Photo: angela n. from Flickr (CC BY 2.0)

Von Prof. Dr. Jan Schnellenbach, Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomik, an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, Verfasser der Studie „Respektiert eine Politik des ‚weichen‘ Paternalismus die Autonomie individueller Konsumenten?“ über Prometheus.

Seit einigen Jahren wird sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der politischen Debatte über das Konzept einer verhaltensökonomisch motivierten Politik diskutiert, die mal als „weicher” und mal als „libertärer” Paternalismus bezeichnet wird. Dieser Begriff geht ursprünglich auf den Verhaltensökonomen Richard Thaler und den Rechtswissenschaftler Cass Sunstein zurück, aber inzwischen finden sich in der Literatur so zahlreiche Varianten und so unterschiedliche Anwendungsfälle, dass man wohl besser den Sammelbegriff eines neuen Paternalismus verwendet.

Es geht dabei um einen Paternalismus, der, anknüpfend an die empirische Forschung in der Psychologie und der Verhaltensökonomie, im typischen Entscheidungsverhalten von Menschen Ansatzpunkte findet, um deren Entscheidungen in die eine oder die andere Richtung beeinflussen zu können. Aus dem Können folgt für die Vertreter dieses Konzeptes unmittelbar das Sollen. Denn das Handeln von Menschen, die für sich selbst entscheiden, erscheint ihnen oft fehlerhaft, unbeherrscht, disziplinlos und dumm, oder kurz: verbesserungsbedürftig.

Wieso sollte man also nicht sogenannte Entscheidungsarchitekturen bewusst gestalten, welche die Schwächen und Inkonsistenzen im Entscheidungsverhalten der Menschen gezielt ausnutzen, um sie zu einem besseren Verhalten zu bewegen? Wollen nicht eigentlich alle Bürger mehr Sport treiben, sich gesünder ernähren, weniger Heizenergie verbrauchen, Carsharing betreiben, mehr fürs Alter zurücklegen und ihr Auto besonders benzinsparend fahren? Und wenn sie es nicht wollen, sollten sie es nicht wollen?

So lesen sich dann manche Vorschläge für Anwendungsfälle des neuen Paternalismus tatsächlich wie verhaltensökonomisch unterlegte Bußpredigten. Der neue Paternalismus ist keineswegs ein zielneutrales Instrument, das es den Bürgern selbst überlässt, unbehelligt ihren eigenen Lebensstil zu genießen und ihre eigenen Präferenzen zu verfolgen. Die normative Vorstellung dessen, was das für alle verbindliche gute Leben ist, das wir alle eigentlich leben sollten, wären wir in unseren Entscheidungen nur nicht so fehleranfällig, wird vielmehr stets gleich mitgeliefert.

Kritischen Einwänden gegen den neuen Paternalismus wird oft mit der Behauptung begegnet, dass dieser schon deshalb unproblematisch sei, weil er keinen unmittelbaren Zwang ausübe. Und tatsächlich geht es im Gegensatz zum klassischen Paternalismus nicht darum, den Konsum einiger Güter zu verbieten. Wer sich anders verhalten will als vom paternalistischen Planer gewünscht, soll das prinzipiell dürfen. Die gezielt gestaltete Entscheidungsarchitektur soll es nur wahrscheinlicher – möglichst sehr viel wahrscheinlicher – machen, dass die Konsumenten stets die Wahl treffen, die der paternalistische Planer für vernünftig hält.

Doch wie zuverlässig kann der betroffene Bürger eine autonome, hiervon abweichende Wahl treffen, wenn die paternalistische Einflussnahme für ihn nicht im Moment seiner Entscheidung vollständig transparent ist? Wenn sich in den Daten entsprechender Studien zeigt, dass paternalistisch beeinflusste Konsumenten sich so verhalten wie vom Studiendesigner beabsichtigt, dann ist dies lediglich ein Ausdruck der Möglichkeiten, Entscheidungen erfolgreich zu steuern. Es drückt aber kein Einverständnis der betroffenen Konsumenten aus, gezielt in ihren Entscheidungen beeinflusst zu werden.

Im Hinblick auf die diskutierten Transparenzkriterien sind die Befürworter des neuen Paternalismus meist sehr genügsam. So wird etwa ein Publizitätskritierium vorgeschlagen, nach dem es ausreicht, paternalistische Interventionen mit nachvollziehbaren Argumenten verteidigen zu können, falls sie (ungewollt?) einmal in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Oder es wird postuliert, dass es genüge, ein Ziel (etwa die Energiewende) demokratisch zu legitimieren, womit der Einsatz von paternalistischen Methoden als Mittel dann ebenfalls gleich abgesegnet sei. Den Bürger im Moment des Einsatzes einer Entscheidungsarchitektur stets transparent darüber aufzuklären, dass er gerade in eine bestimmte Richtung gedrängt werden soll, ist aus dieser Perspektive dagegen weder nötig noch wünschenswert.

Wir haben es beim neuen Paternalismus also mit einem Konzept zu tun, das weder auf der Ziel- noch auf der Handlungsebene die Souveränität und Autonomie der Menschen respektiert. Das gilt unmittelbar in ihrer Rolle als Konsumenten. Hier erhält der neue Paternalismus neuerdings Flankenschutz aus der verbraucherpolitischen Diskussion, in der verhaltensökonomische Literatur oft grotesk einseitig interpretiert wird. Dies führt dort zu der Behauptung, nach der empirischen Kritik am alten, theoretischen Konzept vollständiger Rationalität sei nun auch die Vorstellung obsolet, dass es so etwas wie souveräne oder autonome Konsumenten überhaupt geben könne. Wenn man aber diesen leichtfertigen und unbegründeten Schluss einmal gezogen hat, dann ist es natürlich nur folgerichtig, über die Probleme und Folgen individueller Autonomieverluste gar nicht erst nachzudenken.

Steht man dem neuen Paternalismus dagegen kritisch gegenüber, so ergibt sich angesichts der Geringschätzung für individuelle Entscheidungskompetenz noch eine etwas spekulative Frage: Wieso soll man Bürgern, denen man in ihrer Rolle als Konsumenten nicht zutraut, brauchbare Entscheidungen zu treffen, eigentlich eine kompetente Entscheidung als Wähler zutrauen?

Als Ökonom versteht man das Verhältnis zwischen Bürger und Politik gemeinhin vor allem als Prinzipal-Agenten-Verhältnis. Der politische Wettbewerb und zusätzliche checks and balances sollten idealerweise dazu führen, dass die Politik im Sinne der Bürger kontrolliert und diszipliniert wird. Die Souveränität der Bürger steht also im Mittelpunkt. Wird aber, wer schon die Existenz autonomer und souveräner Konsumenten bestreitet, nicht konsequenterweise auch die Bürgersouveränität für ein unmögliches, irreales und irrelevantes Konzept halten müssen? Und welcher neueste Paternalismus könnte daraus dann folgen?

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Von Dr. Titus Gebel, Unternehmer, Mitgründer der Deutschen Rohstoff AG.

Warum sollte eine kleine Gruppe von Menschen darüber entscheiden, wie Sie Ihr Leben zu führen haben? Insbesondere, wenn Sie diese Menschen weder beauftragt haben noch diese dazu besonders befähigt sind. Vielleicht geht es Ihnen wie mir und sind Sie stattdessen der Auffassung, dass Sie das Recht haben, Ihr Leben so zu gestalten, wie Sie dies selbst für richtig halten? Sie begehren nicht Mitbestimmung, sondern Selbstbestimmung? Dann gibt es eine Alternative: die Private City.

