Photo: Boris Thaser from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Die optimistische Selbsteinschätzung der Deutschen steht in einem bemerkenswerten Widerspruch zur Einschätzung der momentanen und zukünftigen Lebenszufriedenheit ihrer Mitbürger. Der Publizist Johannes Gross bemerkte dazu schon in den 70ern: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein übel gelauntes Land, aber ihre Einwohner sind glücklich und zufrieden.“

Regelmäßig werden die Deutschen in verschiedenen repräsentativen Umfragen nach ihrer Lebenszufriedenheit und ihrem Glücksempfinden gefragt. Im Detail weichen die Methoden und Befunde dieser Umfragen voneinander ab. Doch ein Trend lässt sich in allen Untersuchungen erkennen: Spätestens seit ca. 2005 sind die durchschnittliche Lebenszufriedenheit und das Glücksempfinden in Deutschland stetig gestiegen.

Laut dem internationalen World Happiness Report erlebten die Deutschen nach den Isländern seit 2004 unter den Bewohnern von Industrieländern den stärksten Anstieg ihres Glücksempfindens. Auch der World Value Survey attestiert den Deutschen ein gewachsenes Glücksempfinden zwischen der ersten Befragung in 1998 und der letzten Erhebung in 2014. Laut Eurobarometer stieg der Anteil der mit ihrem Leben zufriedenen Deutschen seit 2005 nahezu ungebrochen und erreichte 2015 mit 92 % den höchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnung für Westdeutschland in 1973.

Auch auf Deutschland fokussierte Untersuchungen zeigen einen deutlichen Aufwärtstrend. Laut Sozioökonomischem Panel stieg die Lebenszufriedenheit seit 2004 und übertrifft mittlerweile den Spitzenwert, der zu Beginn der Aufzeichnung 1990 gemessen wurde. Zum gleichen Ergebnis kommt der auf repräsentativen Telefon-Interviews basierende „Glücksatlas“ der Deutschen Post.

Die Lebenszufriedenheit der Deutschen ist seit ca. 2005 nicht nur durchschnittlich gewachsen, sondern verteilt sich auch gleichmäßiger über Individuen und Raum. Zwar ist die Lebenszufriedenheit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR weiterhin geringer als in West- und insbesondere Norddeutschland, doch seit der Wiedervereinigung näherte sich Ostdeutschland dem Bundesdurchschnitt kontinuierlich an, insbesondere unter jüngeren Kohorten. Die interindividuelle Ungleichheit der subjektiven Lebenszufriedenheit ist geringer als die Einkommensungleichheit und ist seit 2005 stärker als die Einkommensungleichheit gesunken.

Triebfedern des Glücks: Beschäftigung und Wohlstand

Weshalb wurden die Deutschen glücklicher? Ein Teil des Aufwärtstrends der letzten 15 Jahre lässt sich durch die relativ ausgeprägte Unzufriedenheit zu Beginn der 2000er Jahre erklären, als das wirtschaftlich schwächelnde Deutschland als „kranker Mann“ Europas galt. Seit den sogenannten „Hartz-Reformen“ sank die Arbeitslosigkeit merklich. Felbermayr et al. (2017) zeigen, dass die sinkende Arbeitslosigkeit die wichtigste Determinante der durchschnittlich höheren Lebenszufriedenheit ist. Wie Schöb et al 2016 für Teilnehmer von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zeigen, wirkt sich auch das Gefühl, eine nützliche Tätigkeit auszuführen, positiv auf die Lebenszufriedenheit aus. Auch der Better Life Index der OECD illustriert, dass Deutschland insbesondere hinsichtlich des Arbeitsmarkts und der Work-Life-Balance seit Jahren an Attraktivität gewonnen hat.

Einen Beitrag zum wachsenden Glücksempfinden liefert auch das Wirtschaftswachstum Deutschlands über die letzten 15 Jahre. Während einige Forscher lange davon ausgingen, dass höhere Einkommen die Bürger von Industrieländern nicht glücklicher machen, legt aktuelle Forschung einen deutlichen Zusammenhang zwischen wachsenden Einkommen und subjektivem Glücksempfinden nahe.

Weniger eindeutig ist der Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und demographischer Alterung. Statistisch erreicht die individuelle Lebenszufriedenheit in Industrieländern mit Mitte 40 einen Tiefpunkt, steigt danach an und sinkt erst im hohen Alter wieder rapide. In Deutschland beträgt das Durchschnittsalter derzeit etwa 45 Jahre, weshalb für die kommenden Jahrzehnte bei anhaltendem Wirtschaftswachstum eher von wachsender Zufriedenheit auszugehen ist. Zumindest für die nahe Zukunft erwarten die Deutschentatsächlich ein noch zufriedeneres Leben zu führen.

Individueller Optimismus, gesellschaftlicher Pessimismus

Die optimistische Selbsteinschätzung der Deutschen steht in einem bemerkenswerten Widerspruch zur Einschätzung der momentanen und zukünftigen Lebenszufriedenheit ihrer Mitbürger. Nicht nur hinsichtlich der globalen Entwicklung sind die Deutschen überwiegend überzeugt, dass die Armut in den letzten 20 Jahren zugenommen hat und dass die Welt auch in Zukunft „[k]ein besserer Ort wird“. Auch bezogen auf ihr eigenes Land erwarten die Deutschen einen düstere Zukunft: Altersarmut, Arbeitslosigkeit, Vermögensentwicklung, Umweltrisiken und wirtschaftliche Stagnation. Die jüngere Generation zeigt sich dabei besonders pessimistisch. Der Publizist Johannes Gross bemerkte dazu schon in den 70ern: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein übel gelauntes Land, aber ihre Einwohner sind glücklich und zufrieden.“

Untersuchungen zeigen, dass diese Diskrepanz zwischen „individuellem Optimismus“ und „sozialem Pessimismus“ in Industrieländern weit verbreitet ist. Der Glücksforscher Paul Dolan vermutet, dass der in Umfragen geäußerte gesellschaftliche Pessimismus teilweise suggestive Fragestellungen und mangelndes Wissen widerspiegelt. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf eine entscheidende Rolle von Informationsvermittlern wie den klassischen und sozialen Medien: Während die Verbesserung der eigenen Lebensumstände für die meisten Menschen persönlich erfahrbar ist, wird die Wahrnehmung langfristiger nationaler und internationaler Trends durch eine systematisch pessimistische, auf negative Einzelfälle fokussiertes Berichterstattung verzerrt.

