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Photo: simpleinsomnia from Flickr (CC BY 2.0)

Es gehört zu den alljährlich wiederkehrenden Regierungsritualen, dass die Kanzlerin das Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage im Kanzleramt entgegennimmt. Das ist meist so interessant wie die Neujahrsansprache des jeweiligen Kanzlers selbst. In der wiederkehrenden Langeweile kann es schon mal passieren, dass die alte Ansprache auch die neue ist. Dieses Gefühl hatte man zuweilen auch beim Gutachten der Wirtschaftsweisen. Seine Halbwertzeit ist meist kurz und die Positionen darin bekannt. Vier Ökonomen stützen traditionell das Gutachten, einer – der gewerkschaftsnahe Peter Bofinger – distanzierte sich immer vom Mehrheitsvotum seiner Professorenkollegen. Die Welt dreht sich anschließend weiter und abends wird es dennoch schneller dunkel.

Doch dieses Mal überschreiben die Ökonomen ihr Gutachten mit „Zeit für Reformen“. Als wenn wir uns Anfang der 2000er Jahre befänden, als die Arbeitslosigkeit der 5-Millionengrenze entgegenging, das Wirtschaftswachstum lahmte und Deutschland der kranke Mann Europas war. Der Wunsch nach „Reformen“ war damals dem Zeitgeist geschuldet, heute ist der Wunsch danach fast schon aus der Zeit gefallen. Heute wird das Wort „Reform“ mit der „Stabilisierung des Rundfunkbeitrages“ oder dem „Verbot von Versandapotheken“ verballhornt. Damals hieß der Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, heute ist es Sigmar Gabriel. So ändern sich die Zeiten.

Echte Reformen jetzt wieder auf die Tagesordnung zu setzen, ist daher schon ein mutiges Unterfangen, weil es gegen den Zeitgeist gerichtet ist. Der Unterschied zu damals ist aber, dass die Probleme nicht mehr nur einzelstaatlicher Natur sind. Und genau das verkennen die Sachverständigen. Es sind nicht mehr nur die Strukturprobleme des Rentenversicherungssystems in Deutschland,  Frühverrentung und Überfrachtung des Systems durch immer neue Wohltaten. Auch nicht das Steuersystem, das Bürger zu Buchhaltern des Finanzamtes degradiert. Es ist auch nicht die Verkrustung der Marktwirtschaft durch Zugangsbeschränkungen und Abschottung, die eine schöpferische Zerstörung im Schumpeterschen Sinne nicht mehr zulässt, und damit neue, kreative Unternehmer verhindert. Und es ist erst recht nicht der zunehmende Paternalismus, der am Besten in der Aufforderung der Kanzlerin zum Ausdruck kommt, auf CDU-Weihnachtsfeiern auch mal ein schmissiges „Tamtatata oder Schneeflöckchen, Weißröckchen“ zu singen.

Es sind die globalen Herausforderungen, die Reformen notwendig machen. Die weltweite Geldschwemme der Notenbanken ist eine der größten Bedrohungen der Freiheit, der Marktwirtschaft und damit des Friedens. Weniges beeinflusst das Zusammenleben und das Wirtschaften auf der Welt so sehr. Und weniges kann alles so sehr zerstören. Doch darauf gehen die Professoren nur am Rande ein. Schade. Dabei führt die Manipulation der relativen Preise durch die Notenbanken zu einem Wettlauf um den schnellsten und entschiedensten Markteingriff. Doch diese Markteingriffe sind immer nur kurzfristige Vorteile, die zu Gegenreaktionen des Manipulierten führen. In diesem System wird der Manipulierte von heute zum Manipulierer von morgen.

Diese Kritik an den Notenbanken hatte bereits Ludwig von Mises Anfang des letzten Jahrhunderts formuliert. In dieser Woche kam auch die Deutsche Bank zur Gruppe der Häretiker hinzu. Wer hätte das noch vor wenigen Jahren gedacht? Waren es doch die Banken in Deutschland, die das goldene Kalb im Gewand der EZB anbeteten und lobpriesen. In bisher ungeahnter Schärfe haben die Deutschbanker vor den Auswirkungen der Politik der Europäischen Zentralbank gewarnt. Sie ersticke die Reformdynamik, füge den Sparern allein bis 2018 voraussichtlich zwei Billionen Euro Schaden zu und sie hindert Banken daran, notwendige Abschreibungen auf faule Kredite vornehmen zu müssen. Allein in Europa beziffert der Wirtschaftsprüfer KPMG dieses Volumen auf 1,2 Billionen Euro.

Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Den tut die Kanzlerin nicht. Sie will sich nicht von den Professoren die Butter vom Brot nehmen lassen und übt sich daher bei der Übergabe des Sachverständigengutachtens in Selbstsuggestion, indem sie ihnen zurief: “Ich denke, die Bundesregierung fühlt und denkt so, dass sie permanent Reformen angeht.“

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Ralph Schulze from Flickr (CC BY 2.0)

Die Europäische Zentralbank kommt wegen ihrer Politik immer mehr in die Kritik. In dieser Woche hat selbst die Deutsche Bank einen Schwenk gemacht und EZB-Chef Mario Draghi vorgeworfen, das Gegenteil dessen zu erreichen, was er ursprünglich beabsichtigt hatte. Mittlerweile dominierten die negativen Folgen. Die Reformanstrengungen in den Euro-Mitgliedstaaten würden erstickt, die Signalfunktion des Zinses gehe an den Anleihemärkten verloren, die EZB nehme immer mehr Risiken auf die eigene Bilanz, die Sparer müssten diese Politik mit Nullzinsen auf ihren Sparbüchern und in ihren Lebensversicherungen bezahlen und das Investitionskapital werde in falsche Projekte gelenkt, die dann Blasen an den Immobilien- und Aktienmärkten entstehen ließen.

Bislang kam diese Kritik an der EZB im Wesentlichen von den Sparkassen und Volksbanken. Sie sind besonders betroffen von der Zinsdrückerei der Notenbank. Ihre Margen brechen weg, ihr Kostenapparat ist durch die vielen Geschäftsstellen hoch und sie können nur sehr schlecht in andere Geschäftsmodelle ausweichen. Die Großbanken waren dagegen bislang eher zurückhaltend mit ihrer Kritik an der EZB, auch weil diese sie inzwischen direkt beaufsichtigt. Denjenigen zu kritisieren, der einem durch Aufsichtsmaßnahmen dann erheblich das Leben schwermachen kann, ist daher durchaus mutig. Insofern ist es wohl eher als Hilferuf zu verstehen, wenn die Deutsche Bank sich derart äußert.

Die Begründung und das Festhalten der EZB an dieser Politik ist einer falschen Annahme geschuldet. Es ist die Annahme, dass die Notenbank über die Geldpolitik Märkte stimulieren müsse, um Wachstum zu erzeugen. Traditionell geschieht dies durch die Zinspolitik der Notenbanken. Verbilligt die Zentralbank die Geldversorgung für die Banken, hofft sie, dass diese anschließend leichter Kredite vergeben und damit Investitionen und Arbeitsplätze entstehen. Doch die Pferde wollen nicht saufen. Die EZB hat den Ausleihzins faktisch beseitigt. Die Kreditvergabe der Banken im Euro-Club stockt dennoch. Die Banken halten ihr Pulver trocken. Sie haben viel zu viele faule Kredite in ihren Büchern, sodass sie erstmal keine neuen vergeben wollen. Schätzungen gehen dahin, dass fünf Prozent aller Kredite im Euroraum notleidend sind, das sind 1,2 Billionen Euro. In den Krisenländern Griechenland, Italien, Spanien und Portugal sind es deutlich über zehn Prozent. Das ist für einen Bankensektor eine enorme Belastung. Daher parken Banken lieber ihre Liquidität bei der Zentralbank. Diese reagierte darauf mit einem Strafzins, doch es nützt dennoch nichts. Mario Draghi befindet sich inmitten einer Interventionsspirale. Er muss immer größere Eingriffe in die Marktwirtschaft vornehmen, um einen Effekt zu erzielen oder einen negativen Effekt, der die Folge der vorigen Entscheidung war, zu heilen.

