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Neobroker leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Aktienkultur. Die Politik sollte ihr Misstrauen ihnen gegenüber überdenken.

Millionär werden ist einfach

Über Nacht zum Millionär – das geht für die meisten nur mit extrem viel Glück oder unvernünftig hoher Risikobereitschaft. Aber über das Arbeitsleben zum Millionär? Das war in der Vergangenheit nahezu lächerlich einfach – für jene Menschen, die Zugang zum Aktienmarkt hatten. Wer im Jahr 1970 einmalig 10.000 Euro in den breit gestreuten globalen Aktienindex MSCI World investiert hätte, der würde 50 Jahre später, im Jahr 2020, über ein Anlagevermögen von 956.000 Euro verfügen können. Das entspricht einer Rendite von 9460 Prozent. Anders als Sparbücher oder scheinbar sichere Staatsanleihen ermöglicht der Aktienmarkt, am globalen Fortschritt und Wachstum direkt zu partizipieren. Für langfristige und breit gestreute Anleger bedeutet der Aktienmarkt die Umsetzung des Ludwig Erhard’schen Versprechens vom „Wohlstand für alle“. Doch bis in die 2000er hinein, war der Aktienmarkt in erster Linie jenen vorbehalten, die bereits über Vermögen verfügten. Dass nun immer mehr Menschen in Aktien investieren, ist nicht zuletzt sogenannten Neobrokern zu verdanken. Doch diese sind etablierten Börsen, Banken und so manchem Politiker ein Dorn im Auge.

Die Revolution des Aktienmarktes

12,4 Millionen Menschen in Deutschland besitzen Aktienprodukte. Das sind 17,5 Prozent der über 14-jährigen. Das bedeutet allerdings auch, dass über 80 Prozent noch nicht am Aktienmarkt partizipieren. Wenn überhaupt, dann bauen sie Wohlstand über Sparen, Lohnsteigerungen oder Immobilien auf. Erstaunlicherweise besitzen damit im Jahr 2021 eine halbe Million Deutsche weniger Aktienprodukte als noch im Jahr 2001. Allerdings fiel die Anzahl der Aktiensparer von 2001 bis 2014 beständig auf knapp 8,5 Millionen und steigt seitdem rasant an. Vor allem junge Menschen, desillusioniert hinsichtlich des Sicherheitsversprechens der staatlichen Rentenversicherung und sich des Vorteils langfristiger diversifizierte Anlagen bewusst, entdecken den Aktienmarkt für sich. Dabei greifen sie vielfach auf sogenannte Neobroker zurück. Anders als klassische Filialbanken, ermöglichen Anbieter wie „Trade Republic“ oder „Scalable Capital“ auch Kleinstanlegern und Aktienanfängern einen intuitiven und unkomplizierten Zugang zu den Finanzmärkten

Dabei profitiert die neue Generation der Aktiensparer vor allem von niedrigen Kosten. Wo früher ein beträchtlicher Teil der Rendite direkt in die Gebühren für Handelsplätze und Finanzprodukte floss, haben ETFs (also passiv gemanagte Indexfonds) und Neobroker den Markt revolutioniert. Es braucht heute keine großen Summen mehr, um die Ertragsschwelle zu erreichen. Anstatt mit den großen und etablierten Handelsplätzen wie der Frankfurter Börse arbeiten Neobroker heute vielfach mit sogenannten „Market Makern“ (außerbörslichen Handelsplätzen) zusammen. Diese zahlen den Brokern sogar eine Gebühr dafür, die Transaktionen der Kunden durchführen zu dürfen. Das bedeutet, dass Neobroker für jede Transaktion, die sie generieren, Geld erhalten, anstatt dafür zu zahlen. Und im harten Wettbewerb wird dieser Preisvorteil in der Regel direkt an den Neobroker-Kunden weitergegeben. Die für Finanzmarkt-Regulierung zuständige EU-Kommissarin McGuinness würde diese als „Payment for Order Flow“ (PFOF) bezeichnete Praktik am liebsten verbieten. Dahinter steht auch ein grundsätzliches Misstrauen der Politik den Neobrokern gegenüber.

Sind Order-Provisionen wirklich ein Problem?

