Von Kalle Kappner, ehemaliger Mitarbeiter von Frank Schäffler im Bundestag, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin und Research Fellow bei IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Die Debatte um Einwanderung, Integration und Flüchtlingspolitik wird von fortschrittspessimistischen Schwarzmalern einerseits und faktenresistenten Romantikern andererseits dominiert. Einig sind sich beide darin, Migration primär anhand ihrer Nützlichkeit für den Staat und die Sozialsysteme zu bewerten. Liberale Einwanderungspolitik dagegen baut auf der Überzeugung auf, dass das Ideal der Offenen Gesellschaft nicht an der Staatsgrenze endet.

In einer Publikationsreihe der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ist kürzlich der Sammelband „Offene Grenzen? Chancen und Herausforderungen der Migration” erschienen, herausgegeben von Annette Siemes, Referentin am Liberalen Institut, und Clemens Schneider, mit einem Vorwort von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Der Band lässt sich auf den Seiten der Naumann-Stiftung kostenfrei herunterladen oder bestellen!

Migration und Mehrheitsgesellschaft: Das Spannungsfeld von Selbstschutz und Offenheit

Sabine Beppler-Spahl fragt, weshalb so viele Menschen in den Industriestaaten der Einwanderung gegenüber skeptisch bleiben, obwohl die wirtschaftlich positiven Folgen der Immigration in der Wissenschaft kaum umstritten sind. Es ist die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität und der eigenen Werte, die Einwanderungskritiker wie Thilo Sarrazin (“Deutschland schafft sich ab”) oder den britischen Politiker Nigel Farage (“I’d rather be poorer with fewer immigrants.”) so populär macht. Einwanderung bringt Neues, Anstrengendes mit sich und führt nicht selten dazu, dass längst gelöst geglaubte Grundsatzfragen wieder neu diskutiert werden, wie die Debatten um ein mögliches Burka-Verbot zeigen.

Am Beispiel der USA zeigt die Autorin auf, dass Einwanderung nicht mit dem Verlust alter Identitäten einhergehen muss, sondern – im Gegenteil – das Leben und Selbstverständnis der Einheimischen sogar bereichern kann. Doch was unterscheidet die historischen USA vom heutigen Deutschland (und auch von den heutigen Vereinigten Staaten)? Integration sei nicht als Staatsaufgabe angesehen worden, Migration geschah nicht vordringlich unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit und die selbstsichere amerikanische Kultur – der American “Way of Life” – wirkte auf die Immigranten ungeheuer anziehend. Doch heute werde der Umbau Deutschlands zur Einwanderungsgesellschaft als technokratisches Elitenprojekt wahrgenommen, vorbei am Bürger und dessen Wünschen.

Es sei wichtig, zu diesem Schluss kommt die Autorin, dass die Einwanderungspolitik demokratisiert und die Interessen der Abgehängten wieder ernst genommen werden: “Darf eine Bevölkerung also entscheiden, die Grenzen des eigenen Landes zu schließen? Ja, das darf sie.” Aber damit sie es nicht tut, müssen die Befürworter einer Welt offener Grenzen ihre guten Argumente stärker in die Debatte einbringen. Es ist ein Fehler, sich nur auf die wirtschaftlichen Vorzüge verstärkter Einwanderung zu konzentrieren. Stattdessen muss der Einwanderer selbst in den Mittelpunkt der Debatte rücken, denn in letzter Konsequenz geht um persönliche Freiheit: “Menschen dort festzuhalten, wo sie durch Zufall geboren wurden, erinnert an die feudalen Fesseln des Mittelalters, das persönliche Mobilität kaum ermöglichte.”

Offene Grenzen und institutioneller Wandel

Kalle Kappner schildert die Rolle, die offene Grenzen als menschenrechtspolitisches Instrument einnehmen können. Den westlichen Staaten sei daran gelegen, ihr Modell der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Offenen Gesellschaft zu verbreiten und vormoderne Gesellschafts- und Staatsformen die Unterstützung zu entziehen. Doch die Rolle, die freie Migration bei der Beseitigung von Diktaturen und Unrechtsstaaten einnehmen könne, werde stark unterschätzt. Dabei habe sich die Abwanderung (oder deren Androhung) als Druckinstrument unterdrückter Bevölkerungsschichten historisch bewährt und sei auch aktuell in vielen Fällen viel wirkungsvoller als der Versuch, der herrschenden Elite demokratische Mitbestimmungsrechte abzuringen.

