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Photo: Cha già José from flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Sprachhürden und niedrige oder auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gefragte Qualifikationen stellen für die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge ein grundsätzliches und politisch nur bedingt lösbares Problem dar. Doch darüber hinaus stehen der Politik zahlreiche Optionen zur Verfügung, die das Potenzial haben, die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen zur Erfolgsgeschichte zu machen.

Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen: Eine Erfolgsgeschichte?

Seit 2015 wurden in Deutschland knapp 1,46 Millionen Asyl-Neuanträge gestellt. Zwar sind die Neuantragszahlen seit 2015 und 2016 deutlich gesunken, doch die Nachwirkungen der Asylmigration stellen die deutsche Gesellschaft vor Herausforderungen. Zu den größten Herausforderungen gehört die Integration der relativ jungen und geringqualifizierten Migranten in den Arbeitsmarkt.

Aktuelle Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit zeigen: Über 300.000 Flüchtlinge befanden sich im Juni mittlerweile in einem Beschäftigungsverhältnis – eine vermeintliche Erfolgsmeldung, die basierend auf den Daten für Mai breit rezipiert wurde. Setzt man die Beschäftigtenzahl ins Verhältnis zur Gesamtzahl der in Deutschland lebenden arbeitsfähigen Flüchtlinge, wird allerdings deutlich, dass die Beschäftigungsquote im Juni nur 27,8 Prozent betrug. Damit die Integration der Flüchtlinge zu einer echten Erfolgsgeschichte wird, sollte sich die Politik auf den Abbau von Eintrittsbarrieren zum Arbeitsmarkt konzentrieren.

Absolute Beschäftigtenzahl nicht aussagekräftig

Seit August 2014 weist die Bundesagentur für Arbeit monatlich den Beschäftigungsstand von in Deutschland lebenden Menschen aus den acht maßgeblichen Herkunftsländern von Flüchtlingen Syrien, Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan und Somalia aus. Nicht alle Menschen aus diesen Ländern sind Flüchtlinge und nicht alle Flüchtlinge kommen aus diesen Ländern, doch in Ermangelung genauerer Erhebungen bildet diese Gruppe die beste Approximation der gesamten Flüchtlingspopulation in Deutschland. Wie vielerorts berichtet wurde, weisen die Zahlen für den Mai 2018 rund 307.000 beschäftigte Flüchtlinge aus – 100.000 mehr als ein Jahr zuvor.

Isoliert betrachtet sind diese Zahlen jedoch wenig aussagekräftig. Um besser bewerten zu können, ob über 300.000 beschäftigte Flüchtlinge eine Erfolgsmeldung ist, können die Zahlen ins Verhältnis zur Gesamtzahl aller arbeitsfähiger Flüchtlinge in Deutschland gesetzt werden. Die resultierende Kennziffer, die Beschäftigungsquote, erlaubt den Vergleich über die Zeit und mit anderen Bevölkerungsgruppen, etwa Ausländern allgemein und der Gesamtbevölkerung. Um den Erfolg der Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik zu bewerten, sind solche relativen Angaben hilfreicher als absolute Zahlen.

Beschäftigungsquote wächst, aber langsam

Wird die Anzahl beschäftigter Flüchtlinge in Relation zu allen in Deutschland lebenden Flüchtlingen im Alter zwischen 15 und 64 gesetzt, fällt das Ergebnis recht ernüchternd aus. Nur 27,8 Prozent der Flüchtlinge waren im Juni 2018 beschäftigt. Dagegen waren im Juni 49,4 Prozent aller in Deutschland lebenden Ausländer und 66,9 Prozent der Gesamtarbeitsbevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 beschäftigt.

Die Fluchtmigration nach Deutschland nahm Mitte 2015 deutlich zu und erreichte gegen Ende des Jahres ihren Höhepunkt. Angesichts der hohen monatlichen Zuzugszahlen überrascht es nicht, dass die Beschäftigungsquote zunächst stark zurückging. Im April 2016 erreichte sie mit 14,5 Prozent ihren Tiefpunkt. Seitdem stieg sie kontinuierlich und lag im Mai nahe dem Niveau von Ende 2014 (rund 30 Prozent).

Sozialhilfequote auf hohem Niveau

Spiegelbildlich zur geringen Beschäftigungsquote verhält sich die Arbeitslosenquote, die hier als Anteil der Arbeitslosen an der Summe aus Arbeitslosen und Arbeitenden (also ohne Nicht-Arbeitssuchende) gebildet wird. Für Flüchtlinge lag sie im Juni bei 38,1 Prozent und damit auf vergleichbarem Niveau wie schon 2014. Die Arbeitslosenquote fiel unter den in Deutschland lebenden Ausländern mit 12,6 Prozent und unter der Gesamtbevölkerung mit 5,9 Prozent deutlich geringer aus.

