Photo: Andrew Martin from Pixabay (CC 0).

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Der Süden Italiens ist nicht nur geprägt durch eine höhere Arbeitslosenrate und niedrigere Einkommen als das nördliche Italien, sondern auch durch eine schlechtere medizinische Versorgung. Patienten in Süditalien reagieren darauf und begeben sich für Operationen relativ häufig in den Norden, der so zum Nettoexporteur medizinischer Dienstleistungen geworden ist. In ihrem IREF Working Paper untersuchen Paolo Berta, Carla Guerriero und Rosella Levaggi am Beispiel der Lombardei, wie sich die Mobilität der Patienten auf das Verhalten von Krankenhäusern auswirkt.

Ihre Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Patienten von außerhalb der Lombardei in privaten und staatlichen Krankenhäusern in der Lombardei besser versorgt werden als Einwohner der Lombardei. Dennoch profitieren vom Wettbewerb der Krankenhäuser um die auswärtigen Patienten auch die lombardischen Patienten. In Krankenhäusern mit hohem Anteil auswärtiger Patienten fallen die Mortalitätsraten niedriger aus – nicht nur für auswärtige Patienten. Das spricht laut den Autoren für positive Spillovereffekte von auswärtigen auf einheimische Patienten in der Lombardei, die ohne den Wettbewerb um die auswärtigen Patienten nicht entstünden.

Medizinische Versorgung in Italien: Nord-Süd-Gefälle

Die Lebenserwartung bei Geburt ist unter den OECD Ländern nur in Japan und der Schweiz höher als in Italien. Dabei gibt es ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. In der nördlichen Region Trento-Südtirol sind es gemäß den Autoren 83,5 Jahre, während es in der südlichen Region Kampanien nur 80,5 Jahre sind. Dazu passend gibt es in den südlichen Regionen weniger Betten zur intensivmedizinischen Betreuung und Patienten warten länger auf kardiologische Untersuchungen. Unter diesen Vorzeichen überrascht es nicht, dass sich häufiger Patienten aus dem Süden für Behandlungen in die nördlichen Regionen begeben als umgekehrt.

Auswärtige Patienten in der Lombardei

Die Autoren nutzen in ihrem Papier Daten aus der nördlichen Region Lombardei, der bevölkerungsreichsten Region Italiens. 2016 wurden dort in den Krankenhäusern etwa 1,7 Millionen Patienten behandelt. Etwa 115.000 kamen aus anderen Regionen.

Für ihre Untersuchung verwenden die Autoren Daten aus den Jahren 2010 bis 2014, um das Verhalten von staatlichen Krankenhäusern, privaten gewinnorientierten Krankenhäusern und privaten Krankenhäsuern ohne Gewinnerzielungsabsicht gegenüber einheimischen und auswärtigen Patienten zu analysieren.

Zunächst lässt sich festhalten, dass der Anteil auswärtiger Patienten bei den privaten Krankenhäusern mit 18 Prozent deutlich höher ausfällt als mit jeweils 6 Prozent bei den privaten und staatlichen Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht. Für die Behandlung auswärtiger Patienten werden die Krankenhäsuer über ihr jährliches Planungsbudget, das sich am Vorjahresumsatz orientiert, hinaus bezahlt. Das macht auswärtige Patienten vor allem für private Krankenhäuser attraktiv, die sich einer harten Budgetrestriktion ausgesetzt sehen, weil sie nicht auf finanzielle Unterstützung durch den Staat hoffen können.

Auswärtige Patienten ohne Nachteile für Einheimische bevorzugt

Auswärtige Patienten sind durchschnittlich etwas jünger und haben ernstere Leiden als einheimische Patienten. Zudem finden die Autoren, dass sie besser und schneller behandelt werden. Sie bleiben unter anderem länger auf Station – ein Maß für die Intensität der Betreuung – und müssen weniger lange auf eine Behandlung warten.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob einheimische Patienten unter der bevorzugten Behandlung auswärtiger Patienten leiden. Dafür finden die Autoren keine Hinweise. Im Gegenteil: Die Wiedereinweisungsraten und Mortalitätsraten 30 Tage nach einem Eingriff fallen für lombardische Patienten umso niedriger aus, je höher der Anteil auswärtiger Patienten eines Krankenhauses ist – unabhängig von der Eigentümerstruktur der Krankenhäuser. Die Ausnahme stellt dabei eine konstante Mortalitätsrate 30 Tage nach der Geburt bei steigendem Anteil auswärtiger Patienten bei privaten Krankenhäusern ohne Gewinnerzielungsabsicht dar.

Wünschenswerte Folgen des Wettbewerbs um Patienten

Die Autoren weisen darauf hin, dass es für ihre Ergebnisse zwei mögliche – sich potentiell ergänzende – Erklärungen gibt. Erstens, bessere Krankenhäuser ziehen mehr auswärtige Patientienten an. Zweitens, Krankhäuser, die zusätzlichen Umsatz machen wollen, verbessern ihre Leistungen, um auswärtige Patienten anzulocken und liefern als Nebeneffekt auch an einheimische Patienten Leistungen besserer Qualität.