Staaten mit extraktiven Institutionen, in denen eine politische Elite die persönliche Bereicherung als oberstes Staatsziel ansieht, seien zum Wandel gezwungen, wenn ihrer Bevölkerung die Möglichkeit zur Abwanderung geboten werde: “Um ihre Privilegien zumindest teilweise zu retten, müssen sie die Institutionen inklusiver gestalten, sodass die Abwanderung für ihre Untertanen relativ weniger lohnenswert erscheint.” Individuelle internationale Mobilität könne so einen gesunden Systemwettbewerb in Gang bringen; Schon die Androhung der Emigration könne in vormodernen Gesellschaften einen Wandel vorantreiben.

Doch die geschlossenen Grenzen der westlichen Staaten mit ihren attraktiven Staatsmodellen nehmen den Opfern von Diktatur und Unrecht ihr wichtigstes Druckinstrument. Die Weltgesellschaft ist geschlossen. Das Recht der internationalen Mobilität ist nicht nur äußerst ungleich verteilt; Ausgerechnet die Bürger der unfreisten Länder haben auch die geringsten Auswanderungsmöglichkeiten. Ein Ausbau des Asylrechts könne hier keine Abhilfe schaffen, denn dieses habe ganz andere, auf individuelle Schicksale konzentrierte Ziele. Stattdessen müssten offene Grenzen zukünftig bewusst als Instrument der Menschenrechtspolitik eingesetzt werden – nicht um eine globale Völkerwanderung auszulösen, sondern um weltweit Anreize zur Modernisierung und Demokratisierung zu schaffen.

Nation: Fiktion und Konstruktion

Clemens Schneider analysiert  in seinem Beitrag das Konzept der Nation, dessen philosophische Grundlagen und die Überhöhung des Nationalstaates zum metaphysischen, mit einem eigenen Willen und mit Souveränität ausgestatteten Geschöpf. Die Nation habe ihren Ursprung im archaischen Stammesdenken und in der unzulässigen Übertragung von für Kleingruppen angemessenen Regeln und Idealen auf die große Gesellschaft. Der exklusive, auf den Schutz einer homogenen Gemeinschaft ausgelegte Nationalstaat lebe von der “falsche[n] Erwartung, dass die Großgruppe dasselbe Maß und dieselbe Art von Altruismus und Solidarität gewährleisten kann wie die Kleingruppe”.

Als weitere Quelle des Nationalismus sei auch der Rückzug der Religiosität auszumachen, der das Vakuum für den Nationalstaatsglauben schaffe. Auch das populäre Konzept der sogenannten Kulturnation sei bei genauerer Betrachtung kaum von ethnisch-rassistisch begründeten Abgrenzungskriterien zu unterscheiden. Der Wohlfahrtsstaat in seiner derzeitigen Ausprägung schließlich stütze den Nationalismus, denn er mache Abgrenzung und Exklusivität zwingend erforderlich. Die wenig bequeme Schlussfolgerung lautet: “Nationalismus und Sozialismus sind Zwillingsbrüder.”

Dass der Nationalstaat nicht ohne Alternative ist, zeige die Geschichte: Historisch seien alle zivilisierten Staaten inklusiv verfasst gewesen, wie der Verfasser mit Karl Popper feststellt. Persien, Rom, das britische Weltreich, all diesen Staaten ging es um territoriale Expansion und nicht um ethnische Exklusivität: “Weil inklusive Staaten stets auf Ausweitung zielen, ist nicht Abgrenzung das Charakteristikum dieser Staaten, sondern ein verhältnismäßig hohes Maß an Toleranz gegenüber anderen Kulturen.” Heute sei das Konzept des Nationalstaates auf dem absteigenden Ast, Staatlichkeit müsse zukünftig ohne Nation gedacht werden. Dazu bedürfe es einer Rückbesinnung auf die eigentlichen, nicht metaphysisch überhöhten Funktionen des Staates: “Ein Staat, der sich auf die Durchsetzung der Herrschaft des Rechts und die Sicherung der Freiheit und Unversehrtheit seiner Bürger konzentriert, ist ein Staat, der für jeden zugänglich sein kann. Er könnte die moderne, non-imperialistische Variante des inklusiven Staates sein.”