Ein großer Teil der arbeitslosen Flüchtlinge erhält nach Anerkennung des Asylantrags bzw. Duldungsbescheid Sozialhilfeleistungen nach SGB II. Auch Kinder, nicht erwerbsfähige Personen sowie Personen mit geringem Arbeitseinkommen („Aufstocker“) können Anrecht auf solche Leistungen haben. Die SGB-II-Quote misst den Anteil der SGB II-Leistungsempfänger an der Bevölkerung unter 65 Jahren. Im Mai 2018 lag diese unter Flüchtlingen bei 64,7 Prozent. Im gleichen Monat betrug sie für in Deutschland lebende Ausländer 21 Prozent und für die Gesamtbevölkerung etwa 9,2 Prozent.

Zwar spiegelt die seit 2016 deutlich gestiegene SGB-II-Quote unter Flüchtlingen vor allem den allmählichen Übergang von Asylleistungen zu SGB-II-Leistungen wider und signalisiert nicht zwingend Mehrbelastungen für die Steuerzahler. Doch fiel die SGB-II-Quote im Mai dieses Jahres weitaus höher aus als noch Ende 2014 (rund 45 Prozent) und stagniert seit Mitte 2017 – ein weiterer Hinweis darauf, dass sich unter den seit 2015 eingewanderten Flüchtlingen überproportional viele Personen befinden, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt bisher nicht Fuß fassen konnten bzw. noch nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten.

Erfolgsmeldung?

Rechtfertigt die Annäherung der Beschäftigungs- und Arbeitslosenquote an den Status quo ante eine Erfolgsmeldung? Der Vergleich zwischen den 2018 und den 2014 beobachteten Werten ist schwierig, da sich die zugrundeliegenden Populationen wahrscheinlich hinsichtlich der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer in Deutschland unterscheiden – und damit auch hinsichtlich der Arbeitsmarktchancen.

Angesichts der hohen Zuzugszahlen 2015 und 2016 liegt die Vermutung nahe, dass die durchschnittliche Aufenthaltsdauer eines Flüchtlings heute geringer ist als 2014. Eine im Aggregat ähnlich hohe Arbeitsmarktbeteiligung wie vor Anstieg der Flüchtlingszahlen spricht daher für eine relativ erfolgreiche Integration der neueren Zuzugskohorten.

Angesichts der heute deutlich günstigeren Konjunktur und des Abbaus mancher Arbeitsmarkthürden wäre zwei Jahre nach dem Höhepunkt der Asylmigration hingegen eine höhere Beschäftigungsquote zu erwarten gewesen, zumal diese in den letzten zwei Jahren auch unter Ausländern allgemein sowie in der Gesamtarbeitsbevölkerung gestiegen ist. Das spricht für eine relativ misslungene Arbeitsmarktintegration der neu zugezogenen Flüchtlinge. Das legen auch Untersuchungen aus 2017 im Rahmen der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe nahe, die zeigen, dass sich die seit 2013 eingewanderten Flüchtlinge langsamer in den Arbeitsmarkt integrieren als vor 2013 eingewanderte Flüchtlinge oder sonstige Zuwanderer.

Arbeitsmarktreformen dringend nötig

Der Vergleich von Beschäftigungsquoten über die Zeit ist aussagekräftiger als der Vergleich absoluter Beschäftigtenzahlen, doch er erlaubt ebenso wenig ein abschließendes Urteil über die Arbeitsmarktintegration der neu hinzugezogenen Flüchtlinge. Unabhängig von der Frage des Arbeitsmarkterfolgs jüngerer Zuzugskohorten relativ zu den vor 2014 zugezogenen Flüchtlingen sollte eine Beschäftigungsquote von 27,8 Prozent jedoch keinen Anlass zur Entwarnung geben. Vielmehr verdeutlicht die niedrige Quote, dass Arbeitsmarktintegration der aktuellen Flüchtlingskohorten weiterhin viel zu wünschen übrig lässt. Sollte der derzeitige Arbeitsmarktboom abebben, droht vielen Flüchtlingen dauerhafte Arbeits- und Perspektivenlosigkeit.

