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Photo: David Holt from Flickr (CC BY-SA 2.0).

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

In den vergangenen Jahren kamen viele Zuwanderer nach Deutschland, darunter allein 1,2 Millionen Asylsuchende in den Jahren 2015 und 2016. Eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt ist erstrebenswert – aufgrund des niedrigen Qualifikationsniveaus der meisten Zuwanderer ist das jedoch kein leichtes Unterfangen.

Die Bundesregierung gibt sich optimistisch und verweist auf jüngste Reformen. Doch neue Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lassen vermuten, dass die in den letzten Jahren zugewanderten Flüchtlinge trotz Reformen und außergewöhnlich günstiger Arbeitsmarktlage eine noch schleppendere Arbeitsmarktkarriere erleben werden als frühere Flüchtlinge. Rosige Aussichten sind das nicht: Frühere Flüchtlingskohorten erreichten erst nach 15 Jahren eine Beschäftigungsquote von 70%, was der Beschäftigungsquote regulärer Zuwanderer in Deutschland nach 5 Jahren entsprach.

Die Bundesregierung sollte die niedrigen Beschäftigungsquoten der in den letzten Jahren zugereisten Flüchtlinge als Warnsignal sehen. Gelingt es nicht, die Arbeitsmarktintegration deutlich zu beschleunigen, kommen hohe Kosten auf die Steuerzahler zu. Um die Erwerbsquote der Flüchtlinge zügig zu heben, bietet es sich an, den Kündigungsschutz und den Mindestlohn mindestens für Flüchtlinge auszusetzen, den Regelbedarf für ALG II beziehende Flüchtlinge um 30% zu kürzen und Freibeträge beim Bezug von ALG II für alle Empfänger auszuweiten.

Arbeitsmarktintegration verläuft gewohnt schleppend

Eine neue Studie des IAB zeigt: Die Arbeitsmarktintegration der in den letzten Jahren zugewanderten Menschen aus den wichtigsten Asylherkunftsländern – Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria Pakistan, Somalia und Syrien – läuft nur schleppend an. Aufgeschlüsselt nach dem Einreisejahr konnte das IAB auf Basis einer repräsentativen Stichprobe die Erwerbstätigenquote – also den Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung an der erwerbsfähigen Bevölkerung (im Alter von 18 bis 64) -berechnen. Berücksichtigt werden sowohl geringfügige, Teil- und Vollzeit- als auch selbstständige Beschäftigung sowie betriebliche Praktika. Die Ergebnisse sind recht ernüchternd:

Die Erwerbstätigenquote unter den 2016 eingereisten Flüchtlingen lag Ende 2016 bei 6,2 %. 2015 eingereiste Flüchtlinge erreichten zum selben Zeitpunkt eine Quote von 9,9 %. Bei Flüchtlingen aus dem Jahre 2014 lag sie bei 22,2 % und von den erwerbsfähigen Flüchtlingen aus 2013 waren 30,8 % beschäftigt. Werden Praktika und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nicht berücksichtigt, sinkt die Erwerbstätigenquote für alle Kohorten deutlich. 2013 eingereiste Flüchtlinge kommen dann auf eine Quote von 20,8 %.

 

 

Die neu zugewanderten Flüchtlinge fassen damit noch langsamer Fuß auf dem Arbeitsmarkt als frühere Flüchtlingskohorten. Zogen früher zugezogene Flüchtlinge nach 15 Jahren mit schneller integrierten, regulär eingewanderten Migranten gleich und erreichten eine Erwerbstätigenquote von 70%, so steht zu erwarten, dass die in den letzten Jahren zugezogenen Flüchtlinge dafür noch länger brauchen werden.

Zum Vergleich: Die Erwerbstätigenquote aller in Deutschland lebenden Personen zwischen 20 und 64 Jahren liegt bei 78 %.

Ausland macht ähnliche Erfahrungen

Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass es in mit Deutschland vergleichbaren Staaten ähnliche Probleme bei der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen gibt. Die Erwerbstätigenquote von Flüchtlingen, die vor bis zu vier Jahren eingewandert sind, liegt im EU-Durchschnitt bei nur 27%. In der Gruppe der vor fünf bis neun Jahren Eingereisten liegt die Quote bei 39 %. Flüchtlinge, die seit 10 bis 14 Jahren im jeweiligen Land leben, erreichen eine Quote von 56 %. Migranten, die aus anderen Gründen eingereist sind, erreichen im EU-Durchschnitt deutlich früher höhere Erwerbstätigenquoten.