Das lombardische Beispiel illustriert, dass der Wettbewerb zwischen Anbietern auch auf dem Markt für Gesundheitsdienstleistungen aus Sicht der Kunden wünschenswerte Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Ist die Qualität der Leistungen exogen und hängt nicht vom Wettbewerb ab, bringt der Wettbewerb zwischen privaten und staatlichen Krankenhäusern weder positive noch negative Effekte mit sich.

Ist die Qualität der Leistungen jedoch endogen und hängt vom Wettbewerb ab, sprechen die Ergebnisse deutlich dafür, dass der Wettbewerb zwischen Krankenhäusern um auswärtige Patienten positive Konsequenzen hat – sowohl für einheimische als auch für auswärtige Patienten. In diesem Sinne interpretieren auch die Autoren des Papiers ihre Ergebnisse.

 

Zuerst veröffentlicht bei IREF.

Photo: Ibrahim Rifath from Unsplash (CC 0)

Von Sebastian Everding, Doktorand an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, und Dr. Johanna Jauernig, Postdoc am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (iamo) in Halle.

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sind Diesel-Fahrverbote grundsätzlich zulässig. Erste Straßenabschnitte in deutschen Städten wurden bereits für einige Dieselautos gesperrt. Diese Maßnahme ist der vorläufige Abschluss eines bisweilen erbittert geführten Schlagabtausches zwischen Umweltverbänden, Autoindustrie und Politik. Gerade das Lager der Diesel-Gegner argumentierte dabei äußerst polemisch. Ein Standpunkt zur Versachlichung war in der Debatte kaum zu finden. Deshalb plädieren wir hier für eine echte Folgenabschätzung.

Für Linken-Chef Bernd Riexinger unterstreicht das Urteil, dass „die Menschen ein Recht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit haben. „Zudem, so der Politiker weiter, sei es endlich ein „spürbarer Tritt vor das Schienbein der betrügerischen Autoindustrie“. Als vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge in Tausenden Fällen hat die deutsche Umwelthilfe (DHU) die Überschreitung der Grenzwerte bereits im Vorfeld des Urteils bezeichnet. Im Straßenverkehr nicht eingehaltene Abgaswerte seien vorsätzlicher Betrug, und die mangelnde Handlungsbereitschaft der Kommunen zeige, dass anstatt mit Geld „lieber mit dem Leben [der] Bürger“ bezahlt werde. Diese Zitate sind Beispiele für ein immer wiederkehrendes Problem in der Argumentation der Diesel-Gegner. Es werden nur die Kosten des Diesels betrachtet. Mögliche Vorteile bleiben unberücksichtigt.

Wenn die Politik eine gemeinwohlorientierte Entscheidung treffen will, darf sie nicht einseitig nur auf die Kostendimension starren. Vielmehr muss sie auch die Nutzendimension sorgfältig in Betracht ziehen. Häufig kann eine Gesetzesänderung zwar ein spezielles Problem lösen, doch ist stets damit zu rechnen, dass neue und insbesondere ungewollte Konsequenzen auftreten. Deshalb können vernünftige politische Eingriffe in der Regel nicht das Ziel verfolgen, Risiken komplett zu annullieren. In vielen Bereichen wäre dies schlichtweg unmöglich – oder zu teuer. Beispiel Straßenverkehr: Die Fahrzeuge werden zwar immer sicherer, dennoch wird es immer Gefährdungsrisiken für die Teilnehmer geben. Selbst wenn man den motorisierten Straßenverkehr abschaffen wollte, führte der Verzicht auf motorisierte Mobilität zu neuen Risiken. Man denke nur an den Nutzen, den man sich entgehen lassen würde, wenn man im ländlichen Raum für alltägliche Besorgungen oder für schnelle Krankentransporte auf Autos verzichten würde. Auch ein Verbot von Technologien wie dem Internet oder der Elektrizität würde zwar einerseits Risiken (z.B. Datenlecks, Kabelbrände) ausschließen, der Preis dafür wäre allerdings unverhältnismäßig hoch. Bei politischen Eingriffen mit dem Ziel, Risiken zu verringern, ist deswegen folgende Frage unerlässlich: Welche Einbußen wollen wir als Gesellschaft dafür in Kauf nehmen? Der Gesetzgeber ist folglich gut beraten, ein gesellschaftlich akzeptables Risikoniveau anzustreben, bei dem der Gesamtnutzen der Gesellschaft gesteigert und nicht gemindert wird.

