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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre.

Berlin ist sexy – keine Frage. Die Vorzüge Berlins lockten von 2011 bis 2017 jährlich etwa 40.000 neue Einwohner an. Neuankömmlinge können sich sogleich auf ein Erlebnis der besonderen Art freuen: die Berliner Verwaltung. Ob Wohnsitz oder Auto anmelden, Heirat oder neuer Personalausweis – Berliner müssen warten, oft mehrere Wochen, bis sie einen Termin bei der zuständigen Stelle bekommen. Zur Verwaltung Berlins titelt der Tagesspiegel: „Jeden Tag eine neue Katastrophe“. Der umtriebige Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer spottet gar: „Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands!“

Die Gründe für das Berliner Verwaltungsdesaster werden häufig in der zu dünnen Personaldecke der Verwaltung gesehen und zur Lösung des Schlamassels eine Aufstockung des Personals gefordert. Doch Berlin setzt seit Jahren mit deutlichem Abstand mehr Personal in der Verwaltung ein als jedes andere Bundesland, die anderen beiden Stadtstaaten eingeschlossen. Nicht Personalnot, sondern eine schlechte Organisation scheint das Problem zu sein.

Mehr Personal nicht unbedingt schlecht

Ein relativ hoher Personaleinsatz ist nicht unbedingt schlecht. Wie Unternehmen müssen auch staatliche Organisationen abwägen, wie viel Personal sie einsetzen, um Leistungen zu erbringen. Führt ein hoher Einsatz von Personal etwa zu schnelleren Verwaltungsverfahren, profitieren die Bürger unmittelbar davon und ein hoher Personaleinsatz kann gerechtfertigt sein.

Niemand setzt mehr Personal als Berlin ein

Stadtstaaten wie Berlin nehmen auch Aufgaben wahr, die in anderen Bundesländern von kommunalen Verwaltungen übernommen werden. Für einen sinnvollen Vergleich aller Bundesländer müssen daher bei Flächenstaaten auch die Stellen der kommunalen Gebietskörperschaften berücksichtigt werden. Ein Blick auf diese aggregierte Beschäftigungsstatistik des öffentlichen Dienstes offenbart, dass Berlin im Vergleich der Bundesländer relativ zur Einwohnerzahl am meisten Personal einsetzt.

Im Jahr 2017 beschäftigten das Land Berlin und die 12 Berliner Bezirke pro 1.000 Einwohner das Äquivalent von gut 50 Vollzeitmitarbeitern, während das Land Schleswig-Holstein und seine Kommunen mit gut 37 Vollzeitmitarbeitern auskamen.

Zwar ging der Personaleinsatz bis zum Jahr 2008 zurück. Trotzdem wurden auch bei diesem Tiefstand in Berlin 5 Vollzeitstellen pro 1.000 Einwohner mehr eingesetzt als im zweit personalintensivsten Bundesland, nämlich Sachsen-Anhalt. Seit 2008 wurden in Berlin umgerechnet gut 20.000 zusätzliche Vollzeitmitarbeiter im öffentlichen Dienst eingestellt. Das Berliner Bevölkerungswachstum der letzten Jahre hat deshalb nicht dazu geführt, dass dort heute weniger Angestellte im öffentlichen Dienst pro 1.000 Einwohner eingesetzt werden. Vielmehr ist der Personaleinsatz gestiegen und hat sich auf einem hohen Niveau stabilisiert. Ein „Kaputtsparen am Personal“ lässt sich aus diesen Daten nicht ableiten.

Sonderrolle Stadtstaat?

Gewiss ist Berlin als Stadtstaat in einer Sonderrolle. So kann eingewendet werden, dass Berlin das Nachbarland Brandenburg teilweise mit Verwaltungsaufgaben mitversorgt. Doch dies gilt ebenso für Hamburg und Bremen. Der Stadtstaat Bremen kommt mit deutlich weniger Personal aus als Berlin und liegt im Mittelfeld aller Bundesländer.

Auch der Abstand Berlins zum zweitplatzierten Bundesland, Hamburg, ist beachtlich. Berlin setzt pro 1.000 Einwohner knapp 6 Vollzeitmitarbeiter beziehungsweise 13 Prozent mehr Personal ein als Hamburg.

Vergleich mit Hamburg: Mehr Personal, mehr Leistung?

Für die Verwaltung der Verkehrs- und Nachrichteninfrastruktur werden mehr als doppelt so viele Beschäftigte pro 1.000 Einwohner eingesetzt als in Hamburg. Es könnte sein, dass Berlin seinen Bürgern eine bessere und umfangreichere Infrastruktur zu Verfügung stellt als Hamburg. Dann wäre ein höherer Personaleinsatz durchaus gerechtfertigt. Es ist schwierig den Umfang und die Qualität beider Stadtstaaten im Bereich Verkehr anhand eines Indikators zu vergleichen. Doch es gibt Indizien, dass die zusätzlichen Beschäftigten in Berlin im Bereich Verkehr nicht mehr Dienstleistungen bereitstellen, als ihre Kollegen in der Hansestadt.

