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Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

20 Jahre nach der letzten großen Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs ist es Zeit, die verbleibenden Wettbewerbshürden für nichteuropäische Anbieter zu beseitigen.

Der Zugang zum europäischen Luftverkehr ist für ausländische Anbieter streng limitiert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, dürfen nur europäische Fluggesellschaften Passagiere und Fracht von einem Ort zu einem anderen Ort innerhalb der Europäischen Union befördern. Dies lässt derzeit insbesondere britische Airlines zittern. Sie wären bei einem ungeordneten Brexit auf einen Schlag Nicht-EU-Fluggesellschaften und damit zunächst nicht berechtigt, innerhalb der EU Flüge anzubieten. Der Ausschluss nichteuropäischer Fluggesellschaften ist nicht nur problematisch für britische Fluglinien im Fall eines harten Brexits, sondern behindert grundsätzlich den Wettbewerb von Airlines um die Gunst europäischer Kunden. Auch Airlines, die nicht zu mindestens 50 Prozent im Besitz von EU-Bürgern sind, sollten innereuropäische Flüge anbieten können.

Mehr Fluggäste, relativ stabile Ticketpreise

Im Jahr 2017 nutzten in Deutschland über 212 Millionen Reisende das Flugzeug als Verkehrsmittel. Das waren gut 48 Millionen Passagiere mehr als 10 Jahre zuvor. Der innereuropäische Flugverkehr macht dabei einen erheblichen Teil des Gesamtflugverkehrs in Deutschland aus. Nach Daten des Statistischen Bundesamts hatten im Jahr 2018 etwa 70 Prozent aller Passagiere, die in Deutschland ihre Reise begannen, als Ziel einen innereuropäischen Flughafen. Nur 30 Prozent der Passagiere flogen zu nichteuropäischen Zielen.

Trotz regelmäßiger Berichte über günstige Tickets von Low-Cost-Airlines wie Ryanair, easyJet und Co. sind Flugpreise für die Deutschen seit 1991 etwa so stark gestiegen wie das allgemeine Preisniveau.

Europäischer Luftverkehr: Unvollendete Erfolgsgeschichte

Der 1. April 1997 ist ein besonderer Tag für den europäischen Flugverkehr. An diesem Tag fand die zehnjährige schrittweise Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs seinen vorläufigen Abschluss. Zum Schnäppchenpreis von 123 Mark konnten die Deutschen Ostern 1997 mit einer Tochter von British Airways innerhalb Deutschlands verreisen.

Seit dem 1. April 1997 dürfen EU-Airlines uneingeschränkt Flüge innerhalb der Europäischen Union anbieten und die Preise frei gestalten. Es dürfen daher auch ausländische europäische Fluggesellschaften innerdeutsche Flüge anbieten. Dies war vor der Liberalisierung nicht möglich. So ist es nicht verwunderlich, dass in den meisten europäischen Ländern nationale Monopolisten den Luftverkehr prägten – in Deutschland die Lufthansa.

Vor der Deregulierung war der Flugverkehr national reguliert und internationale Flüge waren nur durch bilaterale Luftfahrtabkommen möglich, die den Marktzugang und die Eigentümerstrukturen streng regulierten. Dies gilt bis heute für nichtinnereuropäische Flüge. Die Freiheiten des gemeinsamen europäischen Luftverkehrsraums gelten nur für Airlines aus der EU, Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz.

Fluggesellschaft europäisch genug?

Nur EU-Airlines dürfen grundsätzlich kommerziell Passagiere und Fracht von jedem Ort in der Europäischen Union an jeden anderen Ort in der Union befördern. Es ist detailliert geregelt, was eine EU-Airline ist. Die Airline muss ihren Hauptsitz in einem EU-Staat haben und über ein von diesem Mitgliedsland ausgestelltes Luftverkehrsbetreiberzeugnis verfügen. Außerdem muss die Airline mindestens zu 50 Prozent im Besitz von europäischen Staaten oder deren Staatsangehörigen sein und von diesen tatsächlich kontrolliert werden. Die Regeln gelten analog für Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz.