Das gilt auch für die Diesel-Debatte: Hier benötigen wir eine wissenschaftlich gestützte Risikobewertung, die die Vor- und Nachteile abwägt und dabei die unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten verschiedener Risiken in Rechnung stellt. Eine solche Folgenabschätzung ist in der Debatte um Fahrverbote bislang – wenn überhaupt – nur sehr bruchstückhaft vorgenommen worden. Ein Hauptargument gegen Dieselfahrzeuge in deutschen Städten ist das steigende Risiko von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die DUH spricht von jährlich 10.600 Todesfällen durch Stickoxide. Bei der Berücksichtigung dieser Kosten müssen aber auch die Kosten alternativer Technologien betrachtet werden. Ein Umstieg aller Dieselfahrer auf Benzin- oder Elektromotoren würde den CO2-Ausstoß durch höheren Verbrauch bzw. energieaufwendige Produktion erheblich erhöhen. Das führt zu all den negativen hinlänglich bekannten Folgen für Umwelt und Gesundheit. Dazu kommen weitere hohe Umstiegskosten: Nimmt man den ehemaligen Justiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas beim Wort, dann sollen die Autofahrer nicht „die Zeche zahlen.“ Aber wer kommt stattdessen in Frage? Betrachtet man die Auswirkungen von Dieselfahrverboten aus ökonomischer Perspektive, ist es wahrscheinlich, dass die Autobranche jetzt schon keinen volkswirtschaftlichen Gewinn (= Erlös minus Opportunitätskosten) erzielt und somit die Umrüstungskosten auf den Konsumenten übertragen muss. Auf einem perfekten Markt entspricht der Preis langfristig den Kosten der Produktion. Nimmt man dies als Ausgangspunkt, kann gefolgert werden, dass die höheren Produktionskosten für Euro 6 Diesel von der Autoindustrie an den Verbraucher weitergegeben wurden. Die Autohersteller können somit nicht auf große Reserven zurückgreifen, aus denen sie die Umrüstungskosten bezahlen können. Sie sind deswegen dazu gezwungen, die Kosten an ihre (zukünftigen) Kunden weiterzugeben (z.B. über höhere Preise für Neuwagen). Um das Abwälzen der Kosten auf die Konsumenten wirklich zu verhindern, müsste der Staat als Zechezahler der Autoindustrie deswegen unter die Arme greifen. Der Staat müsste – will er keine weiteren Schulden aufnehmen – die Umstiegskosten durch Einsparungen in anderen Bereichen finanzieren. Laut ADAC bewegen sich die Kosten für eine Umrüstung pro Auto zwischen 1.400 und 3.300 Euro. Bei 12,4 Millionen Alt-Dieselfahrzeugen in Deutschland entstehen also Gesamtkosten von bis zu 41 Milliarden Euro. Das sind ungefähr 8% des Ausgabenvolumens des Bundeshaushaltes im Jahr 2017. Diese Summe entspricht in etwa dem Betrag, den die Bundesregierung im letzten Jahr für Arbeitsmarktpolitik und Elterngeld ausgegeben hat. Eine derart hohe Belastung wirft naturgemäß die Frage der Steuergerechtigkeit auf. Summa summarum ist es also nicht gewiss, ob Fahrverbote positive Auswirkungen auf Gesundheit, Umwelt und Gesellschaft erzielen, da durch den Umstieg auf andere Technologien neue Umweltprobleme entstehen und zudem die Frage einer massiven Steuerbelastung aufgeworfen wird.

Entscheidet man sich für die vermeintlich billige Lösung und unterlässt eine Entschädigung der Dieselfahrer, dann hätte auch dies eine gravierende nicht-beabsichtigte Folge: Das Vertrauen in den Rechtsstaat könnte nachhaltig erodieren. Dieses Argument wurde in der Debatte bislang kaum berücksichtigt. Dabei bildet ein starker Rechtsstaat, in dem Gesetze verbindlich und Verstöße justiziabel sind, die Grundlage für eine funktionierende Marktwirtschaft. Nur wenn sich die Bürger ihrer Rechte sicher sein können, also den Schutz ihres Eigentums oder die Einklagbarkeit von Verträgen verlässlich erwarten, werden sie private Tauschbeziehungen eingehen. Das Vertrauen der Bürger in den Schutz ihrer Rechte durch den Staat ist also essentiell für die Marktwirtschaft. Enttäuschtes Vertrauen kann zu schwindendem Schuldbewusstsein bei Rechtsbrüchen und letztendlich zu Selbstjustiz führen und damit schlimmstenfalls eine Spirale der Aushöhlung des Rechtsstaats in Gang setzen. Fahrverbote, die für über 15 Millionen Halter von Dieselfahrzeugen eine De-facto-Enteignung bedeuten, gefährden dieses Vertrauen in den Rechtsstaat. Wer ein Fahrzeug kauft ‒ gleich ob für privaten oder geschäftlichen Gebrauch ‒ rechnet damit, den Wagen für dessen Lebensdauer uneingeschränkt nutzen zu können und ihn gegebenenfalls zum erwarteten Wert weiterverkaufen zu können. Ist das nun nicht mehr der Fall, birgt dieser Verlust eines sicher geglaubten Wertes ein erhebliches Verunsicherungspotenzial in sich. Sozialpsychologische Studien zeigen, dass Menschen ihrem aktuellen Besitz einen wesentlich höheren Wert zuschreiben als einem Besitz, den sie erst noch erwerben müssen. Der Verlust eines bereits im eigenen Besitz befindlichen Gutes wiegt also wesentlich schwerer als die entgangene Chance, ein Gut allererst zu erwerben. Deswegen stellen Enteignungen eine besondere Gefahr für das Rechtsempfinden der Bürger und damit auch für den Rechtsstaat dar. Gesetze sollten sich immer am Wohl der Gesellschaft orientieren. Wenn sie jedoch drastisch in die Eigentumsrechte der Bürger eingreifen, sollten die Konsequenzen besonders gründlich abgewogen werden. Insofern wäre es klug, die derzeit diskutierten Übergangsfristen an der realistischen Lebensdauer von bereits erworbenen und zugelassenen Fahrzeugen orientieren.