Eine wachsende Zahl von Länderstudien, etwa für die Schweiz oder Schweden, bestätigt den Befund. In den USA lebende Flüchtlinge erreichen dagegen deutlich schneller eine mit Inländern und regulären Migranten vergleichbare Erwerbsquote. Die beobachtbare Eingliederung in den US-Arbeitsmarkt suggeriert, dass die Arbeitsmarktintegration nicht so schleppend wie in Deutschland und anderen europäischen Ländern laufen muss.

Bisherige Arbeitsmarktreformen reichen nicht

Flüchtlinge weisen im Vergleich zu ähnlich qualifizierten und demografisch zusammengesetzten Arbeitsmigranten systematisch geringere Arbeitsmarkterfolge auf. Das deutet darauf hin, dass sie sich hinsichtlich weiterer Eigenschaften mit Folgen für ihre Beschäftigung von regulären Migranten unterscheiden.

Einige Hürden für den Arbeitseinstieg für Flüchtlinge wurden in Deutschland in den letzten Jahren abgebaut, darunter das temporäre Arbeitsverbot und die Vorrangprüfung. Andere Hürden bestehen fort, so etwa die Unsicherheit über den zukünftigen Aufenthaltsstatus vieler Flüchtlinge, der ein Investment in ihr Humankapital für Arbeitgeber unattraktiv macht. Neue Hürden kamen dazu, wie der Mindestlohn im Januar 2015.

Wenngleich die jüngsten barriereabbauenden Reformen der Bundesregierung begrüßenswert sind, legt die anhaltend niedrige Erwerbstätigenquote unter neu zugereisten Flüchtlingen nahe, dass deren Effekt gering ausfiel.

Glücklicherweise stehen dem Gesetzgeber weitere Mittel zur Verfügung, die geeignet sind, die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen zu beschleunigen – ohne den Einstieg in dauerhaft kostspielige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu riskieren.

Kündigungsschutz und Mindestlohn aussetzen

Als bedeutendste Hürde für niedrigqualifizierte und sprachlich-kulturell kaum integrierte Flüchtlinge erweisen sich hohe Lohnkosten, die sich durch vorgeschriebene implizite Lohnbestandteile wie den Kündigungsschutz erhöhen.

Die Aussetzung des Kündigungsschutzes für Flüchtlinge würde die mit ihrer Einstellung verbundenen Risiken reduzieren, die Kosten für den Arbeitgeber senken und so eine Beschäftigung attraktiver machen.

Selbst wenn beidseitig lohnende Arbeitsbedingungen gefunden werden, kann der allgemeine Mindestlohn deren Zustandekommen verhindern, solange der ausgehandelte Bruttostundenlohn unter 8,84 € liegt. Die selektive Aussetzung des Mindestlohns könnte folglich genutzt werden, um die Beschäftigungsquote von Flüchtlingen anzuheben.

Auch einheimische Niedrigqualifizierte leiden unter hohen Lohnkosten und könnten von der Aussetzung des Kündigungsschutzes und des Mindestlohns profitieren. Angesichts der starken politischen Lobby für diese Arbeitsmarktregulierungen, erscheint deren selektive Aussetzung für Flüchtlinge jedoch der politisch realistischere Weg zu sein.

ALG II: Regelsatz kürzen, Hinzuverdienst erleichtern

Die Öffnung des Niedriglohnsektors für Flüchtlinge entfaltet vor allem dann eine beschäftigungs- und integrationsfördernde Wirkung, wenn sich niedrigentlohnte Arbeit relativ zum Bezug von Sozialleistungen lohnt. Derzeit liegt das nach Abzug von Mietkosten verfügbare Monatseinkommen eines zum Mindestlohn beschäftigen Vollzeitarbeitnehmers nur etwa 300 € über den ALG II-Leistungen – das entspricht einem Mehreinkommen von unter 2 € pro Stunde. Bei den für viele Flüchtlinge realistischeren Stundenlöhnen unter 8,84 € schrumpft der Abstand zum durch ALG II erreichbaren Einkommen weiter.