Sie beruht auf zwei Prinzipien: Erstens, dass jener, der anderen kein Leid zugefügt und für sich selbst sorgen kann, Anrecht darauf hat, in Ruhe gelassen zu werden. Auch von der Regierung oder der Mehrheit. Zweitens, dass die menschliche Interaktion, auch innerhalb grosser Gruppen, auf freiwilliger Basis und nicht auf der Basis von Zwang stattfindet. Heutige Staaten, Demokratien eingeschlossen, können keines der beiden Prinzipien garantieren. Sie basieren vielmehr auf der Verletzung derselben. Als Staatsbürger müssen Sie militärische Auslandseinsätze mitfinanzieren, Lehrstühle für Genderstudien, Subventionen für unwirtschaftliche Technologien, staatliche Fernsehsender – selbst wenn sie all dies ablehnen. Sie werden weiter gezwungen, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen abzuschliessen, egal ob Sie das wollen oder nicht. Sie dürfen keine Glühbirnen, leistungsstarken Staubsauger, Plastiktüten oder Zigaretten ohne Warnhinweise erwerben. Die Verbotsliste wird jedes Jahr länger. Mit anderen Worten: sie sind kein Kunde, sondern Untertan.

Praktisch alle Staaten dieser Welt funktionieren nach dem gleichen, seit Jahrtausenden unveränderten System: Eine durch Erbfolge, Putsch oder Wahl an die Macht gelangte Gruppe von Auserwählten bestimmt die Geschicke aller. Im Laufe der Zeit bildet sich um diese Gruppe herum eine wachsende Menge von Zuarbeitern und Günstlingen. Diese wollen sich dem Risiko des freien Marktes entziehen und Leistungen ohne adäquate Gegenleistung erhalten (sogenanntes Rent-Seeking). Daneben finden Interessengruppen und Einzelpersonen nach und nach heraus, dass sie über die Politik ihre Wünsche der Allgemeinheit in Rechnung stellen können. Dadurch steigen unvermeidlich die Zahl der Gesetze, die Steuerbelastung und die Staatsschulden immer weiter an. Produktivitätshemmnisse und Freiheitseinschränkungen vermehren sich.

Am Ende steht der Ruin bzw. der Zusammenbruch des jeweiligen Gemeinwesens – und das Spiel beginnt von neuem. Obgleich viele meinen, die westlichen Demokratien seien zu stabil, um diesem Mechanismus erliegen zu können, stellten gar das Ende der Geschichte dar, ist dem nicht so. Der aufgezeigte Prozess findet augenblicklich statt, und zwar genau so wie beschrieben. Leider unterliegen auch Gesetze und Verfassungen, welche die Rechte des einzelnen schützen, faktisch dem Willen der Mehrheit. Sie können von dieser jederzeit geändert oder «zeitgemäss» ausgelegt werden. Entsprechend ist in den westlichen Demokratien während der letzten hundert Jahre der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (Staatsquote) von durchschnittlich 12 Prozent auf 50 Prozent gestiegen. Von 1979 bis heute wuchsen allein die deutschen Staatsschulden von 64 Milliarden auf 2000 Milliarden Euro.

Die zehn Grundregeln

Es gibt einen Ausweg. Staaten existieren, weil offenbar eine Nachfrage nach ihnen besteht. Eine staatliche Ordnung schafft einen Rahmen, innerhalb dessen der Mensch sozial interagieren und friedlich Leistungen und Güter tauschen kann. Das Bestehen von Sicherheit und festen Regeln macht es möglich, dass Menschen in grosser Zahl mit- und nebeneinander leben können. Ein derartiges Zusammenleben ist so attraktiv, dass dafür auch erhebliche Freiheitseinschränkungen akzeptiert werden. Vermutlich würden selbst die meisten Nordkoreaner das Verbleiben in ihrem Land dem freien, aber einsamen Robinson-Dasein vorziehen.

Wenn man nun die Leistungen des Staates bieten und gleichzeitig dessen Nachteile vermeiden könnte, hätte man ein besseres Produkt geschaffen. Nach über 30 Jahren politischer Aktivität bin ich zum Schluss gekommen, dass echte Freiheit im Sinne von Freiwilligkeit und Selbstbestimmung auf demokratischem Wege nicht zu erreichen ist. Diese Werte werden schlicht nicht ausreichend nachgefragt. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr gelangte ich zu der Überzeugung, dass Staatsdienstleistungen rein privatwirtschaftlich von Unternehmen angeboten werden können und dass ich ein solches Unternehmen gründen möchte. Alles, was wir vom Markt her kennen, lässt sich auf unser Zusammenleben übertragen: die enorme Vielfalt des Produktangebotes, das Recht, etwas nicht zu kaufen, was uns nicht gefällt, und schliesslich der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Produkten, der dafür sorgt, dass diese immer billiger und immer besser werden. Der «Staatsdienstleister» bietet auf einem abgegrenzten Territorium ein bestimmtes Modell an und nur derjenige, dem dies zusagt, siedelt sich dort an. Solche Konzepte müssen attraktiv sein, sonst kommt niemand bzw. wandert man wieder ab in andere Systeme.

In einer solchen Private City erhalten Interessenten vom Betreiber ein Vertragsangebot. In diesem Vertrag ist klar niedergelegt, welche Leistungen er erbringt. Dies umfasst eine Basisinfrastruktur, Polizei, Feuerwehr, Notfallrettung, einen rechtlichen Rahmen sowie eine unabhängige (Schieds-)Gerichtsbarkeit, damit Bewohner ihre berechtigten Ansprüche auch in einem geregelten Verfahren durchsetzen können. Diese Basisleistungen sind nicht abdingbar, die dafür jährlich anfallenden Kosten jedoch klar beziffert. Man bezahlt mithin nur, was man mit Vertragsschluss auch bestellt hat. Jeder Bewohner hat einen Rechtsanspruch darauf, dass der Vertrag eingehalten wird, und einen Schadensersatzanspruch bei Schlechterfüllung. Um alles andere kümmern sich die Bewohner selbst, können aber auch machen, was sie wollen.

Zusammenfassend gelten in einer Private City folgende Grundregeln:

