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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Benjamin Buchwald, Research Fellow bei IREF, Student der Public Economics an der Leuphana Universität Lüneburg.
Nach der deutschen Wiedervereinigung war die Sorge groß, dass die neuen Bundesländer bei der Beschäftigung weit hinter den alten Ländern bleiben. Das Bild eines zweiten Süditalien zwischen Harz und Oder stand im Raum. Doch die Unterschiede bei der Arbeitslosigkeit haben sich nivelliert, einem flexiblen Arbeitsmarkt sei Dank.
Bei allen Unterschieden, die weiterhin bestehen und allen Fehlern, die in der Vergangenheit gemacht wurden, die Entwicklung der Arbeitslosenraten in den ostdeutschen Ländern stimmt optimistisch. Nicht nur im Bereich der Arbeitslosigkeit herrscht Konvergenz, auch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nähert sich dem westdeutschen Niveau an. Die Gefahr eines zweiten Mezzogiornos scheint gebannt. Ostdeutschland hat sich nicht zu einem ökonomischen Pendant Süditaliens entwickelt.
Arbeitslosigkeit in den Neuen Ländern deutlich gesunken
Es geht voran in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Ein Blick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf offenbart ein positiv stimmendes Bild: Die Arbeitslosenraten in den östlichen Flächenländern sind verglichen mit den 1990er Jahren deutlich gefallen.
Die Arbeitslosenquoten Sachsens und Thüringens – bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen – liegen heute unter derjenigen von Nordrhein-Westfalen. Auch die Quoten der übrigen ostdeutschen Länder nähern sich denen der westdeutschen immer weiter an. Seit Mitte der 1990er Jahre ist Konvergenz zu beobachten.
Ostdeutschland ein zweites Mezzogiorno?
Einige sollte die Entwicklung angesichts düsterer Vorhersagen für die wirtschaftliche Entwicklung des ostdeutschen Bundesgebietes nach der Wiedervereinigung überraschen. So wurde vor der Entstehung eines zweiten Mezzogiorno-Problems gewarnt. Gemeint war, dass die Volkswirtschaft in den östlichen Bundesländern hinsichtlich Produktivität, Bruttoinlandsprodukt, Wachstum und Arbeitslosigkeit deutlich von derjenigen der westdeutschen Länder abgehängt werden würde – ähnlich der Situation, wie sie in Italien zwischen dem nördlich-zentralen und dem südlichen Teil des Landes zu beobachten ist.
Noch 2001 argumentierten die Ökonomen Hans-Werner Sinn und Frank Westermann, dass es zwischen Ostdeutschland und Süditalien auffallende Gemeinsamkeiten gäbe und sprachen von einem zweiten Mezzogiorno. Beide Regionen wiesen ähnliche Produktivitätslücken zum Rest des Landes auf und waren auf Transferleistungen angewiesen. Als Gründe nannten die beiden Ökonomen überzogene Löhne, zu hohe Sozialleistungen und eine problematische Verteilung von Arbeitskräften auf bestehende Tätigkeitsbereiche.
Konvergenz auf dem deutschen Arbeitsmarkt
Die jüngere Entwicklung auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt ist weit weniger düster als diese vor über 15 Jahren formulierten wenig hoffnungsvollen Aussichten. Stiegen die jeweiligen Arbeitslosenquoten in den 1990er Jahre noch an und erreichten zu Beginn der 2000er Jahre ihre Höchststände, sind sie seitdem stark gefallen. Die heutigen Arbeitslosenraten aller ostdeutschen Flächenländer befinden sich nunmehr deutlich unter den Niveaus, welche unmittelbar nach der Wiedervereinigung zu verzeichnen waren.
Vergleicht man die Entwicklung der Arbeitslosenraten in Ostdeutschland mit derjenigen in den westdeutschen Bundesländern, kann seit Mitte der 1990er Jahre von Konvergenz gesprochen werden. Der Osten holte in jüngerer Vergangenheit auf.