Offene Gesellschaft? Deutschland als Zuwanderungs- und Einwanderungsland

Annette Siemes liefert in einem abschließenden Beitrag einen Überblick über die derzeit stattfindende Migration nach Deutschland und die EU, erläutert rechtliche Grundlagen der Einwanderung und des Asyls, beschreibt die Bedeutung und Zusammensetzung von Migranten in Deutschland und schneidet kontroverse Themen wie das Wahlrecht, die Religionsausübung, Parallelgesellschaften, das fragwürdige Ideal der deutsche Leitkultur und die Erfolge und Misserfolge der Integrationspolitik an. Abschließend skizziert sie, wie eine liberale Reform des deutschen Einwanderungsrechtes aussehen könnte.

Dreh- und Angelpunkt der Immigration sei das deutsche Grundgesetz, das nicht nur Offenheit für Einwanderer nahelege, sondern auch für Immigranten eine fundamentale Bedeutung einzunehmen habe: “Grundbedingung für einen liberalen Integrationsbegriff ist somit immer die Kenntnis des Grundgesetzes und die Respektierung der Gesetze, die bürgerlichen Freiraum gewährleisten.” Der liberale Rechtsstaat habe kulturelle Gewohnheiten und Sitten, ja auch Kleidungsstile zu tolerieren, solange diese nicht mit dem Grundgesetz und den darauf aufbauenden gesetzlichen Grundlagen kollidieren. Fragen des Geschmacks seien nicht politisch zu lösen, sondern in der Zivilgesellschaft auszudiskutieren. Ein wichtiges und distinktives Ziel liberaler Einwanderungspolitik ist also die Begrenzung der Rolle des Staates – sowohl was die Selektion von Einwanderern als auch deren Integration und Entfaltung angeht.

Das Asylrecht müsse ausgebaut und stärker in kommunale Verantwortung gelegt werden, die EU-weiten Regelungen diesbezüglich seien stark reformbedürftig. Einwanderern solle zukünftig mittels eines kommunalen Wahlrechts, der doppelten Staatsbürgerschaft und einer Einbürgerungsperspektive nach vier Jahren Aufenthalt auch die politische Bindung an ihre neue Heimat ermöglicht werden, denn der Einwanderer sei als politisch befähigtes und gleichberechtigtes Mitglied des Gemeinwesens und nicht als fremdes und lediglich zu tolerierendes Element wahrzunehmen: “Ein dauerhafter Lebensmittelpunkt bedingt einen Anspruch auf Partizipation und Repräsentation. Wo langfristig gearbeitet wird, wo Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden, ist eine höhere Identifikation mit der Gesellschaft zu erwarten. Dieser Identifikation muss eine Gesellschaft freier Bürger mit stärkeren politischen Rechten begegnen.”

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog Offene Grenzen am 17. März 2015.

Bildungsrepublik Deutschland – das war das Ziel, das die Bundeskanzlerin vor sieben Jahren bei einer Festveranstaltung zu „60 Jahre Soziale Marktwirtschaft“ ausgab. Wenn über Haushaltskonsolidierung gesprochen wird, sind Ausgaben für Bildung stets von Kürzungen ausgenommen. Und als sich kürzlich eine 17jährige Schülerin über das Schulsystem beklagte, waren sofort Politiker aller Couleur vor den Mikrofonen, um Lösungen zu präsentieren. Das Problem an diesem enormen Ansehen, das Bildung im öffentlichen Diskurs genießt: Politiker nehmen sich sehr gern des Themas an. Und wenn sich Politiker eines Themas annehmen, ist die Gefahr immer sehr groß, dass das Ergebnis zu Lasten der Freiheit der Bürger ausfällt. Besser wäre es, wenn die Politik mehr Bildungsfreiheit gewähren würde, anstatt noch mehr zu regulieren und zu „gestalten“.

Im Dezember vergangenen Jahres erschien ein schöner Sammelband zu dem Thema: „Bildung für alle – Bildungsvielfalt im Ideenwettbewerb“. Mehrere Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und einige weitere Autoren haben die Ergebnisse einer Konferenz zusammengetragen. Es ist erfreulich zu sehen – und zu lesen –, wie engagiert, klug und kreativ sich nachwachsende Freunde der Freiheit dieses zentralen Themas annehmen. Zumal sie in ihren Überlegungen und Vorschlägen tatsächlich innovativ in die Zukunft denken und sich nicht mit kleinen Korrekturvorschlägen zufrieden geben. Die Lektüre lohnt sich!