  • Jeder Bewohner hat das Recht, ein selbstbestimmtes Leben ohne Einmischung anderer zu führen.
  • Die Interaktion zwischen den Bewohnern erfolgt auf freiwilliger Basis, nicht auf der Basis von Zwang. Auch die Teilnahme an und der Verbleib in der Private City sind freiwillig.
  • Die entsprechenden Rechte Dritter sind strikt zu achten, auch wenn einem deren Lebensweise oder Einstellung nicht gefällt.
  • Es besteht uneingeschränkte Meinungsfreiheit, mit einer Ausnahme: Wer Gewalt gegen andere oder deren Enteignung propagiert, muss die Private City verlassen. Das Kritisieren von anderen Personen, Weltanschauungen, Religionen usw. ist hinzunehmen und stellt keine Rechtsverletzung von Bewohnern dar, die sich dadurch empört fühlen.
  • Der Betreiber der Private City gewährleistet einen stabilen Rechts- und Ordnungsrahmen, um das friedliche Zusammenleben und Interagieren einer grossen Zahl von Menschen zu ermöglichen.
  • Dieser Rahmen wird zwischen dem Bewohner der Private City und dem Betreiber in einem Vertrag niedergelegt, der sämtliche gegenseitigen Rechte und Pflichten festhält. Dazu zählt auch die Höhe der Gegenleistung durch jeden Bewohner. Dieser Vertrag kann später nicht einseitig geändert werden.
  • Alle erwachsenen und geschäftsfähigen Bewohner sind für die Konsequenzen ihres Tuns selbst verantwortlich, nicht «die Gesellschaft» oder der Betreiber. Es besteht kein wie auch immer geartetes Recht, auf Kosten Dritter zu leben.
  • Interessenkonflikte zwischen den Bewohnern oder zwischen Bewohnern und dem Betreiber werden von unabhängigen Gerichten bzw. Schiedsgerichten verhandelt. Deren Entscheidungen sind zu respektieren, auch vom Betreiber.
  • Der Betreiber kann Bewerber nach eigenem Ermessen ablehnen. Es besteht kein Rechtsanspruch auf Aufnahme in die Private City.
  • Jeder Bewohner kann den Vertrag jederzeit kündigen und die Private City wieder verlassen, der Betreiber kann – nach Ablauf einer Probezeit – jedoch nur aus wichtigem Grund kündigen, etwa wegen Verstosses gegen die Grundregeln.

Private Cities sind kein Refugium für Reiche. So sind etwa Regelungen denkbar, nach denen für arbeitssuchende, aber mittellose Neubewohner in den ersten Jahren die Zahlungen gestundet werden, interessierte Unternehmer für ihre Mitarbeiter die Beitragszahlungen übernehmen usw. Trotzdem kann der Betreiber als Privatunternehmen dabei etwas verdienen. Wenn er den Deckungsbeitrag der Bewohner auf 100 000 Einwohner berechnet hat und es kommen 200 000, macht er Gewinn, weil er Polizei, Justiz, Infrastruktur usw. nicht ebenso verdoppeln muss, um das gleiche Dienstleistungsniveau zu bieten. Der Betreiber muss vermutlich die ersten Jahre vorfinanzieren, aber das ist bei anderen Geschäftsmodellen genauso. Ergänzend wäre es möglich, indirekte Steuern zu erheben, etwa Mehrwertsteuern oder Grunderwerbssteuern.

Grundsätzlich mischt sich der Betreiber nicht in private Entscheidungen der Bewohner ein. Im Hinblick auf Verkehrsregeln, Baurecht, Emissionen und dergleichen wird er freilich im Sinne einer geordneten und zügigen Stadtentwicklung Vorgaben machen. Auch wird er für den öffentlichen Teil der Infrastruktur gewisse Verhaltensregeln festlegen, z.B. das Verbot zu betteln oder nackt herumzulaufen. In Fragen der Neuaufnahme von Bewohnern entscheidet der Betreiber allein. Es ist schliesslich seine Hauptdienstleistung, für die bereits ansässigen Bewohner sicherzustellen, dass die freiheitliche Ordnung nicht gestört oder gar Leib und Leben bedroht werden. Das vermag er nur, wenn er die Zuwanderung entsprechend kontrollieren bzw. Störer auch wieder hinauswerfen kann.

Für alles andere gibt es private Unternehmer, die vom Krankenhaus über Schulen und Kindergärten bis hin zur Müllabfuhr abdecken, was nachgefragt wird. Gegen sämtliche Eventualitäten des Lebens versichern sich die Bewohner auf Wunsch privat oder gründen Selbsthilfegruppen, sei es zum Schutz vor Krankheit, Tod, Pflegebedürftigkeit oder Unfällen. Strassen, Hochhäuser, Häfen, Flugplätze und Einkaufszentren werden von Investoren erstellt und betrieben. Jeder kann zollfrei importieren und exportieren, was immer er will. Jeder kann neue Produkte und Dienstleistungen ohne Genehmigung oder Lizenz anbieten und sich in jeder gewünschten Währung bezahlen lassen. Das Korrektiv ist allein der Wettbewerbsdruck mit anderen Modellen des Zusammenlebens.

Dazu ein Beispiel: Das Fürstentum Monaco ist eine konstitutionelle Monarchie, die für Nichtmonegassen, welche immerhin 80 Prozent der Bevölkerung stellen, keinerlei Mitbestimmungsrechte vorsieht. Trotzdem gibt es mehr Interessenten, als der Wohnungsmarkt fassen kann, auch ich selbst bin dorthin übergesiedelt. Warum? Ich habe eine kleine Umfrage im Bekanntenkreis gemacht: weil man uns hier in Ruhe lässt. An dem Tag, an dem in Monaco alle EU-Regulierungen einschliesslich Einkommenssteuern eingeführt werden, ziehen die meisten einfach weg. Das weiss der Fürst und deshalb wird es nicht geschehen. Trotz dessen formal grosser Machtposition ist es somit ausschliesslich der Wettbewerb (mit anderen Gebietskörperschaften), der den Einwohnern die Freiheit sichert, nicht Gewaltenteilung, Parlament, Verfassung oder das Recht zu Volksabstimmungen.

Keine Utopie, sondern ein Geschäftsmodell

Eine Private City ist keine Utopie, sondern eine Geschäftsidee, deren Elemente bereits bekannt sind und die lediglich auf einen anderen Sektor übertragen werden, nämlich den des Zusammenlebens. Im Grunde stellt der Betreiber als Dienstleister nur den Rahmen, innerhalb dessen sich die Gesellschaft ergebnisoffen entwickeln kann. Die einzige Veränderungssperre zugunsten von Freiheit und Selbstbestimmung ist der Vertrag mit dem Betreiber. Nur er konstituiert Rechte und Pflichten. So können sich zwar die Bewohner darauf einigen, einen Gemeinderat zu etablieren. Aber auch wenn 99 Prozent der Bewohner dort mitmachen, hat dieses Gremium kein Recht, den übrigen 1 Prozent, die damit nichts zu tun haben wollen, seine Ideen aufzuzwingen; z.B. eine Kinderbetreuung, ein Schwimmbad, eine Städtepartnerschaft einzurichten und jeden dafür einen Pflichtbeitrag zahlen zu lassen. Das ist der entscheidende Punkt, an dem bisherige Systeme regelmässig gescheitert sind: die dauerhafte Gewährleistung der individuellen Freiheit.

Um ein derartiges Konzept umzusetzen, ist eine (Teil-)Autonomie im Sinne territorialer Souveränität unumgänglich. Diese muss das Recht umfassen, die eigenen Angelegenheiten selbständig zu regeln. Zur Etablierung einer Private City bedarf es daher einer vertraglichen Vereinbarung mit einem bestehenden Staat. In diesem Vertrag räumt der Mutterstaat dem Betreiber das Recht ein, auf einem genau umrissenen Territorium die Private City nach eigenen Regeln zu etablieren. Bestehende Staaten können für ein solches Konzept gewonnen werden, wenn sie sich Vorteile davon versprechen. Um die Stadtstaaten Hongkong, Singapur oder auch Monaco herum hat sich ein Gürtel von dicht besiedelten und wohlhabenden Gegenden gebildet. Dessen Einwohner zahlen ihre Steuern im Mutterstaat. Wenn nun in einem vormals strukturschwachen Gebiet derartige Gebilde entstehen, dann ist dies auch für den Mutterstaat ein gutes Geschäft. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb Hongkong nach 1997 nicht von China einverleibt wurde. Freilich könnte später im Mutterstaat ein Demagoge ins Amt gelangen, der die Auffassung vertritt, man sei beim Vertragsschluss betrogen worden, und der die Rückgabe verlangt. Hier gibt es kein Patentrezept, man wird versuchen müssen, durch eine Kombination verschiedener Massnahmen den Aggressor von militärischen Schritten abzuhalten, etwa mittels Öffentlichkeitsarbeit, diplomatischer Kontakte zu anderen Staaten und gegebenenfalls auch durch ein Defensivkonzept, welches die Einnahme der Private City mit einem gewissen Preis verbindet.