Nichteuropäischen Anbietern ist damit der Marktzugang so gut wie versperrt. Deshalb versucht die britische easyJet derzeit, ihre nichteuropäischen Aktionäre los zu werden, um im Falle eines Brexits weiterhin als EU-Airline zu gelten. Mit ähnlichen Schwierigkeiten kämpft die International Airlines Group (IAG), zu der unter anderem British Airways, die irische Aer Lingus und die beiden spanischen Fluggesellschaften Iberia und Vuelling Express gehören. Können Iberia und Vueling Express bis zum 29. März nicht nachweisen, dass sie spanische Airlines sind, würde ein großer Teil des innerspanischen Flugverkehrs im Falle eines ungeordneten Brexits lahmgelegt werden.

Die Erfolgsgeschichte fortführen

Die Anforderung an die Eigentümerstruktur auf dem EU-Flugverkehrsmarkt ist eine Form von Lokalisierungsbarriere, die Wettbewerb einschränkt. Wie in anderen Bereichen auch sind diese Einschränkungen vor allem kostspielig für die Verbraucher und können nur selten mit Sicherheitsbedenken begründet werden. So ist es nur schwer nachvollziehbar, warum beispielsweise American Airlines Flüge von New York nach Paris anbieten, aber keine Passagiere von Frankfurt nach Athen befördern darf. Sicherheitsbedenken können kaum Grund für diese Einschränkung sein, schließlich müssen ausländische Fluggesellschaften, die schon heute Ziele in der EU ansteuern, entsprechende Sicherheitsnachweise vorlegen.

20 Jahre nach der letzten großen Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs ist es Zeit, die verbleibenden Wettbewerbshürden für nichteuropäische Anbieter zu beseitigen. Airlines sollten unabhängig von ihrer Aktionärsstruktur Flüge innerhalb der EU anbieten und sich Zugang zu Start- und Landesrechten verschaffen können, die öffentlich versteigert und nicht wie bisher vornehmlich an alt eingesessene Anbieter vergeben werden sollten.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Eli DeFaria from Flickr (CC 0)

Aktuell wird viel über disruptive Technologien und ihre Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft gesprochen. Disruptiv sind allerdings nicht technologische Neuerungen. Selbst das Internet setzte sich nicht über Nacht durch, sondern über Jahre. Wirklich disruptiv sind politische Entscheidungen. Sie können von heute auf morgen Chaos produzieren. In diese Kategorie gehört die Brexit-Entscheidung in Großbritannien. Vertrauensabstimmungen werden angesetzt, die Abstimmung über das Brexit-Abkommen kurzfristig verschoben und vielleicht kommt es sogar zu Neuwahlen. Selbst eine erneute Abstimmung der Briten kann nicht mehr ausgeschlossen werden. In diesem Umfeld sind Investitionen von Unternehmen unkalkulierbar und die Gefahr für ökonomische Verwerfungen groß. Der Brexit ist das größte ökonomische Risiko im kommenden Jahr.

Es ist daher schon erstaunlich, dass die EU, die Bundesregierung und selbst viele Wirtschaftsverbände für eine harte Position gegenüber Großbritannien eintreten. Denn die Risiken sind nicht nur auf das Vereinigte Königreich beschränkt, sondern sind auf beiden Seiten des Kanals enorm. Für 320 Milliarden Euro exportieren europäische Unternehmen Waren und Dienstleistungen auf die Insel und umgekehrt britische Unternehmen für 196 Milliarden Euro auf den Kontinent.

In dieser Diskussion geht völlig verloren, welche Lehren die Europäische Union aus der Brexit-Entscheidung zieht. Bislang war die Strategie der Kommission und der großen EU-Staaten an Großbritannien ein Exempel zu statuieren, damit nicht weitere Staaten die Union verlassen. Daher durften die Zugeständnisse in Richtung britischer Regierung auch nicht zu groß sein. Jetzt fällt diese Strategie in sich zusammen. Wahrscheinlich wird das Abkommen keine Mehrheit im Unterhaus finden, und es droht der harte Brexit. Doch ein harter Brexit ist ein zu hoher Preis für diese Strategie. Es ist sogar eine ziemlich armselige Strategie. Wenn ein politisches Projekt wie die Europäische Union nur durch Druck und Zwang zusammengehalten werden kann, dann machen die verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten einen schweren Fehler.