Die Zahlen in den jeweils bevölkerungsreichten Ländern Nordrhein-Westfalen und Sachsen stehen dafür beispielhaft. 1994 betrug die Arbeitslosenquote in NRW noch 9,8 %. Im selben Jahr verzeichnete das Land Sachsen eine Quote von 14,8 %. 2005 waren Arbeitslosenhöchststände von 12,0 % in NRW bzw. 18,3 % in Sachsen zu vermelden. Auch angetrieben durch die Hartz-Reformen, sind die Arbeitslosenraten seitdem gefallen – in Sachsen jedoch deutlich stärker als in NRW. Im vergangenen Jahr betrug die sächsische Arbeitslosenquote nur noch 7,5 % und konnte damit Nordrhein-Westfalen (7,7 %) unterbieten.
Natürlich bestehen auch heute noch größere Unterschiede zwischen den ostdeutschen Bundesländern und den volkswirtschaftlich robustesten westdeutschen Ländern. Doch auch dieser Vergleich zeigt einen positiven Trend: 2016 wies Bayern mit 3,5 % die niedrigste Arbeitslosenrate auf. Den niedrigsten Wert in Ostdeutschland hatte Thüringen mit 6,7 % zu verzeichnen. Damit lag der Abstand des von der Performance her „besten“ westdeutschen Flächenlandes zum „besten“ ostdeutschen bei 3,2 Prozentpunkten. 22 Jahre zuvor fiel dieser Abstand noch deutlich größer aus. Er betrug damals 9,5 Prozentpunkte.
Auch BIP pro Kopf nähert sich westdeutschem Niveau
Trotz aller wirtschaftspolitischer Fehler, die nach der Wiedervereinigung gemacht wurden, konnte im Falle von Ostdeutschland ein zweites Mezzogiorno anscheinend abgewandt werden.
Die Arbeitslosenquoten in den süditalienischen Regionen, die substantielle Transfers aus dem Nordern erhalten und von organisierter Kriminalität sowie einem unverlässlichen Justizwesen geplagt sind, reichten von 12,1 % bis 23,2 %. Während sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Italien zwischen Nord und Süd zudem immer weiter auseinanderentwickelt, holen die ostdeutschen Bundesländer gegenüber den westdeutschen auch hier auf. Lag das ostdeutsche BIP pro Kopf zur Zeit der Wiedervereinigung noch bei weniger als 40 % des Durchschnitts in Westdeutschland, machte es 2015 bereits knapp unter 70 % aus.
Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt entscheidender Faktor
Die Ökonomen Andrea Boltho, Wendy Carlin und Pasquale Scaramozzino sehen als einen wesentlichen Grund für die positive Entwicklung der ostdeutschen Bundesländer die im Vergleich zu den süditalienischen Regionen stärker ausgeprägte Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Es wäre wünschenswert, diese positive Entwicklung durch weitere Reformen zu unterstützen und so für zusätzliche Flexibilität auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu sorgen.
Bedauerlicherweise scheint in Deutschland seit den Hartz-Reformen eher der Drang vorzuherrschen, den Arbeitsmarkt weniger flexibler zu gestalten. Der Mindestlohn ist dabei die offensichtlichste Maßnahme. Die Konsequenzen derartiger häufig gut gemeinter Maßnahmen, die den Arbeitsmarkt regider machen, sind langfristig oft nicht wünschenswert.
Zuerst erschienen bei IREF.