Sprachhürden und niedrige oder auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gefragte Qualifikationen stellen für die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge ein grundsätzliches und politisch nur bedingt lösbares Problem dar. Doch darüber hinaus stehen der Politik zahlreiche Optionen zur Verfügung, die das Potenzial haben, die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen zur Erfolgsgeschichte zu machen. Dafür muss es jedoch möglich sein, dem häufig niedrigen Qualifikationsniveau der Flüchtlinge entsprechend Jobs mit niedriger monetärer oder nicht-monetärer Entlohnung entstehen zu lassen. So bieten sich etwa die selektive Aussetzung von Mindestlohn und Kündigungsschutz für Flüchtlinge sowie die Kürzung des ALG-II-Satzes bei großzügigeren Hinzuverdienstregeln an.

Erstmals erschienen bei IREF

Photo: Dmitry Sytnik from Unsplash (CC 0)

Die Bereitschaft zum Experiment ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass unser Leben besser wird. Deshalb sind die Vorschläge des diesjährigen Wirtschafts-Nobelpreisträgers Paul Romer so wichtig. Wenn man ihnen folgen würde, könnten Inkubatoren des Fortschritts entstehen, die das Gesicht der Welt verändern würden.

Städte: Motoren der Zivilisation

Die Entwicklung von offenen Gesellschaften, technologischer Fortschritt, die Herrschaft des Rechts und der Wohlstand für alle sind meist in den Städten entstanden. Die großen Stadtkulturen – vom alten Griechenland über die Hanse und die italienischen Stadtstaaten bis hin zu den modernen Metropolen – waren von jeher Ausgangspunkte menschlicher Zivilisation. Es waren, wie die Ökonomin Deirdre McCloskey in einer dreibändigen Buchreihe beschreibt, die „bürgerlichen“ Tugenden und Werte, die letztlich dazu geführt haben, dass wir heute in einer Welt mit Gesundheitsversorgung, allgemeiner Bildung und Internet leben. Denn diese Städte haben nicht nur dem aufstrebenden Bürgertum politische Freiheit geschenkt, sondern auch als Zentren des Handels dazu geführt, dass deren Bewohner dem zähen Überlebenskampf eines Landlebens entkommen konnten.

Paul Romer, dem Anfang der Woche der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften zugesprochen wurde, hat dieses Phänomen in einem seiner Lieblingsprojekte aufgegriffen. Er schlägt vor, in Entwicklungsländern die Gründung sogenannter „Charter Cities“ zu ermöglichen. Die Regierung des Landes würde in diesem Projekt ein Stück des eigenen Staatsgebietes – möglicherweise gegen Zahlung einer Pacht – einem anderen Staat oder einer Staatengemeinschaft zur Nutzung überlassen. Ähnlich wie es bis 1997 bei Hongkong der Fall war. Die Stadt würde dann unter der Gesetzgebung und Rechtsprechung eines Landes wie Kanada oder auch der EU stehen, was zu einer sehr viel höheren Rechtssicherheit führen würde als dies in den Ländern der Fall ist.

Freiräume schaffen für die Entwicklung neuer Ideen

Diese Städte, so Romers durch historische Erfahrung auch gut begründete Hypothese, würden wie Fortschritts-Inkubatoren auf die entsprechenden Staaten wirken. Wer heute in Nigeria oder Nicaragua eine pfiffige Idee oder Unternehmergeist hat, wird oft durch Korruption, Behördenwillkür und ausbeuterische Steuern und verschwenderische Ausgaben in seinem Fortkommen gehemmt. Wenn sie oder er die Möglichkeit hätten, unkompliziert in eine Charter City zu ziehen, könnte sehr viel mehr Innovation auf fruchtbaren Boden fallen als dies heute der Fall ist. Gerade auch in einem Zeitalter, in dem mehr Menschen auf der Flucht sind als jemals, kann dieses Konzept leicht modifiziert, eine wirklich nachhaltige Lösung bieten. Was wäre alles möglich in von der EU verwalteten Charter Cities in Jordanien oder der Türkei – verglichen mit dem Elend und der Perspektivlosigkeit jetziger Flüchtlingslager!

Man könnte den Gedanken sogar noch etwas weiterspinnen: Während Entwicklungsländer oft das Problem mit mangelnder Rechtssicherheit haben, sind Länder wie Deutschland oder Staatenzusammenschlüsse wie die EU in der Gefahr, einer überbordenden Verrechtlichung. Ein Übermaß an Bürokratie und Regulierung verhindert, dass die Innovationsdynamik so effizient einsetzen kann, wie es die Mischung aus Unternehmergeist, Bildung und Ressourcen in unseren Breitengraden nahelegen würde. Warum kann man nicht auch innerhalb der EU Städte oder Ballungsgebiete ausweisen, in denen abweichende Regulierungen ausprobiert werden, wie es Frank Schäffler hier bereits vor zweieinhalb Jahren vorgeschlagen hat? Ist der Wettbewerb wirklich eine solche Bedrohung?