So muss Hamburg 2.485 Brücken instand halten, das sind 1,4 Brücken pro 1.000 Einwohner, während in Berlin 916 Brücken, also 0,3 Brücken pro 1.000 Einwohner unterhalten werden müssen. Die Berliner Verkehrsgesellschaft beförderte im Jahr 2017 pro Einwohner Berlins 294 Fahrgäste. Der Hamburger Verkehrsverbund beförderte pro Einwohner Hamburgs 426 Fahrgäste im Jahr 2017. Berlin betreibt allerdings mehr Flughäfen. Hamburg hat nur einen funktionierenden Flughafen, Berlin zwei und den BER.

Im Bereich Soziales setzt Berlin 1,7 Vollzeitmitarbeiter pro 1.000 Einwohner mehr ein als Hamburg. Dies ist zunächst nicht verwunderlich, da die Berliner im Vergleich zu den Hamburgern weniger wohlhabend sind und die Arbeitslosenquote höher ist. Während die Arbeitslosenquote in Berlin um 28 Prozent höher ist als in Hamburg, wird in Berlin 83 Prozent mehr Personal im Bereich Soziales eingesetzt. Auch wenn als Indikator für den Umfang der im Bereich Soziales erbrachten Leistungen die Hartz-4-Quote Berlins, die gut 50 Prozent über dem Niveau von Hamburg liegt, herangezogen wird, setzt Berlin für Soziales überproportional mehr Personal ein als Hamburg.

Doppelzuständigkeit und Schwächen in der internen Verwaltung

Berlin setzt in vielen Bereichen mehr Personal ein als Hamburg, ohne seinen Bürgern erkennbar bessere Dienstleistungen bereit zu stellen – zahlreiche Beispiele sprechen für das Gegenteil. Berliner Verwaltungsangestellte sind wohl kaum weniger begabt oder fleißig als ihre Kollegen in Hamburg, München oder Mainz. Naheliegender ist es, dass ihre Produktivität durch eine mangelhafte Organisation ausgebremst wird.

Eine mangelhafte Organisation offenbart sich beispielsweise in Doppelzuständigkeiten. Für den Bereich Verkehr sind in Berlin teilweise sowohl Polizei als auch das Ordnungsamt zuständig. Auch die Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirksverwaltungen sind in Berlin nicht optimal verteilt. So dauert die Einrichtung eines Zebrastreifens drei Jahre und bedarf 18 Verfahrensschritten, weil Prüfvorgänge sich doppeln und zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen abgestimmt werden müssen.

Im Vergleich zu Hamburg setzt Berlin im Bereich innere Verwaltung gut 3 Vollzeitstellen weniger ein. Die innere Verwaltung übernimmt Aufgaben und stellt Ressourcen bereit, die für die Funktion der Verwaltung essentiell sind. Sie ist unter anderem für Personalfragen, Haushalts- und Rechnungswesen, Controlling, Beschaffung und Kosten-Nutzen-Analysen verantwortlich. Vielleicht sollte Berlin an genau dieser kritischen Stelle der inneren Organisation mehr und anderswo weniger Personal einsetzen.

Dass es auch in Berlin besser geht, zeigt das Land übrigens auf der Einnahmenseite. In der Finanzverwaltung setzt Berlin pro 1.000 Einwohner fast eine halbe Vollzeitstelle weniger ein als Hamburg, dennoch können sich die Berliner über eine relativ schnelle Bearbeitung freuen. Nur das Saarland bearbeitet Steuererklärungen schneller als die Berliner Verwaltung. Wo ein Wille ist, scheint auch in Berlin ein Weg zu sein.

Verwaltung: Berlin kann es auch!

Die gute Nachricht: Der Stadtstaat Hamburg zeigt, dass es möglich ist, unter ähnlichen Bedingungen wie in Berlin mit weniger Personal staatliche Dienstleitungen tendenziell höherer Qualität bereitzustellen.

Der Ruf nach (noch) mehr Personal für die Berliner Verwaltung ist politisch nachzuvollziehen, aber nicht zielführend. Nicht die Ausstattung mit Personal, sondern die Organisation des Arbeitseinsatzes der Mitarbeiter scheint das Problem zu sein. Berlin sollte sich zum Ziel nehmen, von den Vorteilen des deutschen Föderalismus zu profitieren, indem die Stadt von anderen Bundesländern lernt, wie Verwaltungsverfahren besser organisiert werden können.

Erstmals erschienen bei IREF

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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Es gibt gute Gründe, vergleichsweise zuversichtlich auf die zukünftige Entwicklung von Mieten und damit auch Preisen zu blicken: Zum einen wirkt die dezentrale Struktur Deutschlands entlastend. Zum anderen kann der Wohnungsbau voraussichtlich seine mietendämpfende Wirkung entfalten.

