn es seine Autos in Deutschland verkaufen will, auch vergleichbare Löhne der deutschen Automobilindustrie bezahlen? Muss hier nicht auch die EU-Kommission endlich eingreifen? Ist das nicht auch Dumping? Und sind China, Indien und Südkorea nicht alle Dumping-Ökonomien? Müssen dort nicht auch unsere Löhne bezahlt werden? Was unterscheidet eigentlich diese Politik vom handelspolitischen Säbelrasseln eines Donald Trump? Ist es die Geschmeidigkeit? Die bessere Frisur? Regierungen wollen oft ökonomische Gesetze aushebeln, weil sie kurzfristig gefallen wollen. Doch ökonomische Gesetze lassen sich nicht beseitigen, sie wirken immer. Sie schaffen entweder die Basis für künftigen Wohlstand, oder die Politik versucht, sie zu verbiegen und schafft dadurch Arbeitslosigkeit und Armut.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.