Eine differenzierte Betrachtung des Dieselfahrverbots mit Folgeabschätzung zeigt, dass die drohende Ad-hoc-Regeländerung keineswegs automatisch dem moralischen Anliegen dient, Mensch und Natur wirksam zu schützen. Ein Fahrverbot senkt zwar den Ausstoß von Stickoxiden in den Innenstädten und verhindert damit bestimmte negative Folgen. Allerdings schafft es auch neue Probleme. Und die sind so gewaltig, dass ein Fahrverbot sich als für das Gemeinwohl kontraproduktiv erweisen könnte.

Photo: Thirteen Of Clubs from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Auf fast der ganzen Welt – mit Ausnahme des Irans – ist der kommerzielle Handel mit menschlichen Organen verboten. Doch das Verbot führt keineswegs dazu, dass Menschen nicht gegen Geld ihre Organe verkaufen. Sie tun es aus der Not heraus ohne Schutz, angemessene Entschädigung oder medizinische Versorgung auf Schwarzmärkten. Die Weltgesundheitsorganisation schätzte 2012, dass jährlich ca. 10.000 illegale Organtransplantationen stattfinden. Ein legaler regulierter Handel mit lebendspendenfähigen Organen sollte in Betracht gezogen werden, um einerseits Erkrankten zu helfen und andererseits die Zahl der unter widrigen Bedingungen durchgeführten illegalen Transplantationen zu verringern.

Hunderttausende warten auf ein Organ

Gut 660.000 Menschen warten weltweit auf eine Organtransplantation. Daten der WHO für das Jahr 2010 zeigen, dass insgesamt 106.879 Organe transplantiert wurden. Davon wurden schätzungsweise 10 Prozent illegal transplantiert. Nieren machen mit 68,5 Prozent den Großteil der Transplantationen aus, gefolgt von Lebern mit gut 20 Prozent. Für beide Organe sind Lebendspenden möglich. Für die meisten Patienten, die sich für den illegalen Kauf eines Organs entscheiden, ist es die letzte Möglichkeit, ihr Leben zu retten.

Wie läuft ein illegaler Organhandel ab?

In der Regel reisen Patienten aus relativ reichen Ländern in relativ arme Länder, um dort ein Organ transplantiert zu bekommen. In diesen Ländern wird das Verbot des Organhandels nicht so konsequent durchgesetzt wie in den Heimatländern der Patienten.

Die Weltgesundheitsorganisation hat dem illegalen Organhandel 2007 einen der wenigen Berichte über diesen illegalen Markt gewidmet. Der Bericht offenbart, dass eine kurze Internetrecherche genügte, um mit Vermittlungsorganisationen in Kontakt zu treten. So wurden auf www.liver4you.org … damals Nieren für 85.000 Dollar auf den Philippinen angeboten. Ein chinesischer Anbieter offerierte eine Niere für 70.000 Dollar.

 

Brutales Geschäft

Der illegale Handel ist vor allem für die Organspender gefährlich. Immer wieder werden Spender, die zunächst freiwillig in den Handel einwilligten, betrogen und erhalten für das Organ nicht den zuvor verabredeten Preis oder werden medizinisch unsachgemäß behandelt. Zudem zwingen Menschenhändler regelmäßig ihre Opfer zur Organentnahme.

Eine besonders perfide Strategie der illegalen Organhändler ist es, schutzbedürftigen Menschen, wie Behinderten, Obdachlosen, (illegalen) Migranten oder Analphabeten vorzugaukeln, sie müssten wegen einer anderen Krankheit behandelt werden, um anschließend ohne das Wissen der Opfer Organe zu entnehmen.

China: Organe von politischen Gefangen

Auch Staaten beteiligen sich an diesem brutalen Geschäft. In China werden die Organe von zu Tode verurteilten Gefangenen für Transplantationen verwendet. Dabei handelt es sich keineswegs nur um verurteilte Mörder, sondern auch um politische Gefangene. Die Organe werden zum Teil mit hohen Gewinnen an ausländische Patienten verkauft. Die Exekutionen werden der Nachfrage entsprechend arrangiert. Zwar ist die zwangsweise Organentnahme von Gefangen inzwischen offiziell verboten, doch wird sie wohl weiterhin praktiziert. Die Gefangenen stimmen nun „freiwillig“ der postmortalen Organentnahme zu.

