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Von Robert Benkens, Lehrer für Deutsch und Politik-Wirtschaft an der Liebfrauenschule Oldenburg.
„Die Zivilisation wird innerhalb von 15 oder 30 Jahren enden, wenn nicht sofort Maßnahmen gegen die Probleme der Menschheit ergriffen werden“, schrieb 1970 der Biologe und Nobelpreisträger George Wald von der Harvard University. Ähnlich klangen Paul Ehrlich in seinem Buch „Die Bevölkerungsbombe“ von 1968 oder Dennis Meadows, der 1972 über „Die Grenzen des Wachstums“ schrieb. Die ARD bringt Öko-Science-Fiction zur besten Sendezeit. Extinction Rebellion glaubt, dass bald sechs Milliarden Menschen an Hunger zugrunde gehen werden.
Und nun die Fakten. Im Jahre 1820 lebten 94 Prozent der Menschheit in Armut, heute sind es acht Prozent. Allein in den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl halbiert. Mit mehr Wohlstand sanken die Geburtenraten, Menschen zogen in die Städte, die nur ein Prozent der Landfläche ausmachen. Sie konnten Geld in Bildung, Sanitäranlagen und Medizin investieren. 1820 konnten zwölf von 100 Menschen lesen, heute sind es 85.
Der Anteil derer, die Zugang zu sauberem Wasser haben, ist in den vergangenen 30 Jahren von 58 Prozent auf rund 75 Prozent gestiegen, gleichzeitig sterben immer weniger Menschen an Luftverschmutzung. Die Kindersterblichkeit ist von erschreckend hohen 43 Prozent auf vier Prozent gefallen, die Lebenserwartung hat sich innerhalb von 100 Jahren in Deutschland nahezu verdoppelt. Die Erde wird grüner, die Blattfläche hat um fünf Prozent zugenommen, was allen Amazonas-Wäldern entspricht. Auch Hunger, Kinderarbeit und die Zahl der Opfer von Kriegen und Naturkatastrophen sind deutlich gesunken. Und das alles bei einem rasanten Anstieg der Weltbevölkerung.
Alle kennen Greenpeace – aber keiner Human Progress
Warum stehen diese Trends nicht im Mittelpunkt der Lehrpläne und Medienberichte? Alle kennen Greenpeace – aber keiner Onlineplattformen wie Human Progress oder Wikiprogress. Wenn Jugendliche denken, die Welt werde immer schlechter, verfallen sie in Resignation oder glauben, dass „unser Wirtschaftsmodell“ überwunden werden müsse. Zitat Greta Thunberg: „Wie könnt Ihr es wagen zu glauben, dass man das lösen kann, indem man so weitermacht wie bislang – und mit ein paar technischen Lösungsansätzen?“
Dieses Postwachstumsdenken steht für ein gesellschaftliches Klima, in dem der Aufstieg des Westens als ein Verhängnis empfunden wird. Dabei hat die westliche Zivilisation ein Maß an Wohlstand und Freiheit in der Welt begründet, das seinesgleichen sucht – während in den meisten nicht-westlichen Gesellschaften Armut und Unterdrückung herrschen. Erst der Übergang von regionaler Selbstversorgung zu globaler Arbeitsteilung, von der Plan- zur Marktwirtschaft sowie der Ausbruch aus Energiearmut und Nullwachstum haben die produktiven Grundlagen für Freizeit und Kultur, steigende Löhne, Arbeits- und Umweltstandards gelegt und zivilisatorische Errungenschaften wie öffentliche Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen finanzierbar gemacht. Davor lebten die Menschen keineswegs „im Einklang mit der Natur“, sie starben im Einklang mit ihr – wie der schwedische Forscher Hans Rosling einst bemerkte.
Heute wollen viele Intellektuelle jedoch das Wachstum herunterfahren. Dabei hat die Corona-Krise uns eine leise Ahnung davon vermittelt, was das heißt: Allein der erste Shutdown hat laut Weltbank 150 Millionen Menschen zurück in die Armut gestürzt. Auch im Kampf gegen Malaria oder Tuberkulose gab es Rückschläge.
Klimaschutz muss man sich leisten können
Zweifellos führt Wirtschaftswachstum oft zu Raubbau an der Natur. Aber es befreit auch aus ihren Zwängen und legt Grundlagen für ihre Erholung. Wenn Menschen ein gewisses Wohlstandsniveau erreichen, haben sie genügend Zeit und Geld, sich um ihre Umwelt zu kümmern. Klimaschutz muss man sich leisten können. Menschen in unterentwickelten Ländern leben in und von der Natur und damit in ständiger Konkurrenz zu ihr. Statt auf Kunstdünger, Pflanzenschutz, Traktoren oder Gas müssen sie auf Brandrodungen und Holz zurückgreifen, um ihre Äcker zu bestellen, Häuser und Feuerstellen zu heizen. Das führt zu massivem Druck auf Wälder und Wildtiere, während Wälder im Westen, aber auch in China und Indien dank flächeneffizienter Landwirtschaft und strengem Naturschutz wieder wachsen.
Der MIT-Ökonom Andrew McAfee schreibt in „More from Less“ eindrucksvoll, wie wirtschaftlicher Fortschritt Umweltschutz ermöglicht. Statt aber Unternehmer- und Forschergeist für bahnbrechende Technologien wie Clean Meat, Carbon Capture, Aqua oder Vertical Farming zu wecken, wird Schülerinnen und Schülern nicht nur am „Earth Overshoot Day“ erklärt, dass wir drei Erden bräuchten, würden alle so leben wie sie. Auf Grundlage einseitiger Modelle werden wie schon bei früheren Untergangsprognosen aktuelle Probleme in die Zukunft extrapoliert, ohne das Entdeckungspotenzial des Menschen zu berücksichtigen.
