Photo: Boris Thaser from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Die optimistische Selbsteinschätzung der Deutschen steht in einem bemerkenswerten Widerspruch zur Einschätzung der momentanen und zukünftigen Lebenszufriedenheit ihrer Mitbürger. Der Publizist Johannes Gross bemerkte dazu schon in den 70ern: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein übel gelauntes Land, aber ihre Einwohner sind glücklich und zufrieden.“

Regelmäßig werden die Deutschen in verschiedenen repräsentativen Umfragen nach ihrer Lebenszufriedenheit und ihrem Glücksempfinden gefragt. Im Detail weichen die Methoden und Befunde dieser Umfragen voneinander ab. Doch ein Trend lässt sich in allen Untersuchungen erkennen: Spätestens seit ca. 2005 sind die durchschnittliche Lebenszufriedenheit und das Glücksempfinden in Deutschland stetig gestiegen.

Laut dem internationalen World Happiness Report erlebten die Deutschen nach den Isländern seit 2004 unter den Bewohnern von Industrieländern den stärksten Anstieg ihres Glücksempfindens. Auch der World Value Survey attestiert den Deutschen ein gewachsenes Glücksempfinden zwischen der ersten Befragung in 1998 und der letzten Erhebung in 2014. Laut Eurobarometer stieg der Anteil der mit ihrem Leben zufriedenen Deutschen seit 2005 nahezu ungebrochen und erreichte 2015 mit 92 % den höchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnung für Westdeutschland in 1973.

Auch auf Deutschland fokussierte Untersuchungen zeigen einen deutlichen Aufwärtstrend. Laut Sozioökonomischem Panel stieg die Lebenszufriedenheit seit 2004 und übertrifft mittlerweile den Spitzenwert, der zu Beginn der Aufzeichnung 1990 gemessen wurde. Zum gleichen Ergebnis kommt der auf repräsentativen Telefon-Interviews basierende „Glücksatlas“ der Deutschen Post.

Die Lebenszufriedenheit der Deutschen ist seit ca. 2005 nicht nur durchschnittlich gewachsen, sondern verteilt sich auch gleichmäßiger über Individuen und Raum. Zwar ist die Lebenszufriedenheit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR weiterhin geringer als in West- und insbesondere Norddeutschland, doch seit der Wiedervereinigung näherte sich Ostdeutschland dem Bundesdurchschnitt kontinuierlich an, insbesondere unter jüngeren Kohorten. Die interindividuelle Ungleichheit der subjektiven Lebenszufriedenheit ist geringer als die Einkommensungleichheit und ist seit 2005 stärker als die Einkommensungleichheit gesunken.

Triebfedern des Glücks: Beschäftigung und Wohlstand

Weshalb wurden die Deutschen glücklicher? Ein Teil des Aufwärtstrends der letzten 15 Jahre lässt sich durch die relativ ausgeprägte Unzufriedenheit zu Beginn der 2000er Jahre erklären, als das wirtschaftlich schwächelnde Deutschland als „kranker Mann“ Europas galt. Seit den sogenannten „Hartz-Reformen“ sank die Arbeitslosigkeit merklich. Felbermayr et al. (2017) zeigen, dass die sinkende Arbeitslosigkeit die wichtigste Determinante der durchschnittlich höheren Lebenszufriedenheit ist. Wie Schöb et al 2016 für Teilnehmer von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zeigen, wirkt sich auch das Gefühl, eine nützliche Tätigkeit auszuführen, positiv auf die Lebenszufriedenheit aus. Auch der Better Life Index der OECD illustriert, dass Deutschland insbesondere hinsichtlich des Arbeitsmarkts und der Work-Life-Balance seit Jahren an Attraktivität gewonnen hat.

Einen Beitrag zum wachsenden Glücksempfinden liefert auch das Wirtschaftswachstum Deutschlands über die letzten 15 Jahre. Während einige Forscher lange davon ausgingen, dass höhere Einkommen die Bürger von Industrieländern nicht glücklicher machen, legt aktuelle Forschung einen deutlichen Zusammenhang zwischen wachsenden Einkommen und subjektivem Glücksempfinden nahe.

Weniger eindeutig ist der Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und demographischer Alterung. Statistisch erreicht die individuelle Lebenszufriedenheit in Industrieländern mit Mitte 40 einen Tiefpunkt, steigt danach an und sinkt erst im hohen Alter wieder rapide. In Deutschland beträgt das Durchschnittsalter derzeit etwa 45 Jahre, weshalb für die kommenden Jahrzehnte bei anhaltendem Wirtschaftswachstum eher von wachsender Zufriedenheit auszugehen ist. Zumindest für die nahe Zukunft erwarten die Deutschentatsächlich ein noch zufriedeneres Leben zu führen.