Ich bin seit 45 Jahren Mitglied der FDP. Eigenverantwortung und auch flexinilität bei der beschäftigung sind mir natürlich wichtig. Aber über die Botwendigkeit eines mindestlohne möchte ich nicht diskutieren. Schon der bürgerliche Anstand gebietet einen Mindestlohn. Und dazu müssen auch viele andere berufliche Leistungen höher und angemessener bezahlt werden. Sonst droht einer millionenstarken Bevölkerungsgruppe der Mittelschicht (Bildungsbürgerlicher Mittelschicht mit schon heute Bezahlung am untersten Mittelschichtrand) in dreißig Jahren tatsächlich Altersarmut. EsmußJjede/Jeder mit dem Gehalt leben können, das er sie/er verdient. Leistung muß sich lohnen (gute alte liberale Weisheit, sehr bewährt da, wo dies auch zutrifft). Den Mindestlohn mit dem Attribut einer „Reduzierung der Flexibilität des Arbeitsmarktes“ negativ zu belegen, ist genau das, was uns Liberale immer wieder den Vorwurf sozialer Kälte einbringt. Und im übrigen ist es beschäemend unanständig, auch nur darüber nachzudenken, ob Mindestlohn schädlich sein könnte. In unserem wohlhabenden Land ist Mindestlohn eine unverzichtbare Selbstverständlichkeit und ein Gebot von Mindestanstand bei allem wirtschaftlichen und unternehmerischen Handeln.
Der Autor ist ein neoklassischer Ökonom.
In der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie wird behauptet, dass man Arbeitslosigkeit mit einem Absenken der Löhne bekämpfen kann. Das ist theoretisch falsch und das Gegenteil ist richtig.
Die neoklassische Lehre wurde bereits mehrfach theoretisch widerlegt.
Die Agenda 2010 Politik war ein schwerer wirtschaftspolitischer Fehler, der dem deutschen Binnenmarkt sehr großen Schaden zugefügt hat und der Kollateralschaden ist die bis heute ungelöste Eurokrise.
Die Einführung des Mindestlohns ist die Folge eines dysfunktionalen Arbeitsmarktes.
Graf Lambsdorff hat in den 1980 er Jahre die neoliberale Wende in Deutschland mit herbeigeführt und damit einen Beitrag geleistet, dass die soziale Marktwirtschaft in diesem Land abgeschafft worden ist.
Die „theoretische“ Grundlage des Neoliberalismus ist die neoklassische Lehre der Ökonomen.
Es ist schon seltsam, was so einige Ökonomen immer wieder zusammen schreiben.
Das Problem bei der Wiedervereinigung war, dass die DDR als Staat und seine Wirtschaft komplett heruntergewirtschaftet waren.
Durch die Wiedervereinigung erlebte Deutschland eine Währungsgemeinschaft auf D-Mark Basis, in dem die Ostmark 1:1 zur D- Mark umgestellt worden ist. Vor dieser Umstellung wurden im freien Handel rund fünf Ostmark für eine D-Mark gehandelt.
Die Löhne wurden viel zu schnell in Richtung des Niveaus der westdeutschen Löhne angepasst, so dass die Ostdeutsche Wirtschaft schlagartig seine Wettbewerbsfähigkeit nahezu komplett verloren hatte und auch keine Waren mehr in den ehemaligen Ostblock exportieren konnte.
Eine beispiellose Abwicklung der alten Betriebe mit der Folge einer Deindustrialisierung weiter Teile der neuen Bundesländer war die Konsequenz.
Wie der Link zeigt, gab es deshalb eine starke Wanderungsbewegung von Ostdeutschen Bürgern nach Westdeutschland.
Auch der Altersdurchschnitt der Bürger in den neuen Bundesländern weist die höchsten Durchschnittswerte auf.
Seit der Wiedervereinigung fließen deshalb jährlich bis heute Transferzahlungen im Milliarden Bereich von Westdeutschland in die neuen Bundesländer.
Das wird auch noch für viele weitere Jahre der Fall sein.
Kein Politiker in der Bundesregierung hat auch nur ansatzweise ein konsistentes Konzept, wie die neuen Bundesländer so entwickelt werden können, dass auf Sicht eine stabile Annäherung an die alten Bundesländer erfolgen kann.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36711/umfrage/wanderungen-zwischen-westdeutschland-und-ostdeutschland/