Dieses Phänomen der Interventionsspirale existiert nicht nur bei Notenbanken, sondern ist generell zentralistischen Systemen eigen. Dies hat etwas mit dem Wissen über die Entscheidungen des Einzelnen zu tun. Zentralistische Planungssysteme glauben zu wissen, was der Einzelne benötigt und wie er entscheidet. Irrt sich der oberste Planer, dann wird der Plan nachjustiert. Irrt er sich erneut, wird noch stärker eingegriffen. Die Schäden, die an anderer Stelle durch die Eingriffe entstehen, werden billigend in Kauf genommen, um das höhere Ziel zu erreichen. Zentralistische Planungssysteme sind nonzentralistischen Planungen daher unterlegen. Nonzentralistische Planung finden wir in der Marktwirtschaft. Dort entscheidet und verantwortet der Einzelne sein Handeln. Dies funktioniert deshalb so gut, weil dieser Prozess nicht zentral konstruiert ist, sondern dem natürlichen Zusammenleben entspricht.

Welche Konsumentscheidungen der Einzelne trifft, ob und wann er ein Auto kauft, abends zum Essen geht oder wie oft er in den Urlaub fährt, sind individuelle Entscheidungen, die bei jedem von uns anders sind. Und so ist es auch mit dem Unternehmer. Welche Investitionsentscheidungen, in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort er trifft, ist individuell und subjektiv. Dies kann nicht zentral geplant werden. Dieses Wissen hat niemand, erst recht nicht Mario Draghi.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 5. November 2016.

Photo: Daughterville Festival – Stefan Malz from Flickr (CC BY 2.0)

Von Justus Lenz, Leiter Haushaltspolitik bei Die Familienunternehmer/Die Jungen Unternehmer

Um die wirtschaftliche Bildung an deutschen Schulen ist es in der Regel leider schlecht bestellt. Wirtschaft als Schulfach gibt es nur in einigen wenigen Bundesländern und dann meist als Mischfach wie Wirtschaft und Recht. In der Regel kommen Schüler nur am Rande mit wirtschaftlichen Themen in Berührung, in so verschiedenen Fächern wie Erdkunde oder Geschichte. Die Vermutung liegt nah, dass die fachfremden Lehrer wirtschaftliche Themen eher wenig durchdrungen haben und zudem eher marktskeptisch geprägt sind.

Ob Lehrer im Unterricht auf ihre Schüler ideologisch einwirken, ist zwar schwer nachprüfbar. Gut untersucht werden kann jedoch, ob die Jugendlichen schon in Schulbüchern mit falschen Fakten, Emotionalisierungen und tendenziösen Behauptungen beeinflusst werden. Schulbuchstudien zeigen leider, dass genau dies der Fall ist.

Wirtschaftswachstum und Wohlstand bringen beispielsweise Arbeitslosigkeit – jedenfalls wenn man dem Schulbuch Terra Erdkunde 9/10 Niedersachsen glaubt. Hier heißt es:

„Ständiges Wirtschaftswachstum und damit wachsender Wohlstand haben aber (…) in zunehmendem Maße auch Arbeitslosigkeit zur Folge“ (2007, Seite 58).

Die Behauptung dieses sachlich falschen Zusammenhangs ist an sich schon schlimm genug. Geradezu zynisch wirkt die Aussage jedoch, da sie im Kontext Entwicklungspolitik getroffen wird. Der Schulbuchautor weist darauf hin, dass Wirtschaftswachstum folglich kein erstrebenswertes Ziel für Entwicklungsländer sei. Der Wohlstand und überhaupt die ganze Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung von Industrieländern werden als wenig nachahmenswertes Modell dargestellt – wobei sich natürlich die Frage aufdrängt was denn die Alternativen seien. Hier aber werden die Schüler ohne konkrete Antworten allein gelassen.

Es gibt weitere Beispiele von tendenziösen Passagen in Schulbüchern. So heißt es im Schulbuch „Die Reise in die Vergangenheit 3“:

„Für den Unternehmer waren die Maschinen wertvoller als die Arbeiter.“ (2007, S. 168).