Private Cities sind weit mehr als nur ein Gedankenspiel. Sie haben das Potenzial, eine echte Alternative zur bestehenden Ordnung zu werden bzw. diese im Sinne schöpferischer Zerstörung zu überwinden. Sind verschiedene Private Cities erst einmal weltweit verbreitet, wird das die bestehenden Staaten unter erheblichen Druck setzen, ihre Systeme in Richtung auf mehr Freiheit zu verändern, wollen sie nicht ihre Leistungsträger verlieren. Und das ist genau die positive Wirkung von Wettbewerb, die im Staatsmarkt bisher gefehlt hat.

Das gilt auch für die soziale Absicherung. Gerade weil diese Frage für viele Menschen so wichtig ist, wird es Angebote geben, die dies abbilden. Es gibt aus Vergangenheit und Gegenwart zahlreiche Beispiele, wie soziale Sicherung ohne Zwang erfolgreich funktioniert, z.B. kollektive Selbsthilfeeinrichtungen. Ebenso denkbar ist, dass sich im Laufe der Zeit spezialisierte Private Cities bilden, die gezielt religiöse, ethnische oder weltanschauliche Gruppen ansprechen. Der Mensch ist nun mal gern unter seinesgleichen. Für diese gelten dann ganz andere Grundregeln. Alles, wofür Nachfrage besteht, ist zulässig, solange die Freiwilligkeit der Teilnahme gegeben ist. Es steht keinem zu, darüber zu richten, wie seine Mitmenschen ihr Zusammenleben gestalten möchten. Private Cities sind eine friedliche, freiwillige Alternative, die ohne Revolution und Gewalt entstehen kann und für die nicht erst die Mehrheit überzeugt werden muss. Die ersten dürften innerhalb der nächsten zehn Jahre entstehen.

Erstmals veröffentlicht im Schweizer Monat.

Photo: Joseloya from Flickr (CC BY 2.0)

Von Norbert Häring, Journalist und Autor des Buches „Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen“.

Telebörse-Moderator Raimund Brichta setzt mit bewundernswerter Konsequenz seinen Versuch fort, dem Finanzamt zur Bezahlung seiner Steuerschulden die Geldscheine aufzudrängen, die der Staat zum einzigen gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt hat. Doch dem Staat ist das eigene Geld, Euro-Banknoten, nicht gut genug. Er will nur Bankengeld. Ein Stück aus dem Tollhaus.

Auszug (Der volle Text und Links zu früheren Folgen stehen hier):

„… Inzwischen habe ich mich durch Paragrafen und juristische Kommentare gewühlt. Die Quintessenz: Es besteht nach wie vor ein Annahmezwang für Banknoten und Münzen. Das heißt, jeder hat sie als Bezahlung zu akzeptieren – es sei denn, etwas anderes ist vereinbart. Ich kann mich jedoch nicht erinnern, mit dem Finanzamt etwas anderes vereinbart zu haben.

Finanzämter wie meines versuchen sich zwar gerne damit herauszureden, dass die Finanzkassen für die Übergabe von Bargeld geschlossen wurden. Man müsse deshalb bargeldlos bezahlen. Das stimmt aber nicht, denn die Abgabenordnung – das ist eine Art Steuergrundgesetz – hat dafür eine Lösung parat: Sie sieht vor, dass in diesem Fall eine Bank oder Sparkasse am Ort des Finanzamts ermächtigt wird, für die Finanzkasse Bargeld gegen Quittung anzunehmen. Dies sollte auch der Regelfall sein, wie das Finanzgericht Münster erst vor Kurzem festgestellt hat (Az. 7 V 2897/15 AO).

So weit die Theorie. Die Praxis sieht leider anders aus: Meine Sparkasse weigert sich schlichtweg, mehr als tausend Euro Bargeld fürs Finanzamt anzunehmen. Das Geldwäschegesetz verbiete dies, sagen mir die Sparkassenmitarbeiter. Ich kann in diesem Gesetz zwar beim besten Willen kein solches Verbot entdecken, aber vielleicht übersehe ich etwas? Schauen Sie dort doch auch einmal nach! Und wenn Sie fündig werden, lassen Sie es mich bitte wissen. Nebenbei: Wer käme eigentlich auf die Idee, ausgerechnet beim Finanzamt Geld zu waschen?

Mir gelang es im vergangenen Jahr nur einmal, Geld fürs Finanzamt bei der Sparkasse einzuzahlen. Und das auch nur durch einen Trick des Kassierers. Der tat ausnahmsweise so, als ob das Konto des Finanzamts mein Konto wäre. Aufs eigene Konto darf man nämlich mehr als tausend Euro einzahlen. Da ich aber nachweislich nicht Inhaber des Finanzamtskontos bin – obwohl ich es gerne wäre -, war der Kassierer zu dieser Trickserei kein zweites Mal bereit.

Trotzdem hatte ich neulich noch einmal Glück: Das Finanzamt wollte diesmal weniger als tausend Euro haben. In diesem Fall nahm die Sparkasse mein Geld an, ließ sich dafür aber mit einer ‚Bareinzahlungsgebühr‘ von sechs Euro belohnen. Da ich nicht gewillt war, fürs Zahlen mit gesetzlichen Zahlungsmitteln auch noch zu zahlen, zog ich die sechs Euro kurzerhand von dem Betrag ab, der fürs Finanzamt bestimmt war. Das Bargeld-Heckmeck geht schließlich nicht zu meinen Lasten.

Vermutlich werden sich die Beamten dies jedoch nicht gefallen lassen, so dass ich mit weiterem Ärger rechne. Umso mehr, als mein nächster Bargeldversuch ansteht – mit einer Steuerzahlung, die über tausend Euro liegen wird. Vorsorglich …“

Erstmals erschienen auf Norbert Härings Blog.

Photo: simpleinsomnia from flickr (CC BY 2.0)

Euro-Banknoten sind gemäß §14 Bundesbankgesetz „unbeschränktes gesetzliches Zahlungsmittel“. Doch über dieses Bundesgesetz setzt sich der „Beitragsservice“ der Rundfunkanstalten beim Einzug des Rundfunkbeitrags hinweg. Für das Recht auf Barzahlung klagt der Journalist Norbert Häring mit Unterstützung von Prometheus. Damit Sie auf dem Laufenden bleiben, haben wir hier unsere ausführliche Klageschrift veröffentlicht. Die gekürzte Version finden Sie hier:

Klageschrift (gekürzt)

A.II.