Am Ende profitieren alle

Die Herausforderungen für den Fortschritt sind derzeit viele: Während die einen Innovation verhindern wollen, um vermeintlich Arbeitsplätze zu retten, ersticken die anderen sie in Regulierungen, um vermeintlich Verbraucher zu schützen. Unternehmer und Erfinder müssen sich mühsam freischwimmen in einer wahrlich nicht gerade innovationsfreundlichen Welt. Eine geradezu groteske Entwicklung, denn noch nie in der Geschichte der Menschheit waren die Vorzüge von Innovation so offensichtlich wie heute. Noch nie konnten wir ihren segensreichen Beitrag so zeitnah mitverfolgen: Die Hälfte der Menschheit ist unter 30 Jahren alt; und zu ihren Lebzeiten wurde das Internet eingeführt und der „Goldene Reis“ entwickelt, wurden Smartphones erfunden und Medikamente gegen AIDS erforscht.

Wenn wir diesen Fortschritt nicht hemmen oder gar zurückdrehen wollen, müssen wir uns Gedanken darüber machen, in welchem politischen Kontext er am besten gedeiht. Und da scheinen die heutigen Groß-Demokratien, die häufig Opfer von Interessengruppen und Populisten werden, zunehmend ein ebenso ungesunder Kontext zu werden wie Entwicklungsländer. Hier wie dort wären die von Paul Romer und anderen Vordenkern wie Patri Friedman oder Titus Gebel ersonnenen Konzepte von „Charter Cities“, „Seasteading“ oder „Private Cities“ interessante und vor allem realistische Alternativen. Sollten diese freien Städte Erfolg haben, dürften davon – wie schon früher in der Geschichte – am Ende alle profitieren. Denn wie schon Ludwig von Mises 1927 schrieb: „Aller Fortschritt der Menschheit vollzog sich stets in der Weise, dass eine kleine Minderheit von den Ideen und Gebräuchen der Mehrheit abzuweichen begann, bis schließlich ihr Beispiel die anderen zur Übernahme der Neuerung bewog.“

Photo: futureatlas.com from Flickr (CC BY 2.0)

Wenn es um die Migration geht, irrt die deutsche Politik ähnlich unambitioniert, überheblich und planlos über den Platz wie die Nationalmannschaft bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft. Es wäre an der Zeit für eine neue Migrationspolitik, die Chancen realisiert, statt Krisen herbeizurufen.

Kaum eine Debatte wird so postfaktisch geführt wie jene um Migration

Tagespolitische Debatten werden auf absurde Weise irrational geführt. Einmal wird ein ganzes Land getragen von der „Wir schaffen das“-Mentalität und zeigt eine in Europa einzigartige Solidarität mit über einer Million Flüchtlingen. Und wie sieht es zwei Jahre später aus – in einer Zeit, in der laut FRONTEX die Zahl der Neuankömmlinge nicht nur weit entfernt von den 1,82 Millionen des Jahres 2015 ist, sondern auch weiter rückläufig? Da gerät über die Frage nach dem Umgang mit der Migration nicht nur die deutsche Union, sondern gleich die ganze Europäische Union ins Wanken.

Dabei werden Begriffe und Definitionen derart durcheinandergebracht, dass es selbst rationalen Beobachtern schwerfällt, gegen die allgemeine Stimmung anzukommen. Ressentiments und gefühlte Wahrheiten nehmen die Stelle von Fakten ein. Und die Politik tut ihr Übriges, indem sie (in der verzweifelten Hoffnung auf Wählerstimmen) eine akute Krise herbeiredet, wo überhaupt keine ist. Die auf diese Weise vergiftete Debatte dreht sich plötzlich nur noch um die Gefahr durch neue „Flüchtlingsströme“, die unser scheinbar so schön geordnetes und friedliches Zusammenleben überschwemmen. Das ist nicht nur ein Drama, weil Symbolpolitik die unangenehme Eigenschaft hat, Probleme – von denen sie letztlich lebt – aufzubauschen anstatt sie zu lösen. Aber es ist auch ein Drama, weil Migration ein Wachstumsmotor für Deutschland sein könnte.