Zum Glück gibt es auch Beispiele dafür, dass wirtschaftliche Themen in Schulbüchern objektiv dargestellt werden. So zeigt eine qualitative Studie von Hamburger WeltWirtschaftsInstitut und Universität Erfurt sogar, dass die Darstellung wirtschaftlicher Themen in ökonomienahen Fächern (z. B. Politik und Wirtschaft) überwiegend objektiv ist.[i] Eine marktkritische und zum Teil ideologische Färbung lässt sich dagegen jedoch leider in vielen Schulbüchern ökonomieferner Fächer wie Erdkunde und Geschichte feststellen, wenn sich die Schulbuchautoren in das Feld ökonomischer Zusammenhänge begeben. Auch eine empirische Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft bestätigt die teilweise sehr unsachliche Darstellung wirtschaftlicher Zusammenhänge in Schulbüchern.[ii]

Diese Ergebnisse machen deutlich, dass es noch viel Verbesserungspotential gibt, das angesichts der Bedeutung der Ökonomie als Grundlage für gesellschaftliche Entwicklungen und politische Entscheidungen genutzt werden sollte. Hier sind natürlich zunächst die Schulbuchverlage gefragt. Die Ergebnisse legen aber auch nahe, dass ein eigenständiges Schulfach Wirtschaft in allen Bundesländern an allen weiterführenden Schulen eingeführt werden sollte. Die ökonomische Bildung ist viel zu wichtig, als dass wir sie fachfremden Lehrern überlassen können.

[i]           Justus Lenz, Die Darstellung von Marktwirtschaft und Unternehmertum in Schulbüchern in Deutschland und in der deutschsprachigen Schweiz, Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, 2010.

[ii]              Helmut E. Klein, Unternehmer und Soziale Marktwirtschaft in Lehrplan und Schulbuch – Der Beitrag gesellschaftswissenschaftlicher Schulbücher zur Ökonomischen Bildung, Institut der Deutschen Wirtschaft, 2011.

Photo: Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0 DE)

Mario Draghis Zinsvernichtungspolitik verhindert derzeit die Insolvenz von Staaten und Banken in Europa. Um diesen Zustand zu konservieren, muss der Italiener immer stärker in das Preissystem der Marktwirtschaft eingreifen. Der Ökonom Ludwig von Mises bezeichnete diese Entwicklung als Interventionsspirale. Je größer der Eingriff ist, desto umfangreicher sind die Kollateralschäden, auf die dann mit neuen, noch größeren Interventionen reagiert wird. Einer dieser Kollateralschäden ist die Enteignung der Sparer, die in Anleihen und Lebensversicherungen investieren. Sie werden kalt enteignet. Ein weiterer ist die Entstehung von Blasen an den Immobilien- und Aktienmärkten, die Mondpreise erzeugen, die bei Lichte betrachtet, nur heiße Luft sind.

Der wachsende Protektionismus ist ein weiterer Kollateralschaden. Wenn Notenbanken den Wert ihrer Währung manipulieren, um für „ihre“ Exportindustrie Wettbewerbsvorteile zu erzielen, ist das letztlich nichts anderes als eine Subvention. Manipulieren Sie den Kapitalmarktzins, dann erleichtern sie die Finanzierungsfähigkeit „ihrer“ Unternehmen. Übernahmen von Wettbewerbern oder Zukäufe sind so leichter möglich.

Die Gegenreaktionen der betroffenen Staaten sind meist Handelsbeschränkungen bis hin zu Investitionsbeschränkungen ausländischer Unternehmen. Auch bei uns droht dies nun. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bereitet gerade ein Gesetz zur Investitionsprüfung vor, das Übernahmen ausländischer Investoren an deutschen Unternehmen unter Zustimmungsvorbehalt der Regierung stellt. Es wäre einer der größten Eingriffe ins Eigentum und in die Vertragsfreiheit seit langem. Er wird mit der Gegenseitigkeit begründet. Andere Länder machten das schließlich auch. Das stimmt zwar, hilft den Eigentümern hierzulande aber wenig. Sie werden in ihrem Handeln beschränkt.

Gabriel trifft mit seinem Vorschlag eine Grundstimmung, die sich in den Vorstandsetagen der DAX-Konzerne ebenfalls etabliert. Sie fürchten um ihre eigenen Jobs, daher wollen sie das alte Modell der „Deutschland AG“ aus dem letzten Jahrhundert wiederbeleben. Unliebsame Übernahmen aus dem Ausland sollen verhindern werden, indem die großen Unternehmen Überkreuzbeteiligungen eingehen und sich damit gegenseitig gehören. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist vorne mit dabei und koordiniert bereits das Vorgehen.