Mieten neuvermieteter Wohnungen sind in Deutschland in den letzten Jahren deutlich gestiegen, vor allem in beliebten Ballungsgebieten und besonders stark seit 2010. Die Mietsteigerungen sind maßgeblich auf einen Nachfrageanstieg durch Bevölkerungszuwachs der Metropolregionen zurückzuführen, dem nur verzögert eine deutliche Ausweitung des Wohnungsangebots folgte. Der Anteil der Stadtbewohner an der Gesamtbevölkerung wird auch hierzulande weiter zunehmen. Dennoch gibt es aus der Perspektive von Mietern Gründe, bezüglich der Mietentwicklung optimistisch zu sein: Deutschland ist relativ dezentral organisiert, die Städte können in die Breite wachsen und die stärker zu NIMBYism neigenden Selbstnutzer sind relativ rar, insbesondere in den Städten.

Deutschland weist einige für den Wohnungsmarkt relevante Eigenschaften auf, die gemeinsam das Potential haben, Anstiege der Mieten und davon abgeleitet der Preise für Wohnimmobilien auch zukünftig im internationalen Vergleich niedrig ausfallen zu lassen.

Dezentrale Struktur Deutschlands

Wer in Frankreich oder Großbritannien Karriere machen möchte, den zieht es nach Paris bzw. London. In Deutschland verschlägt es Talente (mittlerweile) nach Berlin, aber auch in München, Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Stuttgart, Köln und einer Vielzahl kleinerer Städte außerhalb der Top-7 sind die Karriereaussichten gut.

Hinsichtlich der Wohnkosten ist eine dezentrale Struktur mit einer Vielzahl kleinerer Städte attraktiver als eine monozentrische Struktur, dominiert von einer großen Stadt. Agglormerationseffekte lassen erwarten, dass das Wohnen im Zentrum einer Stadt aufgrund von Beschäftigungsmöglichkeiten und städtischen Annehmlichkeiten umso attraktiver und damit auch teurer ist, je größer die Stadt ist. Die vorliegenden empirischen Forschungsergebnisse stützen diese These und zeigen, dass in größeren und bevölkerungsstärkeren Städten nicht nur die Landpreise durchschnittlich höher sind als in kleineren Städten, sondern auch die Kaufpreise und die Mieten.

Es ist zu erwarten, dass auch in Deutschland das Phänomen von Superstarstädten, die einkommenstarke Haushalte anziehen und sich folglich durch hohe Mieten und Kaufpreise auszeichnen, zunehmen wird. Bleibt die dezentrale Struktur Deutschlands jedoch erhalten, wird sie weiterhin dämpfend auf das Mietniveau wirken und zu einer schwächeren Ausprägung des Superstarphänomens als in zentralistisch organisierten Ländern beitragen.

Kaum geographische Barrieren

In der wissenschaftlichen Literatur finden sich überzeugende Hinweise darauf, dass geographische Faktoren wie Seen, Flüsse, Meere oder Berge in der Nähe von Städten einen negativen Effekt auf das Wohnungsangebot und somit einen treibenden Effekt auf Mieten und Kaufpreise haben.

In Deutschland liegen zwar viele Metropolen an Flüssen, aber anders als in den USA oder Finnland liegt keine einzige der 20 größten Städte am Meer – die geographisch am stärksten einschränkende Wasserfläche. Von einigen Ausnahmen wie Stuttgart oder Jena abgesehen wird das Flächenwachstum von Metropolregionen in Deutschland auch nicht maßgeblich durch topographische Barrieren begrenzt, wie beispielsweise im Falle vieler Schweizer Städte.

Deutsche Städte können also relativ unbeschränkt durch geographische Faktoren wachsen, sowohl in die Höhe als auch in die Breite. Auch dadurch ist zu erwarten, dass Mieten und Preise in Deutschland im Vergleich zu Ländern mit gravierenderen geographischen Barrieren schwächer steigen werden.

Niedrige Wohneigentumsquote: NIMBYism schwächer

Geographische Faktoren sind natürlich nicht die einzigen, die den Bau zusätzlicher Wohnungen erschweren können. Hinzu kommen regulatorische Barrieren. Eine Vielzahlvon Forschungsergebnissen illustriert, dass Regulierungen, die den Wohnungsbau erschweren, zu höheren Mieten und Kaufpreisen beitragen. Dabei kann der Wohnungsbau durch Höhenbeschränkungen, Mindestanforderungen an die Größe von Grundstücken, Abstandsauflagen oder Grünflächenanforderungen begrenzt werden.

Derartige Beschränkungen finden sich auch im deutschen Baurecht, werden aber wie in den USA regional ausgestaltet. Obwohl auch hierzulande NIMBY (Not In My Back Yard)-Bestrebungen beispielsweise in Form des Volksentscheids gegen eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes in Berlin zu beobachten sind, spricht die international außergewöhnlich niedrige Wohneigentumsquote dafür, dass aus NIMBY-Motiven errichtete regulatorische Barrieren in Deutschland den Wohnungsbau vergleichsweise schwach bremsen.