Der Gesetzgeber sieht die Kürzung des Arbeitslosengeldes vor, wenn sich der Bezieher nicht angemessen um einen Arbeitsplatz bemüht – i.d.R. um zunächst 30%, also auf ca. 286 € monatlich für einen erwachsenen Alleinstehenden. Um den Anreiz zur Arbeitsaufnahme zu fördern, könnte der an Flüchtlinge ausgezahlten ALG II-Satz pauschal um 30 % gemindert werden. Die Ungleichbehandlung gegenüber einheimischen Beziehern ist in Hinblick auf den besonderen Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen vertretbar.

Unabhängig von einer Kürzung des Regelsatzes bieten sich langsamer abschmelzende Freibeträge für ALG II-Empfänger an. Werden Arbeitseinkommen nur teilweise auf Sozialleistungen angerechnet, wird auch bei niedrigen Löhnen der Anreiz zur Arbeitsaufnahme verstärkt. Neu ist diese Idee nicht, doch angesichts der Flüchtlingsmigration erhält sie neue Relevanz. Die teilweise Subvention von niedrigentlohnten Arbeitsverhältnissen ist aus Sicht der Steuerzahler lohnenswerter als die dauerhafte Finanzierung von Massenarbeitslosigkeit. Den Zuwanderern bietet sie zugleich eine Chance, produktive Mitglieder der Gesellschaft zu werden und ihren Lebensunterhalt in weiten Zügen eigenständig zu finanzieren.

Integration erfolgt über den Arbeitsmarkt

In Deutschland herrscht seit Jahren nahezu Vollbeschäftigung. Dennoch fällt die Erwerbsquote unter den jüngst zugereisten Flüchtlingen niedriger aus als dies für frühere Flüchtlingskohorten in den Jahren unmittelbar nach ihrer Einreise der Fall war.

Die Arbeitsmarktpolitik sollte auf den Abbau von Barrieren für die Schaffung neuer Arbeitsplätze ausgerichtet sein. Als geeignete Mittel kommen in Frage die Aussetzung des Kündigungsschutzes und des Mindestlohns sowie reduzierte ALG II-Bezüge für Flüchtlinge. Darüber hinaus empfehlen wir, erzielte Einkommen in geringerem Maße als aktuell auf die ALG II-Ansprüche aller Leistungsempfänger anzurechnen.

Erstmals erschienen bei IREF.

Anonym (17). Der Verfasser ist der Redaktion bekannt.*

Super Wetter. Angst. Das Outfit sitzt. Kriminell. Ein paar hübsche Mädchen in meinem Alter. Mache ich mich gerade strafbar?

Ich arbeite für einen weltweiten Marktführer in seiner Branche. Doch eigentlich darf ich das gar nicht. 8 Euro verdiene ich pro Stunde dafür, dass ich Menschen von der besten Zeit meines Lebens berichte, die mir dieses Unternehmen beschert hat.

8 Euro verdiene ich pro Stunde dafür, dass ich mir die hübschesten Mädchen herauspicke, um sie anzuquatschen, Ihnen einen Flyer und vielleicht auch meine Nummer mit auf den Weg zu geben. Wenn das allerdings rauskäme, hätte mein Arbeitgeber, der mich nach der Arbeit stets zu einer Pizza und einem Bier einlädt, ein großes Problem.

Seit dem 1. Januar gibt es ein Arbeitsverbot für all diejenigen, die auch gerne für 8,49 oder weniger gearbeitet haben. Dieses Arbeitsverbot nennt man Mindestlohn. Es betrifft vor allem Menschen wie mich. Ich habe weder anerkannte Qualifikationen noch irgendwelche Berufserfahrungen. Ich biete einfach nur meine Zeit und meine Motivation, mir neben der Schule etwas dazu zu verdienen.

Dieses Arbeitsverbot trifft die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft: Schüler, Berufsanfänger, Arbeitslose, Rentner. Es ist schade zu sehen, dass so viel Potenzial verschwendet wird. Mein Arbeitgeber bietet mir nämlich nicht nur 8 Euro pro Stunde, sondern auch Fortbildungen wie zum Beispiel zum Thema Marketing.