Wo ist eigentlich die Diskussion um eine Reformagenda der Europäischen Union an Haupt und Gliedern? Auch das Weißbuch, das Jean Claude Juncker im März 2017 vorgestellt hat, blieb nur geduldiges Papier. Seitdem ist wenig passiert. Insbesondere konkrete legislative Vorschläge fehlen. Das liegt in erster Linie daran, dass die Staats- und Regierungschefs und die Kommission Angst vor der eigenen Bevölkerung haben. Sie trauen sich keinen großen Wurf zu, weil sie befürchten, dass die Bevölkerung ihn wie 2004 bei der Abstimmung über den Verfassungsvertrag stoppt. Dieses Trauma wirkt immer noch nach.

Die Veränderungsfähigkeit ist aber eine notwendige Bedingung für die Zukunft der Europäischen Union. Zu Beginn dieser Debatte muss eine Stärke-/Schwäche-Analyse stehen. Zu den Stärken gehört zweifellos der gemeinsame Markt. Er ist mit 500 Millionen Menschen einer der größten der Welt. Die Osterweiterung der EU hat nicht nur in den ehemaligen Ostblockstaaten zu Wohlstand geführt, sondern auch bei uns. Viele Unternehmen konnten ihre Produktion verlagern und so Kostenvorteile nutzen, um damit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.  Sicherlich hätte auch das eine oder andere Land den Aufstieg alleine geschafft, aber nicht in dieser Breite. Doch schon hier zerstören einige Mitgliedsstaaten und die Kommission diese Vorteile. Aktuelles Beispiel ist die Verschärfung der Entsenderichtlinie, die ausländische Anbieter verpflichtet, den ortsüblichen Tariflohn des Landes zu bezahlen, wo die Dienstleistung erbracht wird. Damit wird der Dienstleistungsmarkt kaputt gemacht, weil der administrative Aufwand so groß ist, dass der grenzüberschreitende Dienstleistungsmarkt dadurch zum Erliegen kommt.

Zu den Schwächen der Europäischen Union gehört, dass sie statisch auf eine immer engere Union setzt. Der ehemalige britische Premier David Cameron hatte beim Europäischen Rat im Frühjahr 2016 durchgesetzt, dass Mitgliedsstaaten vom Grundsatz der „ever closer union“ abweichen dürfen. Cameron hat die Brexit-Abstimmung anschließend dennoch verloren.

Eigentlich müsste jetzt die Abkehr von der immer engeren Union eingeleitet werden. Nicht jedes Mitgliedsland muss jede Entwicklung mitmachen. Und nicht jede Entscheidung für eine engere Zusammenarbeit ist auf Dauer in Stein gemeißelt. Ein Irrtum oder eine veränderte Sichtweise muss auch wieder korrigierbar sein. Kurz: die Europäische Union muss atmen. Nicht nur aus der EU muss man geordnet aussteigen können, sondern auch aus dem Euro. Immer dann, wenn es um die Abgabe von staatlicher Souveränität auf die europäische Ebene geht, muss es ein Rückholrecht der Mitgliedsstaaten geben. Alleine die vier Grundfreiheiten aus Waren- und Dienstleistungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit und Personenfreizügigkeit sollten alle verbinden. Dies würde auch die Zentralisierungstendenz in der EU mildern. Die Übereinkunft zur Abkehr von der immer engeren Union, die Cameron 2016 ausgehandelt hatte, wurde seitdem in den Giftschrank gesperrt.

Es darf einen nicht wundern, wenn die Fliehkräfte innerhalb der Europäischen Union daher immer größer werden. Wenn selbst solche Änderungen gleich zur Grundsatzfrage erklärt werden, dann ist die Europäische Union nicht groß, sondern ganz klein.