Aufgeschreckt wurden sie durch die Übernahmen des Roboterherstellers Kuka und jüngst auch durch den Verkauf des Aachener Spezialmaschinenbauers Aixtron an chinesische Investoren. Vom Ausverkauf von deutschem Know-How ist dabei die Rede, als ob dieses Know-how der Bundesregierung, den DAX-Konzernen oder allen Deutschen gehören würde.

Wären beide Unternehmen derart wichtig für die deutsche Industrie oder einzelne Unternehmen in Deutschland, hätten sich wohl auch andere Investoren gemeldet. Beides ist aber nicht geschehen oder die Angebote waren zu schlecht. Es gibt keine zwingende Logik für diese Entwicklung. Daher gilt: wehret den Anfängen, insbesondere dann, wenn plötzlich Argumente angeführt werden, die dem Investitionsstandort Deutschland und seinen Menschen schaden.

Natürlich wollen Investoren das Know-How des zu übernehmenden Unternehmens nutzen. Es ist ein wesentlicher Grund, wieso Übernahmen überhaupt stattfinden. Der deutsche Chemieriese Bayer wird den amerikanischen Agrarkonzern Monsanto nicht nur deshalb übernehmen wollen, weil deren Hauptsitz St. Louis im US-Bundesstaat Missouri so eine schöne Stadt ist und sich daher für eine Dienstreise des Bayer-Vorstandes besonders gut eignet. Der Bayer-Konzern will selbstverständlich auch das Wissen Monsantos nutzen und dadurch Wettbewerbsvorteile generieren. Daran ist nichts Verwerfliches. Problematisch ist jedoch, wenn der deutsche Wirtschaftsminister die Investitionsfreiheit und das Eigentum beschränkt und die führende Industrievertreter sich zum gegenseitigen Kartell verabreden. Ludwig Erhard würde sich in beiden Fällen im Grabe umdrehen. Beides hat Erhard Zeit seines Lebens bekämpft.

Die Entwicklung führt weg von der Marktwirtschaft und führt zu einer immer stärkeren „Verkumpelung“ von Regierung, Großindustrie und Banken. Es fördert eine Kungelwirtschaft, die nicht auf Befehl der Konsumenten wirtschaftet, sondern auf Befehl der Bürokraten. Wer weit weg ist von den Mächtigen, bleibt auf der Strecke oder schließt sich zu größeren Einheiten zusammen, um ebenfalls den Mächtigen nahe zu sein. Abschottung und Diskriminierung von ausländischen Investoren ist daher höchst problematisch.

Man muss dabei nicht nur die hohe Exportorientierung der deutschen Volkswirtschaft anführen, sondern kann generell die Freihandelsidee ins Feld führen. Nichts hat dem Wohlstand in Deutschland, in Europa und in der Welt so sehr gedient wie der Freihandel. Dafür im eigenen Land, in Europa und in der Welt zu kämpfen, wäre der eigentliche Auftrag eines wahren Nachfolgers Ludwig Erhards.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick am 20. Oktober 2016.

Photo: Bankenverband from Flickr (CC0 1.0)

Nicht jedes tote Pferd ist bereits in die ewigen Jagdgründe eingezogen, nur weil es länger nicht gesichtet wurde. Manchmal ist es nur scheintot. Die Finanztransaktionssteuer ist so ein Gaul. Der alte Klepper wurde lange, sehr lange geritten. Er war sogar einmal Gegenstand einer ernsten Koalitionskrise. Als am 7. Mai 2010 der Bundestag über die erste Griechenlandhilfe beriet, wollte die Koalition aus Union und FDP mit einem Entschließungsantrag auch die oppositionelle SPD mit ins Boot holen. Damals konnte man hautnah miterleben, wie der real existierende Politikbetrieb funktioniert. Die Bedingung der Sozialdemokraten für die Zustimmung zum griechischen Bail-Out war die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Deutschland. Die Union hatte Sympathien für diesen Vorschlag, da man damit den Koalitionspartner FDP ärgern konnte. Die FDP profilierte sich bekanntlich im Wahlkampf 2009 mit Steuersenkungen und erzielte damit ihr historisch bestes Bundestagswahlergebnis. Das geschah auch auf Kosten der Union, die zwar anschließend mit der FDP eine Koalition schloss, aber von Anbeginn an alles dafür tat, die FDP in dieser Frage zu schwächen. Der Einführung einer neuen Steuer, die auch noch die Altersvorsorge jedes Einzelnen belastet, konnte die FDP nicht zustimmen. Sie erklärte die Einbeziehung der Finanztransaktionssteuer daher zu einer Koalitionsfrage.

