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Photo: Joe deSousa from Flickr.com

Kulturpessimismus, Angst vor der Globalisierung, Innovationsfeindlichkeit und Besitzstandwahrung sind uralte Phänomene. Ängste und Sorgen, die heute auf der linken wie auf der rechten Seite des politischen Spektrums geschürt werden, haben schon vor fast 3000 Jahren Menschen verrückt gemacht.

Zeitlos: der Mythos der Verfallsgeschichte

Bereits Hesiod, nach Homer der älteste abendländische Schriftsteller, den wir kennen, hat in seinem Hauptwerk, der Theogonie, den Mythos der verschiedenen Zeitalter der Menschheit erzählt – als Verfallsgeschichte, an dessen Beginn das Goldene und an dessen Ende das Eiserne steht. Die Vorstellung, dass alles immer schlimmer wird, dass das Neue und Fremde auf jeden Fall schlechter ist als das Alte und Bekannte, scheint ein menschlicher Urmythos zu sein. Und bis heute erfreut er sich hoher Beliebtheit, obwohl doch der Blick zurück uns eigentlich eines Besseren belehren sollte. Wie wenig sich die Ängste von Grünen, Sozialisten und Konservativen von denen der Antike unterscheiden, zeigt auf anschauliche Weise ein Text des griechischen Schriftstellers Aratos von Soloi aus dem 3. Jahrhundert vor Christus.

Dieser Dichter aus dem antiken Kilikien, einem Gebiet, das heute im Südosten der Türkei liegt, hat der Nachwelt ein Werk hinterlassen, das die ganze Antike hindurch hoch im Kurs stand: Phainomena. Er beschreibt dort die Sternenwelt, durchbricht aber seine Beschreibungen immer wieder mit Anekdoten und Erzählungen – so auch über den Wechsel und Verfall der Zeitalter. Wenn man sich den Text genauer ansieht, dann kann man erkennen, dass viele der Ängste und Sorgen, die er beschreibt, noch heute in unseren Köpfen herumspuken. Diese Geschichte handelt von der „Gerechtigkeit“, die früher ganz offen auf der Erde herumwandelte, sich im Laufe der Zeit aber immer mehr zurückzog. Sehen wir uns ein paar Formulierungen genauer an:

Der widernatürliche Wettbewerb

Zu jener Zeit kannten die Menschen noch nicht das hasserfüllte Streben, den mäkelnden Wettbewerb oder das Lärmen des Krieges. Sie lebten vielmehr ein einfaches Leben.“ Heute würde man sagen: „Früher gab es noch nicht die Ökonomisierung aller Lebensbereiche“. Die Idee, dass das Bedürfnis, besser zu sein als andere – das Streben, der Wettbewerb – etwas moralisch Verwerfliches ist, haben mitnichten Zeit-Redakteure erfunden. Sie entspringt vielmehr unserem Denken in Kleingruppen, wie es Hayek und Popper so anschaulich beschrieben haben. Im Rahmen einer kleinen Gemeinschaft kann das Unterfangen, besser zu sein als andere, für den Rest der Gruppe bedrohlich sein. Wer im Konkurrenzkampf in einer so kleinen Gruppe unterliegt, konnte existentiell gefährdet sein. In einer Gesellschaft der Arbeitsteilung und des Tausches sind solche Ängste jedoch nicht mehr rational. Sie sind durch die Entwicklung der Marktwirtschaft längst überholt.

Aber viele wollen eben gerne zurück zu jenem einfachen Leben von früher. Nicht, weil sie auf Toiletten und Kitas, Auslandsstudium und Internet verzichten wollten. Sondern weil sie die Last der Moderne zu stark empfinden. Weil ihnen deren Unübersichtlichkeit und Schnelligkeit zu einer Qual wird. Sie wollen sich nicht mehr mit anderen messen und wollen Veränderung vermeiden. Sie wollen eine übersichtliche Welt, in der sie alles unter Kontrolle haben können. Die Sehnsucht nach dem einfachen Leben hat eben oft genauso viel mit der Abgabe von Verantwortung zu tun wie mit dem Bedürfnis zu kontrollieren und beaufsichtigen.