Mieter und Selbstnutzer haben einen Anreiz, sich gegen Wohnungsneubau in unmittelbarer Nähe ihres Wohnortes einzusetzen. Neubau verursacht kurzfristig Lärm und Schmutz und führt dazu, dass Grünflächen bebaut und die Verkehswege von mehr Personen genutzt werden. Auf Ebene einer Stadt oder einer Region unterscheiden sich die Interessen von Mietern und Selbstnutzern jedoch. Während Selbstnutzer unter einem höherem Wohnungsangebot mittels niedrigerer Preise für ihr Eigentum leiden, nutzt Mietern eine zu niedrigeren Mieten führende Angebotsausweitung. Es ist folglich zu erwarten, dass in Regionen mit vielen Mietern der Widerstand gegen Wohnungsneubau schwächer ausfällt. Die Forschungsergebnisse dazu sind zwar nicht eindeutig, aber wenn ein Zusammenhang zwischen Eigentümerquote und Regulierungsdichte gefunden wird, ist er positiv.

Das Motto „Bauen, bauen, bauen!“ klingt in Mieterohren attraktiver als in den Ohren von Selbstnutzern. Fällt aufgrund der niedrigen Wohneigentumsquote der Widerstand gegen den Neubau von Wohnungen in Deutschland niedriger aus als in anderen Ländern, lässt das Mieten und Kaufpreise in der langen Frist relativ langsam steigen.

Wohnungsmarkt: Langfristig zurück zur Langeweile?

Der Markt für Wohnimmobilien in Deutschland war über Jahrzehnte gekennzeichnet von vergleichsweise schwach steigenden Preisen. Der deutsche Immobilienmarkt zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass er kein Thema war. Das ist heute anders. In den letzten Jahren hat das starke Bevölkerungswachstum insbesondere in den Städten zu deutlichen Mietsteigerungen geführt, die starke Kaufpreisanstiege nach sich zogen, welche zusätzlich durch außergewöhnlich niedrige Zinsen befeuert wurden.

Es gibt trotz alledem Gründe, vergleichsweise zuversichtlich auf die zukünftige Entwicklung von Mieten und damit auch Preisen zu blicken: Zum einen wirkt die dezentrale Struktur Deutschlands entlastend. Zum anderen kann der Wohnungsbau voraussichtlich seine mietendämpfende Wirkung entfalten, denn dem Wohnungsbau stehen kaum geografische Barrieren im Weg und die häufig beklagte niedrige Wohneingentumsquote lässt relativ wenige von Bürgern errichtete Barrieren erwarten.

Erstmals erschienen bei IREF

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Allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz haben die Parteien den Europawahlkampf wieder einmal so anregend gestaltet wie das Fernsehprogramm des Saarländischen Rundfunks um 4 Uhr morgens. Darum wenden wir uns doch lieber einer Wurzel des deutschen Dauerproblems Etatismus zu.

Eisen und Blut statt Demokratie und Zivilgesellschaft

Das 19. Jahrhundert war eine Hoch-Zeit der Selbstorganisation. Grundgelegt wurde das schon in den Jahrhunderten zuvor: Indem die Städte und das Bürgertum zunehmend an wirtschaftlicher Bedeutung gewannen, hatten Sie ihre Selbstverwaltung immer effektiver gegenüber den Feudalherren durchsetzen können. Etwas ähnliches geschah in einer zweiten Phase der Befreiung, als mit der Industriellen Revolution Handwerker und Arbeiter an Gewicht und Verhandlungsmasse gewannen. Arbeitervereine, Gewerkschaften und Genossenschaften gaben dem Einzelnen eine Möglichkeit, seine Interessen wahrzunehmen und durchzusetzen, wie es seinen Großeltern, die noch Jahr für Jahr mit der Scholle ums blanke Überleben gekämpft hatten, nicht im Traum vorstellbar gewesen wäre.

Diese rege Selbständigkeit war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem einem ein Dorn im Auge: dem Eisernen Kanzler, der vor 150 Jahren das Deutsche Reich unter Preußens Führung schmiedete. Zivilgesellschaftliche und bürgerliche Selbstorganisation waren dem Junker aus der Altmark lästige Hindernisse auf dem Weg zur Machtkonzentration. Keiner der deutschen Bundesstaaten war auch nur ansatzweise so straff durchorganisiert und zentralistisch gesteuert wie Preußen, das anders als etwa Baden, Sachsen oder die alten Reichsstädte ein neuartiges Gebilde war: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland,“ sagte Bismarck 1862, „sondern auf seine Macht; Bayern, Württemberg, Baden mögen dem Liberalismus indulgieren, darum wird ihnen doch keiner Preußens Rolle anweisen … nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden …, sondern durch Eisen und Blut.“

Des Deutschen Liebe zu seinem Staat mag vielerlei Ursachen haben. Eine davon ist aber gewiss Gewöhnung. Und da hat Bismarck ganze Arbeit geleistet: Indem er viele Elemente zivilgesellschaftlicher Selbstverantwortung unterminiert, zerstört und verstaatlicht hat, ist es für die meisten heutzutage selbstverständlich, dass die Deutsche Rentenversicherung sich um ihre Altersvorsorge kümmert, ihr Landratsamt vorgibt, wer sie gegen Bezahlung durch die Gegend fahren darf, und politische Beamte bestimmen, wie ihre Kinder ausgebildet werden sollen. Durch die Verstaatlichung aller möglichen Lebensbereiche wurde dem Bürger auch Stück für Stück die Phantasie ausgetrieben, über alternative Lösungen nachzudenken – ebenso wie der Unternehmergeist, solche Lösungen auszuprobieren.