Er bietet mir an, Fuß zu fassen auf der ersten Sprosse einer langen Leiter – hier kann ich Erfahrungen machen und mir Erkenntnisse aneignen, die mir im Berufsleben weiterhelfen können. Ich lerne, unsere Produkte effektiver zu vermarkten, und lege dadurch die Grundlage dafür, selber in Zukunft mehr Geld zu verdienen.

Doch diese ersten Sprossen der Leiter wurden für sehr viele Menschen am 1. Januar abgesägt. Und nun wird darüber gestritten, wie man die Menschen am effektivsten daran hindert, die Leiter wieder zu reparieren. Die neuen Diskussionen um die Kontrolle zur Einhaltung des Mindestlohns machen mir Angst. Tue ich etwas moralisch Verwerfliches, wenn ich für 8 Euro pro Stunde arbeite? Wem schade ich denn dabei?

Ich habe Sorge, meinen Arbeitsplatz zu verlieren, falls die Kontrolle mich erwischt. Ich habe auch Sorge um meinen Chef, der mittlerweile ein Freund von mir geworden ist. In welcher Zeit lebe ich, dass ich Angst vor dem Staat haben muss, der mich doch schützen soll?

Ich bin dankbar, dass ich für 8 Euro arbeiten darf. Ich bin dankbar, dass sich mein Chef dem Gesetz widersetzt, denn ansonsten würde einer meiner netten Kollegen seinen Job verlieren – oder ich selbst. Wenn durch den Mindestlohn höhere Ausgaben entstehen und die Einnahmen gleich hoch bleiben, muss schließlich jedes Unternehmen an irgendeiner Ecke sparen oder die Preise erhöhen. Das verstehe auch ich – ganz ohne Wirtschaftsstudium. Gespart wird dann am ehesten bei denen, die am wenigsten zum Gewinn beisteuern, also auf der untersten Sprosse stehen.

Ich bin dankbar für all das, was meine Arbeit mir bietet, und das sich nicht in einer Zahl ausdrücken lässt: Gemeinschaft, Erfahrung, Knowhow und Freude. Meine Motivation ist ungetrübt. Auch morgen werde ich wieder arbeiten. Unter kriminellen Bedingungen. Ich werde die Arbeit genießen. Und ich werde Angst haben, entdeckt zu werden.

Wer ist John Galt?

Photo: Tony Alter from Flickr

* Anm. d. Red.: Wir wurden darauf hingewiesen, dass ein 17jähriger Schüler noch nicht nach Mindestlohn bezahlt werden muss. Das ist korrekt, ändert aber nichts an der grundsätzlichen Kritik. Zumal der Verf. auch über seinen 18. Geburtstag hinaus unter denselben Konditionen weiter zu arbeiten gedenkt.

Ach, die Schweizer … Wie kann man nur so bescheuert sein, seine eigene Exportwirtschaft durch die Aufgabe der festen Bildung der eigenen Währung an den Euro so dermaßen zu schwächen? Jetzt geben die von heute auf morgen diese Vorteile einfach auf. So hört man es allenthalben in Deutschland.

Doch es wird sich zeigen, dass dieser Schritt richtig war. Er sichert die Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität der Eidgenossenschaft. Nicht die Aufgabe der Bindung war der Fehler, sondern die Entscheidung der Schweizer Notenbank vor 3 Jahren, den Franken bei 1,20 je Euro zu fixieren.

Doch wird die Entkoppelung der Schweizer schaden? Ich meine: Nein. Im Gegenteil, es wird die Schweizer Wirtschaft mittelfristig noch wettbewerbsfähiger und noch produktiver machen. Kürzlich erzählte mir ein Bekannter, was er in einem Schweizer Unternehmen am Montag nach der Entscheidung vom 15. Januar erlebt hatte. Früh morgens traf sich die Mitarbeiterkommission, die in der Schweiz die Interessen der Belegschaft im Unternehmen wahrnimmt, und schlug noch am gleichen Tag der Geschäftsführung folgendes vor: Erstens: Die Wochenarbeitszeit soll von 40 auf 42 Stunden erhöht werden. Zweitens: Die Löhne und Gehälter werden um 5 Prozent reduziert. Und drittens: Das alles soll zum 1. Februar dieses Jahres in Kraft treten. Die einzige Sorge der Mitarbeitervertretung war, ob bei einer zu großen Lohnkürzung zu viele Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und sich nach einem neuen Job umsehen würden.

