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Von Sebastian Everding, Doktorand an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, und Dr. Johanna Jauernig, Postdoc am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (iamo) in Halle.

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sind Diesel-Fahrverbote grundsätzlich zulässig. Erste Straßenabschnitte in deutschen Städten wurden bereits für einige Dieselautos gesperrt. Diese Maßnahme ist der vorläufige Abschluss eines bisweilen erbittert geführten Schlagabtausches zwischen Umweltverbänden, Autoindustrie und Politik. Gerade das Lager der Diesel-Gegner argumentierte dabei äußerst polemisch. Ein Standpunkt zur Versachlichung war in der Debatte kaum zu finden. Deshalb plädieren wir hier für eine echte Folgenabschätzung.

Für Linken-Chef Bernd Riexinger unterstreicht das Urteil, dass „die Menschen ein Recht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit haben. „Zudem, so der Politiker weiter, sei es endlich ein „spürbarer Tritt vor das Schienbein der betrügerischen Autoindustrie“. Als vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge in Tausenden Fällen hat die deutsche Umwelthilfe (DHU) die Überschreitung der Grenzwerte bereits im Vorfeld des Urteils bezeichnet. Im Straßenverkehr nicht eingehaltene Abgaswerte seien vorsätzlicher Betrug, und die mangelnde Handlungsbereitschaft der Kommunen zeige, dass anstatt mit Geld „lieber mit dem Leben [der] Bürger“ bezahlt werde. Diese Zitate sind Beispiele für ein immer wiederkehrendes Problem in der Argumentation der Diesel-Gegner. Es werden nur die Kosten des Diesels betrachtet. Mögliche Vorteile bleiben unberücksichtigt.

Wenn die Politik eine gemeinwohlorientierte Entscheidung treffen will, darf sie nicht einseitig nur auf die Kostendimension starren. Vielmehr muss sie auch die Nutzendimension sorgfältig in Betracht ziehen. Häufig kann eine Gesetzesänderung zwar ein spezielles Problem lösen, doch ist stets damit zu rechnen, dass neue und insbesondere ungewollte Konsequenzen auftreten. Deshalb können vernünftige politische Eingriffe in der Regel nicht das Ziel verfolgen, Risiken komplett zu annullieren. In vielen Bereichen wäre dies schlichtweg unmöglich – oder zu teuer. Beispiel Straßenverkehr: Die Fahrzeuge werden zwar immer sicherer, dennoch wird es immer Gefährdungsrisiken für die Teilnehmer geben. Selbst wenn man den motorisierten Straßenverkehr abschaffen wollte, führte der Verzicht auf motorisierte Mobilität zu neuen Risiken. Man denke nur an den Nutzen, den man sich entgehen lassen würde, wenn man im ländlichen Raum für alltägliche Besorgungen oder für schnelle Krankentransporte auf Autos verzichten würde. Auch ein Verbot von Technologien wie dem Internet oder der Elektrizität würde zwar einerseits Risiken (z.B. Datenlecks, Kabelbrände) ausschließen, der Preis dafür wäre allerdings unverhältnismäßig hoch. Bei politischen Eingriffen mit dem Ziel, Risiken zu verringern, ist deswegen folgende Frage unerlässlich: Welche Einbußen wollen wir als Gesellschaft dafür in Kauf nehmen? Der Gesetzgeber ist folglich gut beraten, ein gesellschaftlich akzeptables Risikoniveau anzustreben, bei dem der Gesamtnutzen der Gesellschaft gesteigert und nicht gemindert wird.