WELT-Autor Axel Bojanowski spricht von der „Noble Cause Corruption“ – Journalisten würden nur über Trends berichten, die in ihr Weltbild passen. Exemplarisch: Obwohl Medien von „beispiellosen Bränden“ schrieben, waren die Brände in Kalifornien vor der Ankunft der Europäer um ein Zigfaches größer. In Australien wüteten noch in den 1960er- und 1970er-Jahren Brände, die um das Sechsfache größer waren, und insgesamt ist die verbrannte Fläche weltweit laut Nasa seit 2000 sogar um 25 Prozent gesunken.
Es geht um Verhältnismäßigkeit
Das heißt ausdrücklich nicht, dass wir uns zurücklehnen können. Aber ähnlich wie bei Corona geht es um die Verhältnismäßigkeit. Ein „Business as usual“ könnte große Schäden anrichten, aber ein globaler Shutdown würde sofort einen Rückfall in die Armut bedeuten. Wenn man für technologische Lösungen eintritt, drückt man sich nicht um die Klimafrage, sondern schafft Grundlagen für eine realistische Lösung. Stattdessen zu lehren, der Klimawandel sei das Ende der Menschheit, und nur die erneuerbaren Energien, Wachstumsverzicht und regionaler Öko-Landbau könnten uns davor retten, ist grob verkürzt.
Wenn Schüler lernen, dass der Klimawandel ein Problem ist, dass Durchschnittstemperaturen und Meeresspiegel steigen, sollte ergänzt werden, dass laut Weltklimarat IPCC keine signifikanten Steigerungen bei Wirbelstürmen oder Dürren zu verzeichnen sind, dass die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen bis 2050 mit weiter steigenden Ernten rechnet und die Zahl der Opfer von Extremwetter um über 90 Prozent gesunken ist.
Wenn Schüler sehen, wie übermäßiger Fleischkonsum Regenwälder bedroht und sie deshalb auf Öko-Landbau setzen, sollten sie auch wissen, dass dieser wegen der Ertragsverluste nie die Weltbevölkerung ernähren könnte und dass er aufgrund des höheren Flächenverbrauchs eine schwächere Ökobilanz bei Artenvielfalt, Wasserverschmutzung und Emissionen hat. Schließlich gibt es dank Biotechnologie Lösungen für Probleme der intensiven Landwirtschaft, da sie den Bedarf an Fläche, Dünger und Pestiziden weiter reduzieren kann.
Schüler sollten erfahren können, dass Deutschland wie kein zweites Land Milliarden in Solar- und Windanlagen pumpt, aber dennoch zu den größten CO2-Emittenten gehört, während Großbritannien mit dem verpönten Fracking viel größere Reduktionserfolge verzeichnet, ebenso Frankreich mit einer Energiequelle, aus der Deutschland aussteigt, obwohl diese laut der Plattform „Our World in Data“ zu den sichersten Arten der Energieerzeugung gehört.
Wenn uns in Dokumentationen miserable Arbeitsbedingungen in vielen Sweatshops Bangladeschs eindrücklich vor Augen geführt werden, um Handlungsdruck auf Konzerne zu erzeugen, sollte auch aufgezeigt werden, dass die Armut in diesen Ländern deutlich zurückgegangen ist, während die Lebenserwartung stieg und sich die Bildungsmöglichkeiten verbesserten.
Seit Jahrzehnten ist es fünf vor zwölf
Wenn junge Aktivisten für den Schutz von Klima und Umwelt auf die Straße gehen und dabei „Burn Capitalism, Not Coal!“ skandieren, könnten sie im Unterricht aufgeklärt werden, dass die Menschen in der DDR nicht nur ärmer und unfreier waren, sondern dass auch die Emissionen deutlich höher waren und Flüsse und Luft verdreckten, während all dies in der kapitalistischen Bundesrepublik immer besser wurde.
„Die Welt wird in zwölf Jahren untergehen, wenn wir den Klimawandel nicht angehen“, sagte die Abgeordnete im US-Kongress Alexandria Ocasio-Cortez vor zwei Jahren. Seit Jahrzehnten ist es fünf vor zwölf – egal ob bei der „Überbevölkerung“, dem „Ressourcenende“, der „Massenverarmung“ oder dem „Waldsterben“. Viele Prognosen haben sich dabei als falsch oder übertrieben herausgestellt. Dabei ist nicht das Aufzeigen sozialer oder ökologischer Missstände das Problem, es ist die moralisierende Belehrung, dass wir zur Lösung „zurück zur Natur“ müssten und weg vom „Fortschrittsglauben“. Solche Verzichtsappelle werden angesichts von Milliarden Menschen, die auch ein gutes Leben wollen, wenig bewirken.
Im Gegenteil: Der wirtschaftliche Fortschritt ermöglicht ihnen nicht nur ein längeres und besseres Leben, sondern auch, dass der Wald zurückkommt, Gewässer und Luft sauberer werden und Emissionen wieder sinken – weil die Menschen Zeit haben, sich um die Natur zu sorgen und Kapital in die Entwicklung einer effizienten Land- und Energiewirtschaft zu investieren, in klimaschonende Innovationen, Anpassung an den Klimawandel oder auch in Pandemiebekämpfung. Bis für Pocken und Polio Impfungen gefunden wurden, dauerte es 3300 Jahre, bei Röteln waren es 350 Jahre, bei Ebola fünf, und bei Corona dauerte es weniger als ein Jahr. Es ist Zeit für rationalen Optimismus – nicht nur in den Schulen.