Photo: Stefan Müller from Flickr (CC BY 2.0)
Von Tristan Brömsen, Research Fellow bei Prometheus Dezember 2022 bis Januar 2023. Tristan führt im Rahmen seiner Masterarbeit an der Sciences Po in Paris eine Big-Data-Diskursanalyse der deutschen Energiepolitik von 2019 bis 2022 durch.
Nur Elektronen und Moleküle? Wer glaubt, dass Energiepolitik nur durch technische Grenzen definiert ist, irrt. Stattdessen wird die Energiepolitik maßgeblich durch Narrative im gesellschaftlichen Diskurs bestimmt. Das zeigen ganz besonders die Diskurse der vergangenen Jahre in der Energiepolitik: eine Energiekrise in Folge eines Angriffskriegs; eine Weltmeisterschaft in einer der größten Exportnationen von Erdgas; die Fridays-for-Future-Demonstrationen, gefolgt vom Bundes-Klimaschutzgesetz; und eine neue Bundesregierung mit ehrgeizigen Ausbauzielen für erneuerbare Energien. All diese Faktoren beeinflussen, wie wir über Energie sprechen. Dass ein Windrad Strom erzeugt, hängt vom Wetter ab. Der Bau hängt aber eben auch an der Akzeptanz im politischen Diskurs. Auch wenn Expertinnen und Politiker ihre Positionen gerne als faktenbasiert präsentieren: unser Energiesystem ist mindestens genauso von Ideen und Diskussionen gelenkt wie von physikalischen Gesetzen.
Die sogenannte Diskurstheorie analysiert, wie sich Konzepte im politischen Diskurs verhalten. Ein Beispiel ist das Konzept „Energiewende“, das die Umstellung von einer fossilen zu einer klimaneutralen Energieversorgung erfasst, aber von Grünen bis FDP völlig unterschiedlich ausgelegt wird. Ein anderes Beispiel ist die Deutung der Atomkraft. Fragen rund um Terrorgefahr und nuklearen Abfall stellen sich für Deutschland genauso wie für Frankreich. Doch Kernkraft wird hier als gefährlich und umweltschädlich dargestellt, während unsere Nachbarn es als Beitrag zur Energiesicherheit und zum Klimaschutz wahrnehmen.
Konkret lassen sich Diskurse in der Energiepolitik meist in einem Trilemma aus Sicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit verorten. Energie muss also zuverlässig erzeugt und geliefert werden, bezahlbar sein und den ortsansässigen Rotmilan nicht belasten. Innerhalb dieser Grenzen zirkulieren Narrative, Positionen und Argumente im Diskurs. Narrative, die sich im gesellschaftlichen Diskurs durchsetzen, bestimmen, wie über energiepolitische Themen mehrheitlich gesprochen und gedacht wird. Diese Prioritäten können sich im politischen Alltag den Umständen entsprechend verschieben.
Mit Hilfe statistischer Software zur Textauswertung kann man eine solche Verschiebung innerhalb des Energie-Trilemmas in der deutschen Energiepolitik der letzten Jahre aufdecken: Mit einem Datensatz aus 18.000 Nachrichtenartikeln deutscher Leitmedien im Zeitraum von September 2018 bis September 2022, gefiltert nach bestimmten energiepolitischen Begriffen, können die diskursiven Elemente identifiziert werden, die Berichterstattung prägen. So zeigt sich ein wandelndes Diskursbild in der deutschen Energiepolitik, indem drei inhaltliche Blöcke in den letzten fünf Jahren entscheidend waren: erneuerbare Energien und die Energiewende, die Energiekrise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine und der Ausstieg aus Kern- und Kohlekraft. Dabei änderte sich nicht nur worüber gesprochen wird, sondern auch, wie diese Themen behandelt werden.
So standen erneuerbare Energien hauptsächlich unter zwei Gesichtspunkten in der Diskussion: Sie wurden von den Leitmedien stark mit der Energiewende und den gestiegenen Ambitionen im Klima- und Umweltschutz assoziiert. Doch nach Ausbruch des russischen Kriegs in der Ukraine nahm der Anteil der Erneuerbaren im Diskurs deutlich ab. Stattdessen wurde die Energiewende diskursiv neu ausgelegt: Statt auf die umweltpolitischen Vorteile der Erneuerbaren zu fokussieren, fokussierte sich die Debatte auf eine Energieversorgung ohne fossile Energieträger aus autoritären Staaten. Statt mit Umweltpolitik wurden sie mit Verteidigungspolitik assoziiert: Erneuerbare reduzieren Deutschlands Importabhängigkeit.
Der Krieg in der Ukraine war ein diskursiver Wendepunkt in der deutschen Energiepolitik. Bisher wurde Russland als Deutschlands größte Bezugsquelle von Erdgas unkritisch gesehen, da der Brennstoff für Strom und Wärme und als Rohstoff für die Industrie wesentlich war. Mit dem Kriegsausbruch verschob sich der energiepolitische Diskurs jedoch: Russland wird im Diskurs nicht länger als zuverlässiger Handelspartner wahrgenommen, worauf die Bundesregierung reagierte und sich nun darauf konzentriert, neue Importquellen zu sichern. Außerdem wuchs in der Bevölkerung die Angst vor unbezahlbaren Energiepreisen. Innerhalb des Trilemmas verschob sich der energiepolitische Diskurs weg vom Umweltschutz hin zur Bezahlbarkeit von Energie für Verbraucher und zur Abfederung sozialer Härten.
Der diskursive Wandel hin zu Sicherheits- und Wohlstandsaspekten beeinflusste sogar die politische Haltung zu Kern- und Kohlekraft. Vor dem Ukrainekrieg, so lässt sich in der Diskursanalyse zeigen, lag der Fokus auf Umweltaspekten. Kohlekraft galt als besonders klimaschädlich und die Beseitigung des radioaktiven Abfalls aus den Kernkraftanlagen als umweltschädlich. Außerdem wurde Kernkraft als gefährlich wahrgenommen, wegen des Risikos einer Kernschmelze. Diese Darstellungen änderten sich im Zuge des Diskurses rund um den Ukrainekrieg. Kohle- und Kernkraftwerke wurden als verlässliche Stromquellen identifiziert und lieferten so die diskursive Begründung für einen Politikwechsel, der die Laufzeitverlängerung der Atom- und Kohlekraftwerke als Beitrag zur Versorgungssicherheit einschloss.
Ein Wandel im energiepolitischen Diskurs hat stattgefunden: Weg von klimapolitischen Zielen hin zu Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Dabei blieben die technischen Begebenheiten die gleichen. Stattdessen änderte sich der Diskurs und trieb die Politik vor sich her. Ein diskursiver Wandel, der mitverantwortlich dafür ist, dass sich ein grüner Wirtschaftsminister nun gezwungen sieht, Kohle- und Atomkraftwerke hochfahren zu lassen. Die Macht des gesellschaftlichen Diskurses auf die Politik der Gegenwart ist nicht zu unterschätzen.