Eine Spur der Verwüstung in der bürgerlichen Gesellschaft

Fast dreißig Jahre lang war Bismarck der mächtigste Mann in Deutschland. Am Ende hinterließ er in der Zivilgesellschaft eine Spur der Verwüstung, die ihresgleichen sucht. Eine blühende Frühlingslandschaft war planiert worden – mit Blut und Eisen in Staatsbeton verwandelt. Nur ein rascher Durchritt durch diese Wüstenlandschaft: Das durch Raiffeisen und den bedeutenden Liberalen Schulze-Delitzsch vorangetriebene Genossenschaftswesen sah der Kanzler mit größtem Argwohn, ja er vermeinte in ihnen die „Kriegskassen der Demokratie“ zu erkennen. Das zarte und erfolgreiche Pflänzlein wurde durch Regulierungen am Wachstum gehindert und durch korporatistische Maßnahmen an den Staat angebunden. Noch schlimmer erging es dem Selbsthilfe-Wesen der Arbeitervereine: mit Hilfe der Staatskasse und gesetzgeberischer Maßnahmen errichtete Bismarck ein staatlich kontrolliertes Sozialsystem, um an die Stelle der Autonomie und Selbstverwaltung die obrigkeitshörige Bürokratie zu setzen, und um – in seinen eigenen Worten – „in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung [zu] erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt.“

Schon gleich mit der Reichsgründung machte er sich daran, die inneren Feinde zu bekämpfen, die nicht in ungeteilter Loyalität zum Staat standen, sondern auch noch eine andere, weitaus höhere Autorität anerkannten: die des Papstes. Das Ergebnis dieses sogenannten „Kulturkampfs“ war eine Beschneidung kirchlicher wie individueller Freiheiten zugunsten staatlicher Machtmittel. Der Staat definierte nun, was eine Ehe sei. Und der Staat zog die Kompetenz für Bildung an sich, um sicherzustellen, dass dort auch ordentliche Staatsbürger ausgebildet würden. – Wer sich über bildungspolitischen Pfusch und eine Ideologisierung der Schulen ärgert, sollte nicht vergessen: auch das ist ein Ergebnis von Bismarcks großpreußischem Etatismus. Der große Historiker Lothar Gall fasste das Ergebnis dieser bitteren Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche in seiner Bismarck-Biographie zusammen: „Der eigentliche Sieger war eine übergreifende und überpersönliche Tendenz … zu immer tieferen Eingriffen des Staates in alle individuellen und gesellschaftlichen Verhältnisse.“

Man könnte noch viel Kritik anbringen. Etwa über die Schutzzollpolitik, mit der eine europaweite Trendwende weg vom Freihandel eingeleitet wurde. Über seine außenpolitischen Strategien, die auf das Ausspielen und Herstellen von Gegensätzen anstatt auf Kooperation setzte. Oder über seinen Anteil am Entstehen einer sehr staatstragenden Tradition im politischen Liberalismus in Deutschland. Doch lassen wir hier noch zwei der wichtigsten Gegenspieler Bismarcks zu Wort kommen. Diese beiden Politiker stehen für das Beste, das der deutsche Parlamentarismus zu jener Zeit zu bieten hatte – man sollte jede einzelne Bismarckstraße durch ihre Namen ersetzen: Der Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst und der Liberale Eugen Richter. Für sie war nicht der Staat die Lösung, sondern der einzelne Bürger in seiner Fähigkeit und Bereitschaft, für sein eigenes Leben Verantwortung zu übernehmen.

Bekommen wir ein bismarcksches Europa?

In einer seiner ersten Reden im Reichstag legte der katholische Freiheitsfreund Windthorst wie ein spätes Echo der zentralen Überlegungen Wilhelm von Humboldts dar, was die Aufgabe des Staates ist: „Der Staat ist der Schutz des bestehenden Rechts, er ist nicht der alleinige Schöpfer des Rechts. Diesen Satz müssen wir durchaus festhalten … wenn wir nicht dahin kommen wollen, daß der Staat alles absorbirt, das Individuum, alle Bedingungen individueller Bewegung und individueller Freiheit, ja auch das Eigenthum“. Und nach achtzehn Jahren der Reichskanzlerschaft Bismarcks wird er das alles auch noch mit konkreten Beispielen unterfüttern können, als er 1889 im Parlament sagt: „Es wird außerdem der Staat, nachdem er sich zum allgemeinen Brodherrn … gemacht, auch auf anderen Gebieten alles mehr und mehr an sich reißen. Und wie neben diesem omnipotenten Staate mit verweltlichter Armenpflege, mit absoluten Staatsschulen, mit absolut säkularisierten oder verstaatlichten Eisenbahnen, zu denen höchst wahrscheinlich nächstens auch noch die angekauften Bergwerke für Kohlen gehören werden … Was wird dann noch übrig bleiben für das Individuum?“

