Photo: Mehr Demokratie from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Martina Maria Wozniok, Research Fellow bei Prometheus im Januar 2024. Martina ist Masterstudentin der Philosophie an der Universität Hamburg, lebt ihre feministische Haltung sowohl in ihrem ehrenamtlichen Engagement als auch in ihrer Forschung aus. Sie beschäftigt sich in ihrem Masterstudium mit den politischen Auswirkungen vermeintlich negativer Emotionen.

Im Frühjahr 2024 erschien das Buch Radikal emotionalWie Gefühle Politik machen von Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpädagogik. Urner beschreibt, dass Emotionen nicht aus der Politik wegzudenken seien. Das, worüber wir uns streiten, wenn es um den Klimawandel, Einwanderungspolitik, Steuererhöhungen oder gendergerechte Sprache geht, hänge unweigerlich mit unseren Emotionen zusammen.

Dass es in politischen Debatten lediglich um das rationale Abwägen von objektiven Fakten gehe, kann niemand ernsthaft behaupten. Ob es überhaupt objektive Fakten geben kann, ist schon strittig in der Philosophie. Denn jedes Wissen, das wir erlangen, kommt von jemandem, der oder die es herausgefunden, niedergeschrieben und weitergegeben hat. Wie sich diese Person in der Welt bewegt, wie sie diese wahrnimmt, welche Schlüsse sie aus ihren Eindrücken und Erfahrungen zieht, ist abhängig von der gesellschaftlichen Stellung, die sie einnimmt. Ein weißer, wohlhabender Mann bewegt sich anders durch die Welt als eine arme, schwarze Frau. Es sind andere Hürden, die er überwinden muss, andere Gefahren, die auf ihn lauern, andere Sorgen, die ihn betreffen, andere Dinge, die seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Würde die Wissenschaft objektiv mit Fakten umgehen und diese unvoreingenommen verbreiten, hätte Leonie Schöler ihr Buch „Beklaute Frauen“ gar nicht schreiben müssen – ein Buch, in dem die Historikerin über Frauen schreibt, die in der Geschichtsschreibung ausgelassen worden sind, obwohl sie Großes bewirkt haben. Unser Wissen ist nicht objektiv. Fakten sind nicht objektiv. Lösungen sind nicht objektiv. Und was Rationalität ausmacht, erst recht nicht.

Frauen wird häufig die Disposition zugeschrieben, emotional zu sein, während Männer als rational eingeordnet werden. Das ist eine Unterscheidung, die einerseits sehr stereotypisch, andererseits nicht besonders hilfreich ist. Was soll es heißen, emotional zu sein? Und was soll es heißen, rational zu sein? Warum soll das eine besser als das andere sein? Und warum kann man nicht beides gleichzeitig sein?

Der Begriff der Emotionalität wird häufig auf Frauen angewendet. Und damit wird ihnen zugleich ihre Rationalität abgesprochen. Eine Frau, die ihre Trauer oder Wut zum Ausdruck bringt, wird häufig als hysterisch bezeichnet – es wird so getan, als müsse ihr nicht zugehört werden, sie solle sich erstmal beruhigen. Andererseits wird von Frauen erwartet, dass sie empathisch, fürsorglich und zum Wohl der Familie selbstlos sind. Das sind Eigenschaften, die den Zugang zu Emotionen und die Fähigkeit, mit ihnen umzugehen, voraussetzen. Ich fasse zusammen: Emotionalität ist etwas Gutes bei Frauen, wenn es sich um das Familienleben Zuhause handelt. Emotionalität ist aber etwas Schlechtes bei Frauen, wenn sie sie ausleben, um Ungerechtigkeiten aufzuzeigen und politische Debatten einzuleiten – da macht es sie unzurechnungsfähig oder unglaubwürdig.