Es bedarf einer koordinierten Migration, aber keiner Planwirtschaft

Zu Beginn des neuen Jahrtausends dominierten andere Sorgen die öffentliche Debatte. Es ging um den „kranken Mann“ Europas mit seinem stetig wachsenden Staatsdefizit, der hohen Arbeitslosigkeit und dem drohenden demographischen Wandel. Die deutsche Bevölkerung würde zwangsläufig immer älter und weigerte sich trotz Kindergelderhöhung beharrlich, sich zu vermehren. In der Folge – so die Schreckensvision – würde das Rentensystem kollabieren und Landstriche verwaisen. Es erscheint wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass wir uns heute darüber beklagen, dass allein zwischen 2013 und 2016 netto mehr als 3 Millionen Menschen in Deutschland eingewandert sind.

Nun könnte man argumentieren, dass es vor allem darauf ankomme, wer einwandert, und nicht nur wie viele. Das trifft aber nur bedingt den Punkt. Einerseits zeigen verlässliche Untersuchungen, dass „selbst“ Asylantragssteller (also Menschen ohne direkte Aussicht auf Arbeit), nach spätestens drei bis sieben Jahren einen signifikant positiven Effekt auf die heimische Volkswirtschaft haben. Andererseits bedeutet das nicht, dass durch eine bessere Koordination nicht Effizienzgewinne erzielt werden könnten. Ein Vorwurf, den man der aktuellen Regierung durchaus zu Recht machen kann, ist, dass sich an dieser Stelle seit dem Schock von 2015 noch immer nichts getan hat oder sogar – Stichwort Mindestlohn-Erhöhung – neue Hürden aufgebaut wurden.

Eine kluge Migrationspolitik darf nicht in Planwirtschaft münden. Es darf hier nicht darum gehen, zu „errechnen“, an welcher Stelle unserer Volkswirtschaft wie viele Arbeitskräfte benötigt würden. Keine zentrale Stelle kann wissen, ob es wirklich die hoch-qualifizierte Informatikerin ist, die Unternehmen millionenfach einstellen würden, oder der Altenpfleger, der die demographische Delle (siehe oben) versorgen soll. Stattdessen sollte es Deutschen Unternehmen ermöglicht werden, gezielt Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Menschen mit einem Job-Angebot sollte dann unbürokratisch und schnell eine Aufenthaltsgenehmigung mit Arbeitserlaubnis erteilt werden.

Warum Menschen nicht bereits im Ausland ausbilden?

Ganz neu ist diese Idee nicht. Sie taucht unter anderem im Global Compact for Migration auf, einem neuen internationalen Regelwerk, auf das sich die Vereinten Nationen Ende des Jahres verständigen wollen. Der darin enthaltenen Idee der „Global Skill Partnerships“ entsprechend, sollen Länder bilaterale Ausbildungs-Abkommen schließen. So könnte beispielsweise Deutschland mit Ruanda vereinbaren, dass die IHK in Ruanda Menschen ausbildet, von denen eine Hälfte nach abgeschlossener Ausbildung ein Job-Angebot aus Deutschland erhält, während die andere Hälfte vor Ort bleibt und die heimische Wirtschaft unterstützt.

Auf diese Weise könnten deutsche Arbeitgeber, etwa im vollkommen überlasteten Pflegebereich, dringend benötigte und nach ihren Standards ausgebildete Arbeitskräfte erhalten, während gleichzeitig die Volkswirtschaften in Entwicklungsländern keinen „Brain-Drain“ mehr fürchten müssten. Und aus humanitärer Sicht noch viel wichtiger: ein solches Modell würde die lebensgefährliche irreguläre Einwanderung, bei der jedes Jahr zigtausende Menschen sterben substantiell vermindern. Es gäbe schlicht keinen Grund mehr, sein Leben für eine illegale Einreise zu riskieren, wenn legale Möglichkeiten quasi vor der Haustür existieren.

Was Immigration wirklich für uns bedeutet: Humankapital

Sicher, ein solches Programm ist keine Lösung für jene Menschen, die sich bereits als Asylsuchende in Deutschland befinden. Doch auch diese Menschen sollten wir als wertvolles Humankapital begreifen, anstatt als unüberwindbares Problem. Die Politik sollte alles dafür tun, diesen Menschen möglichst schnell die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu ermöglichen; durch die schnelle Bearbeitung von Asylanträgen, die Aufhebung von Arbeitsverboten und vor allem die Befreiung von unnötiger Bürokratie. Dabei darf es nicht immer nur um Erwerbsarbeit gehen, schließlich ist gerade den zahlreichen Flüchtlingen, die zu großen Teilen aus klassischen Händler- und Unternehmer-Kulturen stammen, eine gehörige Portion an Gründergeist zuzutrauen. Sie könnten die alte deutsche Tradition des Unternehmertums womöglich wieder mit neuer Dynamik versehen.