Eng verbunden mit der unterschiedlich stark ausgeprägten Erfahrbarkeit persönlicher Lebensumstände und nationaler Trends ist die wahrgenommene Kontrolle über diese. Auf den Psychologen Martin Seligman geht die Hypothese des „erlernten Optimismus“ zurück, der zufolge Menschen zukünftige Entwicklungen optimistischer einschätzen, wenn sie diese direkt beeinflussen können.

Mut zum Optimismus

Die gemessene hohe persönliche Lebenszufriedenheit der Deutschen steht in Kontrast zum pessimistischen Bild ihrer Lebenswirklichkeit, das von in der Medienöffentlichkeit stehenden Bedenkenträgern mehrheitlich gezeichnet wird. Gewiss gibt es stets Möglichkeiten zur Verbesserung, doch das bereits Erreichte sollte gerade angesichts der positiven Selbsteinschätzung der Menschen in diesem Land nicht zu kurz kommen.

Die enormen, in der marktwirtschaftlich organisierten Demokratie bereits erzielten Fortschritte verdienen es, stärker in den Vordergrund gerückt zu werden. Projekte wie das durch den verstorbenen Entwicklungsforscher Hans Rosling angestoßene Gapminder oder Max Rosers OurWorldInData bieten dazu Inspiration und bilden eine wichtige Gegenstimme zu den Schwarzmalern, die die Lebenswirklichkeit ihrer Mitmenschen pessimistischer einschätzen als diese selbst. Eine ausgewogenere Würdigung der hohen Lebenszufriedenheit wäre wünschenswert – sie würde das Bewusstsein für die Gefahren schärfen, die ein „Systemwechsel“ in Form einer Abkehr vom Erfolgsmodell der marktwirtschaftlich organisierten Demokratie birgt.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Science in HD from Unsplash (CC 0)

Von Frederik C. Roeder, Gesundheitsökonom und Geschäftsführer des Consumer Choice Centers.

Die Frage, ob Gentechnik eine wunderbare Verheißung moderner Molekularbiologie oder Teufelszeug ist, macht einen grundlegenden Riss durch die grüne Bewegung deutlich. Verbände wie Greenpeace, der Bund des Umwelt- und Naturschutzes, die sogenannten “Friends of the Earth” sowie mehrheitlich die Partei Bündnis 90/die Grünen sind gegen den Einsatz von genmanipuliertem Saatgut. Teile der Grünen Jugend jedoch stellen sich neuerdings auf die Seite des europäischen Bauernverbands sowie der Mehrheit der Gentechnik-Forscher, die sich für den Einsatz stark machen. Die Spaltung der Öko-Bewegung in Gegner und Befürworter der Gentechnik ist aber mehr als eine Detailfrage über das beste Vorgehen in der modernen Landwirtschaft: Hier offenbaren sich zwei Weltbilder innerhalb des ökologischen Denkens, die miteinander kollidieren und nicht vereinbar sind. Entweder nämlich, man glaubt an den technischen Fortschritt, an die Vernunftfähigkeit des Menschen und an die Findigkeit kreativen Unternehmertums oder man sieht das Leben in der Moderne als grundsätzlich negativ an, mit seiner bedrohlichen allmächtigen Technik und seiner ausgedehnten Massenproduktion. Technik oder Verzicht, wird damit zur Zukunftsfrage der jungen Generation, nicht nur in der Klimafrage. Es gibt Hoffnung, dass sich die technikfreundliche, positive Sicht auf die Moderne innerhalb der Grünen durchsetzen könnte.

Hauke Köhn von der Grünen Jugend Hannover brachte im Herbst letzten Jahres einen Antrag bei der Grünen Jugend Niedersachsen zum Erfolg, der sich für die Verwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft ausspricht. Der Antrag fordert nichts weniger, als auf wissenschaftlicher Basis anzuerkennen, dass Gentechnik viele Vorteile für die Gesellschaft biete. Die Risiken seien hingegen überschaubar und politisch beherrschbar. Mit dieser Position ist Köhn seither nicht nur beliebt bei seinen Parteigenossen. Wie er gegenüber der “ZEIT” äußerte, habe “bei manchen Grünen-Treffen Eiseskälte geherrscht, wenn das Thema aufkam, bei anderen wurde es hitzig.” Zu tief sitzen die Vorurteile gegenüber der Gentechnik, die NGOs wie Greenpeace seit Jahren systematisch schüren.