Man stelle sich dies einmal in der real existierenden Bundesrepublik vor: Die IG Metall schlägt freiwillig eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit und eine Lohnkürzung vor, die innerhalb von 2 Wochen umgesetzt wird. Undenkbar! Wahrscheinlich würde es so ablaufen: Erstens: Monatelange Verhandlungen zwischen IG Metall und dem Unternehmen würden von regelmäßigen Streiks begleitet. Zweitens: Arbeitsministerin Andrea Nahles erklärt ihre Solidarität mit den Streikenden und appelliert an die soziale Verantwortung des Unternehmens. Drittens: Die Ruhrnachrichten in Castrop-Rauxel schalten Sonderseiten und die SG Wattenscheid 09 trägt Trauerflor. Viertens: Das Arbeitsamt federt mit einer Auffanggesellschaft die zu erwartenden Entlassungen sozialverträglich ab. Und fünftens: Nach harten Verhandlungen tritt ein fauler Kompromiss zum 1.1.2016 in Kraft.

Zurück zur Wirklichkeit: Wenn die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft vom möglichst geringen Außenwert der eigenen Währung abhängen würde, wäre Simbabwe heute Exportweltmeister. Wieder einmal gilt: Mehr Schweiz wagen!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „eigentümlich frei“, Nr. 150.

Photo: Pranavian from Flickr

Die Geschichte des gesetzlichen Mindestlohns war eigentlich ein großes Ablenkungsmanöver. Nicht so sehr der jetzigen großen Koalition in Berlin, die den Mindestlohn von 8,50 Euro zum 1.1.2015 einführte, sondern von Franz Müntefering bereits im Sommer 2004. Ein dreiviertel Jahr vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wollte „Münte“ in die Offensive gehen, um die SPD aus dem Umfragetief zu holen, in das sie die Agenda 2010 gebracht hatte.

In dieser Schlussphase der rot-grünen Koalition stand die SPD mit dem Rücken zur Wand. Der Widerstand gegen die Kappung des Arbeitslosengeldes auf 12 Monaten und die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen brachte die Gewerkschaften auf die Barrikaden. Im Sommer kamen bei Demonstrationen unter dem Motto: „Reformen Ja. Sozialabbau nein danke!“ 90.000 Gewerkschafter zusammen. Ver.di-Chef Frank Bsirske sagte damals, was als Reformpolitik verkauft werde, sei blanker Sozialabbau. Er rechnete vor, dass die rot-grünen Arbeitsmarktreformen rund 100.000 Arbeitsplätze kosten würden. Das Gegenteil war die Folge. Heute sind in Deutschland noch nie so viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in Lohn und Brot.

Doch „Münte“, der mit „Volksschule Sauerland“ seinen eigenen Sozialaufstieg charakterisierte, galt nicht ohne Grund als gewiefter Taktiker. Sein offizielles Argument war, dass der Staat ein Lohnuntergrenze gegen Lohndumping einziehen müsse. Doch die Nachteile eines Mindestlohnes waren ihm dennoch bewusst. Deshalb formulierte er zur Höhe auch: „Ob dieser bei 4 oder bei 7 Euro je Stunde liegt, entscheidet darüber, ob bestimmte Tätigkeiten legal oder in Schwarzarbeit oder überhaupt nicht mehr in Deutschland verrichtet werden“. Seitdem begann der Aufstieg der Mindeslohn-Idee in Deutschland. Von 4 Euro war seitdem nie wieder die Rede. Schon in der letzten Legislaturperiode war der gesellschaftliche Druck so groß, dass selbst die Freien Demokraten – zu meinem Unwillen – ein Mindeslohn-Light-Modell beschlossen. Sie nannten es differenzierte Lohnuntergrenze.

Doch die Zurückhaltung, die Müntefering nunmehr vor über 10 Jahre an den Tag legte, wird heute von der Wissenschaft bestätigt. So hat jetzt die Universität Linz und das Tübinger Institut für angewandte Wirtschaftsforschung festgestellt, dass erstmalig seit vielen Jahren die Schwarzarbeit in Deutschland wieder zunimmt – insgesamt um 1,5 Milliarden Euro. Sie führen dies auf die aktuelle Einführung des Mindestlohnes zurück.