Am Ende fußt Europas Wohlstand auf Ideen und Gründergeist. Je mehr Köpfe im Wettbewerb miteinander um die besten Ideen streiten, desto besser geht es unserer Volkswirtschaft. Deshalb brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Migration. Eine Ausbildung von Menschen bereits im Ausland nach dem Prinzip der „Global Skill Partnerships“ schlägt mehrerer Fliegen mit einer Klappe. Es profitieren deutsche Unternehmen, Menschen in Entwicklungsländern und sogar deren Gesellschaften. Und weitere Migrationsschocks und humanitäre Krisen wie jene auf dem Mittelmeer werden von Vornherein abgemildert. Die Idee, durch Grenzschließungen, Aufnahmelager an der nordafrikanischen Küste, und die Subventionierung von afrikanischen Despoten Menschen davon abzuhalten, zu uns kommen, erscheint im Vergleich wahrhaft töricht.

Photo: Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Von Marc Jacob, Betriebswirt, tätig im Bereich der Unternehmensfinanzierung.

Rekordeinnahmen und niedrige Arbeitslosenzahlen. Die Bundesrepublik Deutschland steht zu Beginn des Jahres 2018 in einer hervorragenden Position, um sich für die Aufgaben von Morgen bereit zu machen.  Doch die Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD haben gezeigt – die Volksparteien haben keine neuen Ideen und verschlafen die Zukunft.  Dies ist tragisch.

Es ist nicht anzunehmen, dass bei den laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD die Lektüre Sokrates zitiert wird oder eine andere Abhandlung jenes griechischen Philosophen, welcher einst die Stagnation als den Anfang vom Ende bezeichnete und mit dieser Feststellung die Koalitionsverhandlungen erheblich bereichern könnte. Denn die ersten Ergebnisse zeigen – den Parteien fällt nichts Neues ein, mehr als „Weiter so“ wird es mit der GroKo nicht geben.

Während die deutsche Wirtschaft weiter mit über 2% wächst und auch unsere europäischen Nachbarn mit substanziellen Verbesserungen der wirtschaftlichen Entwicklung glänzen können, trifft exakt diese Stagnation den politischen Betrieb in Berlin. Auch nach über 130 Tagen, seit der Bundestagswahl im vergangenen September, gibt es keine neue Bundesregierung. Während die Sondierungsgespräche und die Koalitionsverhandlungen, in denen nun endlich eine Regierung gebildet werden soll, von der alles überstrahlenden Flüchtlingsdiskussion dominiert werden, fällt das Thema der zukünftigen wirtschaftlichen Ausrichtung völlig unter den Tisch. Dabei sorgt die aktuelle hervorragende wirtschaftliche Situation überhaupt erst dafür, dass die Grundvorrausetzung für ein erfolgreiches Meistern der Flüchtlingssituation gegeben ist.

Sprudelnde Staatseinnahmen könnten dabei auch helfen, die Schwierigkeiten, vor denen die Bundesrepublik steht, zu lösen. In den verschiedensten Bereichen nagen andere Länder an der Substanz der Bundesrepublik. Die US-Steuerreform ist dabei nur eine Aktion von vielen, welche die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands angreift und dringenden Handlungsbedarf erzeugt.  Doch Deutschland ruht sich auf seiner aktuellen Position aus, neue Impulse für ein substanzielles Wachstum werden nicht gesendet.

Mit neuen Ideen für die Bildung, einer Verschlankung unserer Bürokratie und effektiven Maßnahmen in der Infrastruktur könnten substanzielle Investitionen getätigt werden. Besonders im Bereich der Infrastruktur könnten damit auch Impulse des Aufbruchs an die europäischen Nachbarstaaten gesendet werden. Stattdessen wurden schon in der letzten Wahlperiode mit falschen Entscheidungen, getriebenen durch ideologische Verbohrtheit, Branchen wie die Immobilienbrache und die Energiewirtschaft, mit Regularien überhäuft. Dies gilt auch für den Automobilbereich, jenen Sektor, welcher in Deutschland mit über 800.000 Beschäftigten einer der Motoren des aktuellen Aufschwungs ist.  Mit neuen Gesetzesvorhaben wird die Position Deutschland als uneingeschränkter Marktführer im Bereich Automobil nun von innen heraus angegriffen. Deutschland muss sich somit nicht nur der internationalen Konkurrenz stellen, sondern schafft seine Probleme selbst, eine groteske Situation.