Mehr Freiraum wird dem Individuum gerecht

Unter der Überschrift „Das freiheitliche Bildungsideal“ skizziert Kristina Kämpfer einige Grundzüge dessen, wie freiheitliche Bildung aussehen sollte. Zentral ist dabei das Ideal der Vielfalt. Je mehr Optionen den Kindern und deren Eltern zur Verfügung stehen, umso eher kann man dem jeweiligen Individuum gerecht werden. Eng verbunden ist damit das Ideal von größtmöglicher Autonomie der Bildungseinrichtungen wie der Bildungsempfänger. Bildung, so Kämpfer, „soll zur Mündigkeit befähigen und stellt das Individuum sowie seine Förderung in den Mittelpunkt.“

Der nächste Artikel von Björn Urbansky ist überschrieben „Der Ideenwettbewerb als Entdeckungsverfahren und Lösung gesellschaftlicher Konflikte“ und nimmt sich vor, Bildungsfragen aus dem Blick der Wissenstheorie des Sozialphilosophen Friedrich August von Hayek zu untersuchen. Urbansky plädiert für Wettbewerb im Bildungswesen, weil Wettbewerb zwischen Bildungsträgern Innovation hervorbringen kann. Neue und kreative Ansätze können sich so viel besser gegen sklerotische und festgefahrene Bildungskonzepte durchsetzen. Eltern und Schüler erlangen durch ihre Entscheidung an einem Markt wieder die Entscheidungshoheit darüber, welche Art der Bildung und Erziehung sie am meisten überzeugt. Nur so kann ein Bildungssystem entstehen, „das der Vielfalt der Gesellschaft gerecht wird.“

Dr. Dagmar Schulze Heuling beschäftigt sich in ihrem Aufsatz „Die Bildunsgpflicht – ein Kompromiss zwischen Schulpflicht und Bildungspflicht?“ mit einer Alternative zu Schulpflicht. Auch von freiheitlich gesinnten Menschen wird die Schulpflicht oft als unverzichtbar dargestellt, gerade wenn es darum geht, allen Kindern und Jugendlichen gleiche Chancen zu ermöglichen – unabhängig von ihrer Herkunft. Erst in der Schule, so die etwas blauäugige Argumentation, könne ein junger Mensch aktives und informiertes Mitglied der Gesellschaft werden. Dagegen befürwortet Schulze Heuling die Idee, als Kompromiss die Schulpflicht durch eine liberalere Bildungspflicht zu ersetzen, wie sie heute schon in vielen Ländern in Kraft ist: „Bei der Bildungspflicht ist nicht der Besuch einer Schule verpflichtend, sondern das Erreichen bestimmter, allgemein festgelegter Bildungsziele.“ Auch auf diesem Weg würde Raum für mehr Alternativen und mithin für mehr Selbstbestimmung von Eltern und Schülern geschaffen.

Individuelle statt pauschaler Gerechtigkeit

Aus Sicht der Psychologie beschäftigt sich Mareike König mit dem Fragenbereich „Individualisiertes Lehren und individuelles Lernen“. Den Rahmen steckt sie gleich zu Beginn des Aufsatzes fest mit der Feststellung: „Jedem erscheint es intuitiv einleuchtend, dass ein Kind seine Fähigkeiten am besten entfalten könnte, würde es gemäß seiner eigenen Begabung und seines individuellen Leistungsniveaus gefördert.“ Eingehend kritisiert sie standardisierte Tests, die sich darauf beschränken, die Fähigkeit abzuprüfen, genau diesen konkreten Test zu bestehen, der aber oft nur sehr eingeschränkt Informationen transportieren kann. Sie wagt sich auch auf das verminte Feld der Chancengleichheit. Wer wollte diese nicht? König warnt aber davor, dass diese Idee der Chancengleichheit häufig zu einer Nivellierung führen kann, die letztlich keinem Kind gerecht wird – dies gilt insbesondere für die ohnehin schon Benachteiligten. Lehren und Lernen, die auf die Individualität der jungen Menschen Rücksicht nehmen, sind der richtige Weg, um ihnen tatsächlich gerecht zu werden.