Antikapitalismus und Fremdenfeindlichkeit

Das grausame Meer war weit weg von ihnen und die Schiffe brachten noch nicht von Ferne her die Güter, die sie zum Leben brauchten.“ Das Misstrauen gegen Händler ist so alt wie der Handel selbst. Da spielt die Empörung mit hinein darüber, dass es Menschen gibt, die sich ihr Auskommen nicht im Schweiße ihres Angesichts und mit „ehrlicher Arbeit“ verdienen, sondern einfach nur, indem sie Waren vom einen zum anderen bringen. Die Gewinnmarge hat aus dieser Sicht etwas Betrügerisches, denn man schlägt etwas auf den Preis ohne eigentlich etwas dafür geleistet zu haben. Es sind die Vorfahren der Spekulanten und Heuschrecken, der gierigen Profiteure und Raubtierkapitalisten. Das Gegenteil dazu sind die einheimischen Bauern, deren Produkte man besser kaufen sollte – oder wie man im Großbritannien der 30er Jahre sagte: „Buy british!“

Und noch ein zweiter Aspekt spielt hinein in diese Aversion gegen den Händler: die Angst vor oder gar die Feindlichkeit gegenüber dem Fremden. Der Soziologe Georg Simmel hat das in seinem 1908 erschienen „Exkurs über den Fremden“ gut herausgearbeitet: „In der ganzen Geschichte der Wirtschaft erscheint der Fremde allenthalben als Händler bzw. der Händler als Fremder. Solange im wesentlichen Wirtschaft für den Eigenbedarf herrscht oder ein räumlich enger Kreis seine Produkte austauscht, bedarf es innerhalb seiner keines Zwischenhändlers; ein Händler kommt nur für diejenigen Produkte in Frage, die ganz außerhalb des Kreises erzeugt werden.“ Während die einen den Händler verachten, weil er nicht ehrlich arbeitet, sehen die anderen in ihm vor allem den Fremden, der eine Bedrohung der eigenen Lebenswelt darstellt, in der man es sich so schön eingerichtet hat. Noch einer jener Bereiche, in denen sich Antikapitalisten und Nationalisten die Hand reichen können.

Wir brauchen keine auf Erden wandelnde Gerechtigkeit!

Reichlich wurden ihre Bedürfnisse erfüllt vom Ochsen und Pflug und von der Gerechtigkeit, der Königin der Menschen und der gerechten Zuteilerin der Gaben.“ Wenn nur jemand gerecht zuteilt, dann ist für jeden genug da. Das ist der große Irrtum, der sich leitmotivisch nun schon über die Jahrtausende hinweg verbreitet. Aratos hätte durchaus schon bei seinem Landsmann Aristoteles nachschlagen können, der bereits hundert Jahre vorher in seiner „Nikomachischen Ethik“ zwischen Verteilungs- und Tauschgerechtigkeit unterschieden. Es gehört zum Wesen der Tauschgerechtigkeit, dass alle Beteiligten diesen Tausch durch ihre Zustimmung als vorteilhaft für sich und mithin als gerecht qualifizieren. Und erst durch diese Dynamik des Tauschens und Handelns kommen wir in eine Lage, dass unsere Bedürfnisse immer reichlicher (!) erfüllt werden können. Dazu braucht es keine auf Erden wandelnde Gerechtigkeit – ob sie im Gewand einer Göttin daherkommt oder in dem eines Politikers …

Was Aratos aus dem 3. Jahrhundert vor Christus mit den Konservativen, Grünen und Sozialisten des 21. Jahrhunderts verbindet, ist die Furcht vor Veränderung, vor dem Neuen und dem Unbeherrschbaren. Was sie unterscheidet ist, dass Aratos seinen Kulturpessimismus als intellektuelle Marotte pflegte, während Politiker besagter Couleur aus dieser Furcht politische Maßnahmen ableiten. Sie hemmen Entwicklungen und beschränken Freiheit. Und das nur, weil sie Bildern und Vorstellungen anhängen, die durch die Entwicklung der Menschheit seit den Tagen des Hesiod und des Aratos Generation um Generation widerlegt worden sind.

Wissen Sie übrigens, wer es in Hesiods Erzählung war, der das Ende des Goldenen Zeitalters einläutete? Prometheus – indem er den Menschen das Feuer brachte und sie aus der Abhängigkeit von den Göttern befreite!