Gentechnik habe seine Versprechen „seit jeher gebrochen“, heißt es beispielsweise auf der Internetseite der grünen Friedenswächter. Durch die „Verwendung von genmanipuliertem Saatgut konnten keine Ertragssteigerungen erzielt werden und der Pestizideinsatz steigt mittelfristig sogar an“, heißt es dort. Mit der Redlichkeit dieser Aussagen nehmen es die Aktivisten wohl nicht ganz so genau. Auf den ersten Blick stimmt es zwar: In den meisten Fällen steigert der Einsatz von Gen-Mais nicht die Ernte des Maises. Aber – und das verschweigt Greenpeace seinen Anhängern lieber – es senkt die Kosten für die Maisproduktion erheblich, weil die Pflanzen resistent gegen Schädlinge sind und daher weniger Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt werden müssen. Der Einsatz von genmanipuliertem Saatgut konnte bisher den Ertrag um bis zu 28% erhöhen und weitere Erfolge sind wahrscheinlich. Genau das passt Greenpeace aber nicht. In einem eigenen Dossier zu dem Thema heißt es, dass „genmanipulierte Pflanzen das Modell der industriellen Landwirtschaft zementieren, das globalen Märkten zwar Güter in großen Mengen liefert, die Weltbevölkerung aber nicht ernähren kann.“

Und genau das ist für Greenpeace des Pudels eigentlicher Kern. Die Landwirtschaft an sich ist böse, weil sie industriell und global agiert. Es stimmt: Unterernährung und Hunger wird es auch mit der Gentechnik noch geben, aber das liegt nicht an der bösen Landwirtschaft, sondern daran, dass Bürgerkriege, korrupte Regime und Unterentwicklung nicht durch Gentechnik allein behoben werden können. Nicht nur in der Frage der Agrarwirtschaft offenbart sich ein unwissenschaftliches Weltbild. Auch in der Frage der Gesundheit und der Risiken der Gentechnik bleiben viele Aktivisten faktenresistent. Greenpeace behauptet etwa in einem düsteren Untertitel zum Thema Gentechnik, dass “[d]er Einsatz der Gentechnik unkalkulierbare Risiken [birgt]. Mensch und Natur dürfen nicht zu Versuchskaninchen der Agrarkonzerne werden.” Die Wissenschaft aber konnte bisher keine dieser angeblich unkalkulierbaren Risiken ausfindig machen.

2010 gab die EU-Kommission ein Kompendium aus über 10 Jahren Forschung heraus, welches zu dem Ergebnis kommt, dass Gentechnik keine nachweisbaren Risiken für die Umwelt in sich trage. Auch in einer Bilanz des deutschen Bildungsministeriums aus dem Jahre 2014, nach 25 Jahren Forschungsarbeit und über 130 Projekten und 300 Millionen Euro geflossenem Steuergeld, heißt es dazu, “dass Gentechnik an sich keine größeren Risiken als konventionelle Methoden der Pflanzenzüchtung birgt.” Doch den Gegnern der Gentechnik können noch so viele Studien vorgelegt werden, belehren lassen sie sich trotzdem nicht.

Wie der Philosoph Stefan Blancke, von der Universität Gent, in einem Interview mit ZDF-Heute treffend feststellte, fällt die Panikmache vor der Gentechnik bei den meisten Menschen deshalb auf fruchtbaren Boden, weil sie Vorurteile und Naturbilder bedient, die uns intuitiv einleuchten, die aber, wissenschaftlich gesehen, weit vor das darwinistische Zeitalter zurückreichen. Die meisten Bürger würden zum Beispiel glauben, “dass alle Organismen eine Art universellen ‚Kern‘ besitzen. Einen ‚Kern‘, der diesen Organismus ausmacht, quasi definiert.“ Und daher würden in einer US-Studie Befragte nicht wissen, ob in eine Tomate implantierte Fisch-DNA die Tomate nach Fisch schmecken lässt. Das ist natürlich Unsinn, wussten aber weniger als 40 Prozent.

Solche Vorurteile führen dann dazu, dass sich knapp 80 Prozent der Deutschen in einer Umfrage des Umweltministeriums aus dem Jahr 2017 ohne erfindliche Gründe gegen die Gentechnik aussprechen. Wenige politische Fragen erreichen solch eindeutige Urteile der Öffentlichkeit. Was gerade bei diesem Thema besorgniserregend ist, da die meisten Befragten offensichtlich wenig bis keine Kenntnisse der Gentechnik besaßen. Zu der Angst, nicht mehr kontrollieren zu können, was wir über Geneingriffe erschaffen, komme, laut Blancke, die Angst hinzu, sich mit Mutter Natur anzulegen. Wir würden immer noch zu einem sogenannten zweckgetriebenen Denken neigen, das allen Naturereignissen eine bestimmte Absicht unterstelle. In dieser Sicht seien Pflanzen dazu da, uns zu ernähren, Regen, um die Erde zu bewässern und Gewitter, um uns zu erschrecken. Blancke dazu: „Gentechnik ist da plötzlich das Böse, das die Pläne von ‚Mutter Natur‘ durchkreuzt. Nicht umsonst gibt es den Begriff ‚Frankenfood‘. Die Botschaft ist klar: Legen wir uns mit ‚Mutter Natur‘ an, rufen wir gewaltige Katastrophen hervor.“

Es ist nur zu hoffen, dass sich die Sicht des 21-Jährigen Junggrünen Hauke Köhn in Zukunft durchsetzt, der in seinem Antrag mutig schreibt: “In jedem Fall können die pauschalen Vorwürfe, die gegenüber der grünen Gentechnik bestehen, nicht aufrechterhalten werden. Es sind durchaus ökologisch nachhaltige GVO vorstellbar, die gegenüber konventionellen Agrarpflanzen große Vorteile hegen.” Ergänzen müsste man noch, dass solche GVO (Gentechnisch veränderte Organismen) nicht nur vorstellbar sind, sondern schon täglich genutzt und weltweit gebraucht werden.

Photo: Sol Octobris from Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre, und Felix Gillmair.

Der Traum von einem funktionierenden Sozialismus spukt noch heute in so manchen Köpfen herum. Das gilt auch für einige Personen in Deutschland, obwohl das ungewollte „deutsche Teilungsexperiment“ eindrücklich gezeigt hat, dass bei ähnlichen wirtschaftlichen Startbedingungen, ähnlicher Kultur, gleicher Sprache etc. ein System zu Wohlstand und Freiheit geführt hat und das andere zu politischer Verfolgung und geringem Wohlstand.