Am 15.02.2015 hatte der Beklagte versucht, einen Rundfunkbeitrag in Höhe von 53,94 Euro im Lastschriftverfahren von dem Girokonto des Klägers einzuziehen. Das hatte dieser durch Rücklastschrift verhindert. Mit Schreiben des Beklagten vom 06.03.2015 wurde der Kläger daraufhin zur Überweisung des geschuldeten und zum 15.03.2015 fälligen Rundfunkbeitrages aufgefordert. Zuzüglich der entstandenen Rücklastschriftkosten vom 17.02.2015 forderte der Beklagte von dem Kläger nunmehr die Zahlung eines Gesamtbetrages von insgesamt 57,44 Euro.

Mit Schreiben vom 16.03.2015 bot der Kläger daraufhin dem Beklagten an, den fälligen Rundfunkbeitrag in bar an einer von diesem zu benennenden Stelle zu bezahlen.

Der Beklagte(…) erließ daraufhin am 12.06.2015 einen an ihn adressierten, feststellenden Bescheid des folgenden Inhaltes:

  1. Es wird festgestellt, dass Rundfunkbeiträge nur bargeldlos mittels folgender Zahlungsformen entrichtet werden können:a. Ermächtigung zum Einzug mittels Lastschrift bzw. SEPA-Basislastschrift, b. Einzelüberweisung, c. Dauerüberweisung.
  2. Es wird festgestellt, dass der Hessische Rundfunk oder der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio in Köln nicht verpflichtet sind, Barzahlungen von Rundfunkgebühren als Erfüllung der Rundfunkbeitragspflicht anzunehmen.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 23.06.2015 form- und fristgerecht Widerspruch ein. Der Beklagte half diesem Widerspruch nicht ab und erließ stattdessen am 14.07.2015 den die Beschwer des Klägers insgesamt bestätigenden, hier ebenfalls streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid. Mit seiner hiesigen Klage wendet sich der Kläger gegen den angefochtenen Ausgangsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides.

B.II.

Der Feststellungsbescheid des Beklagten vom 12.06.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger aus den nachstehend spezifizierten Rechtsgründen in seinen subjektiven, verfassungsrechtlichen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 2  i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der Beklagte darf die ihm angebotene Barzahlung des Klägers zur Tilgung seiner rundfunkrechtlichen Beitragsschuld aus Rechtsgründen nicht ablehnen.

1.) Der Beklagte stützt seinen Bescheid vom 12.06.2015 auf § 10 Abs. 2 der Rundfunkbeitragssatzung, zu deren Erlass er gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RBStV zwar prinzipiell ermächtigt war. Nach dieser Satzungsregelung soll ein Beitragsschuldner seinen Beitrag jedoch „nur bargeldlos“ entrichten können. Weiter grenzt § 10 Abs. 4 dieser Satzung die Zahlungsmöglichkeit sogar noch dahin ein, dass der Beitragsschuldner die Zahlung „zu Lasten seines Bankkontos“ zu leisten habe. Hierin liegt keine tragfähige Rechtsgrundlage für das mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Begehren des Beklagten gegen den Kläger, seine Beitragsschulden statt in Bargeld per Buchgeld zu begleichen.

a.) Die Rundfunkbeitragssatzung des Beklagten ist bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig und mithin rechtsunwirksam. Nach den Rechtsquellen, auf die diese Rundfunkbeitragssatzung gestützt wird, hätte sie nicht nur von dem Rundfunkrat des Beklagten erlassen, sondern anschließend von der Staatskanzlei genehmigt und veröffentlicht werden müssen. Ausweislich ihres Satzungstextes ist die Satzung jedoch am 24. August 2012 erlassen und von der Hessischen Staatskanzlei am 27. November 2011 (sic!) genehmigt worden. Nach der Legaldefinition des § 184 I BGB, die auch für das öffentliche Recht als allgemeiner Rechtsgrundsatz einschlägig ist (Palandt-Ellenberger, 74. Auflage, 2015, vor § 182 BGB Rn 6 m. w. N.), kann eine Genehmigung dem zu genehmigenden Rechtsakt nur nachfolgen, nicht aber ihm vorangehen. Eine „Vorratsgenehmigung“ o. dgl. wäre nicht rechtswirksam. Die Rundfunkbeitragssatzung ist demgemäß mangels ordnungsgemäßer Genehmigung unwirksam.

Wenn – wofür Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind – die Mitteilung des (vermeintlichen) Genehmigungszeitpunktes in dem Satzungstext des Beklagten inhaltlich unzutreffend sein sollte, so würde dies ebenfalls eine Wirksamkeit der Satzung nicht begründen können. Denn diesenfalls wäre sie augenscheinlich unrichtig veröffentlicht, was wiederum ihrer Wirksamkeit entgegenstünde.

b.) Die Ermächtigung zur Regelung von „Einzelheiten des Verfahrens zur Leistung des Rundfunkbeitrages“ gemäß § 9 II Nr. 2 1. Var. RBStV umfasst nicht die Befugnis des Beklagten bzw. seines Rundfunkrates, geldrechtliche Regelungen zu treffen, insbesondere grundlegende gesetzliche Regelungen zur Zahlung von Beitragsschulden wesentlich zu modifizieren. Würde man die Ermächtigung des Beklagten zur Definition von ‚Leistungseinzelheiten‘ des Beitragsverfahrens in einem so weiten terminologischen Sinne verstehen, dass die Behörde von den Grundsätzen der staatlichen Geldwirtschaft abzuweichen befugt sein sollte, so ließe sich – im Extremfalle – sogar ein Recht des Beklagten konstruieren, Rundfunkbeiträge nicht mehr in Euro, sondern in Edelmetallen, Naturalien oder vielleicht in Bitcoin anzufordern. Wo in diesem Falle eine rationale und rechtlich tragfähige Grenze für die einseitige Leistungsbestimmung des Beklagten in seiner Satzung noch zu finden sein könnte, erschließt sich nicht. Das Gegenteil ist richtig. Der Beklagte konnte allenfalls zur Ausfüllung der Ermächtigungsregelung befugt werden, nicht aber zu einer Überschreitung ihres Regelungskreises.

c.) Hinzu kommt, dass die staatsvertragliche Ermächtigungsgrundlage des RBStV normenhierarchisch als landesgesetzliche Regelung zu verstehen ist, die rechtsdogmatisch unterhalb bundes- und europarechtlicher Rechtsquellen angesiedelt ist. Mit dergestalt nachrangigem Recht kann jedoch schon rein prinzipiell höherrangiges Recht nicht wirksam abgeändert werden.

2.) Das in Rede stehende Satzungsrecht des Beklagten ist folglich auch unbeschadet seiner bereits fehlenden Ermächtigungsgrundlage wegen der Kollision mit zwingendem höherrangigem Recht nicht wirksam. Es verstößt insbesondere gegen § 14 Abs. 1 Satz 2 Bundesbankgesetz (BBankG), der in seiner aktuell geltenden Fassung wörtlich bestimmt:

„Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel.“

  1. a) Nach dem tatbestandlichen Wortlaut dieses Gesetzes sind Banknoten damit in erster Linie das „gesetzliche“ Zahlungsmittel. Als Mittel zur Zahlung von Geldschulden ist der Gebrauch von Banknoten im Wortlaut der Rechtsfolge dieser Norm – anders als jedes andere denkbare Zahlungsmittel – explizit „unbeschränkt“. Die Möglichkeit zur Begleichung von Geldschulden an einen Gläubiger mittels Banknoten könnte somit entweder nur durch ein normhierarchisch gleichrangiges (d.h. durch förmliches Parlaments-)Gesetz oder aber durch freie vertragliche Vereinbarung zwischen den beteiligten Rechtssubjekten eingeschränkt, also begrenzt werden. Die hier streitgegenständliche Satzung des Beklagten ist jedoch weder ein solches (förmliches) Gesetz wie das BBankG, noch beruht sie einzelvertraglich auf einer freien konsensualen Vertragsvereinbarung zwischen den hiesigen Streitparteien.

