Photo: Amcilrik from Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Alle vier Wochen befassen sich zwei Prometheus-Kollegen in „The Argument“ auf dem Boden freiheitlicher Überzeugungen, aber aus kontroversen Blickwinkeln mit unterschiedlichen Themen. Im Englischen steht Argument sowohl für die Auseinandersetzung als auch für die rationale und logisch begründete Aussage – also letztlich für Erkenntnisgewinn. Und um den soll es in dieser Kolumne gehen!


Alexander Albrecht: Abwarten war gestern

Frank Schäffler: Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben


Abwarten war gestern
Von Alexander Albrecht

Wachsamkeit ist das Gebot der Stunde in der Geldpolitik, schrieb ich in meiner letzten Kolumne am 19. November. Obwohl sich die gegenwärtig hohe Inflation zu großen Teilen aus den globalen Lieferengpässen und den statistischen Sondereffekten erklärt, gilt es sicherzustellen, dass sich die Inflationserwartungen sich langfristig nicht vom 2% Anker lösen. Eine strukturelle Erklärung, welche auf Basis eines seit 2015 anhaltenden Geldmengenüberhangs dauerhaft hohe Inflation prognostiziert, erschließt sich mir nicht. Von Wachsamkeit kann bei der EZB aktuell jedoch keine Rede sein; vielmehr verschläft sie die aktuellen Entwicklungen und trägt somit dazu bei, dass die Inflation möglicherweise außer Kontrolle gerät.

Der maßgebliche Grund für die persistente Inflation ist, dass die EZB keine Anstalten macht, ihre Anleihenkaufprogramme schneller abzubauen. Im März 2020 legte die EZB das 1,85 Milliarden schwere PEPP-Programm auf, mit dem die von der Corona-Pandemie gebeutelten Euromitgliedstaaten unterstützt werden sollten. Zusätzlich zu diesem Sonderprogram laufen die „normalen“ Vermögenszukäufe der EZB unter dem Akronym „APP“ munter weiter. Infolgedessen ist auch die Geldmenge M3 seit der Corona-Pandemie um nahezu 20% gestiegen. Bei einer cost-push Inflation, wie wir sie gerade erleben, wäre es jedoch nötig, dass die EZB sich schnell zu einer falkischen Geldpolitik bekennt. Die Beschränkung der Geldmenge muss mit einer fiskalischen Kontraktion einhergehen, damit der Staat die höheren Zinskosten auch tragen kann. Die EZB ignoriert diese wachsenden Inflationsrisiken zunehmend. Und während die Geldpolitik schläft, mehren sich die Stimmen von europäischen Politikern, die eine Aufweichung der fiskalischen Regeln des Maastricht-Vertrages fordern. Eine Ausweitung der fiskalischen Spielräume bei gleichbleibend hoher Inflation und expansiver Geldpolitik würde jedoch sehr schnell brandgefährlich werden.

Was passiert, wenn man Inflation zu lange ignoriert, zeigt die USA in den späten 70iger Jahren deutlich. Nach einer Periode der anhaltenden Stagflation in den 1970er Jahren stieg die Inflationsrate auf bis zu 14,8% an. Nach einem Jahrzehnt der monetären Ratlosigkeit sagte der 1979 frisch ins Amt gewählte US-Notenbank Chef Paul Volcker der außer Kontrolle geratenen Inflation den erbitterten Kampf an – und hob den US-Leitzins stetig auf bis zu 20% an. Es folgten Arbeitslosenraten von bis zu 10%, massenhafte Proteste und wütende Landwirte, die mit ihren Traktoren vor der FED demonstrierten. Volcker konnte die Inflation zwar bekämpfen, aber der Preis war eine der schärfsten Rezessionen der USA seit der Great Depression, welche im Übrigen auch Jimmy Carter seine zweite Amtszeit kostete. Als Moral der Geschichte bleibt: Lässt man die Inflation zu lange vor sich hin kriechen, dann kann ein böses Erwachen folgen, was eine harsche Schocktherapie unumgänglich macht.

Ich bleibe bei meinem Fazit: Wachsamkeit bleibt das Gebot der Stunde in der Geldpolitik. Die aktuell hohen Inflationszahlen sind auch primär Ergebnis eines statistischen Sondereffektes. Eine Zeit der dauerhaft hohen Inflation muss uns nicht bevorstehen, wenn die EZB rechtzeitig die Anleihenkäufe zurückfährt und die langfristigen Inflationserwartungen um 2% verankert. Dennoch muss die EZB auch aufpassen, den Zins nicht kurzfristig zu hoch steigen zu lassen. Sollte dies passieren, könnte die Eurozone in eine Rezession steuern und Länder wie Italien, von denen die EZB nahezu 25% der gesamten Staatsschulden hält, würden zum Systemrisiko werden. Deshalb wäre nun zweierlei wichtig: Ein schnelles Bekenntnis der EZB, die Anleihenkäufe langsam zurückzufahren und eine Erhöhung des Leitzinses im Jahr 2022 nicht mehr auszuschließen. In dieser angespannten Situation, sollten auch die fiskalischen Regeln auf europäischer Ebene weiterhin erhalten bleiben. Die gestern beschlossene Strategie, das PEPP-Programm auslaufen zu und danach, ähnlich wie bei der Federal Reserve Bank, die Ausgaben für das APP-Programm leicht anzuheben und dann langsam zu senken, war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Dennoch sollte die EZB genau beobachten, ob die Märkte diesem verspäteten Bekenntnis Glauben schenken. Denn nur so kann uns ein zweiter Volcker-Moment erspart bleiben.


Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben
Von Frank Schäffler

Geld ist ein Vertrauensgut. Sein Vertrauen bemisst sich an der Qualität des Geldes, das den Bürgern zur Verfügung gestellt wird. In unserem Fiat-Geldsystem, das Geld durch Kredit aus dem Nichts produziert, ist es deshalb erheblich, was die Notenbank tut. Sie ist für die Qualitätssicherung verantwortlich und hat dafür einen umfangreichen Instrumentenkasten.

Jetzt erleben wir einen Einbruch dieser Qualität. Denn die anziehende Inflation ist nichts anderes als ein Qualitätsverlust der eigenen Währung, des Euro; eine Verwässerung. Mehr Geld trifft auf eine relativ geringere Menge an Waren und Dienstleistungen. Dieser Geldüberhang ist seit langem vorhanden: Erst recht seit der Griechenland-Krise 2011 fallen die Geldmenge (M3) und das Bruttoinlandsprodukt als Ausdruck der bewerteten Waren- und Dienstleistungen auseinander. Dies hat bisher nur deshalb die Konsumentenpreise nicht so sehr steigen lassen, weil die zunehmende Globalisierung durch den Warenverkehr mit China dagegengewirkt hat. Das billige Geld ist dennoch in den Güterkreislauf gesickert. Die Entwicklung der Vermögenspreise an den Aktien- und Immobilienmärkten zeigt dies.

Die Pandemie lässt jetzt aber den Globalisierungsmotor stottern. Für die EZB ist dies fatal, weil sie bereits vor der Pandemie massiv Schulden der Euro-Staaten aufgekauft hat und damit den Zins der Staatsanleihen gedrückt hat. Seit der Eurokrise hat sie Anleihen in einem Volumen von 4,6 Billionen Euro erworben. Heute macht es kaum noch einen Unterschied beim Zins aus, ob griechische oder deutsche Staatsanleihen gekauft werden. Der gestrige Beschluss des EZB-Rates, auslaufende deutsche und niederländische Anleihen in griechische umzuschichten, verschärft letztlich eine weitere Qualitätsverschlechterung des Geldes. Das Signal ist, dass die EZB eine höhere Inflationsrate akzeptieren wird.

Die Inflation wird kommen, um zu bleiben. Die Vorboten sind längst da. Ein Indiz dafür sind die Preise im Großhandel. Sie sind ein wichtiger Indikator für die spätere Entwicklung der Konsumentenpreise. Im November sind dort die Preise um 16,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Das ist der höchste Anstieg seit 1962. Die Inflationsrate stieg im November auf 4,9 Prozent in der Eurozone und 6 Prozent in Deutschland.

Der Kuratoriumsvorsitzende von Prometheus, Thomas Mayer, hat dies jüngst sehr gut dargestellt: Die Geldmenge (M3) stehe rund 32 Prozent über dem aus der Zeit von 2008 bis 2015 fortgeschriebenen Trend. Zwar werde dieser Trend teilweise durch höhere Geldhaltung und Produktion kompensiert, aber der Rest werde die Preise treiben, so sein Urteil. Entscheidend in seiner Betrachtung ist dabei der Rückgang der Geldumlaufgeschwindigkeit (durchschnittliche, zweifache oder dreifache Rate der Perioden von 2009-2019). Je nach Annahme geht er von Jahresinflationsraten in den kommenden fünf Jahren von 3,7 Prozent bis zu 8,8 Prozent aus.

Die EZB verschweigt oder relativiert dies. Sie lässt es aber geschehen. Denn ein Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes wäre schmerzhaft. Es wäre der kalte Entzug. Doch es ist wie im richtigen Leben: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

1 Antwort
  1. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Es ist ein Problem, dass die Pro-Kopf-Schulden der Bürger immer schneller ansteigen müssen.
    Diese lagen zuletzt bei rund 27.000 EUR.
    Der immer schnellere Anstieg der Pro-Kopf-Schulden ist nur teilweise die Folge gewöhnlicher Staatsausgaben. Vielmehr bringen die öffentlichen Haushalte auf fehlerhafte Weise mit immer mehr Schulden ganz einfach Geld in Umlauf.
    Diese Praxis kann aber vor allem wegen der extremen sozialen Ungleichheit nicht funktionieren.

    Die Anleihenkäufe der EZB dienen dem Zweck die Mitgliedstaaten der Eurozone zu „entschulden“.
    Diese vermeintliche Entschuldung der Staaten funktioniert aber nur zu dem Preis, dass die EZB gegenüber den Euro-Mitgliedstaaten eine immer größere Gläubigerposition aufbaut.

    Die derzeitige Inflation, etwa bei Rohstoffen, ist eine Folge der Geldexpansion.
    Ich teile daher die Position von Frank Schäffler mit dem „Ende mit Schrecken“.
    Die EZB hat eben gerade nicht die Möglichkeit ihre expansive Geldpolitik geordnet herunterzufahren.

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