Der nächste Aufsatz in dem Band stammt aus der Feder des Verfassers und widmet sich der These „Eingangsprüfungen statt Abschlussprüfungen – Plädoyer für ein individuell gerechtes Bildungskonzept“. Wie König kritisiert auch Schneider die Vorstellung, man könne im Bildungswesen mit Hilfe von Vergleichen zu einem Ergebnis kommen. Ähnlich wie in der Planwirtschaft können auch bei einem zentralistischen Bildungssystem niemals Informationen im ausreichenden Umfang und Ausmaß erhoben werden, um sinnvoll vergleichen zu können. Schneider kritisiert das bestehende System, das auf Abschlussprüfungen beruht und plädiert stattdessen für ein System, bei dem die aufnehmenden Bildungseinrichtungen mittels Eignungstests über die Aufnahme der jungen Menschen entscheiden. In diesem System könnten die für die weitere Ausbildung nötigen Fähigkeiten und Begabungen wesentlich zielgenauer erfasst werden.

Martin Thoma widmet sich der „Akademisierung von Fachkräften im Gesundheitswesen“. An einem ganz konkreten Beispiel verdeutlicht Thoma anschaulich, welche Auswirkungen die durch die OECD stark geförderte zunehmende Akademisierung in Deutschland zeitigt. Dabei bewertet er die Möglichkeit einer akademischen Ausbildung für Pflegekräfte positiv und als wichtigen Schritt hin zu mehr Freiheit. Die Zahl der Studierenden soll sich freilich nicht an einer Quote orientieren, sondern soll durch die Erfordernisse der Pflegewirtschaft und der Ausbildungsinstitutionen bestimmt werden. Ein Fortschritt ist auf jeden Fall die größere Durchlässigkeit innerhalb des Bildungssystems, die an diesem Beispiel konkret manifest wird, weil die Zugangschancen signifikant erhöht wurden.

Bildung: besser kostbar als kostenlos

Der Hochschulbildung wenden sich im nächsten Aufsatz Bernhard Kuske und Florian Hartjen zu, der wesentlich zum Zustandekommen des Bandes beigetragen hat. Unter dem Titel „Bildungsrendite in Eigenverantwortung – ein Plädoyer für eine private Hochschulbildung“ beschäftigen sie sich mit Modellen der Hochschulfinanzierung. Ein Hochschulstudium kostet ziemlich viel Geld und darum ertönt oft der Ruf nach einem „kostenlosen Studium“, das durch BaföG-Kredite und/oder die Sozialisierung der Studiengebühren ermöglicht wird. Indem das Studium aber für Studenten keine unmittelbaren Kosten verursacht, entstehen Fehlinformationen. Das führt zu einer hohen Quote an Studienabbrechern. Gleichzeitig werden nur Hochschul-Bildungsinvestitionen in einem so großen Ausmaß gefördert, während demgegenüber Investitionen wie zum Beispiel Unternehmensgründungen oder auch eine nicht-akademische Ausbildung benachteiligt sind. Ihr Gegenvorschlag zu staatlicher Hochschulfinanzierung lautet deshalb: „Stipendienprogramme und studienbezogene Finanzprodukte beherbergen großes Potenzial, da durch die strukturelle Diversität auch gerade auf benachteiligte Studenten eingegangen werden kann.“

Der letzte Aufsatz stammt von Mihael Duran und stellt das Konzept „Bildungsgutscheine“ vor. In diesem Modell wird pauschale Finanzierung von (vornehmlich staatlichen) Bildungseinrichtungen ersetzt durch die Ausgabe von Gutscheinen, durch den Staat, die Eltern und Schüler zu der Bildungseinrichtung ihrer Wahl mitnehmen können. Dadurch kann echter Wettbewerb zwischen den Einrichtungen hergestellt werden, der für hochwertigere Bildung sorgt, und auch für eine, die besser auf die individuelle Situation des Lernenden angepasst ist. Duran geht auch auf die substantiellen Unterschiede dieses Systems in Bezug auf unterschiedliche Bildungsphasen (Kindergarten, Schulen, Hochschulen) ein und adressiert ausführlich mögliche Lösungen. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt er auf, wie die Idee der Bildungsgutscheine praktisch umgesetzt werden kann.