Das gesetzlich vorgesehene Mittel zur Zahlung von Geldschulden, d.h. Banknoten der Zentralbank, kann folglich nach dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 2 BBankG weder durch die Regelungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages noch durch die untergesetzliche Satzung des Beklagten rechtswirksam abbedungen werden. Schuldner sind einschränkungslos und uneinschränkbar befugt, ihre Geldschulden mittels Banknoten zu begleichen; Gläubiger umgekehrt sind berechtigt, die Bezahlung von Geldschulden in Banknoten zu verlangen. Eine einseitige Beschränkung von Bargeld als Zahlungsmittel verstößt somit gegen den Wortlaut des § 14 Abs. 1 BBankG.

  1. b) Systematische Erwägungen bei der Gesetzesauslegung stützen diese Wortlautinterpretation. „Banknoten oder Münzen“, die von der Bundesbank als Zahlungsmittel ausgegeben wurden (arg. e § 36 Abs. 1 BBankG) können – ausnahmsweise – allenfalls durch ‚Marken, Scheine oder Urkunden‘ ersetzt werden (vgl. § 35 Abs. 1 BBankG), niemals aber durch reines (unverkörpertes) Giral- bzw. Buchgeld.
  2. c) Soweit in einem – von dem Beklagten vorgerichtlich in Bezug genommenen – Internet-Beitrag des ehemaligen WDR-Mitarbeiters Christian Solmecke die Auffassung vertreten wurde, aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 BBankG folge nicht das unbeschränkte und außergesetzlich unbeschränkbare Recht zur Geldschuldtilgung in (Euro-)Banknoten, so beruht diese Rechtsmeinung neben dem mißverstandenen Wortlaut der Norm zudem erkennbar (auch) auf einem ahistorischen Rechtsirrtum.

Die Vorschrift des heutigen § 14 Abs. 1 BBankG ist, wie ihre genetische Analyse erweist, seit ihrer ersten Fassung in ihrem Regelungskern unverändert geblieben. Sie entspricht insbesondere dem am 18.10.1956 dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (vgl. insbesondere § 10 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfes, BT-Drucks. 2/2781, S. 6). In der amtlichen Begründung zu dem Gesetzeswortlaut (BT-Drucks. 2/2781, S. 34) heißt es zum dortigen Norminhalt explizit wörtlich (Hervorhebung diesseits):

„Die Noten der Bundesbank und die Scheidemünzen sind gesetzliche Zahlungsmittel. Während bei Scheidemünzen der Zwang zur Annahme gemäß § 3 des Münzgesetzes auf bestimmte Beträge begrenzt ist, müssen Noten der Bundesbank in unbeschränkter Höhe angenommen werden.“

Die unbedingte und unbeschränkte Pflicht zur Annahme von Noten der Bundesbank als gesetzlichem Zahlungsmittel der Geldschuldtilgung war somit das wesentliche Regelungsziel der Schöpfer dieses Gesetzes. Warum sich dieser ursprüngliche Wille des Normgebers zwischenzeitlich – ohne Veränderung des Gesetzestextes – gewandelt haben könnte oder sollte, ist von dem Beklagten bislang weder selbst vorgetragen, noch sonst ersichtlich.

  1. d) Die mit § 14 Abs. 1 Satz 2 BBankG statuierte Bedeutung des Bargeldes als einzigem unbeschränkten Zahlungsmittel schützt zudem zielgerichtet dessen gesamtwirtschaftliche Bedeutung innerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Notenbank. Das gesetzgeberische Ziel, die Geldmengenentwicklung unter der Kontrolle der Zentralbank zu halten, kann nämlich nur und ausschließlich dann sicher erreicht werden, wenn der Deutschen Bundesbank (in deren nationalstaatlichem Zuständigkeitsbereich, um den es bei der bundesrepublikanischen Rundfunkbeitragspflicht deckungsgleich geht) das – in § 14 Abs. 1 BBankG nicht ohne Grund genau so wörtlich bestimmte – „ausschließliche Recht“ zugeordnet wird, Banknoten auszugeben.

Nur das unbeschränkbare Recht eines jeden Teilnehmers am Geld- und Wirtschaftsverkehr, Geldschuldtilgungen jederzeit in Banknoten sowohl verlangen als auch – unabweisbar – anbieten zu können, bindet letztlich die Buchgeldmengenentwicklung der Geschäftsbanken an die definierte Notengeldmenge der Bundesbank. Der Zwang der Banken, das von ihnen in Umlauf gebrachte Buchgeld jederzeit auf Verlangen in Bargeld umtauschen können zu müssen, ist somit ein wichtiges Instrument der Notenbank zur Disziplinierung der Geschäftsbanken bei der Geldmengenausdehnung. In dem Maße, in dem die Bürger Bargeld nicht mehr frei verwenden könnten und es deshalb nicht mehr nachfragen, entfällt diese Disziplinierung und wird die gesetzlich gewollte Steuerungsmöglichkeit für die Notenbank geringer.

  1. e) Dieses übereinstimmende grammatikalische, systematische, historisch-genetische und teleologische Auslegungsergebnis wird schließlich auch im Rahmen einer gebotenen europarechtlichen Interpretation der Norm bestätigt. Denn seit der (teilweisen) Zuständigkeitsverschie Zuständigkeitsverschiebung des Währungsrechts vom deutschen Gesetzgeber auf die supranationale, europäische Ebene ist der Begriff des „gesetzlichen Zahlungsmittels“ jedenfalls auch unionsrechtskonform auszulegen.
  • 14 Abs. 1 Satz 1 BBankG verweist erkennbar bereits selbst auf Art. 128 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dort wird der Europäischen Zentralbank nicht ohne Grund das „ausschließliche“ (!) Recht zur Genehmigung von Euro-Banknoten die als den „einzigen“ (!) Banknoten zugeschrieben, als „gesetzliches Zahlungsmittel“ dienen dürfen.

Dieser Normwerdung war ein intensiver legislativer Erörterungsprozeß innerhalb der Eurogruppe vorangegangen: Ursprünglich gab es bei den vertragsschließenden Mitgliedstaaten nämlich tatsächlich noch unterschiedliche Auffassungen über Definition, Umfang und Auswirkung des Begriffs „gesetzliches Zahlungsmittel“. Um diese Auffassungen aufzuklären und zu vereinheitlichen, wurde eine eigene Expertengruppe gebildet. Dieser Gruppe gehörten von deutscher Seite Vertreter des Finanzministeriums und der Deutschen Bundesbank an (vgl. „Report of the Euro Legal Tender Expert Group (ELTEG) on the definition, scope and effects of legal tender of euro banknotes and coins“, unter: http://ec.europa.eu/economy_finance/euro/cash/legal_tender/index_en.htm).

Die Schlußempfehlungen jener Expertengruppe wurden sodann von der Europäischen Kommission ausdrücklich als rechtsverbindlich übernommen (vgl. „Empfehlung der Kommission vom 22. März 2010 über den Geltungsbereich und die Auswirkungen des Status der Euro-Banknoten und -Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel“, ABl. L 83/70 vom 30.03.2010).