Die DDR-Führung präsentierte stets gute Wirtschaftszahlen und wähnte sich unter den TOP 10 der weltweiten Wirtschaftsmächte. Die tatsächliche Leistungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft wurde spätestens mit der Wende offenbar: Sie lag deutlich unter der propagierten. Auch im Westen wurde die DDR-Wirtschaft lange überschätzt. Inzwischen gibt es zahlreiche Untersuchungen, die das Bruttoinlandsprodukt der DDR schätzen. Selbst die optimistischsten unter ihnen sehen die DDR weit hinter der BRD. Die gute Nachricht: Nach der Wiedervereinigung hat sich die Situation auf dem ehemaligen Gebiet der DDR deutlich verbessert.

DDR vs. BRD

Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2009 lag das BIP pro Kopf in der DDR im Jahr 1989 gut 56 Prozent unter dem westdeutschen. Gemäß dieser Schätzung konnte die DDR im Vergleich zu 1950 den relativen Abstand verringern. Diese Studie gehört allerdings zu den optimistischsten Berechnungen des BIPs der DDR.

Sehr unterschiedliche Schätzungen für die DDR

Die Schätzung des Bruttoinlandsprodukts der DDR, also dem Marktwert aller innerhalb eines Jahres hergestellten Produkte und Dienstleistungen, ist schwierig. In der DDR gab es keine Marktpreise, nur politisch festgelegte Preise. Daher nutzen viele Studien Preise aus Westdeutschland, um den Marktwert der Güter in der DDR zu ermitteln. Dies ist natürlich nicht unproblematisch. Zum einen spiegeln westdeutsche Preise nicht unbedingt die Knappheitsverhältnisse der Güter in der DDR wider. Zum anderen ist es schwierig Qualitätsunterschiede zu berücksichtigen. So hatte ein durchschnittliches Auto in der DDR gewiss eine andere Qualität als ein Auto aus Westdeutschland.

Die Bandbreite der Schätzungen ist hoch. Die oben erwähnte optimistische Studie aus dem Jahr 2009 geht davon aus, dass sich das BIP der DDR seit 1950 real um über 450 Prozent erhöht hat. Die pessimistischste Studie geht von einem realen Wachstum von nur gut 78 Prozent aus. Weitere Ergebnisse anderer Studien liegen zwischen diesen beiden Werten. Trotz der großen Variation ist die Wohlstandslücke zum Westen zur Wende unbestritten.

Ostblock macht auf „dicke Hose“ und der Westen glaubt(e) es

Die DDR zeigt bei den offiziellen Wirtschaftszahlen ein typisches Bild von Diktaturen. Staaten mit nicht-demokratisch gewählten Regierungen neigen dazu, bei der wirtschaftlichen Leistung des eigenen Landes zu übertreiben. Durchschnittlich geben autokratisch regierte Länder ihr wirtschaftliches Wachstum mit 15 bis 30 Prozent zu hoch an. Auch die DDR fälschte im Zuge der staatlichen Propaganda ihre Statistik massiv. So wuchs gemäß den amtlichen Zahlen des Regimes das BIP pro Kopf in den Jahren 1979 bis 1989 durchschnittlich mit beeindruckenden 4,1 Prozent pro Jahr. Tatsächlich sind allerdings jährliche Wachstumsraten von 2,7 Prozent für diesen Zeitraum realistisch. Wird die versteckte Inflation durch Qualitätsminderung mit in Betracht gezogen, belief sich das Wachstum auf gerade einmal 0,5 statt der propagierten 4,1 Prozent.

Die Propaganda hat zumindest in Teilen auch im Westen gewirkt, wo das Wirtschaftswachstum der sozialistischen Länder tendenziell überschätzt und die Ineffizienz planwirtschaftlicher Strukturen somit unterschätzt wurde.

Unterschiedliche Startbedingungen?

Einige Autoren wie Heske (2009) führen den wirtschaftlichen Abstand zur Wende vor allem auf unterschiedliche Startbedingungen nach dem Krieg zurück und weniger auf die Ineffizienz der Planwirtschaft. Unterschiedliche Startbedingungen nach dem Krieg gab es unbestritten in Ost und West. Wie entscheidend diese Unterschiede waren und in welchem Umfang sie den Rückstand der DDR-Wirtschaft erklären können, ist allerdings umstritten. So argumentiert Ritschl (1995), dass die DDR gute Bedingungen für ihre Planwirtschaft vorgefunden hat, da sie auf die auf Autarkie ausgerichtete NS-Kriegswirtschaft aufbauen konnte.

Regelmäßig wird darauf hingewiesen, dass die DDR in einem größeren Umfang als die BRD Reparationsleistungen insbesondere in Form von Demontage leisten musste. Diese geringere Kapitalausstattung habe dazu geführt, dass die DDR-Wirtschaft nicht so leistungsfähig werden konnte wie die Westwirtschaft. Für sich genommen ist die Argumentation schlüssig. Doch entscheidend ist nicht die absolute Ausstattung mit Produktionsmitteln, sondern wie viel Kapital pro Kopf zur Verfügung steht. Die massive Bevölkerungsabwanderung in den Westen hat hinsichtlich der Pro-Kopf-Ausstattung mit Produktionskapital der Demontage entgegengewirkt. Pro Kopf stand deshalb der DDR-Wirtschaft anfangs nicht weniger Kapital zur Verfügung als Westdeutschland.

Schwächen der real existierenden Planwirtschaft

Der große Wohlstandsunterschied zwischen der sozialistischen DDR und der marktwirtschaftlich ausgerichteten BRD kann durch den Verweis auf die unterschiedliche Ausgangssituation nicht überzeugend erklärt werden. Vielmehr war der Systemunterschied entscheidend.