Drei Tage nach Bismarcks Rücktritt im März 1890 sucht Eugen Richter in einer Rede im Reichstag nach Möglichkeiten, „die bösen Folgen einer langjährigen Mißregierung zu überwinden … nachdem der blinde Autoritätskultus, den man mit der Person des Fürsten Bismarck getrieben, gegenstandslos geworden.“ Seine Hoffnungen wurden leider von den folgenden Jahrzehnten nicht erfüllt – doch auch heute klingen sie noch wohl in den Ohren der Freunde der Freiheit: „Vor allem hoffen wir, daß nunmehr in Deutschland überall wieder ein kräftiges, selbstbewußtes, politisches Leben erwacht. Statt in stumpfer Passivität hinzuhorchen, was von oben kommen wird, muß man sich wieder überall mit dem Gedanken durchdringen, daß das Volk selbst berufen ist, an seinem Geschicke mitzuarbeiten.“

Vielleicht ist es an dieser Stelle dann doch Zeit für einen kurzen Schwenk nach Europa … Bismarcks Merkantilismus wird heute von Altmaier und Le Maire vertreten. Die Kulturkämpfe unserer Epoche werden von „Islamskeptikern“ und linken Identitätspolitikern gleichermaßen als staatliche Aufgabe angesehen. Versuche, sich selbst zu organisieren, von der Sharing Economy über private Bildungseinrichtungen bis hin zu Genossenschaften, sollen möglichst europaweiten Regulierungen unterworfen werden. Ja, viele Politiker scheinen ein Europa zu wünschen, das mehr dem vom Eisernen Kanzler geschmiedeten Reich ähnelt als sie sich gerade vorstellen. Weniges könnte dem wunderbaren europäischen Projekt freilich schädlicher sein als wenn es sich nach dem Bild des preußischen Etatismus bildet. Hoffen wir, dass das nächste Parlament und die nächste Kommission möglichst wenig Bismarck und möglichst viel Windthorst und Richter sieht.

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Wie von Zauberhand hat sich die Homöopathie eine einzigartige Sonderstellung im deutschen Gesundheitswesen erschaffen. Sie muss nicht wirken und nichts beweisen und ist trotzdem Teil des Systems – ein Fehler.

Hokuspokus Fidibus!

„Hiezu fügt man 100 Tropfen guten Weingeist und giebt dann dem, mit seinem Stöpsel zugepfropften Fläschgen, 100 starke Schüttelstöße mit der Hand gegen einen harten, aber elastischen Körper geführt.“ Hokuspokus Fidibus, drei Mal schwarzer Kater – Fertig ist der Trunk! – mag man da vollenden. Doch anders als man gemeinhin annehmen könnte, handelt es sich bei diesem Rezept nicht um einen Auszug aus dem altenglischen magischen Heilbuch „Lacnunga“. Stattdessen erklärt hier der 1843 verstorbene Vater der Homöopathie, Samuel Hahnemann, ein Grundprinzip zur Herstellung homöopathischer Mittel. Durch das beschriebene „Verschütteln“ sollen sich die guten Eigenschaften eines Giftes auf die Arznei übertragen, während die schlechten durch endloses Verdünnen verschwinden.

Ja, das ist skurril, aber wäre eigentlich nicht weiter von Belang. Würde die Homöopathie nicht eine absurde Sonderstellung im deutschen Gesundheitswesen genießen.

„Regulierung? Ja bitte!“ Die Homöopathie kauft sich den Anstrich „Arzneimittel“

Im vergangenen Jahr gaben die Deutschen 670 Millionen Euro für homöopathische Arzneien aus. Davon wurden 85 % privat bezahlt. Präparate für ca. 100 Millionen Euro wurden hingegen auf Rezept ausgegeben und damit teilweise von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. An sich wäre das in Zeiten, in denen Menschen Unsummen für Dinge wie Ziegen-Yoga ausgeben, nicht weiter problematisch. Wäre da nicht die unheilvolle Verquickung der homöopathischen Industrie mit dem Staat. So besteht für die allermeisten homöopathischen Erzeugnisse eine Registrierungs- und Apothekenpflicht. Allerdings mit einer wichtigen Sonderregel. Während Hersteller konventioneller Arzneimittel umfangreiche Wirksamkeitsnachweise erbringen müssen, entfällt diese Vorgabe für homöopathische Präparate.