In den dortigen Festlegungen heißt es bis heute unverändert zur Definition des „gesetzlichen Zahlungsmittels“ wörtlich (Hervorhebung diesseits):

„Wenn eine Zahlungsverpflichtung besteht, sollte der Status der Euro-Banknoten und Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel Folgendes beinhalten:

  1. a) Verpflichtende Annahme: Sofern sich die Parteien nicht auf andere Zahlungsmittel geeinigt haben, ist der Empfänger einer Zahlungsverpflichtung nicht befugt, eine Zahlung mit Euro-Banknoten und -Münzen abzulehnen.
  2. b) Annahme zum vollen Nennwert: Der monetäre Wert von Euro-Banknoten und -Münzen entspricht dem auf den Banknoten und Münzen angegebenen Wert.
  3. c) Entlastung von Zahlungsverpflichtungen:Ein Schuldner kann sich selbst von einer Zahlungsverpflichtung entlasten, indem er dem Zahlungsempfänger eine Zahlung mit Euro-Banknoten und -Münzen anbietet.“

Die unionskonforme Auslegung des § 14 BBankG bestätigt somit das deutschrechtliche Verständnis.

3.) Die bundesgesetzlich vorgegebene Annahmepflicht von Bargeld steht somit für ein und denselben Sachverhalt – nämlich für das Bezahlen einer Forderung – in Widerspruch zu der von dem Beklagten für sich selbst erlassenen Rundfunkbeitragssatzung. Deren Wirksamkeit scheitert somit, anders als der Beklagte vorprozessual meinte, an dem Grundsatz des Art. 31 GG: Bundesrecht bricht Landesrecht. Kein Landesgesetzgeber ist zuständigkeitshalber befugt, die Materie des Geldrechtes zu regeln. Bei einem jeden vertraglich wirksamen Ausschluss der Barzahlungsmöglichkeit handelt es sich auch stets nur um eine Ausnahme von der sonst grundsätzlich zwingenden gesetzlichen Regel.

Der Gläubiger einer Leistung kommt folglich in Ermangelung einer wirksamen abweichenden Vereinbarung auch in Annahmeverzug, sollte er die Barzahlung ablehnen (vgl. Schefold, in: Beck, NJW 2015, 580 [581]; Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 115, Rn. 32; Klanten, NJW 1998, 3152, [3153]; BGH, Urteil vom 30.11.1993 – XI ZR 80/93, zitiert nach juris). So liegen die Dinge hier. Der Kläger hat dem Beklagten Barzahlung anerboten; mit der Ablehnung der Annahme nach Maßgabe des angefochtenen Bescheides befindet er sich dem Kläger gegenüber in Annahmeverzug.

Mehr noch: Er kann sogar zweifelhaft sein, ob der Beklagte befugt ist, tatsächlich dieses ihm angebotene Bargeld entgegenzunehmen, da es insoweit wegen des Wortlautes seiner hier streitgegenständlichen Satzungsbestimmung an einer ihn förmlich ermächtigenden Rechtsquelle fehlt.

4.) Ergänzend ist des weiteren auf dies hinzuweisen: Der Beklagte führt in der Begründung seines Bescheides vom 12.06.2015 und des Widerspruchbescheides vom 14.07.2015 aus, dass auch andere öffentlich-rechtliche Verpflichtungen nicht in bar bezahlt werden könnten. Dies sei etwa bei § 13 Abs. 1 Nr. 1 Kraftfahrtsteuergesetz (KraftStG) der Fall.

Es kann aber vorliegend dahinstehen, ob sich nicht auch darin bereits ein Grundrechtsverstoß verbirgt; denn jedenfalls handelt es sich bei dieser kraftfahrsteuerlichen Regelung um ein förmliches bundesrechtliches Gesetz, nicht um untergesetzliches Satzungsrecht einer Rundfunkbehörde. Dieses Gesetzesrecht wird nicht wie die Rundfunkbeitragssatzung des Beklagten qua Art. 31 GG sogleich verdrängt, sondern könnte vielmehr als lex specialis gegenüber der allgemeineren Norm des § 14 Abs. 1 Satz 2 BBankG angesehen werden.

5.) Schließlich entfällt das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers auch nicht dadurch, dass der Beklagte in der Begründung zu seinem Bescheid vom 12.06.2015 ausgeführt hat, der Kläger könne die von ihm gewünschte Barzahlung durchaus bei seinem Bankinstitut vornehmen, wobei er allerdings die dadurch entstehenden Kosten gemäß § 10 Abs. 3 Rundfunkbeitragssatzung selbst zu tragen habe.

Abgesehen von der auch diesenfalls mittelbar erzwungenen faktischen Leistung von Buchgeld würde nämlich diese Erledigungsvariante den Rundfunkbeitrag des Klägers tatsächlich unausweichlich stets wiederkehrend um die Transaktionskosten erhöhen, wofür es wiederum an einer rundfunkrechtlichen Rechtsgrundlage mangelt. In keiner Rechtsquelle, die Grundlage der Satzungsermächtigung ist, werden derartige regelhafte Mehrkosten zu Lasten eines Beitragspflichtigen legitimiert. Mehr noch: In den schon zitierten Empfehlungen der Europäischen Kommission vom 22. März 2010 über den Geltungsbereich und die Auswirkungen des Status der Euro-Banknoten als gesetzlichem Zahlungsmittel heißt es unter Ziffer 4.) auch insoweit deutlich:

„Bei Zahlungen mit Euro-Banknoten und –Münzen sollten keine Aufschläge verrechnet werden.“

Die Erhöhung des Rundfunkbeitrages um regelmäßige Überweisungskosten in dieser Gestalt stellt demnach wiederum einen weiteren Rechtsverstoß des Beklagten dar, ganz abgesehen davon, dass eine derartige Bareinzahlung zu Gunsten eines Gläubigers auch ihrerseits wiederum nicht von dem enumerativen Katalog der von dem Beklagten vorgestellten bargeldlosen Zahlungswege erfasst wäre.

6.) Nach geltender höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist für das Geldleistungsrecht unverändert anerkannt (Hervorhebung diesseits):

„Die Überweisung einer geschuldeten Leistung auf das Bank- oder Girokonto des Gläubigers ist eine Leistung an Erfüllungs Statt. Sie bringt das Schuldverhältnis dann zum Erlöschen, wenn der Gläubiger diese Leistung annimmt. Eine Verpflichtung, eine solche Buchgeldzahlung anzunehmen, besteht grundsätzlich nicht. … In der bloßen Eröffnung eines Kontos kann eine allgemeine vorherige Genehmigung von Überweisungen nicht gesehen werden.“

(BGH NJW 1953, 897)

Mit anderen Worten: Eine Buchgeldzahlung ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung keine Leistung von Geld, sondern eine Leistung an Erfüllungs Statt. Ebenso, wie es keine grundsätzliche Verpflichtung gibt, derartige Buchgeldzahlungen anstelle der Leistung anzunehmen, gibt es spiegelbildlich keine Verpflichtung, derartige Leistungen an Erfüllungs Statt prinzipiell zu erbringen. Ein Grund für eine anderweitige Ungleichbehandlung zwischen Gläubiger und Schuldner ist nicht erkennbar. Der Kläger war also im vorliegenden Falle auch unbeschadet seiner Nutzung von Bankkonten in der Vergangenheit nicht verpflichtet, anstelle von Leistungen Leistungen an Erfüllungs Statt an den Beklagten zu erbringen. Im Übrigen ermächtigt § 9 Abs. 2 RBStV den Beklagten auch tatbestandlich nur, Einzelheiten des Verfahrens „zur Leistung“ von Rundfunkbeiträgen zu regeln, nicht aber Einzelheiten zur Leistung an Erfüllungs Statt (!).