Eingeleitet wird der Band mit einem Vorwort der FDP-Generalsekretärin Nicola Beer und abgeschlossen mit einem Nachwort des Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung, Dr. Wolfgang Gerhardt, zum Thema „Lernen als Ethos der Solidarität“. Von Seiten der Friedrich-Naumann-Stiftung erfolgte die Betreuung des Buchprojekts durch Dr. Peter Altmiks und Dr. Kathleen Klotchkov, die auch als Herausgeber firmieren.

Photo: Navy Hale Keiki School from Flickr

Es gibt nur wenig Ökonomen in Deutschland, die die komplexen Zusammenhänge der Geldpolitik und ihre Folgen für die Bürger, Unternehmen und den Staat verständlich darstellen können. Hans-Werner Sinn ist einer davon. Ihm ist es gelungen, die Problematik der Taget-Salden im Euroverbund für jedermann verständlich darzustellen. Denn gemeinhin wird in der Politik und in Teilen der Industrie die These vertreten, der Euro sei ein Segen für Deutschland. Dass er Risiken birgt, die sich in den wachsenden Ungleichgewichten im Euroverbund ausdrücken, war zwar nicht neu. Für eine breite Öffentlichkeit war jedoch die Quantität und genaue Auswirkung in der Zahlungsbilanz der jeweiligen Eurostaaten neu.

Dass sich dies im Zahlungsverkehrssystem Target 2 der Notenbanken des Eurosystems ausdrückt, konnte Sinn nachweisen und populär machen. Letztlich „drucken“ die Notenbanken der Krisenstaaten im Euroverbund Geld auf Kosten der anderen. Ein Ausgleichmechanismus existiert nicht. Letztlich leben diese Länder und deren Zentralbanken auf Pump und bekommen vom Eurosystem einen Kredit der übrigen Zentralbanken.

Ein anderer Ökonom, der komplexe Zusammenhänge verständlich darstellen kann, ist Thomas Mayer. Er ist ein Ökonom, der durch seine regelmäßige Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist. Anders als Sinn kommt Mayer aus der Praxis der Bankenwelt. Über Stationen beim Internationalen Währungsfonds (IWF), Goldman Sachs und Deutsche Bank, wo er lange Zeit Chefvolkswirt des größten Geldhauses in Deutschland war, ist er nun Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute in Köln. Im Ehrenamt ist er darüber hinaus Kuratoriumsvorsitzender des Berliner Think Tanks „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“.

Ende 2014 hat er ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Buch veröffentlicht. „Die neue Ordnung des Geldes – Warum wir eine Geldreform brauchen“. Thomas Mayer outet sich darin als „Österreicher“. Nicht von Geburt wegen, sondern aus ökonomischer Sicht. Die Österreichische Schule der Nationalökonomie hat in den letzten Jahren, besonders seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007, zunehmend Anhänger gefunden. Sie baut auf den Grundlagen der österreichischen Ökonomen Carl Menger, Eugen Böhm von Bawerk, Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek, dem Wirtschaftsnobelpreisträger von 1974, auf.

Gerade bei jungen Akademikern, die sich mit der neoklassischen Gleichgewichtstheorie oder mit den Lehren von John Maynard Keynes und seinen geistigen Nachfolgern die Krise und ihre Folgen nicht erklären können, ist die Österreichische Schule zunehmend beliebt. Sie sieht im staatlichen Geldmonopol und der Schaffung von Kredit und damit Geld aus dem Nichts („Fiat Money“) die eigentliche Ursache der immer wiederkehrenden und immer größer werdenden Finanzkrisen auf dieser Welt.

Für Thomas Mayer waren die Österreicher lange die ungezähmten Wölfe in der domestizierten Ökonomenwelt. Doch in den letzten Jahren entwickelte er sich zunehmend selbst zu einem ökonomischen Isegrim. Mit seinem aktuellen Buch demonstriert er das und geht mit Biss an die Wurzel des Übels. Er bleibt nicht in der real existierenden Geldplanwirtschaft hängen und versucht die Planwirtschaft etwas besser zu gestalten. Nein, er sieht sie als Beute. Er will der Planwirtschaft ein Ende machen. Er fordert eine neue Geldordnung und schlägt konkret vor, wie sie aussehen soll.