Illegaler Markt vs. legaler Markt

Auf dem illegalen Organmarkt wird die Not der Organspender von kriminellen Organisationen ausgenutzt. Befürworter des Organhandelsverbots befürchten, dass auch auf einem legalen Organmarkt die Notsituation von Menschen ausgenutzt werden könnte. Es ist jedoch die Illegalität und nicht der Handel per se, die dazu führt, dass die Organspender unter widrigen Bedingungen ausgenutzt werden.

Legaler Organhandel: Schutz durch Regeln

Ein besserer Schutz der Spender und der Empfänger könnte durch gezielte gesetzliche Regelungen auf einem legalen Organmarkt erreicht werden.

Auf den illegalen Märkten ist die finanzielle Not einer der Hauptgründe für den Organverkauf. Auf legalen Märkten könnten Einkommens- oder Vermögensgrenzen dafür sorgen, dass relativ arme Personen vom Verkauf von Organen ausgeschlossen werden. Auch die Auszahlung des Preises könnte verzögert erfolgen – etwa erst nach 3 Jahren. Relativ arme Menschen, die kurzfristig Geld benötigen, könnten so nicht zu einem Organverkauf gedrängt werden.

Auch auf der Käuferseite könnten Restriktionen umgesetzt werden. Vorstellbar ist, dass nur Krankenkassen oder zertifizierte gemeinnützige Organisationen die Organe ankaufen können. Die finanzielle Situation des Versicherten würde beim Kauf eines Organs so keine Rolle spielen.

Außerdem könnten Spender und Empfänger bei einem legalen Verkauf auf hohem medizinischen Niveau behandelt werden. Legale Operationen würden sowohl in armen als auch in reichen Ländern ausschließlich von Experten durchgeführt werden.

Legaler Organhandel unethisch und unnötig?

Auch wenn Spender wie Empfänger durch Regeln auf einem legalen Markt besser geschützt werden, gibt es weitere Einwände gegen die Legalisierung des Organhandels.
Der erste Einwand ist grundsätzlicher Natur: Organe sollten schlicht nicht zum Verkauf stehen – weder legal noch illegal. Dagegen lässt sich basierend auf der Arbeit der Philosophen Jason Brennan und Peter Jaworski einwenden, dass Dinge, die unentgeltlich getauscht werden dürfen, auch gegen Geld getauscht werden können sollten. Unentgeltliche Organspenden sind in den meisten Ländern legal möglich – in Deutschland derzeit zwar nur an Nahestehende. Eine legale entgeltliche Organspende sollte nach diesem Grundsatz ebenfalls möglich sein.

Der zweite Einwand stellt die Notwendigkeit eines legalen Organhandels in Frage. Die Nachfrage nach illegalen Organen könnte gemindert werden, etwa indem die Spenderquote nach dem Tod erhöht wird und Tauschringe sowie Tauchketten erlaubt werden. Außerdem könnte der medizinische Fortschritt, zum Beispiel im Bereich 3D-Druck, in Zukunft Organtransplantationen überflüssig machen. Es ist jedoch möglich, dass in der kurzen Frist auch diese Änderungen nicht ausreichen würden, um die Nachfrage nach Organen gänzlich zu bedienen.

Illegalen Handel durch legalen Handel einschränken

Solange die Nachfrage nach Spenderorganen nicht durch unentgeltliche Organspenden oder den medizinischen Fortschritt vollständig bedient wird, ist die relevante Alternative zu einer Welt mit legalem Organhandel nicht eine Welt ohne Organhandel.

Die relevanten Alternativen sind eine Welt mit ausschließlich illegalem Organhandel und eine Welt, in der der legale Organhandel den illegalen Organhandel weitestgehend zurückdrängt. Ein regulierter legaler Organhandel könnte mehr lebensrettende Transplantationen ermöglichen, professionelle Anbieter von Transplantationen kriminelle Organisationen verdrängen lassen und verlässliche Zahlungen an Spender garantieren.

 

Zuerst veröffentlicht bei IREF.

Photo: Milan Seitler from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Hubertus PorschenCEO der App-Arena GmbH und Autor des kürzlich erschienen Buches „Der digitale Suizid“.

Es scheint Bewegung in ein Land zu kommen, das in den letzten Monaten und Jahren wie gelähmt wirkte. Der deutsche Tanker hat ein Leck bekommen. Er verliert an Geschwindigkeit. Wasser strömt in ihn. Der Kapitän und seine Mannschaft sind faul geworden. Sie stopfen Löcher und bessern aus, sie flicken und verwalten. Das ist aber auch Alles. Der Tanker bräuchte einen neuen Motor und einen neuen Kapitän, der die Mannschaft motiviert.

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich kein Seemann bin, sondern dass ich von der deutschen Politik spreche. Einer Politik, die zum Verwalter geworden ist.