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in der WirtschaftsWoche.

Photo: LSE Library from flickr (CC 0)

Was passiert eigentlich, sollte Theresa May am kommenden Dienstag die Abstimmung über das Brexit-Abkommen mit der EU im Unterhaus verlieren? Dass sie keine Mehrheit im House of Commons hat, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die nordirische Democratic Unionist Party (DUP), die derzeit mit ihren 9 Sitzen im Parlament die Mehrheit der Torys sichert, verweigert eine Zustimmung. Auch Labour will nicht helfen, und die Liberaldemokraten sind eh gegen den Brexit. Mit der wachsenden Widerstandsgruppe der Brexiteers in den eigenen Reihen reicht es daher nie und nimmer für eine Mehrheit für Theresa May. Doch was passiert danach?

Dazu haben Medien eine Variante ins Spiel gebracht, die aktuell unter den britischen Parlamentariern wachsende Zustimmung erfährt, und die ich an dieser Stelle und bereits im Juni 2017 in der „Welt“ vorgeschlagen habe. Es ist der Efta-Beitritt Großbritanniens. Der Plan, der fraktionsübergreifend Unterstützer hat, wird als „Norwegen-Plus“ bezeichnet.

Der Efta-Beitritt Großbritanniens hätte Charme. Denn er wäre für die Briten ein Zurück zu den Wurzeln. Gemeinsam mit Island, Norwegen, Lichtenstein und der Schweiz bildete Großbritannien bis 1973 die Europäischen Freihandelsassoziation (Efta). Danach traten die Briten aus und der damaligen Europäischen Gemeinschaft bei. Die heutige Efta, die sich im Wesentlichen auf die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen ihrer Mitglieder konzentriert, und die EU bilden gemeinsam den Europäischen Wirtschaftsraum. Die Schweiz spielt hier eine Sonderrolle. Sie gehört zwar der Efta an, hat ihren Zugang zum Europäischen Binnenmarkt aber mit unzähligen eigenen Abkommen geregelt. Die Efta-Mitglieder haben sich gegenüber der EU eigene Rechte vertraglich zusichern lassen. Die Schweiz beispielsweise hat dies für seine Landwirtschaft getan, Norwegen für seine Fischerei. Darauf setzt der „Norwegen-Plus“-Plan. Britannien soll der Efta wieder beitreten und seine besonderen Spezifikationen in zusätzlichen Vereinbarungen mit der EU regeln.

In der aktuellen Berichterstattung wird derzeit zu wenig deutlich, um was es eigentlich am kommenden Dienstag geht. Mit Großbritannien tritt das Land mit der zweitgrößten Wirtschaftskraft aus der EU aus. Nur Deutschland hat mit 3,2 Billionen Euro ein größeres Bruttoinlandsprodukt (BIP). 2,3 Billionen Euro umfasst das Bruttoinlandsprodukt des Vereinigten Königreiches. Waren und Dienstleistungen im Wert von 320 Milliarden Euro werde jedes Jahr vom Festland auf die Insel gebracht, 196 Milliarden Euro von der Insel auf den Kontinent. Allein der Handel mit Deutschland beträgt von britischer Seite 41 Milliarden Euro und von deutscher Seite 84 Milliarden Euro. Ein harter Brexit hätte fatale Folgen für die Warenströme und die enge Verbindung der Lieferketten in ganz Europa. Die Dimensionen verwischen in der Alltagsdiskussion zuweilen.  Seit 2010 diskutieren die EU und ihre Mitgliedsstaaten über die Probleme Griechenlands. Diese sind für Griechenland selbst wahrlich bedeutend, für die EU jedoch marginal. Die griechische Wirtschaftskraft ist 13 Mal kleiner als die britische. Die Briten sind wirtschaftlich ein Gigant und die Griechen ein Zwerg. 18 der verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten haben gemeinsam eine geringere Wirtschaftskraft als das Vereinigte Königreich alleine. Ein Austritt Großbritanniens ohne ein gemeinsames Abkommen, wie mit dem grenzüberschreitenden Handel mit Waren und Dienstleistungen umgegangen wird, wäre eine Katastrophe.