In der DDR wurde die Produktion von Gütern und die Bereitstellung von Dienstleistungen in Plänen von staatlichen Organen wie dem Ministerrat, der staatlichen Plankommission oder den Ministerien festgelegt. Die Erfüllung der Pläne lag im Zuständigkeitsbereich staatlicher Betriebe. Nach der 1972 durchgeführten Verstaatlichungskampagne blieben nur noch vereinzelt Betriebe in privater Hand. Staatliche Betriebe waren für 99,9 Prozent der industriellen Produktion verantwortlich und mussten die ihnen vorgelegten Produktionsziele erreichen, ohne Einfluss auf diese nehmen zu können.

In Abwesenheit privaten Eigentums an Produktionsmitteln konnten keine Marktpreise entstehen, welche die relative Knappheit der Produktionsmittel hätten verlässlich anzeigen können. Die staatlichen Betriebe waren bezüglich der relativen Knappheit ihrer Inputfaktoren gewissermaßen „blind“. Zudem gab es keine individuellen Eigentümer, die unter den durch einen ineffizienten Einsatz von Ressourcen entstehenden Verlusten litten. Es überrascht deshalb nicht, dass Ressourcen in der DDR deutlich weniger effizient eingesetzt wurden als in der BRD.

In einer Marktwirtschaft signalisieren Gewinne und Verluste fortlaufend, wie erfolgreich die individuellen Pläne eines Unternehmens sind. Marktpreise, die durch den Tausch von privaten Eigentumsrechten zustande kommen, spiegeln Informationen über die Knappheit von Produktionsmitteln und Gütern wider. In Reaktion auf Veränderungen der relativen Preise von Verbrauchsgütern und Produktionsmitteln werden Ressourcen tendenziell stets einer wertvolleren Verwendung zugeführt. So kann mit dem gleichen Ressourceneinsatz fortschreitend mehr produziert werden. Anders ausgedrückt: Ressourcen werden weniger stark verschwendet.

Die (wirtschaftliche) Wende

Die neuen marktwirtschaftlichen Regeln, die mit der Wende in den östlichen Bundesländern Einzug hielten, entfalteten zügig ihre Wirkung. Das BIP ist Osten holte auf. Für das Jahr 1991 lag das BIP pro Kopf im Osten bei 42,7 Prozent des Westniveaus. In den darauffolgenden Jahren kam es zu einem deutlichen Anstieg. So erreichte Ostdeutschland im Jahr 1996 bereits 67,5 Prozent des Westniveaus. Heute liegt das BIP pro Kopf in Ostdeutschland bei 74,7 Prozent des Westwerts. Seit der Wende ist das westdeutsche BIP pro Kopf real um über 30 Prozent gestiegen. Das BIP pro Kopf ist in Ostdeutschland im gleichen Zeitraum um über 100 Prozent gestiegen.

Das Ende der Geschichte?

Die DDR-Wirtschaft war, wie die der anderen Länder des Ostblocks, in einer deutlich schlechteren Verfassung als viele Fachleute aus dem Westen glaubten. Das Rennen „Marktwirtschaft gegen Planwirtschaft“ war mit dem Zusammenbruch des Ostblocks jedoch entschieden – so dachte man. Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sprach im Jahr 1992 vom „Ende der Geschichte“. Doch der Traum von einem funktionierenden Sozialismus spukt noch heute in so manchen Köpfen herum. Das gilt auch für einige Personen in Deutschland, obwohl das ungewollte „deutsche Teilungsexperiment“ eindrücklich gezeigt hat, dass bei ähnlichen wirtschaftlichen Startbedingungen, ähnlicher Kultur, gleicher Sprache etc. ein System zu Wohlstand und Freiheit geführt hat und das andere zu politischer Verfolgung und geringem Wohlstand.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Levan Ramishvili from Flickr (Public Domain)

Von Max Molden, Ökonom, Philosoph und Politikwissenschaftler.

Friedrich von Hayeks Road to Serfdom ist für einige das bedeutendste politische Buch des 20. Jahrhunderts, für andere ein missglückter, von der Erfahrung widerlegter Ausflug eines Ökonomen in fremde Gefilde. Der Weg zur Knechtschaft war zuvorderst ein Weg der Missverständnisse. Dass sowohl Freund als auch Feind Hayek oft missverstanden, zeigt eindringlich, wie wichtig die präzise und sinngemäße Verwendung von Begriffen ist.

1944 publizierte der österreichische Emigrant Friedrich von Hayek in Großbritannien den Weg zur Knechtschaft, der schnell das Interesse der breiten Öffentlichkeit weckte. Hayek trieb die Frage um, ob Sozialismus notwendigerweise zur Zerstörung der politischen Freiheit führt. Dass dies unausweichlich geschehen müsse, war die klare Schlussfolgerung seiner Untersuchungen, die er als Warnung „den Sozialisten in allen Parteien“ widmete.

Der US-amerikanische Nobelpreisträger Paul Samuelson resümierte 1989 in einem Lehrbuch für Ökonomik, dass Hayeks Vorhersage, Staatsintervention in eine Marktwirtschaft führe unausweichlich zum Verlust der politischen Freiheit, in der Realität nicht eingetroffen war. Anderen, meist konservativen Kreisen zuzurechnenden Personen war und ist genau diese These eine dringliche Warnung, jeglicher Intervention strikt ablehnend gegenüber zu stehen.

Doch Hayek hatte diese These, welche sowohl Zustimmung als auch Ablehnung fand, nie verteidigt, ihr sogar vehement in Wort und Tat widersprochen. Wie er später festhielt, hätte es ja wenig Sinn ergeben, eine Warnung an die Sozialisten aller Parteien auszusenden, wenn die Knechtschaft bereits unausweichlich wäre – denn Interventionen in die Marktwirtschaft gab es sowohl in Großbritannien als auch in den Vereinigten Staaten 1944 bereits zuhauf. Eben weil Hayek also die ihm von Samuelson und anderen unterstellte These ablehnte, verfasste er eine Warnung, um eine unbeabsichtigte Entwicklung der westlichen Staaten, an deren Ende der Verlust der politischen Freiheit stehen würde, zu verhindern.