Richtungsweisende Entscheidungen

Zwei Nachrichten in der Presse haben zuletzt meine Aufmerksamkeit negativ gefesselt:

  • „Google Campus zieht sich aus Berlin zurück!“ so die Meldung der Welt am 26.10.2018. Ich wünsche mir auch ein „deutsches Google“. Leider ist das Leben kein Wunschkonzert. Aber das „Aktivisten“, die grundsätzlich gegen „Investoren“ sind, eine so starke Lobby haben, hätte ich auch nicht gedacht. Jetzt sucht sich der Google Campus eine andere Heimat. Schwierig, denn diese Unternehmen ziehen Fachkräfte an, die sich selbstständig machen, die gründen, die Innovation mitbringen. Ist aber nur eine Randnotiz im „Technologieland“ Deutschland.
  • „5G- Deutschland hängt sich ab“ titelt die Zeit im Oktober 2018. Es geht, vereinfacht gesagt, um das größte Infrastrukturprojekt der Gegenwart, die Versteigerung der Mobilfunklizenzen, die wahrscheinlich zugunsten der Telekom ausfallen wird, die jetzt schon sagt, maximal 90 % abzudecken. Ist das flächendeckend? Stärkt das den ländlichen Raum, der bei der weiter zunehmenden Verteuerung der Innenstädte, dringend an Attraktivität gewinnen muss? Was ist mit den „Hidden Champions“, dem German Mittelstand, der bereits jetzt genervt ist? Bereits im LTE-Vergleich ist Deutschland längst nicht mehr Spitze. Nun wissen wir alle, dass Daten das neue Gold sind, die neue Währung, und trotzdem vergessen wir, die Basis dafür zu legen, auch zukünftig technologisch spitze zu sein. Da hängt so viel dran: Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz, unser Asset als Produktionsstandort… und vieles mehr.

Es bedarf Mut und einer Strategie, einer Vision, solche Dinge richtig zu entscheiden. Man hat das Gefühl, dass die momentane politische Riege hierzu nicht Willens bzw. schlichtweg nicht in der Lage ist.

Deutschland braucht einen Transformator

Deutschland braucht Gestaltung und keine Verwaltung. Gerade in den wichtigen Zukunftsthemen bedarf es einer mutigen Strategie. Keine Löcher stopfen, sondern wirklich erneuern – transformieren. Sonst: sinkt der Tanker.

Ich wünsche mir u.a. (mehr in meinem brandneuen Buch „Der digitale Suizid“):

  • Eine andere Gründungskultur: Die Politik muss dringend eine Aufbruchstimmung und eine neue Gründerkultur verbreiten: Einfache Verwaltung, flächendeckendes, schnelles Internet, Finanzierungsoptionen und vor Allem ein anderes Bildungssystem (Wir müssen uns dringend fragen, ob der Bildungsföderalismus noch die richtige Option für dieses Land in Zeiten der Digitalisierung ist.), was auf die Person des Gründers, seine Kompetenzen, sein Mindset abzielt. Um in der Seefahrersprache zu bleiben: Mehr Entdecker! Nur mit neuen Entdeckern finden wir neue Ozeane (innovative Unternehmen/Neugründungen).
  • Vorbild Politik: Mein liberales Menschenbild neigt dazu, zu sagen, dass sich die Wirtschaft am besten entwickelt, wenn die Politik sich komplett enthält; nun muss ich meine Meinung in Zeiten der Digitalisierung hier (zumindest temporär) revidieren. Die Aufgabe der Politik ist es, die Menschen mitzunehmen, Aufbruchstimmung zu schaffen und die frohe Kunde der (Digital-)Strategie/Vision zu verbreiten. Wo sind die politischen Leader, die Transformatoren dieses Landes? Wo sind die Politiker, die langfristig durch eine Vision angetrieben werden, die ein festes Wertebild haben? Wenn wir die Politik nicht spannend für diese Menschen machen, werden wir auch zukünftig nur B-Ware als politische Entscheidungsträger aufbieten können.

Ein schönes Beispiel für mangelnden Reformwillen stellt die digitale Verwaltung dar. Bund, Länder und Kommunen können sich nicht entscheiden, weil es keine Zuständigkeiten gibt. Warum schauen wir uns nicht die erfolgreichen Praktiken aus anderen (wenn auch häufig kleineren) Ländern wie Estland ab? Stattdessen kochen wir unser eigenes Süppchen.

Der Dampfer bedarf dringend einer Generalüberholung. Mannschaft und Kapitän müssen sich dringend erneuern. Sonst werden die schnellen und agilen Boote der anderen Nationen (USA, Israel und vor Allem China) dem deutschen Dampfer bald seinen Rang als Technologienation abnehmen.

Photo: Tambako The Jaguar from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Bis 2020 sollte in Deutschland der Ausstoß klimaschädlicher Gase um 40 % gegenüber 1990 sinken, so der 2007 beschlossene Plan von Kanzlerin Merkel. Nachdem sich in den letzten Jahren abzeichnete, dass dieses Ziel deutlich verfehlt wird, erklärte die neue schwarz-rote Bundesregierung den Klimaplan Anfang des Jahres für gescheitert.