Der Beitritt Großbritanniens zur Efta würde den Briten und der EU Zeit geben, die nicht gelösten Probleme geordnet zu besprechen. Diese sind wahrlich nicht trivial. Wie will man mit Irland und Nordirland umgehen, wenn nach der Übergangsphase bis 2021 keine Einigung erzielt wurde. Den angedachten „backstop“, der Nordirland dann in der Zollunion mit der EU belässt und der nur gemeinsam mit der EU gekündigt werden kann, verstehen die Briten als Souveränitätsverlust. Doch soll es wieder Grenzen auf der grünen Insel geben?  Fast 30 Jahre fand darüber ein blutiger Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland statt. Das ist sicherlich kein Weg.

Photo: Garry Knight from Flickr (CC BY 2.0)

Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle und in der Zeitung „Die Welt“ dafür geworben, dass Großbritannien wie die Schweiz werden müsse. Damit habe ich gemeint, dass die Briten bei den Austrittsverhandlungen mit der EU den Ordnungsrahmen der Schweiz übernehmen sollten. Die Schweiz ist Mitglied der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und hat ihre Beziehung zur EU und zum Europäischen Wirtschaftsraum durch bilaterale Verträge geregelt. Bis 1973 gehörte der Inselstaat noch selbst der EFTA an, bis man der damaligen Europäischen Gemeinschaft beitrat. Mitgliedsstaaten der EFTA sind heute Island, Lichtenstein, Norwegen und die Schweiz.

Zwei Jahre nach dem Austrittsreferendum in Großbritannien hat jetzt die Regierung May ein Weißbuch über ihre Vorstellungen einer künftigen Zusammenarbeit mit der EU vorgelegt. Der neue Brexit-Minister Dominic Raab hat dem Unterhaus ein 98 Seiten umfassendes Papier vorgelegt, in dem er letztlich eine Freihandelszone mit der EU vorgeschlagen hat. Zwar will Raab die Freihandelszone nur auf den Warenverkehr und nicht auf den Dienstleistungsmarkt beschränken, dennoch ist der Vorschlag nicht mehr weit weg von dem, was man vor einem Jahr hier lesen konnte. Selbst einen visumsfreien Zugang für Arbeitnehmer und Studenten nach Großbritannien sicherte Raab zu.

Die britische Regierung fürchtet mit Recht einen harten Brexit. Er hätte unvorhersehbare Folgen für den Warenverkehr von und zur Insel. Lieferketten wären unterbrochen, weil die Grenzen dicht gemacht würden. Es hätte steuerliche Folgen für Millionen Menschen und Unternehmen in der EU und in Großbritannien. Selbst Studenten, die mit einem Stipendium an einer englischen Universität studieren, wären plötzlich steuerpflichtig.

Die Risiken eines harten Brexits unterstreichen einige Zahlen: Großbritannien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU. Deutsche Unternehmen exportieren Waren und Dienstleistungen im Wert von 86 Mrd. Euro auf die Insel und umgekehrt die Briten für 36 Mrd. Euro nach Deutschland. In den letzten Jahren haben deutsche Unternehmen alleine 120 Milliarden Euro Direktinvestitionen in Großbritannien getätigt. Das alles ist kein Pappenstiel, sondern ist für den Erhalt des Wohlstandes auf beiden Seiten von entscheidender Relevanz.

Die britische Regierung ist dennoch in einer schwierigen Situation. Sie hat die Zeit durch interne Machtkämpfe verplempert und damit ihre Verhandlungsposition geschwächt. Erst jetzt hat die bislang schwankende Theresa May das Heft in die Hand genommen. Bis Ende November muss ein Abkommen stehen, sonst ist die Ratifizierung bis Ende März 2019 in Gefahr. Das ist seriös nicht zu schaffen, weil zahlreiche Streitpunkte ungeklärt sind. Großbritannien will die Hoheit über die Zollpolitik zurückerhalten und sich nicht unter ein EU-Regime begeben. Die Briten wollen sich nicht der Rechtsprechung des EuGH unterwerfen, und auch der EU-Zugang für die britische Finanzindustrie ist ungeklärt.