Photo: Hugo Chisholm from Flickr. (CC BY-SA 2.0)

Insbesondere in Krisenzeiten für Europa werden zwei Forderungen oft wiederholt: „Hin zum Bundesstaat“ und „Zurück zum Nationalstaat“. Beides wird dem eigentlichen Wesen Europas nicht gerecht, das in der Wertschätzung von Individuum und Vielfalt besteht.

Zurück zu den Nationalstaaten oder hin zum Bundesstaat?

Ob Griechenland, Großbritannien oder Flüchtlinge. Ganz offensichtlich sind die gemütlichen Zeiten vorbei, in denen die EU einen sanften, aber stetigen Integrationskurs nahm: immer tiefer und immer breiter. Vorbei die Zeiten, in denen sich die Intellektuellen in den Feuilletons den Kopf darüber zerbrachen, wie die EU demokratisiert werden könne. Vorbei die Zeiten, in denen sich der ganze Kontinent zu freuen schien, dass nun schon wieder ein neues Mitglied in den Club aufgenommen wurde. Vorbei auch die Zeiten, in denen kritische Stimmen sich hauptsächlich mit Überregulierung und dem „Bürokratiemonster“ Brüssel herumschlugen. Seit ein paar Jahren stellen sich der EU ganz andere, fundamentalere Herausforderungen.

Die Antwort auf diese Herausforderungen sehen die allenthalben gestärkten Rechtspopulisten und Nationalisten darin, den grundsätzlichen Fehler einer Europäischen Union zu korrigieren – durch einen Austritt oder zumindest durch eine deutliche Rückführung von Souveränität zum Nationalstaat. Auf der anderen Seite der Debatte stehen enthusiastische Anhänger der EU, die in den heutigen Krisen eine historische Chance sehen, nun endlich den konsequenten Weg zu einem europäischen Bundestaat zu Ende zu gehen. In ihrer Rhetorik und manchen ihrer Argumenten ähneln sie freilich bisweilen den Wegbereitern moderner Nationalstaaten: Man müsse nun zusammenhalten, die Bedrohung von außen sei nur gemeinsam zu bewältigen, das europäische Bewusstsein müsse sich endlich auch institutionell niederschlagen.

Für ein Europa der Kooperation

Dabei stand am Beginn der Europäischen Bewegung eigentlich ein anderer Gedanke: Der historische Fehler des Nationalismus sollte korrigiert und der Nationalstaat überwunden werden. Der Blick auf die Geschichte Europas zeigt: Seine Stärke lag niemals im Einheitlichen, Monolithischen. Ganz im Gegenteil: die wesentlichen Fortschritte Europas, sowohl im Blick auf die Herausbildung einer freiheitlichen Kultur, als auch im Blick auf seinen hohen Wohlstand, wurden durch Flexibilität, Vielfalt und Wettbewerb erreicht. Das Verständnis für den hohen Wert des Individuums, das unsere freiheitliche Kultur hervorgebracht hat, ist entstanden in einem politischen und sozialen Umfeld, in dem eine Vielzahl an Lebensweisen und Religionen miteinander im Wettstreit standen. In einem Umfeld, in dem der Ausbau der eigenen Fähigkeiten im Kontext von Arbeitsteilung gewaltige ökonomische Fortschritte zeitigte.

Wenn Europa sich selbst treu bleiben soll und wenn es sich weiterhin frei und prosperierend entwickeln soll, dann darf es um keinen Preis seine Vielfalt und Buntheit zugunsten von Einheit und Zusammenhalten aufgeben. Mag auch die Versuchung noch so groß sein, in einer Gemeinschaft Schutz zu suchen vor den Herausforderungen und Gefährdungen, die sich immer wieder stellen. Dass dann jeder nur für sich kämpft, ist allerdings mitnichten die einzige Alternative zu einem europäischen Bundesstaat mit zentralistischen Tendenzen. Die europäische Alternative muss heißen: Kooperation. Denn die Kultur der Vielfalt war nur deshalb erfolgreich, weil sie mit der Bereitschaft einherging, sich auf andere einzulassen und mit ihnen zu kooperieren. Vielfalt heißt nicht Vereinzelung und Abschottung. Vielfalt heißt Ergänzung und Kooperation.