Umweltpolitiker und Interessengruppen schlagen Alarm. Vielleicht sei das ursprüngliche Einsparungsziel tatsächlich nicht mehr zu halten, aber das könne nur bedeuten, dass künftig noch mehr Anstrengungen für den Klimaschutz zu unternehmen seien – durch neue Subventioneneinen schnelleren Kohleausstieg und gesetzliche Anreize zur Emissionsminderung.

Ein naheliegender Alternativvorschlag findet in der Diskussion dagegen wenig Gehör: Über das EU-weite Emissionshandelssystem ETS kann die Bundesregierung Verschmutzungsrechte erwerben. Lässt sie diese ungenutzt, trägt sie effektiv zum Klimaschutz bei, da die Gesamtmenge der Verschmutzungsrechte limitiert ist.

Deutschlands Emissionsziele

Es gibt drei wesentliche staatliche Mechanismen zur Emissionsreduzierung:

(1) Über das Emissionshandelssystem ETS wird der Ausstoß klimaschädlicher Gase in rund 45 % der EU-weiten Emissionsquellen reguliert. In jeder mehrjährigen Handelsperiode stellt die EU eine fixe Menge an zum Ausstoß klimaschädlicher Gase berechtigenden Zertifikaten bereit. Alle partizipierenden Unternehmen müssen anschließend eine ihren Emissionen entsprechende Menge an Zertifikaten vorweisen, die sie teils unentgeltlich erhalten, teils per Auktion ersteigern müssen. Über die Menge der in jeder Handelsperiode ausgegebenen Verschmutzungsrechte gibt die EU das Tempo der Emissionssenkungen in Europa – und damit auch in Deutschland – vor.

(2) Für die nicht im ETS integrierten Emissionsquellen – im Wesentlichen Verkehr, Gebäudeenergie und Landwirtschaft – gibt die EU im Rahmen der Lastenteilungsentscheidung länderspezifische Einsparziele vor. So soll Deutschland seine Emissionen in diesen Bereichen zwischen 2005 und 2020 um 14 % senken – ein Ziel, das zunehmend unrealistisch erscheint.

(3) Darüber hinaus gibt sich die Bundesregierungen Selbstverpflichtungsziele, aktuell etwa im Klimaschutzplan 2050. Frühere Ziele wie die sogenannten Meseberger Beschlüsse konnten nicht eingehalten werden. Ein wichtiger Grund für das Scheitern ist die unerwartet gute Konjunktur der letzten Jahre, die zu höheren Emissionen geführt hat.

Konventionelle Klimapolitik: Ineffizient und inflexibel

Vor diesem Hintergrund wird der Ruf nach zusätzlichen Subventionen und gesetzlichen Anreizen zur Emissionsreduktion wieder lauter. Doch Subventionen haben unerwünschte Umverteilungseffekte und sind teuer: Zu den direkt für die Steuerzahler anfallenden Kosten kommen indirekte durch Marktverzerrung entstehende Kosten hinzu. So zahlen deutsche Stromkunden schon heute auch aufgrund der EEG-Umlage europaweit mit die höchsten Strompreise.

Subventionsgetriebene Klimapolitik ist nicht nur teuer, sondern auch inflexibel. So ist eine 2018 ersonnene Subvention aufgrund langwieriger Gesetzgebungsverfahren kaum in der Lage, Emissionen schon zwei Jahre später effektiv zu senken. Einmal eingeführt, ist es allerdings schwer, eine Subvention wieder abzuschaffen, wenn ihre ursprüngliche Begründung längst weggefallen ist.

Ein weiteres Problem entsteht aus der Interaktion zwischen nationaler Klimapolitik und EU-weitem Emissionshandel: Da die in jeder Handelsperiode zur Verfügung stehende Menge an Verschmutzungsrechten EU-weit fixiert ist, führt jede aufgrund einer Subvention in Deutschland eingesparte Tonne lediglich zur Emission einer zusätzlichen Tonne in einem anderen europäischen Land – jedenfalls in den knapp 45 % der Emissionen umfassenden Sektoren, die derzeit im ETS integriert sind. Zwar verpuffen Subventionen so nicht gänzlich, doch ihr Einsparpotenzial wird damit relativ zu den durch sie verursachten Kosten eingeschränkt.

Alternative: Regierung kauft Verschmutzungsrechte

Als Alternative zur teuren und inflexiblen Subventionspolitik bietet sich die Beteiligung der Bundesregierung am europäischen Emissionshandel an. Kauft die Bundesregierung Unternehmen Zertifikate ab und lässt diese anschließend ungenutzt verfallen, entspricht dies einer durch die deutschen Steuerzahler finanzierten Reduktion der weltweiten Emissionen.