Für all diese Themen braucht es ein Entgegenkommen beider Seiten. In der Zollpolitik wäre es am einfachsten, wenn sich beide Seiten auf eine generelle Abschaffung von Zöllen einigen würden. Historisch könnte man sich dabei am ersten Freihandelsabkommen überhaupt ein Beispiel nehmen. 1860 vereinbarten Großbritannien und Frankreich den so genannte Cobden-Vertrag. Darin verzichtete Großbritannien auf sämtliche Zölle französischer Waren und Frankreich baute gleichzeitig massiv Zölle ab. Es war eine Blütezeit der wirtschaftlichen Entwicklung in beiden Ländern. Für die Streitschlichtung kann man sich auch an den Freihandelsabkommen orientieren und auf private Schiedsgerichte setzen. Sie haben sich international überaus bewährt, weil sie den Schutz des Eigentums in einem anderen Land gewährleisten und damit erst die Grundlage für Investitionen und Wohlstand schaffen. Problematisch wird es dagegen für den britischen Finanzsektor. Er verliert faktisch den Zugang zum europäischen Markt. Wer bislang keine Geschäftslizenz in der EU beantragt hat, wird auch bis Ende März von der EZB keine Genehmigung mehr bekommen. Der Zug ist abgefahren. Auch deshalb ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten für eine Verlängerung der Verhandlungen um zwei Jahre einsetzen. Gründlichkeit geht hier vor Schnelligkeit. Auch das können die Beteiligten von der Schweiz lernen.

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Die britische Steuer auf zuckerhaltige Getränke: ein Modell für Deutschland? Nein, denn statt den mündigen Bürger zu fördern, ist eine Zuckersteuer lediglich paternalistische Volksernährungspolitik, die vor allem die Armen trifft.

Die Debatte um die Zuckersteuer geht am Wesentlichen vorbei

In dieser Woche wurde in Großbritannien eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke eingeführt. Getränke, die mehr als 8 Gramm Zucker pro 100 Milliliter enthalten, werden von nun an mit 24 Pence pro Liter extra besteuert. Das britische Vorbild entfacht auch in Deutschland wieder eine Debatte über Sinn und Unsinn einer Zuckersteuer. Während die Organisation foodwatch es als „wissenschaftlichen Konsens“ bezeichnet, dass zuckerhaltige Getränke eine Hauptschuld für Fettleibigkeit tragen, argumentieren Gegner der Zuckersteuer mit den gescheiterten Experimenten in Mexiko und Dänemark.

Tatsächlich ist es äußerst zweifelhaft, ob eine Zuckersteuer Fettleibigkeit gerade bei Jugendlichen wirksam bekämpfen kann. Für Marktführer Coca Cola käme es einer Selbstaufgabe gleich, das Rezept für die weltweit beliebte Classic Cola zu ändern. Stattdessen verkleinert Coca Cola lieber seine Flaschen auf dem britischen Markt, um subjektive Preissprünge durch die Steuer zu umgehen. Für Befürworter der Steuer bereits ein Erfolg. Doch die Diskussion über die Wirksamkeit der Zuckersteuer ist müßig, denn es wäre viel wichtiger, einmal die Logik hinter solchen Lenkungssteuern zu hinterfragen.

Volksernährungspolitik, die vor allem die Ärmsten trifft

Konsumsteuern, wie die Mehrwert- oder eine Zuckersteuer, haben eine oft übersehene Eigenschaft: Wie sehr sie den Steuerzahler belasten, hängt vor allem vom jeweiligen Haushaltseinkommen ab. Menschen mit geringen Einkommen geben häufig einen Großteil ihres Geldes für Konsumgüter des täglichen Lebens aus. Das führt dazu, dass sie im Vergleich zu Besserverdienern auch einen wesentlich größeren Anteil ihres Einkommens lediglich für Konsumsteuern aufwenden müssen. Eine Zuckersteuer würde also gerade die Ärmsten unserer Gesellschaft am härtesten treffen, während Besserverdiener vermutlich kaum etwas merken würden.