Ihrer Ansicht nach führe PFOF zu Interessenkonflikten auf Seiten der Neobroker. So würden diese dem Anreiz unterliegen, Aktienprodukte im Auftrag des Sparers nicht zum besten Preis zu handeln, sondern mit dem Partner, der die höchste PFOF Provision zahle. Anstelle einer transparenten Transaktionsgebühr würden Neobroker-Kunden dementsprechend verschleierte Gebühren bedingt durch schlechtere Kurse zahlen. Das erscheint erst einmal recht intuitiv, schließlich müssen ja die Market Maker auch an irgendeiner Stelle Erträge erzielen. Doch die Intuition trügt hier. So kam eine (wohlgemerkt von Trade Republic beauftragte) Studie der University of Southern Denmark und der WHU zum Schluss, dass die den Kunden des Auftraggebers angebotenen Kurse nur in Ausnahmefällen schlechter waren als an der zur Referenz herangezogenen Frankfurter Börse. Mehr noch: Im Durchschnitt waren die Trade Republic-Kurse sogar um 0,052 Prozent besser. Als Einschränkung muss hier allerdings angemerkt werden, dass die Untersuchung nur Transaktionen zu Handelszeiten der Referenzbörse untersucht wurden. Im vor- oder nachbörslichen Handel könnten Neobroker-Kunden dementsprechend eventuell schlechtere Kurse bekommen.

Anstatt den naiven Kleinstanleger zu prellen, arbeiten ETF-Emittenten, Market-Maker und Neobroker einfach effizienter und haben eine Marktlücke erkannt. Sie setzen Digitalisierung und Automatisierung so für sich ein, dass beide Seiten profieren: Kunde und Anbieter. Zu lange wurde der Aktienmarkt dominiert von Großbanken und Großbörsen, die wenig in Innovation und Kostensenkung investierten. Der neue Staatssekretär und ehemalige Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold bezeichnet das als „Marktversagen“. Dem alternativen und allem Anschein nach besseren – durch den Markt hervorgebrachten! – Geschäftsmodell nun aus Prinzip den Garaus machen zu wollen, wäre hingegen Staatsversagen, wie es im Buche steht. Ganz abgesehen davon, dass der Vorschlag der EU-Kommission wohl kaum in die Endfassung der Novellierung der Finanzmarktordnung „MiFID“ aufgenommen wird. Denn neben den Neobrokern profieren auch die einflussreichen Großbanken seit Jahrzehnten vom PFOF – beispielsweise im Zertifikatehandel. Wirkliche Gewinner eines PFOF-Verbots wären lediglich die etablierten Börsen, die derzeit stetig Marktanteile an Market Maker verlieren.

Wohlstands-Boost durch echte Aktienkultur

Eine Öffnung der Politik hin zu einer soliden und verbreiteten Aktienkultur könnte den Deutschen nicht nur einen wahren Wohlstandsboost ermöglichen, sie könnte auch Millionen vor der Altersarmut bewahren. Dafür bedarf es allerdings eines grundsätzlichen Umdenkens in der Politik: (1) Aktienkultur bedeutet nicht, dass der Staat Anbieter sein soll. Da sollten die Volksaktie Telekom Lehre und angebliche Vorreiter wie Schweden ein Vorbild sein. (2) Regulierer sollten dem Markt als Regulierungsinstanz mehr Gewicht geben. Viel wirkungsmächtiger als aus dem Misstrauen privaten Profiten gegenüber geborene Gesetze ist der Preiswettbewerb als Entmachtungsverfahren. Sollten etablierte Neobroker tatsächlich (irgendwann einmal) Kunden benachteiligen, würden neue Anbieter sofort mit besseren Preisen und mehr Transparenz in den Markt stoßen. Gerade in einem Markt, in dem Vertrauen so wichtig ist, werden Neobroker das Vertrauen ihrer Kunden deshalb nicht verspielen wollen. (3) Ein solide und in der Bevölkerung gelebte Aktienkultur ist die letzte Chance auch für die staatliche Rentenversicherung. Wird hier nicht zeitnah und mit aller Kraft umgelenkt, macht sich die untätige Politik mitschuldig an einem Billionen-Betrug an der nächsten Generation. Man mag der neuen Bundesregierung wünschen, dass sie dies ernst nimmt und zusammen mit privaten Akteuren eine effiziente und wirkungsvolle Aktienrente auf den Weg bringt. Und (4) müssen Regulierer und vor allem Verbraucherschützer ihre Motive hinterfragen. Denn was ist wohl größeres „Zocken“? Alles Ersparte in eine Immobilie zu stecken oder eben in tausende Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen auf der ganzen Welt? Generation Bausparvertrag muss hier der Generation Aktiensparen mehr Vertrauen entgegenbringen.