Konsens und Kooperation, Flexibilität und Vielfalt – das Erfolgsrezept Europas

Das Europa der Zukunft muss eine Europa sein, das sich auf diesen Kernbestand seiner Identität zurückbesinnt anstatt die Fehler des 19. Jahrhunderts zu wiederholen. Konkret kann das etwa heißen, die immer mal wieder auftauchende Idee des Europas der Regionen aufzugreifen und das Prinzip der Subsidiarität konsequent durch zu deklinieren. Möglichst kleine Einheiten mit einem möglichst hohen Maß an Autonomie können dann im Sinne der Clubtheorie selber entscheiden, welchen gemeinsamen Projekten sie sich anschließen – freilich stets auch mit der Möglichkeit, die Projekte wieder zu verlassen. Unterschiedliche Problemlösungsansätze können so miteinander in Wettbewerb treten und voneinander lernen. Konsens und Kooperation, Flexibilität und Vielfalt sind zentraler Steuerung und allgemeinverbindlichen Entscheidungen weit überlegen. Sie waren schon immer das Erfolgsrezept in Europa.

Die Aufgabe der Europäischen Union wäre in einem solchen Europa nicht zentrale Steuerung, sondern Garant zu sein für die Einhaltung und Durchsetzung allgemeiner Regeln, insbesondere im Blick auf den Schutz von Freiheit und Eigentum. Zweck europäischer Institutionen wäre die Begleitung von Kooperation, ein Forum des Austausches zu sein – und eben nicht ein Instrument zur Durchsetzung nationaler Egoismen. Die Zukunft Europas hängt wesentlich davon ab, dass es sich auf sein Erfolgsrezept zurückbesinnt: Das Maß aller Dinge ist das Individuum. Freiheit und Wohlfahrt gedeihen dort am besten, wo das Individuum den größten Spielraum hat – sowohl bei der Selbstentfaltung als auch bei der Auswahl seiner Kooperationspartner. Nicht konkrete politische Ziele dürfen im Mittelpunkt des Projekts Europa stehen, sondern der Schutz von Flexibilität, Wettbewerb und Vielfalt. Jean Monnet, einer der Vordenker der Europäischen Union, fasste diesen Grundgedanken einmal zusammen mit den Worten: „Wir einigen keine Staaten. Wir verbinden Menschen.“

In der heutigen FAZ erscheint das von unseren Kuratoriumsmitgliedern verfasste „Manifest für ein konföderales Europa“. Es ist der Auftakt einer langfristigen Kampagne von Prometheus, die unter dem Motto „Europa der Bürger“ die Debatte über die Zukunft Europas im Sinne der Freiheit beeinflussen möchte.

Sprache ist manchmal entlarvend. Manchmal kommt es sogar vor, dass diejenigen, die sie benutzen, das gar nicht merken. Seit Monaten geistert die Idee der Kulturstaatssekretärin Monika Grütters für eine Kulturgutschutznovelle durch die Feuilletons. Jetzt hat die Berliner CDU-Frau die Begründung nachgeliefert: Man wolle verhindern, dass „Artefakte aus Raubgrabungen, mit deren Verkauf zum Beispiel der IS seine Terrorherrschaft finanziert, nach Deutschland eingeführt und hier illegal gehandelt werden.“ Und ich dachte bisher immer, dass der IS wichtige Kulturgüter zerstören würde. So kann man sich irren… Da hätte man doch mal die Chance, welche zu retten! In der Pressemitteilung Nr. 319 vom 15. September 2015 der Bundesregierung schreibt die Jeanne d’Arc des deutschen Kulturgutes über die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfes. Derzeit sei bereits nach EU-Recht eine Ausfuhrgenehmigung erforderlich, wenn entsprechende Kulturgüter ins außereuropäische Ausland, also etwa in die wichtigen Kunsthandelsländer USA oder Schweiz (deren außereuropäische Kolonien?) ausgeführt werden solle. Soweit zum Verständnis der Kulturstaatssekretärin der Deutschen Bundesregierung zum Kulturraum Europa.