Das gilt auch für die Diesel-Debatte: Hier benötigen wir eine wissenschaftlich gestützte Risikobewertung, die die Vor- und Nachteile abwägt und dabei die unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten verschiedener Risiken in Rechnung stellt. Eine solche Folgenabschätzung ist in der Debatte um Fahrverbote bislang – wenn überhaupt – nur sehr bruchstückhaft vorgenommen worden. Ein Hauptargument gegen Dieselfahrzeuge in deutschen Städten ist das steigende Risiko von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die DUH spricht von jährlich 10.600 Todesfällen durch Stickoxide. Bei der Berücksichtigung dieser Kosten müssen aber auch die Kosten alternativer Technologien betrachtet werden. Ein Umstieg aller Dieselfahrer auf Benzin- oder Elektromotoren würde den CO2-Ausstoß durch höheren Verbrauch bzw. energieaufwendige Produktion erheblich erhöhen. Das führt zu all den negativen hinlänglich bekannten Folgen für Umwelt und Gesundheit. Dazu kommen weitere hohe Umstiegskosten: Nimmt man den ehemaligen Justiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas beim Wort, dann sollen die Autofahrer nicht „die Zeche zahlen.“ Aber wer kommt stattdessen in Frage? Betrachtet man die Auswirkungen von Dieselfahrverboten aus ökonomischer Perspektive, ist es wahrscheinlich, dass die Autobranche jetzt schon keinen volkswirtschaftlichen Gewinn (= Erlös minus Opportunitätskosten) erzielt und somit die Umrüstungskosten auf den Konsumenten übertragen muss. Auf einem perfekten Markt entspricht der Preis langfristig den Kosten der Produktion. Nimmt man dies als Ausgangspunkt, kann gefolgert werden, dass die höheren Produktionskosten für Euro 6 Diesel von der Autoindustrie an den Verbraucher weitergegeben wurden. Die Autohersteller können somit nicht auf große Reserven zurückgreifen, aus denen sie die Umrüstungskosten bezahlen können. Sie sind deswegen dazu gezwungen, die Kosten an ihre (zukünftigen) Kunden weiterzugeben (z.B. über höhere Preise für Neuwagen). Um das Abwälzen der Kosten auf die Konsumenten wirklich zu verhindern, müsste der Staat als Zechezahler der Autoindustrie deswegen unter die Arme greifen. Der Staat müsste – will er keine weiteren Schulden aufnehmen – die Umstiegskosten durch Einsparungen in anderen Bereichen finanzieren. Laut ADAC bewegen sich die Kosten für eine Umrüstung pro Auto zwischen 1.400 und 3.300 Euro. Bei 12,4 Millionen Alt-Dieselfahrzeugen in Deutschland entstehen also Gesamtkosten von bis zu 41 Milliarden Euro. Das sind ungefähr 8% des Ausgabenvolumens des Bundeshaushaltes im Jahr 2017. Diese Summe entspricht in etwa dem Betrag, den die Bundesregierung im letzten Jahr für Arbeitsmarktpolitik und Elterngeld ausgegeben hat. Eine derart hohe Belastung wirft naturgemäß die Frage der Steuergerechtigkeit auf. Summa summarum ist es also nicht gewiss, ob Fahrverbote positive Auswirkungen auf Gesundheit, Umwelt und Gesellschaft erzielen, da durch den Umstieg auf andere Technologien neue Umweltprobleme entstehen und zudem die Frage einer massiven Steuerbelastung aufgeworfen wird.

Entscheidet man sich für die vermeintlich billige Lösung und unterlässt eine Entschädigung der Dieselfahrer, dann hätte auch dies eine gravierende nicht-beabsichtigte Folge: Das Vertrauen in den Rechtsstaat könnte nachhaltig erodieren. Dieses Argument wurde in der Debatte bislang kaum berücksichtigt. Dabei bildet ein starker Rechtsstaat, in dem Gesetze verbindlich und Verstöße justiziabel sind, die Grundlage für eine funktionierende Marktwirtschaft. Nur wenn sich die Bürger ihrer Rechte sicher sein können, also den Schutz ihres Eigentums oder die Einklagbarkeit von Verträgen verlässlich erwarten, werden sie private Tauschbeziehungen eingehen. Das Vertrauen der Bürger in den Schutz ihrer Rechte durch den Staat ist also essentiell für die Marktwirtschaft. Enttäuschtes Vertrauen kann zu schwindendem Schuldbewusstsein bei Rechtsbrüchen und letztendlich zu Selbstjustiz führen und damit schlimmstenfalls eine Spirale der Aushöhlung des Rechtsstaats in Gang setzen. Fahrverbote, die für über 15 Millionen Halter von Dieselfahrzeugen eine De-facto-Enteignung bedeuten, gefährden dieses Vertrauen in den Rechtsstaat. Wer ein Fahrzeug kauft ‒ gleich ob für privaten oder geschäftlichen Gebrauch ‒ rechnet damit, den Wagen für dessen Lebensdauer uneingeschränkt nutzen zu können und ihn gegebenenfalls zum erwarteten Wert weiterverkaufen zu können. Ist das nun nicht mehr der Fall, birgt dieser Verlust eines sicher geglaubten Wertes ein erhebliches Verunsicherungspotenzial in sich. Sozialpsychologische Studien zeigen, dass Menschen ihrem aktuellen Besitz einen wesentlich höheren Wert zuschreiben als einem Besitz, den sie erst noch erwerben müssen. Der Verlust eines bereits im eigenen Besitz befindlichen Gutes wiegt also wesentlich schwerer als die entgangene Chance, ein Gut allererst zu erwerben. Deswegen stellen Enteignungen eine besondere Gefahr für das Rechtsempfinden der Bürger und damit auch für den Rechtsstaat dar. Gesetze sollten sich immer am Wohl der Gesellschaft orientieren. Wenn sie jedoch drastisch in die Eigentumsrechte der Bürger eingreifen, sollten die Konsequenzen besonders gründlich abgewogen werden. Insofern wäre es klug, die derzeit diskutierten Übergangsfristen an der realistischen Lebensdauer von bereits erworbenen und zugelassenen Fahrzeugen orientieren.

Eine differenzierte Betrachtung des Dieselfahrverbots mit Folgeabschätzung zeigt, dass die drohende Ad-hoc-Regeländerung keineswegs automatisch dem moralischen Anliegen dient, Mensch und Natur wirksam zu schützen. Ein Fahrverbot senkt zwar den Ausstoß von Stickoxiden in den Innenstädten und verhindert damit bestimmte negative Folgen. Allerdings schafft es auch neue Probleme. Und die sind so gewaltig, dass ein Fahrverbot sich als für das Gemeinwohl kontraproduktiv erweisen könnte.

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