3 Kommentare
  1. Dr. Alexander Dill
    Dr. Alexander Dill sagte:

    Sie müssen es nur wie El Salvador machen: Bitcoin zu 68.000 kaufen und für 39.000 verkaufen. Oder die Telekom-Aktie für 100 kaufen und für x verkaufen. Sie hätten aber 1970 auch ein Baugrundstück in Baden-Württemberg kaufen können. QM lag 1970 bei 9.20 Euro.
    Solange Aktienfonds nur in Sekundärmärkte investieren (dürfen!), sind Aktienfonds eine reine Umverteilung nach oben. Die Schwedischen Pensionsfonds investieren auch in Primärmärkte, also in Start-Ups.
    Herr Hartjen lebt noch in der seligen Zeit des Wachstums durch Nachfrage. Eine Aktie ist aber kein Produkt, sondern eine Wette auf die Zukunft. Deshalb besitze ich – Schätzung – wahrscheinlich ein Vielfaches mehr Aktien als Herr Hartjen, der überteuerte MSCI Aktien kauft.

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  2. Stefan Ellbrück
    Stefan Ellbrück sagte:

    Über welche Peanuts reden wir hier? Vermeintliche Gebühren – im Cent Bereich! Wer ist denn der größte Rendite Killer eines Depots? Das ist doch wohl der Staat mit seinen unverschämten Steuern. Nachdem der Anleger sein Einkommen bereits versteuert hat – legt er vom hoffentlich übrig gebliebenen Geld etwas an den Finanzmärkten an. Davon kassiert der deutsche Staat dann noch einmal 25% Abgeltungsteuer. Der Anleger geht Risiken über Jahre ein – der Staat kassiert im Erfolgsfall. Die geringen Gebühren bei der Anlage spielen da kaum ein Rolle!

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  3. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Sparen funktioniert nur, wenn es Dritte gibt, die (letztlich bei einer Bank) Schulden haben.
    Dabei sind die Sparguthaben der einen die Schulden der anderen.
    Wenn die Deutschen Sparguthaben in Höhe von inzwischen ca. 7,7 Bio. EUR „besitzen“, muss es irgendwelche anderen Personen (einschließlich der öffentliche Haushalte und des Auslands) geben, die ihre Schulden in eben dieser Höhe dann insofern nicht wieder abbauen können.
    Hier kann man es sich sehr schnell denken, dass unser vieles Sparen ein Nullsummenspiel ist, das auch noch dazu führt, dass man mit normaler Arbeit mit der Zeit immer weniger Geld verdienen kann.

    Daher könnte man es denken, dass Aktien die Lösung sein könnten.

    Es gibt aber etwa auch noch das Problem, dass ständig viel zu wenig konsumiert wird, weil das Einkommen auch extrem ungleich verteilt ist.

    Immer mehr Sparguthaben, die sich dann letztlich durch die immer weiter ansteigende Geldmenge und auch immer mehr Zinslasten bemerkbar machen, lösen dann eine Abwärtsspirale aus, weshalb die Unternehmen ihr Personal entlassen werden.

    Damit etwa die Wirtschaft in den USA trotz der immer schneller ansteigenden Ungleichheit nicht zum Stillstand kam, weil man ohne immer neue Schulden von anderen Leuten auch gar kein Geld verdienen kann, hatte etwa Donald Trump eine sehr hohe staatliche Neuverschuldung in Kauf genommen.

    (vgl. Welt, SCHULDEN SIND NICHT SCHLIMM
    Diese Formel birgt politische Sprengkraft
    Veröffentlicht am 18.01.2019)
    u.a. steht dort:
    Dabei könnte die Situation kaum dramatischer sein. Trump hat allein im letzten Quartal 2018 ein Defizit von 317 Milliarden Dollar gemacht. Das entspricht nicht weniger als sechs Prozent der Wirtschaftsleistung, doppelt so viel, wie in Europa in Krisenzeiten erlaubt sind.

    Jedenfalls habe ich deutliche Zweifel, dass unser heutiges Fiatgeld überhaupt funktionieren kann.
    Etwa die Zentralbanken können mit ihrer Geldpolitik zwar ständig neue Schulden generieren bzw. sie drucken irgendwo Geld.
    Aber sie können ihre Geldpolitik nicht rückabwickeln.

    Hans-Werner Sinn sagt daher folgendes völlig richtig:
    „Wir fahren ein Auto ohne Bremse – und der Abhang kann kommen. “

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