Das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte prüft lediglich, ob die jeweiligen Präparate korrekt (also entsprechend der homöopathischen Vorgaben) hergestellt wurden und ob der Hersteller garantieren kann, dass die jeweilige Mischung nicht schädlich ist. Letzteres ist bei den allermeisten Präparaten dann auch nicht sonderlich schwer, schließlich enthalten Präparate schon ab der so genannten D24-Verdünnung in 50 Prozent der Fälle überhaupt kein einziges Molekül mehr des eigentlichen Wirkstoffes. Ein für die Hersteller recht aufwendiges und teures Verfahren zum Inverkehrbringen von kleinen Zuckerkügelchen. Doch trotzdem insistiert die Homöopathen-Lobby, die Registrierungspflichten beizubehalten.

Setzt sich eine ganze Industrie für mehr Bürokratie ein, sollte man auf der Stelle stutzen. Und tatsächlich helfen Apotheken- und Registrierungspflicht den homöopathischen Unternehmen nur. Denn obwohl nichts mehr drin ist, steht Arzneimittel drauf – und welcher Kunde hinterfragt das schon in einem Land, in dem alles und jedes aufs Genauste geprüft und reguliert ist. Und so verfällt neben gutgläubigen Patienten auch so mancher Schulmediziner dem Gedanken, dass da ja schon irgendwas dran sein müsse und verschreibt die kleinen Mittelchen. Man möchte ja auch kein zurückgebliebener Außenseiter sein …

Ein öffentliches Gesundheitswesen braucht allgemeinverbindliche und nachvollziehbare Regeln

Darüber hinaus schleicht sich die Homöopathie immer weiter in das öffentliche Gesundheitswesen. Universitäten bieten ihren Studenten Wahlkurse in Homöopathie an und gesetzliche Krankenkassen übernehmen freiwillig die Kosten homöopathischer Anwendungen auf Kosten der Solidargemeinschaft. Und das alles, obwohl die Studienlage eindeutig zeigt, dass homöopathische Präparate nicht besser wirken als jedes andere x-beliebige Placebo. Sicher, es gibt immer wieder Studien, die das Gegenteil behaupten. Doch sind diese fast ausschließlich tendenziös, von schlechter wissenschaftlicher Qualität und uneindeutig, wie eine große Metastudie aus dem Jahr 2005 belegt.

Ein so umfangreiches öffentliches Gesundheitswesen wie das deutsche ist vor allem eines: teuer. Da ist es umso wichtiger, dass wir dieser Institution allgemeinverbindliche und nachvollziehbare Regeln geben. Es geht dabei letztendlich um nichts anderes als die Gleichheit vor dem Gesetz. Es gibt diese umfangreichen und klar nachvollziehbaren Regeln, und sie stellen hohe Ansprüche an Anbieter medizinischer Leistungen und Präparate.

Doch die deutschen Homöopathen haben es durch geschickte Lobbyarbeit, Scheinwissenschaftlichkeit und Selbstreferenz geschafft, sich so mancher Regel zu entziehen und trotzdem Teil des Systems zu sein. Das grenzt schon fast an Zauberei und trägt wesentlich zur wachsenden Bedeutung der Homöopathie bei. Welch ein Aufschrei würde aber durchs Land gehen, würde sich Volkswagen mittels eines eigenen Paragraphens einfach dem verbindlichen Abgastest entziehen? VW könnte dafür beispielsweise einige Studien renommierter Lungenärzte im hauseigenen VW-Magazin platzieren, die behaupten, dass VW-Abgase sich durch den Kontakt mit der Mundschleimhaut auflösen und deshalb nicht schädlich seien. Weit weg ist dies von der Argumentation der Homöopathen-Lobby jedenfalls nicht.

Besen, Besen! Seids gewesen.

Das Problem ist letztlich nicht, dass viele Menschen trotz fehlender Belege von der Homöopathie überzeugt sind. So kann die Homöopathie ja erwiesenermaßen die gleichen positiven Wirkungen erzielen wie simple Placebo-Präparate. Und in Zeiten, in denen der von der Gesundheitspolitik durchs Arztzimmer gehetzte Hausarzt gerade einmal sieben Minuten pro Patient erübrigen darf, will er seine Praxis irgendwie halten, da ist es auch nicht verwunderlich, dass es wohltuend ist, wenn sich ein Homöopath einmal 90 Minuten für den Patienten nehmen kann. Das alles rechtfertigt aber nicht die Sonderstellung der Homöopathie im deutschen Gesundheitswesen.

Sicherlich sollte niemandem der Zugang zu den kleinen Zauberkügelchen verwehrt werden – so lange im Ernstfall eine richtige Behandlung zugänglich ist. Hinterfragen sollten wir allerdings wie die Homöopathie-Lobby sich ihre Welt zurecht zaubert – und wie wir unser Gesundheitssystem so organisieren können, dass wir am Ende vielleicht ganz ohne Zauberei auskommen.