Meine persönlichen Erfahrungen bestätigen die negativen Wirkungen ebenfalls. Anfang des Jahres war ich zu einem Vortrag im mittelsächsischen Döbeln, einer Stadt mit 20.000 Einwohner. Als ich am Bahnhof nach einem Taxi Ausschau hielt, sagte mir der Kioskbetreiber, es gäbe hier keine mehr. Die wenigen würden nur noch zum 80 Kilometer entfernten Flughafen Leipzig fahren. Die Kurzstrecken würden sich nicht mehr lohnen. Den Weg zum Hotel musste ich zu Fuß gehen. Mit ein wenig Schadenfreude kann man vielleicht anmerken, dass dies meiner Fitness und Figur sicherlich gut getan hat. Geschenkt! Doch wenn die Taxiversorgung auf dem Land zusammenbricht, dann betrifft dies auch viele alte und kranke Bürger, die bei Behördengängen oder Arztbesuchen auf das Taxi angewiesen sind.

Und wer heute einen Mitarbeiter einstellt, steht mit dem neuen Mindestlohngesetz mit einem Bein im Gefängnis. Arbeitszeiten müssen wöchentlich – gerade bei geringfügig Beschäftigten – minutiös dokumentiert und zwei Jahre archiviert werden, sonst kommt der gerade um 1600 Stellen aufgestockte Zoll, der eigentlich anderes zu tun hat, und verfolgt die Arbeitgeber, als wären Sie potentielle Verbrecher.

Das ist die Wirklichkeit im Deutschland des Franz Münteferings mehr als 10 Jahre später. Eigentlich ist die Mindestlohnidee nicht falsch. Jeder Beschäftigte sollte einen Lohn erhalten, der ihm ein auskömmliches Leben ermöglicht. Doch was ist auskömmlich? Wo fängt es an und wo hört es auf? Wer in München wohnt, zahlt 15 Euro und mehr pro Quadratmeter Wohnfläche, in Fulda 6 Euro und in Frankfurt/Oder unter 5 Euro. Wer in Bayern beschäftigt ist, hat im Durchschnitt ein Nettoeinkommen von 3.009 Euro, im Saarland von 2.548 Euro und in Mecklenburg-Vorpommern von 2.140 Euro. Selbst innerhalb eines Bundeslandes gibt es extreme Unterschiede. So ist das Lohngefüge in Frankfurt oder Darmstadt höher als in im tiefsten Nordhessen. Und selbst innerhalb einer Stadt gibt es diese Unterschiede. Wer bei einem Automobilhersteller arbeitet, hat eine andere Verdienstmöglichkeit als im Friseurgewerbe.

Doch wieso akzeptiert es der Gesetzgeber eigentlich, dass die Waren und Dienstleistungen die im Ausland hergestellt und nach Deutschland exportiert werden, nicht auch nach deutschem Mindestlohn vergütet werden müssen. Lohndumping findet doch auch aus dem Ausland heraus statt? Keine Angst, ich werde jetzt nicht gleich zum Sozialisten.

Doch so weit ist der Gedanke von der Wirklichkeit nicht weg. Denn die neue Regelung gilt auch für Spediteure im Ausland, die Waren nach Deutschland bringen. Auch Sie müssen Ihren Fahrern künftig den deutschen Mindestlohn zahlen. Für viele ehemalige Ostblockstaaten ein schwieriges Unterfangen, denn der um die Kaufkraft bereinigte Bruttomonatsverdienst beträgt in Bulgarien 644, in Litauen 960 und in Lettland 968 Euro, das entspricht einem Stundenlohn zwischen 4 und 6 Euro.

Münteferings Idee von 2004 ist fatal. Der Mindestlohn fördert die Schwarzarbeit, führt zu noch mehr Bürokratie und macht den Staat noch größer und mächtiger. Und er schadet der europäischen Idee. Die Idee des Binnenmarktes war es nicht, mit einseitigen Handelsbeschränkungen oder Restriktionen eines einzelnen Landes in die Vertragsfreiheit von Individuen einzugreifen. Nein, der gemeinsame Markt fußt auf der Idee der Freiheit, in dem Menschen grenzüberschreitend Waren und Dienstleistungen austauschen können. Und übrigens hat sie selbst Müntefering und seiner SPD nicht geholfen. 2005 war die Koalition trotzdem am Ende.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 7. Februar 2015.

Photo: blu-news.org from Flickr