Das tut er Schritt für Schritt. Zu Beginn klärt er, was Geld eigentlich ist und wie es entsteht. Er ist sich da nicht ganz sicher. Er legt sich nicht fest. Die traditionelle Begründung, die von Adam Smith stammt, erscheint ihm nicht ganz logisch. Smith vertrat die These, dass Geld aus der Tauschwirtschaft entstanden ist, um diese zu erleichtern. Thomas Mayer stellt dem die anthropologisch-historische Begründung der Geldentstehung entgegen, wie sie von David Graeber von der London School of Economics vertreten wird. Diese sieht die Entstehung des Geldes eher im Aufkommen eines Schuldverhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner. „Was ist Geld für uns heute?“ Es ist von alledem etwas, so Mayer. Es ist Warengeld, das als Tauschmittel verwandt wird. Es ist Schuldgeld, das aus Lieferung von Waren oder durch Arbeit hervorgegangen ist, und es ist Kreditgeld, das durch die Zentralbanken aus dem Nichts geschaffen wird.

Das Geld aus dem Nichts hat der Sozialist Silvio Gesell Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als ein staatlich verordnetes „Schwundgeld“ vorgeschlagen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn das Geld von Jahr zu Jahr immer weniger Wert ist, bekommen die Geldhalter einen Anreiz, es schneller auszugeben. Tatsächlich hat der geistige Nachfolger Silvio Gesells, der britische Ökonom John Maynard Keynes, den Gedanken verfeinert und die Politik aller Notenbanken geprägt, bis heute. Mario Draghi ist der eigentliche Silvio Gesell des 21. Jahrhunderts. Er setzt alles daran, dass der Euro an Wert verliert.

Die Beschreibung der Entstehung des Geldes bringt Thomas Mayer zu einer grundsätzlichen Unterscheidung – der zwischen Passiv- und Aktivgeld. Im heutigen Geldsystem ist Geld im wesentlichen Passivgeld, das durch die Kreditvergabe der Banken entsteht, die in einer öffentlich-rechtlichen Partnerschaft mit den staatlichen Zentralbanken stehen, die im Zweifel als Kreditgeber der letzten Hand das fragile Schuldgeldsystem sichern.

Der Geldschöpfungsprozess und dessen Steuerung durch die Zentralbanken verändern die relativen Preise von Waren und Dienstleistungen und führen zu wachsender Ungleichheit. Diesen Effekt, den der irische Ökonom Richard Cantillon im 18. Jahrhundert entdeckte, führt dazu, dass diejenigen, die das neue Geld zuerst erhalten, besonders profitieren: der Staat über die Notenbanken und die Banken über den Geldschöpfungsprozess. Die Konsumenten erhalten das neue Geld später zu einem höheren Preis, und wenn sie es anlegen statt zu konsumieren, erhalten sie keinen oder nur einen geringen Zins.

Die Vernichtung des Zinses, die der von Mario Draghi geführte EZB-Rat derzeit betreibt, ist nach Überzeugung der Österreichischen Schule der Nationalökonomie eine fatale Entwicklung. Denn der Zins ist Ausdruck der Zeitpräferenzrate. Er drückt den Preis des Verzichts des Geldgebers aus, der auf heutigen Konsum verzichtet, um diesen später nachzuholen. Wer den Zins abschafft, ermöglicht heute Investitionen, die sich unter normalen Marktbedingungen nie gelohnt hätten. Und es erlischt die Bereitschaft, Konsumverzicht im Heute zu üben, um im Morgen konsumieren zu können. Es entwickelt sich eine Freibiermentalität, die eine Gesellschaft verarmen lässt, weil sie ihren Kapitalstock zerstört.

Deshalb plädiert Thomas Mayer für eine Aktivgeldordnung, deren Geld gedeckt ist und die nicht aus dem Nichts Geld schaffen kann. Dabei ist er nicht so streng wie viele „Österreicher“, von denen etliche meinen, nur Gold oder Silber könnten die Rolle einer Währungsdeckung übernehmen. Das sieht Mayer nicht so. Er hält auch die Cyberwährung Bitcoin, die durch das Vertrauen in den dahinterliegenden Algorithmus gedeckt ist, für eine mögliche Form von Aktivgeld. Er zieht die rote Linie bei einem Umfunktionieren von Aktivgeld zu Schuldgeld, wie es mittels fraktioneller Reservehaltung bei der Zentralbank entsteht, weil in einem Schuldgeldsystem Kreditschöpfung ohne vorangegangenes Sparen möglich ist.