Mann oh Mann, wie soll ich meinem Sohn in Erdkunde die Hauptstädte und Länder Europas einbläuen, wenn die eigene Bundesregierung bei den Geographiekenntnissen die Schweiz in Afrika vermutet? Okay, wenn Claudia Roth Kulturstaatssekretärin wäre, dann hätte ich ja noch ein gewissen Verständnis, denn sie musste sicherlich in ihrer Schulzeit die Hauptstädte und Länder Europas tanzen. Aber dennoch ist es erschreckend, wenn die eigene Regierung in den Grundlagen der Geographie nicht versetzungsfähig ist.

Grundsätzlich muss man sich ohnehin fragen, was das Ganze soll. Mit welchem Recht greift der Staat in das Eigentum Einzelner ein? Ist es schlimm, wenn Kunstgegenstände irgendwo anders gezeigt werden oder in ausländischem Besitz sind? Der Bestand des Pergamonmuseums auf der Berliner Museumsinsel stammt sicherlich auch nicht aus dem Bayerischen Wald. Vielleicht ist es auch ganz gut, wenn diese Schätze in Berlin gezeigt und nicht vom IS zerstört werden. Am Ende eignet sich die Regierung wieder einmal etwas an, was ihr nicht gehört. Hier hilft eine gute Faustregel: Verlangt der Staat nach „Kulturgütern“, lauf um dein Leben, achte auf dein Portemonnaie und auf das Gemälde, das dir deine Großmutter vermacht hat …

Dieser Beitrag erschien zuerst im Magazin „eigentümlich frei“.

Photo: Lucas Film

Photo: Massachusetts Historical Society by WikiCommons

Gelegentlich wünschte man sich mehr revolutionären Geist in diesem Land statt dieser Mehltau-Lethargie. Man stelle sich einmal vor, der Beschluss des Parlaments, eine Steuer auf Milch und Honig (Mehrwertsteuer), auf die Rente (Finanztransaktionsteuer), auf das Eigentum (Erbschaftsteuer) oder eine Abgabe auf Brot und Spiele (Rundfunkbeitrag) einzuführen, würde eine Revolution auslösen? Die Bürger würden sich zentral versammeln, die Steuereintreiber in die Wüste schicken und es würde sich daraus eine Volksbewegung im ganzen Land entwickeln, die am Ende sogar zur Sezession und Unabhängigkeit führt.

Steuern? Revolution!

Doch es gab Zeiten, da wurde eine Revolution begonnen, als die Regierung eine Stempelsteuer beschlossen hatte. Das war damals so eine Art Mehrwertsteuer oder Finanztransaktionsteuer. Die Bürger versammelten sich an zentralen Plätzen und hängten symbolisch die Strohpuppen des Ministerpräsidenten und des örtlichen Steuereintreibers auf. Okay, das war sicherlich nicht die feine englische Art. Es ist ja auch schon lange her – 250 Jahre.

1765 versammelten sich junge Männer unter einer Ulme in Boston, in der damaligen britischen Kolonie in Massachusetts, um gegen die vom englischen Parlament beschlossene Stempelsteuer zu protestieren. Der Aufstand dieser „Sons of Liberty“ richtete sich nicht nur gegen eine Steuer, sondern gegen die damit einhergehende Zensur. Sie wollten nicht alle Dokumente, Verträge und Waren der Zentralgewalt vorlegen. Sie wollten frei handeln, ohne staatliche Willkür und sie wollten selbst über die Steuern und ihre Höhe abstimmen. Daraus entstand der Grundsatz „no taxation without representation“, der heute mehr denn je Richtigkeit hat.

Bäume als Freiheitssymbol

Das Symbol der Proteste war der Baum, die Ulme, die fortan überall in Amerika als „Tree of Liberty“ gepflanzt wurde und unter denen sich die „Söhne der Freiheit“ überall im Lande versammelten.

Schon ein Jahr nach ihrer Einführung hatten die Proteste Erfolg und die Stempelsteuer wurde vom englischen Parlament wieder aufgehoben. Wenn man heute das Schicksal des Solis, die Entwicklung des Rundfunkbeitrages oder die Regelungsmissgriffe bei der Mehrwertsteuer betrachtet, kommt einem charakterfesten Menschen mindestens die Zornesröte ins Gesicht – anderen die Tränen. Wo ist die Abschaffung des Solis, der Erbschaftsteuer, wo die des Zwangsbeitrages und wo ist die niedrige Mehrwertsteuer ohne Ausnahmen?