Auch zertifikatebasierte Klimapolitik ist nicht billig. Das Recht zur Emission einer Tonne CO2 kostet im ETS derzeit rund 16 Euro (Stand Juni 2018). Würde die Bundesregierung eine Großorder aufgeben, so würde dieser Preis steigen. Im Vergleich zur konventionellen Klimapolitik verspräche eine zertifikatebasierte Klimapolitik den Steuerzahlern dennoch substantielle Entlastungen, da die Verzerrungskosten herkömmlicher Subventionen vermieden würden. In europaweiter Perspektive würde zudem dafür gesorgt, dass die Einsparungen effizient vorgenommen werden.

Einsparungsziele durch Zertifikatekauf realisierbar

Auch das 2007 formuliert Ziel, Deutschlands Emissionen bis 2020 relativ zu 1990 um 40 % zu senken, könnte mittels eines entsprechenden Zertifikatkaufs erreicht werden. 2017 wurden in Deutschland etwa 904,7 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt. Um die Differenz zu den ab 2020 nur noch erlaubten 751 Millionen Tonnen zu überbrücken, wäre der Kauf von 153 Millionen Zertifikaten nötig – eine solche Order kostet zu heutigen Preisen 2,4 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat im Jahr 2016 Kosten von rund 22 Milliarden Euro verursacht.

Die Verpflichtung gegenüber der EU ließe sich über den Zertifikatekauf dagegen nicht vertragsgenau einhalten, schließlich beziehen sich die darin formulierten Einsparungsziele auf jene Emissionsquellen, die nicht vom ETS abgedeckt werden. Das ist bedauerlich, da effizienter zu realisierende Einsparungen in durch das ETS abgedeckten Emissionsquellen nicht gegen weniger effiziente Einsparungen in Nicht-ETS-Emissionsquellen aufgerechnet werden können. Solange diese Emissionsquellen nicht integriert sind, sollte die EU erwägen, es Regierungen zu erlauben, etwaige Lücken gegenüber den Zielvorgaben durch den Kauf von ETS-Zertifikaten zu schließen. Für den Klimaschutz spielt es keine Rolle, in welchen Industrien die Einsparungen vorgenommen werden.

Ein unmoralischer Ablasshandel?

Kritiker bezeichnen Unternehmen, die ihren Kunden klimaneutrale Produkte per Zertifikatekauf anbieten als „moderne Ablasshändler“. Der Kritik liegt die Vorstellung zugrunde, dass jeder Emittent für den durch ihn angerichteten Schaden moralisch verantwortlich ist und diesen daher selbst zu beheben hat – selbst, wenn es effizienter wäre, andere für eine klimaäquivalente Schadensbehebung zu bezahlen. Auch die Bundesregierung träfe die Kritik, sich „freizukaufen“, sollte sie die Klimapolitik zukünftig auf den Kauf von Zertifikaten beschränken und Unternehmen somit dafür bezahlen, weniger Emissionen auszustoßen.

Derartige Kritik übersieht allerdings, dass auch die heutige Subventionspolitik einem „Ablasshandel“ entspricht. Der Übergang zu einer zertifikatebasierten Klimapolitik würde lediglich bewirken, dass die Steuerzahler zusätzlich zu inländischen Unternehmen auch ausländische Unternehmen für Emissionsreduktionen bezahlen.

Emissionshandel stärken

Schwerwiegendere Kritik am Vorschlag einer zertifikatebasierten Klimapolitik speist sich aus der derzeit nur eingeschränkten Reichweite des ETS. Nur wenn möglichst viele wichtige Emissionsquellen in das ETS einbezogen werden, bewirkt dieses eine EU-weite Priorisierung von Emissionseinsparungen in jenen Bereichen, in denen diese am kostengünstigsten sind.

Zwar werden die Reichweite des ETS steigernde Reformen bereits diskutiert. Doch der Einbezug von Privathaushalten (ca. 10 % der Emissionen), Dienstleistungssektor (ca. 4 %) sowie Verkehrssektor (ca. 17,7 %) würde zu erheblichen Transaktionskosten führen. Zwar ist vorstellbar, dass die europäischen Regierungen den notwendigen Zertifikatekauf stellvertretend für ihre Bürger vornehmen, etwa auf Basis einer jährlichen Schätzung der aus diesen Quellen entsprungenen Emissionen. Eine solche Stellvertreterlösung würde jedoch zu Trittbrettfahrerverhalten einladen und die Effizienz des ETS mindern.

Trotz dieser Schwierigkeiten stellt das ETS für die Bundesregierung bereits heute ein vielversprechendes Instrument zur Realisierung selbstgesteckter Einsparungsziele dar. Die Vorteile gegenüber der konventionellen subventionsbasierten Klimapolitik – eine geringere Verzerrungswirkung und flexiblere Anwendungsmöglichkeiten – wachsen in dem Maße, in dem es zukünftig gelingt, weitere Emissionsquellen in das ETS einzubeziehen. Statt auf die Einführung neuer Subventionen hinzuwirken, sollten am Klimaschutz interessierte Interessengruppen und Umweltpolitiker daher auf die Ausweitung des ETS und die Nutzung des Zertifikatekaufs als klimapolitische Maßnahme durch die Bundesregierung pochen.

 

Zuerst veröffentlicht bei IREF.