Aber vielleicht ist genau dies die Idee hinter einer Zuckersteuer. So zeigen doch viele Studien, dass in den unteren Einkommensschichten Fettleibigkeit wesentlich häufiger vorkommt. Da erscheint es doch nur logisch, eine Steuer zu wählen, die gerade diese Einkommensschichten besonders trifft und sie damit zum „richtigen“ Verhalten erzieht. Hat die britische Regierung also alles richtig gemacht? Nein, denn die Frage ist hier nicht nur, ob die Zuckersteuer logisch oder wirksam ist, sondern wie weit der Einfluss des Staates in die private Lebensgestaltung reichen sollte. Und am Ende ist gerade die Ernährung immer noch eine höchst private Entscheidung. Eine bestimmte Lebensweise mit fiskalischen Mitteln zu erzwingen ist selbstgefällige „Volksernährungspolitik“, die vor allem diejenigen, die sich kaum wehren können, in ihren persönlichen Entscheidungen beschränkt. Oder anders ausgedrückt: Was sagt es über das Bürgerverständnis einer Regierung aus, wenn sie es für nötig hält, den von ihr Regierten einen anderen Lebensstil aufzudrücken?

Die Politik sollte sich endlich von den ganz großen Lösungen verabschieden

Sicher, Fettleibigkeit und schlechte Ernährung sind ein großes Problem, und das gerade bei Kindern und Jugendlichen. Doch es ist kein Ausweg, den Verbraucher immer weiter zu entmündigen und ihm die individuelle Lebensweise bis in kleinste zu diktieren. Dabei sind insbesondere die von vielen angeführten Kosten für die Sozialversicherungen eben kein Argument für mehr staatlichen Paternalismus. Das Besondere an Sozialversicherungen ist schließlich, dass sie Bürgern in jeder Lebenslage helfen, unabhängig davon, wie sie in eine Notsituation geraten sind. Oder sollten Menschen in Not bei der Aufnahme ins Krankenhaus zukünftig anhand ihres individuellen „Lebensstilrisikos“ befragt und eingestuft werden? Sozialversicherungen sind eine humanitäre Errungenschaft aber sie dürfen nicht dazu umgedeutet werden, den Bürger zu gängeln.

Was also ist die Alternative zur Zuckersteuer? Der Gesetzgeber sollte sich von der Idee der Makro-Lösungen verabschieden. So lehrt uns der österreichische Nobelpreisträger und Ökonom Friedrich August von Hayek, dass die großen Lösungen für gesellschaftliche Probleme immer zum Scheitern verurteilt sind. Sie bedürfen eines allumfassenden Wissens über alle Gründe für ein Problem sowie alle möglichen Effekte einer Lösung, das von keiner Regierung jemals erlangt werden kann. In der Folge führen viele gut gemeinte Regelungen am Ende dann doch zu so genannten „negativen externen Effekten“. Und da staatliche Lösungen für ein Problem dann auch noch per se zentral angelegt sind, können sie nicht einmal untereinander verglichen werde.

Stattdessen führt auch in diesem Fall der erfolgreiche Weg nur über den mündigen und eigenverantwortlichen Bürger. Dieser muss durch Bildung und Zugang zu Informationen in die Lage versetzt werden, Entscheidungen differenziert zu treffen. Dazu gehört selbstverständlich auch die Abwägung von Gesundheitsgefährdung und Genuss, die uns der Staat weder abnehmen soll noch kann. Aufklärung über gesunde und ungesunde Ernährung von klein auf sowie Kennzeichnungspflichten hingegen stärken den Konsumenten in seiner Stellung. Dass einzig der Konsument eine Trendwende einleiten kann, zeigen nicht zuletzt der seit Jahren zurückgehende Zuckergehalt von Softdrinks und das stetig wachsende Angebot von zuckerfreien Softdrinks; nicht auf Druck einer Regierung, sondern auf Verlangen des mündigen Verbrauchers.