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Von Christian Schmidt, Research Fellow bei Prometheus Juni – Juli 2022. Christian untersucht im Rahmen seines Promotionsstudiums an der Justus-Liebig-Universität Gießen, wie das Thema Venture Capital in der Forschung behandelt wird. Zuvor hat er in Paderborn, Hanoi und Shanghai International Business Studies studiert.

Start-Ups sind die Motoren der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Die Zukunftsfähigkeit Deutschlands hängt davon ab, ob und wie neue Unternehmen kreative Lösungen für Probleme der Zukunft finden. Umso besorgniserregender ist deshalb der Trend, dass es immer weniger gewerblicher Existenzgründungen gibt. Ein Grund dafür ist der mangelhafte Zugang junger deutscher Unternehmen zu Kapital.

Die Beschaffung von Kapital stellt besonders in der Frühphase von Unternehmungen ein Hindernis dar. Denn das Risiko des Scheiterns ist hoch. Um frühe Finanzierungsengpässe zu vermeiden, streben Gründer eine externe Finanzierung an, vorzugweise über das „Einsammeln“ von Risikokapital (oder auch: Venture Capital bzw. Wagniskapital). Wagniskapitalgesellschaften auf der anderen Seite – als eine Ausprägung von privatem Beteiligungskapital – bevorzugen in ihrer Förderentscheidung Startups mit großem Wachstumspotenzial. Diesen kaufen sie Eigentumsanteile ab und stellen im Gegenzug Finanzmittel und einen Mentor an die Seite, der mit seiner Branchenerfahrung, (Führungs-)Expertise sowie seinem Netzwerk der jungen Unternehmung helfen soll. Wagniskapital wirkt: Studien zeigen regelmäßig, dass Wagniskapital-finanzierte Start-Ups auch bei Finanzierungsrunden in der Zukunft deutlich erfolgreicher sind.

In den letzten Jahren kletterte die Summe der Wagniskapitalinvestitionen scheinbar unaufhaltbar nach oben. So verfünffachte sich die weltweite jährliche Summe an Investitionen von 66 Milliarden Dollar im Jahr 2010 bis auf 320 Milliarden Dollar im Jahr 2020. Eine Analyse des Startup-Umfeldes in Deutschland zeigt eindeutig den großen Umbruch, der sich in dieser Wachstumsphase auch bei Gründungsfinanzierungen hier zu Lande vollzog: Altbewährte Player wie Business Angels oder unabhängige Venture Capital Gesellschaften wurden durch neue Formen der Start-Up Unterstützung ergänzt: Crowdfunding-Plattformen, Corporate Venture Capital, Governmental Venture Capital sowie Inkubatoren und Accelerators erweitern die traditionelle Kapitalgeberwelt zusammen mit Exit-Optionen wie IPOs (Initial Public Offerings) oder Strategien (z.B. der Syndikatsbildung) von Wagniskapitalgebern.

Trotz dieser Veränderungen und des zunehmenden Wachstums, unterscheidet sich die deutsche Wagniskapitalszene dennoch gravierend von ihren internationalen Pendants: Während in Skandinavien, in den USA oder Großbritannien bereits seit Jahren Gelder aus den Rentenkassen in Venture Capital Töpfe fließen, ist dies in heimischen Gefilden aufgrund regulatorischer Vorgaben nicht möglich. Ebenso besorgniserregend ist die durchschnittliche Investitionshöhe deutscher Wagniskapitalgeber: Bezogen auf das durchschnittliche Handelsvolumen liegt Deutschland im EU-Vergleich nur im unteren Mittelfeld. Damit man sich mit dem europäischen Vorreiter in Sachen Wagniskapital, Großbritannien, messen kann, müssten hiesige Jungunternehmen etwa doppelt so viel Geld von Venture Capital-Investoren erhalten. Schon um das Level unseres Nachbarlandes Frankreich zu erreichen, bräuchte es ein Drittel mehr an Wagniskapital. Der heimische Investitionsmangel führt zwangsläufig dazu, dass sich vielversprechende Start-Ups an internationale Investoren wenden – und dort auch oft fündig werden. Das Ergebnis ist, dass viele innovative und erfolgsversprechende Jungunternehmen gänzlich ins Ausland abwandern. Die deutsche Wagniskapitallandschaft muss daher den nächsten Entwicklungsschritt gehen, indem sie die Rahmenbedingungen für finanzstarke Wagniskapitalgeber verbessert, um so einen attraktiveren Wachstumskontext für Start-Ups zu schaffen.

Das Problem hat die politischen Akteure erreicht: Die neue Start-Up-Strategie des Bundeswirtschaftsministeriums sieht vor, dass Jungunternehmer schneller und leichter an große Investitionen deutscher Wagniskapitalgeber kommen sollen. Weitere zentrale Eckpunkte des Programms sind Erleichterungen für die Gewinnung neuer Mitarbeiter & Fachkräfte (aus dem Ausland) und die Vereinfachung und Digitalisierung von Gründungsmöglichkeiten. So sollen zum Beispiel Gründungen künftig innerhalb von 24 Stunden möglich sein. Ebenso sollen Wagniskapitalfonds in Zukunft stärker gefördert werden, indem sie von der Umsatzsteuer befreit werden. Ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Strategie wird eine engere Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Investoren sein – der High-Tech-Gründerfonds ist hier ein Vorbild. Zudem ist es unabdingbar, dass Start-Ups in allen Wachstumsphasen Finanzierungsmöglichkeiten finden: Es ist ein großes Problem, dass nach der ersten erfolgreichen Investitionsrunde von Wagniskapital der Zugang zu Finanzmitteln in den Folgerunden häufig verwehrt bleibt. Vor diesem Hintergrund ist die Idee des Wirtschaftsministeriums sinnvoll, dass in Zukunft auch Versicherungen und Pensionskassen als Wagniskapitalgeber auftreten sollen. Doch bereits jetzt stößt dieser Vorschlag auf Widerstand in der Politik.

Die bisherigen Schwachstellen der Gründerfinanzierung in Deutschland wurden richtig erkannt: das Gros der Jungunternehmer-Szene begrüßt die formulierte Strategie. Allerdings betonen sie auch, dass sich das Programm nicht (wieder) im Dickicht der Bürokratie verlieren dürfe. Einige Aspekte wie die Besteuerung von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen müssen daher dringend reformiert werden. Auch wenn man vorsichtig optimistisch sein darf, so bleibt noch viel zu tun, um die deutsche Wagniskapitalszene wettbewerbsfähig zu machen.