Ein Ausblick nach vorne wird es in der kommenden Legislaturperiode nicht geben. Das Prinzip-Merkel, welches die Maxime der pragmatischen Politik vertritt, widerspricht dem Fortschrittsgedanken grundsätzlich. Dies ist besonders für die junge Generation tragisch, welche die Grundvoraussetzungen für eine prosperierende Zukunft überreicht bekommen sollten und stattdessen Probleme erben werden.

Während die Bundeskanzlerin in Davos noch mit ihrer Rede glänzte und zur zukünftigen Ausrichtung feststellte: „Wir müssen eher aufholen, als dass wir an der Spitze stehen“, wirken ihre Worte Zuhause eher wie Phrasen, als wie eine Ankündigung für neue Impulse. Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche erzeugen hierbei eher den Eindruck, dass Deutschland nicht bereit gemacht werden soll für Industrie 4.0 und Digitalisierung. Es ist fast tragisch dabei zu sehen, dass eine CDU, welche sich einst durch wirtschaftliche Kompetenz auszeichnete, heute keine wirtschaftliche Agenda mehr zu haben scheint.

Es ist nun an der Zeit, dass diese Probleme erkannt und angepackt werden.  Start-ups treffen auf Regularien von Vorgestern, innovative Unternehmen verzweifeln an ineffizienten Behörden und das schon lange nötige Einwanderungsgesetz kommt über das Dasein als Diskussionsobjekt nicht hinweg.

Sokrates lehrte einst die Jugend das eigenständige Denken und die Strukturen zu hinterfragen, damit zog er den Zorn der Herrschenden auf sich. Auch heute wäre es die Aufgabe der jungen Generation, für neue Ideen und Denkanstöße zu sorgen. Die Entscheidungen von heute sind die Basis von Morgen, deshalb müssen die vorhandenen Spielräume dazu genutzt werden, um Chancen zu ergreifen und nicht um Klientelpolitik zu betreiben.

Die Weichen für den Erfolg von Morgen werden schon heute gestellt. In den kommenden Tagen haben Union und SPD noch die Chance, den Auftrag zur Gestaltung Deutschlands anzunehmen und damit die richtigen Weichen zu stellen. Sollte dies nicht geschehen, werden die kommenden vier Jahre nichts anderes als verlorene Jahre sein.

Photo: simpleinsomnia from Flickr (CC BY 2.0)

Von Beat Kappeler, freier Journalist (Neue Zürcher Zeitung, Le Temps, Schweizer Monat u. a.).

Der Euroraum hat 33 Mitgliedstaaten, und 14 davon liegen in Westafrika. Deren Exporte sind dadurch schwer behindert, die Importe zu billig, die Industrie kommt deshalb nicht auf und Millionen Junger fliehen ans Mittelmeer. Wie kommt das?

Die ehemaligen französischen Kolonien gehörten immer zur Währungszone des CFA-Franc, der fest an die französische Währung gebunden war. Als Frankreich dem Euro 1999 beitrat, kamen diese 14 westafrikanischen Staaten mit, und dies ohne Parlamentsbeschlüsse oder Volksabstimmungen. Der „nicht veröffentlichungsbedürftige Rechtsakt“ Nr. 98/683/EG in Brüssel hielt den Beitritt Westafrikas fest.

Seither sind also die ärmsten Länder der Welt im Euro festgesetzt – und die Folgen sind noch viel dramatischer als für die sonst auch strukturschwachen Mitglieder Griechenland und Portugal. Denn die Mechanik bleibt für alle die gleiche – diese Länder können nicht abwerten, wenn sie wenig konkurrenzfähig sind. Eine Anpassung muss über die „interne Abwertung“ erfolgen, also durch den dauernden Druck auf Preise, Löhne, Staatsausgaben. Ohne Exportchancen, aber mit weit offenen Grenzen für die zu billigen Importe Europas werden Arbeitsplätze vernichtet, es entstehen kaum neue. Dazu wirkt der feste Wechselkurs auch auf die Kapitalströme – die Oberschicht Westafrikas kann ihr Geld zum für sie günstigen, hohen Kurs nach Paris oder Frankfurt senden und dort anlegen. Was Wunder, wenn die jungen Menschen fliehen und diesen verfälschten Handelsströmen und der Ausblutung durch Geldflucht sozusagen nachreisen müssen.