Zumindest maßgeblich für dieses große Missverständnis zwischen Hayek und seinen Lesern ist wohl ein eklatant verschiedenes Verständnis des Begriffes „Sozialismus“: Hayek verstand hierunter ein System des Gemeinschaftseigentums an den Produktionsmitteln; für Samuelson und andere war bereits der Eingriff des Staates in das Preissystem sozialistisch. Dies führte also sogar in wissenschaftlichen Kreisen zu hartnäckigen Missverständnissen. Auch heute besteht noch die Gefahr, dass Hayeks eigentliche These, Gemeinschaftseigentum an den Produktionsmitteln muss zum kompletten Verlust der politischen Freiheit führen, mit dem offensichtlichen Nichteintreten der ihm fälschlicherweise unterstellten Vorhersage unberechtigterweise mitdiskreditiert wird.

Derart umstrittene Begriffe wie Sozialismus oder auch Liberalismus, Freiheit oder Gleichheit wird man wohl nicht mehr einer einzelnen Bedeutung zuführen können. Dafür sind sie im politischen (und auch wissenschaftlichen) Diskurs zu wertvoll – zu stark positiv besetzt, als dass eine politische Fraktion sie aufgeben könnte. Und doch zeigt die ambivalente Verwendung des Wortes „Sozialismus“ im obigen Fall wie kostbar begriffliche Klarheit ist. Nur wenn die Sprache klar ist, können Ideen vermittelt und ausgetauscht werden, kann man einander verstehen und ist sinnstiftender Diskurs möglich. Nur so können andere Hayeks Warnung nachvollziehen. Nur so ist es möglich, zu begreifen, was der Weg zur Knechtschaft ist und wie diese verhindert werden kann – oder vielleicht auch Argumentationsfehler Hayeks zu entdecken. Begriffe sollten daher möglichst ihrem allgemein akzeptierten Sinn entsprechend gebraucht sowie ihre Bedeutung präzise bestimmt werden.

Aber dies ist häufig nicht der Fall. Und so leiden auch heute viele Diskussionen im öffentlichen Raum unter der schwammigen Verwendung von Begriffen. Manch einer schreibt Brandreden gegen Parteien, die eine Gefahr für die „Demokratie“ seien, in denen dann aber Kern des Bedenkens die Verluste von Bürgerrechten, Freiheit oder Anstand sind und eben nicht die Ersetzung der Herrschaft des Volkes durch ein anderes Prinzip. Andere verwenden den Begriff „Privileg“ – ursprünglich die Bezeichnung für ein vom Gesetzgeber gewährtes Vorrecht – in gänzlich anderen Zusammenhängen. Beispielsweise um ungleiche Zukunftschancen durch das Elternhaus zu kritisieren, wo aber niemandem ein Vorrecht gewährt wurde, das womöglich auch noch zum Nachteil der anderen (oft als Unterprivilegierte bezeichnet) wirkt.

Natürlich ist es opportun, Begriffe anderen Bedeutungen zu überführen, wenn diese Begriffe, wie das Privileg, bereits starke Assoziationen mit sich führen oder vielleicht negativ konnotiert sind. So kann eine mit der ursprünglichen Bedeutung verbundene Assoziation auf die neue Bedeutung übertragen werden. Vielleicht spielen auch andere Faktoren in der Sprachentwicklung eine Rolle, sei es möglicherweise nur der Zufall. Schlussendlich aber birgt die unpräzise und nicht mehr einheitliche Verwendung von Begriffen das Risiko, Missverständnisse zu erzeugen und vielleicht gar einen Zerfall der Kommunikation auszulösen. Hayeks Warnung vor der Zwangsläufigkeit der Zerstörung der politischen Freiheit in einem sozialistischen System mag untergehen im Getose derjenigen, die den Erfolg des skandinavischen Wohlfahrtsstaates zelebrieren, der aber ja nicht sozialistisch ist im Sinne Hayeks. Parteien, die zuvorderst eine Gefahr für die Freiheit – die Werte der westlichen Zivilisation – darstellen, können die ins Kleid des Demokratieschutzes gehüllte Kritik zurückweisen und sich gar zum Beschützer der Demokratie emporschwingen. Diskussionen über soziale Gerechtigkeit und Privilegien können in beidseitigem Unverständnis ob der zugrundeliegenden Sachverhalte und möglicherweise in einer radikalen Blockadehaltung enden, die eine konstruktive Lösung der Probleme zumindest erschwert.

Die Gefahr, die über all dem schwebt, ist einerseits, dass äußerst wertvolle Ideen verlorengehen oder missverstanden werden: Vielleicht hätte sich der ein oder andere gegen manche Handlung, manchen Weg entschieden, wenn er denn die Warnungen anderer verstanden hätte. Andererseits kann aus dem abnehmenden Verständnis der Bürger untereinander in einer Gesellschaft ein abnehmender Wille zur Verständigung folgen. Denn wieso soll sich verständigen, wer sich nicht mehr versteht?

Erstmals erschienen bei Peace Love Liberty.

Photo: Natalya Letunova from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Dilara Wiemann, Ökonomin, Research Assistant bei IREF.

In der Debatte um den Ausbau der Infrastruktur zeigt sich, dass die derzeitigen Planungs- und Genehmigungsverfahren mit jahrelangen Plan- und Gerichtsverfahren verbunden sind. Die bisherigen politischen Bemühungen zur Lösung des Zielkonfliktes zwischen Bürgerbeteiligung und notwendigen Infrastrukturmaßnahmen greifen zu kurz.

Deutschland kommt mit dem Ausbau der Infrastruktur nur langsam voran. Das liegt mitunter an häufig langwierigen Planungsverfahren. Politik und Wirtschaft fürchten um die Zukunftsfähigkeit des Landes. Sie fordern, das deutsche Planungsrecht zu reformieren, um Verfahren zu beschleunigen. Aus der Nähe betrachtet zeigt sich, dass insbesondere die hohe Komplexität der Plangenehmigungsverfahren in Kombination mit der derzeitigen Form der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Langwierigkeit der Verfahren beiträgt. Zielführend wären insbesondere ein Bürokratieabbau in Form einer eingeschränkten Öffentlichkeitsbeteiligung und ein verschlankter Verfahrensablauf.

Ein prominentes Beispiel für ein langwieriges Verfahren ist die Elbvertiefung. Seit 2002 geplant, konnten die Arbeiten erst 17 Jahre später beginnen. Insbesondere zahlreiche Klagen von Umweltverbänden, wie dem BUND, NABU oder WWF verhinderten über fast zwei Jahrzehnte den Baubeginn. Der Hamburger Senat sprach in diesen Zusammenhang von einem der umfangreichsten Klageverfahren, das je vor einem Bundesverwaltungsgericht verhandelt wurde. Die Umweltverbände konnten einige Detailanpassungen durchsetzen, etwa im Hinblick auf die Ablagerung des Baggergutes oder Ausgleichmaßnahmen für seltene Fisch- und Pflanzenarten. Nun darf die Elbe wie ursprünglich geplant vertieft werden.

Auch das deutsche Bahnnetz leidet unter der langen Planungsdauer. Wie Untersuchungen des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung (FÖV) zeigen, wurden zwischen 2013 und 2016 nur 13 von 106 Eisenbahnverfahren innerhalb der gesetzlichen Frist von 7 Monaten und einer Woche genehmigt.

Langwierige Planungsverfahren

Mitverantwortlich für lange Planungsdauern sind die Planfeststellungsverfahren. Beinahe alle nennenswerten Infrastrukturmaßnahmen, von Straßen- und Bahnnetzen bis zu Energieversorgungsleitungen, müssen ein Planfeststellungsverfahren durchlaufen. Diese Genehmigungsverfahren kommen zum Tragen, sobald ein Projekt Relevanz für die Öffentlichkeit hat.

Dementsprechend sollen betroffene Bürger frühzeitig eingebunden werden, um etwaige Interessenkonflikte zwischen den betroffenen Parteien beizulegen. Konkret steht Bürgern genauso wie Verbänden eine mindestens einmonatige Einwendungsfrist im Zuge der Planfeststellung zu. Innerhalb dieser Frist können beliebig viele Einwendungen eingereicht werden.

Komplexe Planfeststellungsverfahren

Bevor Infrastrukturmaßnahmen umgesetzt werden können, muss der Bedarf festgestellt werden. Danach folgen, beispielsweise für Autobahnen, die Bundesverkehrswegsplanung, ein Raumordnungsverfahren, die Linienbestimmung und letztlich das Planfeststellungsverfahren.

Im Gegensatz zu üblichen Baugenehmigungen für raumbedeutsame Vorhaben wird im Zuge der Planfeststellung nicht nur die Frage der generellen Zulassung erörtert, sondern alle Aspekte für oder gegen das Vorhaben.

Bereits die Vorbereitung der Erörterungstermine, zu denen die erfolgten Einwendungen diskutiert werden, erfordert eine signifikante Vorlaufzeit: So ist vor der öffentlichen Bekanntmachung meist eine langwierige Zusammenarbeit zwischen Behörde und Investoren notwendig, da häufig Unterlagen nachgereicht und nachgebessert werden müssen.

Einwendungen und Klagen verzögern Verfahren

Einwendungen von Bürgern und Verbänden verstärken potentiell die bereits durch die Komplexität der Verfahren entstehende Last. Nachdem die Planungsunterlagen öffentlich ausgelegt wurden, muss jede Einwendung gegen das Vorhaben bei einem Erörterungstermin angehört werden, bevor ein Spatenstich gesetzt werden darf.

Ein Blick auf aktuelle Zahlen aus Nordrhein-Westfalen illustriert die Folgen der vielfältigen Einwendungsmöglichkeiten anschaulich. In NRW, einem der wichtigsten europäischen Verkehrsknotenpunkte, rechnet der Landesbetrieb Straßenbau NRW derzeit mit einer Dauer von Planfeststellungsverfahren von bis zu drei Jahren, da pro Verfahren bis zu 3.000 Einwendungen eingereicht werden, die den Straßen- und Schienenausbau um Jahre verzögern.

Ergebnisse des FÖV zeigen, dass die zeit- und arbeitsintensivsten Phasen der Planungsverfahren die Erörterungstermine für die eingereichten Einwendungen sowie die dazu zu verfassenden Stellungnahmen sind.

Verbände zählen zu den Haupteinwendern. Die Wahrnehmung dieser Möglichkeit wird zuweilen politisch angeregt. So werden beispielsweise in Berlin Naturschutzvereinigungen gesondert über bevorstehende Verfahren benachrichtigt, obwohl bei jedem Verfahren eine Umweltverträglichkeitsprüfung gesetzlich verpflichtend ist.

Selbst nachdem die Planungen alle Einwendungen sowie Abwägungen durchlaufen haben und der Planfeststellungsbeschluss seitens der Behörde genehmigt wurde, ist dies noch keine Garantie für den Beginn des Projekts. Der Planfeststellungsbeschluss kann noch rechtlich angefochten werden. Umwelt- und Naturschutzverbände genießen ein selbstloses Klagerecht, das heißt, sie dürfen klagen, selbst wenn ihre Belange nicht direkt vom Planfeststellungsbeschloss betroffen sind. Häufig durchlaufen derartige Rechtsstreite über mehrere Jahre alle Instanzen – vom Verwaltungsgericht bis hin zum Bundesverwaltungsgericht.