Individueller Optimismus, gesellschaftlicher Pessimismus

Die optimistische Selbsteinschätzung der Deutschen steht in einem bemerkenswerten Widerspruch zur Einschätzung der momentanen und zukünftigen Lebenszufriedenheit ihrer Mitbürger. Nicht nur hinsichtlich der globalen Entwicklung sind die Deutschen überwiegend überzeugt, dass die Armut in den letzten 20 Jahren zugenommen hat und dass die Welt auch in Zukunft „[k]ein besserer Ort wird“. Auch bezogen auf ihr eigenes Land erwarten die Deutschen einen düstere Zukunft: Altersarmut, Arbeitslosigkeit, Vermögensentwicklung, Umweltrisiken und wirtschaftliche Stagnation. Die jüngere Generation zeigt sich dabei besonders pessimistisch. Der Publizist Johannes Gross bemerkte dazu schon in den 70ern: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein übel gelauntes Land, aber ihre Einwohner sind glücklich und zufrieden.“

Untersuchungen zeigen, dass diese Diskrepanz zwischen „individuellem Optimismus“ und „sozialem Pessimismus“ in Industrieländern weit verbreitet ist. Der Glücksforscher Paul Dolan vermutet, dass der in Umfragen geäußerte gesellschaftliche Pessimismus teilweise suggestive Fragestellungen und mangelndes Wissen widerspiegelt. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf eine entscheidende Rolle von Informationsvermittlern wie den klassischen und sozialen Medien: Während die Verbesserung der eigenen Lebensumstände für die meisten Menschen persönlich erfahrbar ist, wird die Wahrnehmung langfristiger nationaler und internationaler Trends durch eine systematisch pessimistische, auf negative Einzelfälle fokussiertes Berichterstattung verzerrt.

Eng verbunden mit der unterschiedlich stark ausgeprägten Erfahrbarkeit persönlicher Lebensumstände und nationaler Trends ist die wahrgenommene Kontrolle über diese. Auf den Psychologen Martin Seligman geht die Hypothese des „erlernten Optimismus“ zurück, der zufolge Menschen zukünftige Entwicklungen optimistischer einschätzen, wenn sie diese direkt beeinflussen können.

Mut zum Optimismus

Die gemessene hohe persönliche Lebenszufriedenheit der Deutschen steht in Kontrast zum pessimistischen Bild ihrer Lebenswirklichkeit, das von in der Medienöffentlichkeit stehenden Bedenkenträgern mehrheitlich gezeichnet wird. Gewiss gibt es stets Möglichkeiten zur Verbesserung, doch das bereits Erreichte sollte gerade angesichts der positiven Selbsteinschätzung der Menschen in diesem Land nicht zu kurz kommen.

Die enormen, in der marktwirtschaftlich organisierten Demokratie bereits erzielten Fortschritte verdienen es, stärker in den Vordergrund gerückt zu werden. Projekte wie das durch den verstorbenen Entwicklungsforscher Hans Rosling angestoßene Gapminder oder Max Rosers OurWorldInData bieten dazu Inspiration und bilden eine wichtige Gegenstimme zu den Schwarzmalern, die die Lebenswirklichkeit ihrer Mitmenschen pessimistischer einschätzen als diese selbst. Eine ausgewogenere Würdigung der hohen Lebenszufriedenheit wäre wünschenswert – sie würde das Bewusstsein für die Gefahren schärfen, die ein „Systemwechsel“ in Form einer Abkehr vom Erfolgsmodell der marktwirtschaftlich organisierten Demokratie birgt.

Erstmals erschienen bei IREF.

1 Antwort
  1. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Ob wir nun glücklich sind oder nicht, so verfolgen wir eine etwas sonderbare Arbeitsideologie.

    So müssen wir doch gegenüber der Arbeitsagentur die Bereitschaft arbeiten zu wollen nachweisen, damit wir staatliche Leistungen bekommen. Aber was wir da arbeiten, wer überhaupt unser Geld schöpft und was bei unserer vermeintlichen „Lebensleistung“ so herumkommt, das interessiert doch niemanden.

    Schließlich wird es doch der Markt schon richten, weil dieser doch eine Lenkungsfunktion hat. So will die FDP doch die Marktwirtschaft sogar ins Grundgesetz aufnehmen.