Lasst uns die Saat für mehr Freiheit aussäen!

Wenn ich die Augen zumache, stelle ich mir manchmal vor, dass wir Freiheitsfreunde eine dieser Ulmen pflanzen, uns dort versammeln und daraus eine Bewegung vieler Freiheitsliebenden wird. Alle pflanzen plötzlich einen Freiheitsbaum, schmücken ihn und versammeln sich dort, um gegen Fremdbestimmung, Eigentumsverletzung und willkürliches Recht zu protestieren.

Doch wenn ich die Augen wieder öffne, kommt mir in den Sinn, dass die Ulme eine gefährdete Baumart ist. Sie kommt zwar in 40 bis 50 Arten weltweit vor und ist wegen ihres wertvollen Holzes begehrt. Doch insbesondere die europäischen und amerikanischen Ulmenarten sind von einer tödlichen Krankheit bedroht, die inzwischen mehrere hundert Millionen Bäume zum Absterben gebracht hat. Erst welkt die Krone. Die Blätter werden braun und vertrocknen. Dann stirbt der Baum.

Doch es gibt unempfindliche Ulmenarten, die widerstandsfähig sind, wachsen und gedeihen. Diese Bäume sollten wir pflanzen – immer und überall. Wenn viele dies tun, dann wird aus vielen einzelnen Ulmen bald ein großer Wald. Ein Wald voller Freiheitsbäume. Nach 250 Jahren ist jetzt die richtige Pflanzzeit.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Wer künftig in die öffentliche Sauna geht, muss wohl mehr bezahlen. Die Finanzverwaltung will jetzt den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf die Freikörperkultur erheben. Bis zum 30. Juni ist das noch anders. Bis dahin wird das öffentliche Saunieren als ermäßigt zu besteuerndes Heilbaden angesehen. Wer nach dem Saunagang dann mit dem Paternoster vom Keller in den ersten Stock fahren will, braucht neuerdings einen Führerschein. Arbeitsministerin Andrea Nahles legte kürzlich eine Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung – BetrSichV) vor, die Arbeitgeber dazu verpflichtet, zu gewährleisten, dass diese Aufzüge nur von Beschäftigten benutzt werden, die vorher entsprechend eingewiesen wurden. Mit einer Änderungsverordnung zur Betriebssicherheitsverordnung will Nahles jetzt zumindest die Paternoster auch für Besucher öffnen. Was für ein Freiheitsgewinn!

Mit diesen Marginalien hat sich Anthony Fisher nicht beschäftigt. Der Liberale, der am 28. Juni vor 100 Jahren geboren wurde, und an den wir hier erinnern wollen, hatte die Freiheit im Großen im Blick. Er war geprägt vom Krieg und von den politischen Wirren und Verirrungen in den 40er Jahren. Großbritannien schickte sich nach dem Krieg an, ein sozialistisches Land zu werden. Unter einer radikalen Labour-Regierung wurden die Schlüsselindustrien verstaatlicht und der Spitzensteuersatz auf 98 Prozent angehoben.

In diesem Umfeld ist Fisher an eine Zusammenfassung des bahnbrechenden Werkes von Friedrich August von Hayek „Der Weg zur Knechtschaft“ geraten. Darin beschreibt Hayek die Folgen von Sozialismus und Planwirtschaft aller Schattierungen. Sie zerstören unweigerlich das Recht, die Marktwirtschaft und die individuelle Freiheit. Es ist die immer wiederkehrende Auseinandersetzung zwischen dem Kollektiv auf der einen Seite und dem Individuum auf der anderen. Hayek sieht die ideologischen Wurzeln und schrecklichen Verirrungen des Nationalsozialismus im Sozialismus beheimatet. Der Einzelne spielt dabei keine Rolle, nur das große Ganze, die Nation, das Kollektiv und das Ergebnis zählen. Anthony Fisher war von diesen Ideen so begeistert, dass er aus Sorge um die Zukunft den in London lehrenden Hayek aufsuchte, um ihn zu fragen, was er tun könne. Fisher wollte eigentlich den Weg in die Politik zu den britischen Torys gehen, um den aktuellen politischen Kurs zu verändern. „Vergessen Sie die Politik!“, soll Hayek ihm gesagt haben. Das sei Zeitverschwendung. Politik folge nur den vorherrschenden Meinungen. Wenn er etwas verändern wolle, dann müsse er den Kampf der Ideen gewinnen und die Meinungen formen, der die Politik dann folgen werde.