7.) Indem der Kläger dem Beklagten die Bargeldzahlung vorprozessual wörtlich anerboten hat, ist der Beklagte entsprechend § 295 S. 1 BGB spätestens mit Erlass seines hier angefochtenen Feststellungsbescheides in Annahmeverzug geraten. Sofern der Beklagte die Rechtsauffassung vertreten sollte, daß er infolge des Wortlautes seiner eigenen Satzung an der Entgegennahme von Bargeld gehindert sei, ergäbe sich dieselbe Rechtsfolge in Zusammenschau mit dem Rechtsgedanken aus § 162 Abs. 1 BGB. Folgerichtig befindet sich der Kläger dem Beklagten gegenüber auch nicht in Zahlungsverzug mit Beitragsschulden.

8.) Da der Beklagte die Beitragszahlungsverpflichtung des Klägers – wie eingangs dargelegt – von dem bloßen Innehaben einer Wohnung abhängig sieht, besteht auch für die begehrte Feststellung des Rechtes zur Zahlung in bar das erforderliche prozessuale Feststellungsinteresse. Denn der Kläger beabsichtigt auch weiterhin, sich regelhaft in einer Wohnung aufzuhalten und diese im rundfunkrechtlichen Sinne als deren „Inhaber“ zu nutzen.

9.) Der Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine unzulässige Rechtsausübung des Klägers berufen, weil dieser in der Vergangenheit Rundfunkgebühren über ein Konto gezahlt habe. Einer Änderung seines rechtlichen Verhaltens stünde ein solcher Verwirkungseinwand allenfalls dann erheblich entgegen, wenn neben dem Zeit- auch ein relevantes Umstandsmoment dazu geführt hätte, dass der Beklagte sich in seinem Verhalten auf den bisher gepflegten Ablauf eingestellt hätte. Der Kläger hat jedoch gegenüber dem Beklagten in keiner Weise je zum Ausdruck gebracht, künftig nicht auf die Möglichkeit einer Barzahlung seiner Beitragsschulden zurückkommen zu wollen.

B.III.

Die in Rede stehende (rechtswidrige) Beitragssatzung und der darauf gestützte Bescheid verletzen den Kläger nach allem nicht nur in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, sondern auch in seinem verfassungsrechtlich verbürgten Recht auf Wahrung seines informationellen Selbstbestimmungsrechtes aus Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Ein zwingender Grund zur unausweichlich nötigen Offenlegung seiner derzeitigen und/oder künftigen Bankverhältnisse für einen geordneten Rundfunkbetrieb ist von dem Beklagten weder dargetan, noch sonst ersichtlich.

(Carlos A. Gebauer)

Rechtsanwalt

Erstmals erschienen auf Norberts Härings Blog.

 

Photo: ben_osteen from flickr (CC BY 2.0)

Von  Prof. Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums im Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Business and Information Technology School (BiTS) in Berlin.

Mit der heutigen Entscheidung, ihr Anleihekaufprogramm abermals auszudehnen und die Zinsen noch tiefer in den negativen Bereich zu drücken, setzt die Europäische Zentralbank eine Politik fort, die auf ein „viel hilft viel“ setzt. Der europäische Bankensektor schwimmt aber bereits überreichlich in Zentralbankgeld – Liquiditätsengpässe sind definitiv nicht das Problem im Euroraum. Daher wird auch die nun noch einmal intensivierte Druckbetankung der europäischen Banken nicht dazu führen, dass das frische Geld in den Krisenländern des Euroraums die Realwirtschaft merklich stimuliert. Auch weil die dortigen Banken unter der Last notleidender Kredite als weniger solvent gelten, wird das immer schnellere Geldpumpen nur dazu führen, dass die Liquiditäts- und Kapitalflucht innerhalb des Euroraums weitere Nahrung erhält und die Notenbanken in den Überschussländern in die monetäre Zahlungsbilanzfinanzierung gezwungen werden. Sichtbar wird dies an den seit über einem Jahr wieder massiv anschwellenden Salden im Target-2-System. Nach der relativen Entspannung bis Ende 2014 hat dieses Maß für die monetäre Unwucht im Euroraum schon wieder den halben Weg zu alten Höchstständen zurückgelegt.

Verzerrungen in den gesunden Ökonomien

Die ultraexpansive Geldpolitik droht immer weitreichendere Verzerrungen in den Preis- und Produktionsstrukturen zu provozieren. Anfällig für diese Nebenwirkungen sind vor allem die bislang vergleichsweise gesunden Ökonomien im Euroraum. So ist zwar hierzulande ein ausgeprägter allgemeiner Investitionsboom trotz der extrem günstigen Finanzierungsbedingungen bislang ausgeblieben. Dies dürfte wohl auch daher rühren, dass die ökonomischen Akteure die monetäre Ausnahmesituation erkennen und entsprechend zurückhaltende Investitionsentscheidungen treffen. Allerdings wälzt sich die Wirkung der nun schon seit sechs Jahren bestehenden Niedrigzinspolitik nach und nach durch immer mehr Finanzierungsinstrumente und Güterpreise. Damit einher geht eine Verzerrung der Produktionsstrukturen, etwa in Folge eines zu schwachen Außenwertes der Währung. Je länger dieser Prozess andauert, desto schmerzhafter wird eine spätere Korrektur. Zudem ist zu konstatieren, dass die Absicht der Geldpolitik, durch niedrige Zinsen Spielräume für Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung zu erkaufen, in den Ländern, wo diese Politik am dringendsten geboten wäre, kaum bis gar nicht fruchtet.

Finanzblase, die früher oder später platzen muss

Die Geldpolitik setzt mit ihren immer umfangreicheren Wertpapierkaufprogrammen darauf, die Kapitalmarktzinsen extrem niedrig zu halten, um so die Risikoneigung zu steigern. Künstlich niedrige Risikopreise stehen aber am Anfang jeder Finanzblase, die früher oder später platzen muss, weil dann zuvor auch solche Projekte realisiert werden, die bei normaler Zinsbildung an den Kapitalmärkten aus guten Gründen unterbleiben würden. Wann sich die Risiken einer solchen Politik materialisieren und wo sie konkret zu verorten sind, ist schwer zu sagen. Der Tendenz nach sind solche Wirtschaftsbereiche besonders anfällig, deren Produkte von der konsumtiven Verwendung weit entfernt sind. Dies macht die Gefahren für die gesamtwirtschaftliche Stabilität aber nur noch größer, weil zielgenaue Gegenmaßnahmen kaum möglich sind.

Fazit: Die Probleme im Euroraum sind nicht monetärer Natur. Man kann sie daher auch nicht mit geldpolitischen Manövern aus der Welt schaffen. Wenn aber das verabreichte Medikament nicht wirken kann, dann nutzt es nichts, die Dosis immer weiter zu erhöhen. Damit steigen nur die schädlichen Risiken und Nebenwirkungen.

Erstmals erschienen beim Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel