Photo: Thomas from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Wenn heute das Bundesverfassungsgericht abschließend über die Klage zum Anleihenkaufprogramm OMT der Europäischen Zentralbank beschließt, dann tut sie dies in bewegten Zeiten. Denn zahlreiche Institutionen, die über viele Jahrzehnte hohes und höchstes Ansehen genossen, kämpfen inzwischen um ihre Glaubwürdigkeit. Das ist in einem demokratischen Rechtsstaat bedenklich. Denn der Rechtsstaat setzt Vertrauen voraus, damit sich Bürger ebenfalls genötigt sehen, sich an Recht und Gesetz zu halten. Das sichert das friedliche Zusammenleben und schützt den Einzelnen vor Willkür. Das Schleifen von Regeln ist vielleicht kurzfristig opportun, um ein Problem vom Tisch zu wischen, es zerstört aber am Ende alles.

Deshalb ist es wichtig, dass das Verfassungsgericht seine Leitlinien, welche es beim Vorlagebeschluss für den Europäischen Gerichtshof im März 2014 aufgestellt hat, jetzt auch folgt. Im Jahr 2012 hat die EZB mit dem so genannten OMT-Beschluss angekündigt, unter bestimmten Voraussetzungen unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen zu wollen. Das Verfassungsgericht deutete in seinem Beschluss eine Überschreitung der Kompetenzen der EZB an, sollte die EZB die Ankäufe nicht auf ein Volumen begrenzen. Der EuGH sah diese Bedenken nicht, sondern wischte kürzlich diese beiseite. Sein Urteil war bereits eine schallende Ohrfeige für das Bundesverfassungsgericht. Doch jetzt ist das Karlsruher Gericht wieder am Zuge und müßte jetzt eigentlich der Bundesbank einen möglichen Vollzug untersagen.

Die andere Institution, die Vertrauen genießt, ist die Europäische Zentralbank. Doch hier muss man betonen, dass sie Vertrauen genoß. Inzwischen hat sie dieses Vertrauen, das durch die Bundesbank über viele Jahrzehnte aufgebaut wurde und seit der Euro-Einführung auf die EZB übertragen wurden, verspielt. Die EZB unter Mario Draghi hat inzwischen ihr höchstes Gut verspielt. Denn außer Vertrauen hat unsere Währung und ihre Zentralbank kein weiteres Asset. Die Währung ist an keinen realen Wert mehr gekoppelt, sondern sie basiert lediglich auf dem Recht und seiner Verläßlichkeit. Lange Zeit wurde unterstellt, dass die Beugung des Rechts notwendig sei, um Schlimmeres zu verhindern. Doch die Wirkung dieser Rechtsbrüche sehen wir heute.

Die EZB ist dabei, immer mehr und immer intensiver zu intervenieren. Jetzt kauft sie erstmalig in großem Stil auch Unternehmensanleihen auf, um die Finanzierungskosten von Unternehmen zu reduzieren. Sie hofft auf schnellere und bessere Finanzierungsmöglichkeiten, damit Unternehmen investieren. Doch tatsächlich führt dies zu einer Zweiteilung des Anleihenmarktes für Unternehmen. Große Unternehmen, die ein gutes Rating haben und Anleihen begeben können, profitieren. Kleine Unternehmen, die nur einen schlechten Zugang zum Anleihenmarkt haben, kommen aus zwei Richtungen unter Druck.

Erstens müssen sie sich über Banken refinanzieren, die aufgrund der Altlasten in ihren Bilanzen zurückhaltend sind, und daher höhere Zinsen verlangen oder gar keine Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergeben. Und zweitens bekommen die großen Unternehmen schneller und preiswerter frisches Geld und können damit die kleinen und mittleren Unternehmen mit dem Geld der EZB übernehmen. Staatlich gelenkte Oligopole und Monopole entstehen so. Gerade die oft kleinteilige deutsche Industrielandschaft ist davon besonders betroffen. Zu Beginn der 2000er Jahre sprach der damalige Arbeitsminister der SPD Frank Müntefering von Heuschrecken, die über die deutschen Unternehmen ziehen, sie aussaugen und dann wieder verschwinden. Diese Vergleiche wurden mit Recht kritisiert, sollte man Unternehmen doch nicht mit Tieren vergleichen, dennoch waren die 2000er Jahre nur ein zartes Lüftlein, wenn die Politik Draghis erstmal seine Wirkung entfaltet.

Mit der marktwirtschaftliche Ordnung, die Ludwig Erhard und sein Vordenker Walten Eucken im Sinn hatte, hat dies nichts zu tun. Sie wollten Institution, die Vertrauen durch einen Ordnungsrahmen schaffen, der bestimmte Unternehmer nicht lenkt und bevorteilt, sondern in dem jeder seines Glückes Schmied ist. Diesem Ordnungsrahmen wieder Glaubwürdigkeit einzuhauchen, kann das Verfassungsgericht mit seinem Urteil leisten. Man sollte nie die Hoffnung aufgeben.

Erstmals veröffentlicht in der Fuldaer Zeitung am 18. Juni 2016.

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