    FAZ am 21.11.2018
    Hartz IV-Debatte:
    Der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel bleibt bei seiner Forderung, Menschen zu sanktionieren, die Arbeit ablehnen. Zustimmung erhält er von der FDP.

    Dann dreht die FDP an ihren Stellschrauben.
    Etwa FDP-Haushalter Fricke warnt vor „dummem Sparen“. Die Koalition müsse sparen statt die Steuern zu erhöhen.
    Dann will die FDP die Steuersenkung mit Subventionsabbau finanzieren.

    Ich kann es jedenfalls nicht nachvollziehen, nach welchen Regeln der Zahlenmensch Otto Fricke an seinen Stellschrauben dreht.

    Dann ist es doch auch immer sehr komisch, dass sich ausgerechnet ehemalige Spitzenpolitiker, etwa auch der SPD, nach ihrer politischen Karriere dann plötzlich für alle möglichen wichtigen Ämter, meistens in der Wirtschaft, eignen.

    Jetzt bekommt doch Sigmar Gabriel für seinen neuen AR-Posten bei der Deutschen Bank eben mal eine halbe Million EUR und er rechtfertigt seine Tätigkeit gegenüber seinen Parteigenossen.
    Da haben es unsere Geldhäuser mit ihrem Geldschöpfungsprivileg irgendwie erkannt, dass sich unsere Politiker, die sich doch bei unseren demokratischen Wahlen dermaßen behaupten konnten, insofern für die dortigen Tätigkeiten eignen.

    Hätte doch seine Lehrerin ihn seinerzeit in die Sonderschule geschickt.

    Jedenfalls gönnt sich die SPD regelmäßig das höchste Wahlkampfbudget und es ist doch schon etwas komisch, dass große Säcke voller Geldscheine es stets dermaßen wissen, was für uns das Beste ist. Ein Wettbewerb mit guten Inhalten sind unsere Wahlen doch nicht.

    Ebenso scheinen doch auch die Spitzenpolitiker der Linken nur darauf zu warten, dass soziale Gerechtigkeit einkehrt.

    Aber eine dermaßen ernsthafte Themenarbeit leistet die Linke doch nicht.

    Neues Deutschland am 01.06.2018:
    Herr Krumbein, die Notenbanken haben mit ihrer Niedrigzinspolitik infolge der globalen Wirtschaftskrise von 2008 viele Kritiker auf den Plan gerufen. Und zwar von rechter, liberaler und linker Seite. Zu Recht?

    seine Antwort:
    Zu Unrecht. Die Niedrigzinspolitik war überall zur Bekämpfung der Folgen der Finanzkrise notwendig.

    Nachdenkseiten am 01.02.2017:
    Vom Pflasterstrand links unten über das Außenministerium nach rechts oben bis zum Rüstungslobbyisten: Joschka Fischer

    Jetzt warnt Joschka vor einem Handelskrieg mit den USA.

    Aber unsere Marktwirtschaft hat doch auch gar nicht so viel mit einer Tauschwirtschaft zu tun.
    Vielmehr druckt doch die EZB unglaubliche Geldbeträge, aber wir sprechen doch immerhin von Handel.
    Aber so als ob es die Finanzkrise gar nicht gäbe, will doch jetzt unsere Zwangsrundfunkanstalt ab 2021 erst noch unseren Solidarbeitrag anheben.
    Schließlich muss doch irgendjemand die Gehälter, etwa von Claus Kleber (600.000 EUR pro Jahr), bezahlen.

    Dann bekommt Claudia Roth doch ständig unglaublich viele Anfeindungen.
    Etwa von einem Doppelzentner fleischgewordener Dummheit ist auf einer Webseite die Rede.
    Andererseits tut die Politik doch wirklich alles, damit der Staat noch etwas unmissverständlicher vor die Wand gefahren wird.

    So erreicht doch die Zahl der Pendler in Deutschland Rekorde.
    Es gibt immer mehr Arbeit ohne Wertschöpfung.
    Die Mietpreise explodieren.
    Dann gibt es doch noch in diesem Jahr den größten Bankencrash aller Zeiten.
    Dies behauptet zumindest der Banken-Insider Dr. Markus Krall, unter dessen Federführung Kreditrisikoanalyse-Systeme für den Großteil der Banken im deutschsprachigen Teil Europas entwickelt wurden. Er könnte dies insofern sogar wissen.

    Dr. Krall rechnet mit diesem Ende 2020 und dieser würde dem Geldsozialismus ein Ende bereitet, wenn auch ein schmerzhaftes.

    Unser Glück wird also vermutlich noch in diesem Jahr ein jähes Ende finden.

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