In der Folge einigte sich die Koalition auf einen eigenen Entschließungsantrag ohne die neue Steuer und ohne die SPD. Anschließend stimmten die Genossen gegen den Entschließungsantrag der Koalition und enthielten sich kraftvoll bei der ersten Griechenlandhilfe. Es geht halt im Parlamentsalltag immer um die Sache.

In dieser Woche haben zehn EU-Finanzminister (Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien) den alten Klepper wieder aus dem Stall geholt. Sie haben gemeinsam die EU-Kommission beauftragt, bis Ende des Jahres einen Gesetzentwurf vorzulegen, der nur für diese zehn Mitgliedsstaaten Verbindlichkeit erlangen soll.

Selbstzerstörung ist der europäischen Politik nicht völlig fremd, aber dass sich jetzt schon eine Gruppe innerhalb der 28 freiwillig im Verhältnis zu den anderen selbst schädigt, ist neu. Es wäre schon absurd, die Steuer weltweit einzuführen, da sie nicht administrierbar ist, erst recht nicht kontrollierbar und vor allem künftige Finanzkrisen eher befördert als verhindert. Es wäre auch irre, diese Steuer in der gesamten EU einzuführen, da die Verlagerung von Börsentransaktionen nach Tokio oder New York eine Sekundenentscheidung wäre.

Aber in Anbetracht des kommenden Brexits ist es wohl ein aktiver Beitrag zur Sicherung des Bankenplatzes in London, den die Festlandseuropäer hier an den Tag legen. Diese großzügige Geste von Schäuble und anderen ist verwunderlich, da sie sonst die EU und ihren Binnenmarkt eher als protektionistische Trutzburg gegen den Freihandel nach außen positionieren. Denn dem wichtigen Handelspartner Großbritannien droht man längst mit einem Abbruch der Handelsbeziehungen, sollten sie die Personenfreizügigkeit nicht ohne wenn und aber akzeptieren.

Hinter der Finanztransaktionssteuer steckt die falsche Annahme, dass Börsenturbulenzen etwas mit den Börsenumsätzen und der Umlaufgeschwindigkeit von Finanztransaktionen zu tun habe. Sie soll die Finanzaktivitäten belasten und damit beschränken. Hält man das Auf und Ab der Börsen für schlecht, dann sorgt eine Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte eher für eine Liquditätsaustrocknung, die dann zu einer wachsenden Volatilität führen kann. Und sehr wahrscheinlich gelingt es den Banken, Fondsgesellschaften und Versicherungen, die Steuer auf ihre Kunden zu übertragen. Sie werden diese dann mit ihrer Altersvorsorge bezahlen.

Deutschland hat 1991 die Börsenumsatzsteuer abgeschafft, weil sie der Aktienkultur in Deutschland geschadet hat. Heute geht es nicht mehr nur um die Aktienkultur, sondern um einen Schlag gegen die Sparkultur insgesamt in Deutschland. Wenn die Zinsvernichtungspolitik der EZB unter Mario Draghi die Sparer bereits um ihren Ertrag bringt, dann ist eine Finanztransaktionssteuer ein doppelter Schlag für diejenigen, die unabhängig von staatlichen Transferleistungen im Alter sein wollen. Das alles ist nicht unerheblich. Denn eine Gesellschaft freier Bürger setzt Eigentum voraus. Wenn der Staat über die Geldpolitik auf der einen Seite und über die Steuerpolitik auf der anderen Seite immer mehr in das Eigentum des einzelnen eingreift, erodiert die bürgerliche Gesellschaft. Der Bürger wird immer abhängiger und der Staat immer mächtiger. Das kann auch in der Entwicklung der Parteien abgelesen werden.

Das wirklich Erschreckende daran ist, dass sich hier die Union aus CDU und CSU mit der politischen Linken, von Attac, Grünen, Linken und SPD bis zu den Gewerkschaften, verbünden. Es gibt keinen breiten bürgerlichen Widerstand gegen die Eingriffe ins Eigentum, sondern nur noch Symbolpolitik.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.