Planfeststellungsverfahren vereinfachen

In den vergangenen Jahren wurden von Seiten der Politik erste Schritte zur Vereinfachung der Genehmigungsverfahren eingeleitet. Dazu gehört das im September 2018 vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich. Unter anderem sieht es die Möglichkeit einer „vorläufigen Anordnung“ vor. Demnach dürfen bereits vor Erteilen des Planfeststellungsbeschlusses erste vorbereitende Maßnahmen, etwa Kampfmittelbeseitigungen, durchgeführt werden.

Allerdings gehen vielen diese Maßnahmen nicht weit genug. So legten im September 2019 der Vorsitzende der Union-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, und Vertreter der Union einen 11-Punkte-Plan mit der Forderung nach einer umfassende Reform des derzeitigen Planungsrechts vor.

Mehr Personal in den Ämtern

Zum einen wird eine Aufstockung des Personals in den Planungsämtern und Genehmigungsbehörden gefordert. Dazu zählt beispielsweise auch eine umfassendere Einbindung von externen Ingenieursbüros. Außerdem soll das Personal für die langwierigen Gerichtsverfahren aufgestockt werden. Auch das Deutsche Institut der Wirtschaft moniert, dass auf Länder- und Kommunalebene ausreichende Kapazitäten und Kompetenzen in den Bau- und Planungsämtern fehlen.

Allerdings besteht der vorherrschende Personalmangel nicht unabhängig von der Struktur der Planungsverfahren. Auch durch weniger komplexe und arbeitsintensive Verfahren könnte die Personalintensität reduziert und der festgestellte Personalmangel adressiert werden.

Effizientere Öffentlichkeitsbeteiligung

Zum anderen fordern die Unionspolitiker eine Neuverhandlung der sogenannten Aarhus-Konvention, welche die umweltrechtlichen Vorschriften der Öffentlichkeitsbeteiligung auf EU-Ebene definiert. Dazu soll das Ausmaß der Klagerechte von Umweltverbänden auf Belange beschränkt werden, die den jeweiligen Verband direkt betreffen oder sofern eine ordnungsgemäße Beteiligung der Umweltverbände im Genehmigungsverfahren nicht gewährleistet war. Im Gegensatz zu den europäischen Nachbarn ist in Deutschland auf jeder Verfahrensstufe eine Öffentlichkeitsbeteiligung sowie eine Umweltprüfung notwendig – in Dänemark oder den Niederlanden wird nur einmal geprüft, genauso wie es die europäische Richtlinie vorgibt.

Obwohl die Beteiligung der Öffentlichkeit an Planungsverfahren wünschenswert ist, scheint eine Einschränkung zum Zweck der Reduzierung der Verfahrensdauer angezeigt zu sein. Derzeit wird die Öffentlichkeit auf allen Verfahrensstufen beteiligt. Stattdessen wäre es effizienter, sie in nur einer Verfahrensstufe einzubinden. Durch die Beteiligung von Bürgern an Planfeststellungsverfahren soll vermieden werden, dass ihre Interessen ignoriert werden. Aber auch die Interessen der (noch nicht) direkt beteiligten Bürger gilt es zu berücksichtigen. Nutzen nun einige Bürger direkt oder indirekt über Verbände ihr Recht auf Beteiligung, um zum eigenen Vorteil und zugleich wider die Interessen anderer ein Veto einzulegen, zweckentfremden sie das Instrument der Bürgerbeteiligung. Das gilt insbesondere dann, wenn ihr mögliches Leid gering ausfällt oder gar kompensiert werden könnte, sie das Verfahren jedoch mit juristischen Mitteln aufhalten, um es temporär oder vollständig zu verhindern.

Weniger Verfahrensstufen

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kritisiert, das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz greife zu kurz. Anfang November 2019 unterbreitete der DIHK daher eine Reihe von Reformvorschlägen für das Planungsrecht. Maßgeblich ist dabei die Forderung, dass derzeit mehrstufige Verfahren in einen zentralen Vorgang zu bündeln – mit nur einer Umweltprüfung und nur einer Öffentlichkeitsbeteiligung. Darüber hinaus sehen die Vorschläge des DIHK vor, dass die Erörterungstermine nur dann stattfinden, wenn wesentliche Erkenntnisse aus der Diskussion zu erwarten sind. So könnte einerseits eine einfache und transparente Öffentlichkeitsbeteiligung sichergestellt werden, andererseits könnte ein zeitaufwendiger Teil der Planungsverfahren, der mit der Anhörung der Einwendungen einhergeht, effizienter gestaltet werden.

Mehr Bürokratieabbau, weniger Planungsverzögerungen

In der Debatte um den Ausbau der Infrastruktur zeigt sich, dass die derzeitigen Planungs- und Genehmigungsverfahren mit jahrelangen Plan- und Gerichtsverfahren verbunden sind. Die bisherigen politischen Bemühungen zur Lösung des Zielkonfliktes zwischen Bürgerbeteiligung und notwendigen Infrastrukturmaßnahmen greifen zu kurz.

Statt vornehmlich Personal in den Ämtern aufzustocken, sollte der Gesetzgeber vorrangig bemüht sein, die rechtlichen Rahmenbedingungen der Planungsverfahren umfassend zu reformieren und zu verschlanken. Wünschenswert wären eingeschränkte Klagemöglichkeiten für Verbände sowie eine effizientere Form der Öffentlichkeitsbeteiligung, auch durch eine Reduzierung der Verfahrensschritte.

Erstmals erschienen bei IREF.