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Manche haben es schon als sensationelles Urteil vorweggenommen. So weit kann man noch nicht gehen. Aber ein wichtiger Etappensieg ist es schon – auch für Prometheus. Die Barzahlung des Rundfunkbeitrages wurde am Mittwoch vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt. Die Klage des Journalisten Norbert Häring vor dem obersten Verwaltungsgericht wurde von uns finanziert. Mit Carlos A. Gebauer als Anwalt auf der Klägerseite sind wir eng verbunden. Über vier Jahre haben wir gemeinsam den Instanzenweg vom Verwaltungsgericht Frankfurt, über den Verwaltungsgerichtshof in Kassel nunmehr bis zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bewältigt.

Bislang wurde die Klage in den Vorinstanzen einfach weggewischt. Doch jetzt zeigt das Bundesverwaltungsgericht Verständnis für unsere Argumentation. So schreiben die Bundesverwaltungsrichter zur Möglichkeit der Barzahlung des Rundfunkbeitrages: „einen solchen Annahmezwang regelt nach der – von den Vorinstanzen abweichenden – Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 2 BBankG, wonach auf Euro lautende Banknoten das einzig unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel sind.“ Übersetzt heißt das: lediglich die Banknote, also der „Geldschein“, ist Geld nach dem Gesetz. Das Buchgeld auf den Konten ist es nicht, und daher darf eine öffentliche oder staatliche Stelle dieses für Beiträge oder ähnliches auch nicht verlangen. Staatliche Stellen müssen also eine Barzahlungsmöglichkeit anbieten. Wenn die Euro-Banknote das einzig unbeschränkt gesetzliche Zahlungsmittel ist, dann darf also eine öffentliche Stelle die Annahme nicht verweigern. Doch genau dies tun die Landesrundfunkanstalten gegenüber ihren Beitragszahlern. Sie haben in ihren Beitragssatzungen die Barzahlung ausgeschlossen. Diesen Angriff auf das Bargeld wollen wir zurückschlagen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die entscheidende Frage nunmehr dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgelegt, um zu einem abschließenden Urteil zu gelangen, da Währungsfragen inzwischen von der nationalen Ebene auf die europäische Ebene verlagert wurden. Der EuGH soll klären, inwieweit die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union in Währungsfragen einem Rechtsakt eines Mitgliedsstaates entgegensteht, und ob der festgelegte Status des Euro als einzig unbeschränktes gesetzliches Zahlungsmittel Raum für Regelungen lässt, die für bestimmte hoheitlich aufgelegte Geldleistungspflichten eine Zahlung mit Euro-Banknoten ausschließen.

Folgt auch der EuGH unserer Logik, dann wäre das ein großer Erfolg für den Erhalt des Bargeldes. Denn es würde nicht nur die Rundfunkanstalten binden, sondern alle staatlichen Stellen. In vielen öffentlichen Ämtern und Behörden können Gebühren und Steuern nur noch unbar bezahlt werden. Doch wenn der Staat das Bargeld diskriminiert, dann ist es nicht mehr weit, dass auch private Stellen, seien es Tankstellen, Kaufhäuser und Restaurants das Bargeld abschaffen.

Es mag für viele lästig sein, mit Bargeld zu bezahlen, aber die Überschuldungskrise von Staaten und Banken weltweit stellt das Bargeld nicht nur aus Praktikabilitätsgründen infrage. In den vergangenen 10 Jahren ist die weltweite Verschuldung von 178 Billionen US-Dollar auf 247 Billionen US-Dollar angestiegen, also um sagenhafte 39 Prozent. Es gibt keine Entwarnung an der Schuldenfront. Daher sind Überlegungen zur Bargeldabschaffung nicht aus der Luft gegriffen. Denn wer Negativzinsen der Notenbanken für die Geldvermögen auf den Bankkonten durchsetzen will, kann dies am Besten ohne Bargeld tun. Wenn Bürger ihr Geld nicht mehr vom Konto abheben können, sondern es dort gefangen ist, dann kann über Negativzinsen jeder Einzelne sehr leicht enteignet werden.

Es geht also um mehr als den Rundfunkbeitrag. Doch darum geht es auch! Der Rundfunkbeitrag ist ein Zwangsbeitrag, dem man sich nicht entziehen kann. Immer weniger Menschen schauen die Öffentlich-Rechtlichen, obwohl diese einen immer größeren Milliarden-Etat verwalten. Deutschland hat inzwischen den größten staatlichen Rundfunk der Welt mit 23 öffentlich-rechtlichen Fernsehkanälen und 63 Radioprogrammen. Weitere Beitragserhöhungen werden derzeit diskutiert, um insbesondere die wachsenden Pensionslasten zu finanzieren. Ein Fass ohne Boden droht. Daher braucht es eine Reform an Haupt und Gliedern. Bereits 2015 haben wir ein umfassendes Gutachten zur Reform der Rundfunkordnung in Deutschland vorgelegt. Die Ergebnisse sind heute noch aktuell. Der Etappensieg von Mittwoch zeigt, dass Veränderungen Zeit brauchen. Sie müssen vorbereitet werden und man braucht einen langen Atem. Doch dann kann anfänglich unmöglich Erachtetes sich plötzlich sehr schnell verändern. Wir haben diesen langen Atem – Sie auch?