Fisher befolgte den Rat Hayeks und gründete 1955 das Institute of Economic Affairs (IEA) in London, das seitdem in Büchern, Artikel und Veröffentlichungen für Marktwirtschaft und Freiheit eintritt und in diesem Jahr ebenfalls ein Jubiläum feiert. Dass England nicht völlig im Sozialismus erstickt ist, lag an den Kurskorrekturen, die Maggie Thatcher Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre durchgesetzt hat. Sie wäre jedoch nie in ihrer Partei und später im Parlament an die Spitze gewählt worden, wenn nicht das IEA über viele Jahre den geistigen Boden dafür bereitet hätte. Fisher und seine Mitstreiter haben den Kampf der Ideen am Ende gewonnen. In ihrer ersten Kabinettssitzung soll Thatcher das Buch „Die Verfassung der Freiheit“ von Hayek auf den Kabinettstisch geknallt und gesagt haben: „Das ist unser Programm, was wir umsetzen wollen.“[/vc_column_text][vc_video link=“https://www.youtube.com/watch?v=cry04NoGmd0″][vc_column_text]Inspiriert vom Erfolg des IEA gründete Fisher 1981 die Atlas Economic Research Foundation, deren Aufgabe es ist, Denkfabriken auf der ganzen Welt zu initiieren, um die Erfolgsgeschichte des IEA rund um den Globus fortzuschreiben. Inzwischen ist ein Netzwerk von über 400 liberalen Think Tanks auf der ganzen Welt entstanden, die die Basis für zahlreiche politische und ökonomische Erneuerungsprozesse gelegt haben. Roger Douglas in Neuseeland, Ronald Reagan in den US und die marktwirtschaftliche Entwicklung der baltischen Staaten nach dem Fall der Mauer sind nur die bekanntesten Beispiele.

In Deutschland herrscht vielfach der Eindruck vor, es würden nur die Falschen regieren. Es müsse einfach eine andere Partei gewählt werden, damit sich der Kurs wieder ändert. Deshalb müsse bei der nächsten Wahl diese oder jene Partei gewählt werden und alles werde gut.

Doch eine Maggy Thatcher oder ein Roger Douglas fallen nicht vom Himmel. In einem Umfeld, wo die gesamte Gesellschaft immer zentralistischer, immer planwirtschaftlicher und immer staatsgläubiger wird, haben die Thatchers und Douglas‘ dieser Welt keine Chance, egal welche Partei regiert. Ohne ein Umfeld, das den Boden bereitet, spült es andere nach oben. Es sind diejenigen, die den Saunabesuch höher besteuern wollen und sich den Paternosterführerschein ausdenken. Diese werden in einem Umfeld von der Mehrheit getragen, die das über sich ergehen lässt – sei es aus Resignation oder aus Unwissenheit. Beides ist für die Freiheit tödlich.

Freiheitsfreunde müssen den Kampf der Ideen für sich gewinnen und den Nährboden für eine offene Gesellschaft selbstbewusster Bürger bereiten. Das ist die Voraussetzung, damit eine Gesellschaft nie wieder Totalitarismen erliegt, sondern einen inneren Kompass entwickelt, der dazu führt, dass freie Bürger aufstehen, anpacken und für die Freiheit kämpfen. Das erfordert vor allem eins: Mut! Den Mut, den auch Anthony Fisher hatte. Auch heute braucht es wieder Persönlichkeiten wie Anthony Fisher, die dem Weg zur Knechtschaft nicht tatenlos zusehen wollen. Es braucht sie dringender denn je.[/vc_column_text][vc_row_inner][vc_column_inner width=“1/3″][vc_video link=“https://www.youtube.com/watch?v=Xeb6GULHao0″][/vc_column_inner][vc_column_inner width=“1/3″][vc_video link=“https://www.youtube.com/watch?v=vvIXKuyG7Ik“][/vc_column_inner][vc_column_inner width=“1/3″][vc_video link=“https://www.youtube.com/watch?v=RNsGCBtjuqg“][/vc_column_inner][/vc_row_inner][/vc_column][/vc_row]