Woher kommt der Irrglaube, dass Emotionalität Irrationalität bedeutet? Wenn jemand im Lotto gewinnt, ist Glück eine vollkommen passende Emotion. Wenn jemand stirbt, der mir nahesteht, würden wir behaupten, dass Trauer eine angemessene Reaktion ist. Und wenn jemand systematisch Ungerechtigkeiten erfährt, ist Wut eine angebrachte Reaktion darauf. Wenn ein Geschehen eine angemessene Reaktion hervorruft, sollten wir dann nicht davon sprechen, dass es rational ist, so zu reagieren? Wäre es nicht eher irrational, bei dem Tod der eigenen Mutter Freude zu empfinden oder gar nichts zu spüren? Philosoph:innen argumentieren, dass der Ausdruck von Emotionen als etwas Gutes gelten kann, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Die Emotion sowie das Ausmaß des Ausdrucks dieser Emotion müssen eine angemessene Reaktion auf das Geschehen sein. Und das Geschehen muss die Welt tatsächlich widerspiegeln. Stellen wir uns vor, dass ich wütend auf meine Freundin bin oder von ihr enttäuscht bin, weil sie meinen Laptop geklaut hat. Das ist eine angemessene Reaktion auf das Geschehen. Wenn sich aber herausstellt, dass sie ihn gar nicht geklaut hat, sondern ich ihn in der Uni vergessen habe, dann war die emotionale Reaktion unangemessen. Wenn ich darauf wütend bin, dass Männer mit der Gleichberechtigung von Frauen schlechtere berufliche Perspektiven haben, kann das eine angemessene Reaktion auf ein empfundenes Unrecht sein. Doch spiegelt das Objekt der Wut ein tatsächliches Unrecht wider bzw. ein Geschehen, das die Welt tatsächlich widerspiegelt? Nein. Bei gleicher Eignung werden auch Männer weiterhin gute berufliche Perspektiven haben. Das heißt, Wut ist in dieser Situation keine angemessene Reaktion auf das Geschehen.

Wenn ich davon spreche, dass Emotionalität etwas Gutes ist, meine ich damit, dass angemessene und gerechtfertigte Emotionen etwas Wünschenswertes sind. Diese Art der Emotionalität stellt keineswegs einen Gegensatz zur Rationalität dar und ist keine Bedrohung für die Gesellschaft. Im Gegenteil, der bewusste und angemessene Ausdruck von Emotionen kann Debatten erhellen, gegenseitiges Verständnis stärken und konstruktive Problemlösungen befördern.

Nun sind es in politischen Debatten nicht immer angemessene und gerechtfertigte Emotionen, die die politische Haltung bestimmen. Wenn ich Angst davor habe, dass durch die Aufklärung über Queerness in Schulen die Kinder reihenweise schwul und lesbisch werden, ist es eine Angst, die die Welt nicht tatsächlich widerspiegelt. Genauso wie die undifferenzierte Wut gegen Vermögende aus der Überzeugung heraus, ihr Reichtum sei stets auf Ungerechtigkeiten gebaut und stehe ihnen nicht zu. Sollten wir solche unangemessenen Emotionen nicht einfach loswerden? Leider ist das leichter gesagt als getan. Fest steht: Wir gewinnen keinen Diskurs, indem wir Menschen ihre Emotionen absprechen und versuchen, sie rein faktenbasiert zu überzeugen. Ihre Emotionen müssen gesehen, anerkannt und zum Diskussionsthema gemacht werden.

In jeder politischen Entscheidung, in jeder Debatte, in jedem Problem stecken Emotionen, die wir nicht ausklammern dürfen. Wir müssen uns mit genau diesen Emotionen auseinandersetzen, damit wir fruchtbare Diskussionen und zufriedenstellende Lösungen finden können. Für eine liberale Gesellschaft müssen wir auch die Freiheit der Emotionen zulassen und sie feiern. Sie ernst nehmen. Nur dann können wir wirklich auf den Grund unserer politischen Haltungen gehen und Probleme konstruktiv lösen. Mut zur Emotionalität! Für Frauen, für Männer, für alle!