Gegen das Geld aus dem Nichts stellt Thomas Mayer einen Vorschlag Friedrich August von Hayeks, der 1975 erstmals in einer Vorlesung an der London School of Economics die Idee eines Geldwettbewerbs vorgestellt und ein Jahr später in seinem Buch „Entnationalisierung des Geldes“ präzisiert hat. Mayer plädiert für einen Rückzug des Staates und tritt wie Hayek für einen sich in überschaubaren Schritten nach Notwendigkeit verändernden („evolutorischen“) Übergang vom staatlich geschützten Monopolgeld hin zu einem Geldwettbewerb auch privater Geldemittenten ein. Dieses Modell hat den Charme, dass es ohne tiefgreifende Unwuchten möglich ist, von der einen Welt in die andere zu gelangen.

Alle anderen Modelle, auch wenn sie die Schwächen des Euros in Ansätzen richtig analysieren, scheitern bei ihrem Lösungskonzept am Übergangsproblem. Das Passivgeldsystem verträgt keine Deflation, die durch plötzliche Währungsturbulenzen ausgelöst werden würde. So wäre ohne Insolvenzen auf beiden Seiten etwa eine Rückkehr zur D-Mark oder die Einführung eines Nord- oder Südeuros nicht möglich. Denn es finden willkürliche Zusammenbrüche von Marktteilnehmern statt, je nachdem, ob sie Forderungen  oder Verbindlichkeiten im späteren „Hartwährungsland“ oder im „Weichwährungsland“ haben.

Welche Wirkungen eine plötzliche Abwendung vom Euro im Kleinen bedeutet, konnte im Januar 2015 bei der Aufgabe der Bindung des Schweizer Frankens an den Euro verfolgt werden. Hier hatte sich ein Hartwährungsland drei Jahre lang an den Weichwährungsraum geklammert. Die anschließende Aufgabe dieser Planwirtschaft führte zu einer Aufwertung des Schweizer Frankens von 15 Prozent innerhalb eines Tag. Das gibt einen Vorgeschmack auf das, was wäre, wenn die Eurozone aufgelöst oder geteilt würde. Die ökonomischen Unterschiede zwischen Griechenland, der Slowakei oder Portugal auf der einen Seite und Deutschland, den Niederlanden oder Finnland auf der anderen Seite sind viel größer als der Unterschied zwischen der Schweiz und dem Euroraum insgesamt. Und der Euro besteht nicht erst seit drei Jahren, sondern seit 1999.

Die Alternative zum Euro ist für Thomas Mayer aus gutem Grund nicht die Abwendung vom Euro, sondern die Zuwendung zum Gedanken eines Währungswettbewerbs, in dem der Euro mit anderem Geld konkurrieren würde. Wie groß sind die Aussichten, dass es zu einem solchen Wettbewerb kommt? So groß, wie der öffentliche Druck groß ist, eine entsprechende politische Entscheidung herbeizuführen. Wer sich für das Zulassen eines Geldwettbewerbs stark macht, hat ein gutes Argument: Der Gesetzgeber müsste nicht mehr tun, als die Regelungen, die den Euro als gesetzliches Zahlungsmittel definieren, aufzugeben. Der Rest würde sich in einer Marktwirtschaft im Wettbewerb sortieren, und es könnte sich zeigen, ob ein anderes Geld dem Euro erfolgreich Paroli bieten kann.

Für eine solche Reform der europäischen Geldpolitik braucht es zwar nur eines gesetzgeberischen Federstrichs, doch dessen Zustandekommen braucht parlamentarische Mehrheiten, die wie alle Mehrheiten aus kleinen Anfängen erwachsen. Thomas Mayer hat einen solchen Anfang gemacht. Sein Plädoyer für eine neue Ordnung des Geldes zeigt, warum wir eine Geldreform brauchen. Und dieses Wir meint nicht „Wir Banker“, deren Chefvordenker er bei der Deutschen Bank einst war, dieses Wir meint alle Bürger, die in der Ausweitung der Marktwirtschaft auf die Geldordnung eine Möglichkeit sehen, die Aussicht auf „Wohlstand für alle“ wieder wahr werden zu lassen.

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