Die betroffenen Länder sind beispielsweise Mali, Kamerun, Niger, Kongo-Brazzaville, Senegal, Togo, der Tschad, die Zentralafrikanische Republik. Es flohen 3 von 14 Millionen aus Mali, Hunderttausende aus Senegal. Sie drängen übers Mittelmeer nach Europa.

Niemand in Europa, vor allem nicht in Frankreich, will diese Wahrheiten sehen. Kanzlerin Merkel auch nicht. Sie hat im Oktober 2016 Niger und Mali besucht, spendete Trost, aber wenig Geld. Ein Marshallplan sei nicht zu haben. Es gehe um mehr als kurzfristige Bekämpfung der Fluchtursachen. Die sofortige und wirksamste Lösung, der Austritt aus dem Euro, wurde aber nicht erwogen.

In der tristen Begleitmusik zur Merkel-Reise fiel manchen Entwicklungsexperten Deutschlands nur ein, man müsse „eine neue Beziehung“ mit Westafrika ansteuern, oder es gelte, „die Entwicklungszusammenarbeit zu überdenken“. Das sind Schablonen und Versatzstücke, welche das Denken gleich schon mal ersetzen, und dies seit je. Kanzlerin Merkel selbst bot den besuchten Ländern „Migrationspartnerschaften“ an. Dies bedeutet aber nur, dass man das Elend der dortigen Jungen gemeinsam bewirtschaftet, ohne die Ursache zu ändern. Dass nur schon aufgrund der empörenden Währungsanbindung diese Länder sich noch viel schlechter stellen als Griechenland und Portugal, dass sie im Gegensatz dazu nicht auf Dutzende von Hilfsmilliarden hoffen können, dass niemand im Leisesten an eine Paritätsänderung ihrer Währungen denkt, zeigt eine geistlose „Analyse“ der Entwicklungsbedingungen. Kritiker stehen nicht an, dies als ausgesprochenen Kolonialismus zu bezeichnen. Frankreich, und seit der Schaffung des Euro alle europäischen Lieferantenländer, haben sich dort die Märkte gesichert, brauchen keine Billigkonkurrenz zu fürchten und halten die dortigen Eliten dank deren Kapitalexporten nach Paris gefügig. Der europäische Einfluss, bis zu gelegentlichen militärischen Eingriffen Frankreichs, hält sich da einen gefälligen Hinterhof.

Den Kontrast zum Armenhaus Westafrika bieten die aufstrebenden Länder Asiens. Sie behielten ihre eigenen Währungen und stellten sie in den Dienst ihres wirtschaftlichen Fortkommens. So wertete Thailand den Baht seit 1998 um 40% ab, die Philippinen den Peso um 20%. Südkorea wertete bei einer Krise seinen Won gegenüber dem Euro, also gegenüber Senegal, Zentralafrika oder Kamerun, von 2005 bis 2009 mal kurz um 60% ab, ließ ihn seither wieder auf den alten Kurs steigen. Jetzt ist Südkorea reich, hat seine Exportmärkte halten können. Außerdem schränkten die asiatischen Länder die Transfers der Währung ins Ausland zu Beginn der Entwicklung stark ein. Deren Oberschichten mussten ihre Gelder zuhause investieren.

Offizielle Stellen und falsche Freunde der „Entwicklung“ argumentieren mit „Stabilität“, wenn sie auf die Euro-Anbindung des CFA-Franc angesprochen werden. Doch was heißt Stabilität, wenn sich ganze Länder um ihre jungen Generationen entleeren, wenn Desindustrialisierung stattfindet? Andere Experten finden, viele andere Umstände behinderten Westafrikas Entwicklung. Es sind solche Hindernisse vorhanden, in großer Zahl – aber wie sollen sie überwunden werden, wenn die Währung schon grundlegende Expansionschancen unterbindet?

In eigener Sache pflegen die Westeuropäer eine ausgeprägte Wehleidigkeit bei Währungsproblemen. Jedes Mal, wenn der Dollar um ein paar Prozentchen zum Euro fällt, fordern die Franzosen von der Zentralbank sofort Maßnahmen, und die deutsche Börse fällt, weil ein paar Exporte leiden könnten. Dass der noble Euro dies den armen Westafrikanern seit einer Generation zumutet, kommt nicht in den Sinn. Kamerun war bis 1918 deutsche Kolonie, heute steckt es mit dem hochproduktiven Deutschland in der gleichen Währungsunion, ohne sich regen zu können. Das ist Unsinn, das ist der Euro als obligate Währung Westafrikas, das ist ein Verbrechen.

Erstmals erschienen beim Austrian Institute.